Protocol of the Session on April 26, 2012

Es gibt möglicherweise Nuancen und Unterschiede. Aber wir alle wollen eine humanistische, rationale Strafvollzugspolitik außer den Kolleginnen und Kollegen der CDU.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich einiges zu dem Musterentwurf und zur Frage der Lockerungen darstellen. Der Musterentwurf ist von zehn Ländern erarbeitet worden und steht seit September vergangenen Jahres zur Diskussion; wir hätten ihn im Rechtsausschuss oder in anderen Foren diskutieren können. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten hat ihn diskutiert und Ergebnisse vorgestellt. Diese decken sich aber nicht mit denen, die Sie hier vorgestellt haben, Herr Eichelbaum, sondern es sind wirklich ernstzunehmende Argumente, die von den Strafvollzugsbediensteten vorgetragen worden sind.

(Eichelbaum [CDU]: Das sind Zitate!)

Dieser Gesetzentwurf orientiert sich an dem Vollzugsziel des Strafvollzugsgesetzes, das hier schon mehrfach zitiert worden ist, nämlich dass der Vollzug lediglich die Aufgabe hat, den Straftäter, der einsitzt, zu befähigen, nach der Entlassung ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen. Das ist die Aussage des Strafvollzugsgesetzes von 1977. In mehreren Entscheidungen danach hat das das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass dieser Grundsatz der „sozialen Integration“ Verfassungsrang hat und nicht zur Disposition gestellt werden darf.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie an Folgendes erinnern: In unserer Verfassung, die in diesem Jahr 20 Jahre alt wird, ist diese Formulierung aus dem Strafvollzugsgesetz in Artikel 54 aufgenommen worden, und zwar aus gutem Grund. Schauen Sie einmal in die Protokolle des Verfassungsausschusses! Der Strafvollzug in der DDR hatte genau diesen Anspruch nicht erfüllt; das sollte man zur Kenntnis nehmen. Deswegen hat sich dieser Landtag dazu entschieden, diesen Grundsatz in Artikel 54 aufzunehmen. Der Strafvollzug in der DDR war auf Brechung des Individuums ausgerichtet. Der Strafgefangene, der einsaß, hat dabei seine Subjektrolle verloren; er ist Objekt der Einwirkung der Behörden gewesen, und er ist zum Teil in Betrieben ausgebeutet worden, die wirtschaftlich relevant waren, wo aber teilweise menschenunwürdige Arbeitsbedingungen herrschten.

Deswegen haben wir bzw. die Vorgängerfraktionen das so festgelegt: Die Menschenwürde ist unantastbar. Sie ist auch unantastbar für den Strafgefangenen. Deswegen wurde dieser Grundsatz in die Verfassung aufgenommen. Ich bin froh, Herr Dombrowski, dass Sie sich entsprechend engagieren und in der ehemaligen Strafvollzugseinrichtung der DDR in Cottbus ein Menschenrechtszentrum errichtet haben, weil diese Menschenrechte auch für Straftäter gelten, die zu DDR-Zeiten nicht wegen politischer Anschauungen eingesessen haben, sondern weil die Menschenrechte auch für alle Kriminellen gelten, die einsitzen.

Die Konsequenz daraus ist die inhaltliche Ausrichtung unseres Musterentwurfs. Der Musterentwurf geht davon aus, dass die Haft - Herr Kuhnert hat es gesagt - selbst dann, wenn wir sie humaner ausgestalten, immer das Paradoxon aufweist, dass es problematisch ist, einen Menschen in Unfreiheit in einer tota

len Institution zu einem Leben in Verantwortung in Freiheit ohne Straftaten zu erziehen. Es ist bekannt, dass nach vier bis fünf Jahren die schädlichen, entsozialisierenden Effekte im Strafvollzug zunehmen, die man auch unter „Hospitalisierung“ subsumiert.

Es ist wichtig, dass man im Strafvollzug Maßnahmen ergreift, die diesen Entsozialisierungstendenzen entgegenwirken und die darüber hinaus noch den Strafgefangenen sozialtauglicher machen. Daran orientiert sich der Musterentwurf. Er ist nicht revolutionär; er geht einige Schritte weiter als das Strafvollzugsgesetz von 1977. So sieht er zum Beispiel eine durchgehende Betreuung von Strafgefangenen sowie den Einsatz von Lockerungsmaßnahmen als Behandlungsmaßnahmen vor. Die Lockerungsmaßnahmen sind die gleichen, wie wir sie jetzt auch im Strafvollzugsgesetz haben, beispielsweise begleitete Ausgänge und Freigang, wobei Freigang hier vonseiten der Opposition immer völlig falsch diskutiert wird. Freigang bedeutet, dass der Strafgefangene draußen eine Beschäftigung...

(Zuruf von der Fraktion GRÜNE/B90)

- Entschuldigung! Ich wollte sagen: Teile der Opposition. Gemeint war die stärkste Oppositionspartei.

(Eichelbaum [CDU]: Das ist eine Unverschämtheit! - Zu- ruf des Abgeordneten Bischoff [SPD] zur CDU - Weitere Zurufe von der CDU)

- Natürlich; Sie gehen völlig fehl. Sie erzählen zum Beispiel in Ihrem Antrag, dass es fünf bzw. sechs Entweichungen beim Freigang gegeben habe. Es gab seit 2007 überhaupt keine Entweichungen beim Freigang! Freigang bedeutet, dass der Strafgefangene außerhalb der Anstalt einer Beschäftigung nachgeht.

(Zurufe des Abgeordneten Eichelbaum [CDU])

Da ist seit 2007 noch niemand abgehauen! Das war das letzte Mal 2007 der Fall, noch unter Frau Blechinger.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Zurufe von der CDU)

Sie versuchen, begriffliches Wirrwarr anzurichten, um an irgendwelche Instinkte zu appellieren; das wird Ihnen aber nicht gelingen.

Also: Wir halten an diesem Musterentwurf, an diesen drei Lockerungen, fest, mit der Einschränkung, dass wir für den Begriff „Urlaub“ den Begriff „Langzeitausgang“ wählen. Damit wird auch ein Paradigmenwechsel vollzogen, da es sich nicht um Urlaub in dem Sinne handelt, dass der Werktätige so viel gearbeitet hat und sich jetzt eine wohlverdiente Auszeit leisten kann, sondern es ist eine Behandlungsmaßnahme, die in einen auf Resozialisierung, auf Rückkehr in die Gesellschaft ausgerichteten Vollzugsplan eingebettet ist. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Der einzige Unterschied zur gegenwärtigen Rechtslage ist, dass der Antrag, eine Lockerung in Form eines Langzeitausgangs zu erhalten, für lebenslänglich Verurteilte nach fünf Jahren gestellt werden kann, während gegenwärtig die Grenze bei zehn Jahren liegt. Das gilt aber auch nur für diejenigen lebenslänglich Verurteilten, die nicht im offenen Vollzug untergebracht sind.

Nun muss man sich die Frage stellen - diese ist ja diskutiert worden -, ob die Möglichkeit des Langzeitausgangs auch Le

benslangen gewährt werden kann. Dazu haben wir eine eindeutige verfassungsrechtliche Situation: Wir haben seit 1977 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur lebenslangen Freiheitsstrafe. Aus Artikel 1 der Verfassung, der Unantastbarkeit der Würde des Menschen, wird abgeleitet, dass auch zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Strafgefangene die Möglichkeit erhalten müssen, die Freiheit wiederzuerlangen. Sie haben nur die Möglichkeit - das heißt noch lange nicht, dass es auch passiert. Es im Übrigen ein Irrglaube, dass die zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten nach 15 Jahren entlassen werden; sie können nach dieser Frist lediglich den Antrag stellen, entlassen zu werden.

Wenn man diese Möglichkeit anerkennt, dann muss man auch mit Behandlungsmaßnahmen, die die Öffnung in die Gesellschaft zum Inhalt haben, verantwortungsvoll umgehen. Das ist die verfassungsrechtliche Konsequenz, die wir in dem Musterentwurf gezogen haben.

Diese wird bestätigt durch die Praxis in Brandenburg. Hier wird ja immer abstrakt diskutiert. Ich weiß nicht, wie Sie, Herr Eichelbaum, dazu kommen, zu sagen, in Bayern säßen die Lebenslangen länger als in Brandenburg. Woher nehmen Sie das?

(Eichelbaum [CDU]: Das ist so!)

Sie sprechen von einer bewährten Praxis in Brandenburg. Haben Sie die Praxis überhaupt einmal zur Kenntnis genommen?

Ich gebe Ihnen einige Daten zur Praxis in Brandenburg. Diese ist erschreckend und steht zum Teil im Widerspruch zu dem, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Wir haben in Brandenburg 71 Strafgefangene, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind und die noch einsitzen. Von diesen 71 sitzen 34 in Brandenburg an der Havel, 11 in Cottbus und der Rest in Luckau-Duben. Von diesen 71 sitzen über 50 % bereits länger als 15 Jahre, einer bereits seit 40 Jahren.

(Eichelbaum [CDU]: Nicht ohne Grund - und sicher mit Urlaub!)

- Ich sage Ihnen gleich etwas zum Urlaub. Lassen Sie doch Ihre populistischen Zwischenrufe!

(Beifall DIE LINKE und SPD - Genilke [CDU]: Meinun- gen sind immer populistisch! - Zurufe von der SPD in Richtung der CDU: Sehen Sie es als Weiterbildung!)

Also: 50 % sitzen länger als 15 Jahre, einer sogar schon 40 Jahre. 30 % sitzen deswegen ein, weil sie zu DDR-Zeiten zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.

Jetzt einmal zur Urlaubspraxis: Gegenwärtig sind drei der lebenslang Verurteilten im offenen Vollzug untergebracht. Urlaub nach § 13 Strafvollzugsgesetz haben bisher zwei erhalten, und zwar der erste nach 15,5 Jahren und der zweite nach 17 Jahren. Vollzugslockerungen in Form von begleiteten Ausgängen bzw. Ausführungen haben von den 71 nur 13 erhalten. Die durchschnittliche Verweildauer, bevor man diese kleinste Stufe einer Lockerung erhalten hat, betrug 19 Jahre. Das steht sogar im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zumindest ist es bedenklich. Es steht auch im Widerspruch zu dem, was ich vorher gesagt habe, was die Grundsätze des Musterentwurfs sind.

Es steht ferner im Widerspruch zu dem, was uns die Europäische Union vorgibt. Das sollte man einmal zur Kenntnis nehmen. Die Europäische Union hat Richtlinien zur Gestaltung des Strafvollzuges vorgegeben. Sie hat im Jahr 2003 Empfehlungen zum Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe gegeben. Die Europäische Union geht dabei davon aus, dass auch bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten von Beginn an negativen Haftbedingungen entgegengewirkt wird und dass verantwortungsvoll Urlaubs- bzw. Lockerungsentscheidungen getroffen werden, ohne dass irgendwelche Grenzen eingezogen werden.

Im Übrigen hat beispielsweise das Land Hamburg zu Zeiten, als so große Rechtsstaatsstrategen wie Barnabas Schill und Herr Kusch Verantwortung im Innen- bzw. im Justizressort hatten, ein Landesstrafvollzugsgesetz erlassen, wo jegliche Grenze gefallen ist. Demnach kann jeder beantragen, Hafturlaub gewährt zu bekommen, und das wird dann verantwortungsvoll geprüft. Zu diesem Prüfungsalgorithmus werde ich gleich einiges sagen.

Aber Sie machen Politik mit Bildern. Dass Sie zum Beispiel den Fall Schmökel hier anführen, ist völlig unzutreffend. Herr Schmökel sitzt im Maßregelvollzug und ist hochgefährlich. Herr Schmökel ist auch nicht während des Hafturlaubs rückfällig geworden, sondern er hatte eine von mehreren Bediensteten begleitete Ausführung zu seiner Mutter gehabt, wo dieser Ausbruch passiert ist. Aber das wird ständig miteinander vermengt. Da werden Fälle benannt - das ist vorhin schon zu Recht gesagt worden -, wo man schon nach sechs Monaten einen Antrag auf Hafturlaub stellen kann, worauf auch im rbb Bezug genommen worden ist. Ich nenne hier einmal den Fall Serow, also die Entführung von Hintze und dieses schreckliche Tötungsdelikt. Da sind 14,5 Jahre als Strafe ausgeworfen worden. Hier hätte schon immer ein Antrag gestellt werden können, aber dieser Antrag wäre nie befürwortet worden, weil bei denjenigen Flucht- und Missbrauchsgefahr vorgelegen hat bzw. noch vorliegt. Insofern werden hier einfach Dinge vermischt, die man nicht miteinander vermischen kann.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Zur Frage „Täterschutz statt Opferschutz“...

(Eichelbaum [CDU]: Opferschutz vor Täterschutz!)

Nennen Sie es, wie Sie wollen. Beides kann man intellektuell nicht verstehen. Diese Begrifflichkeit ist ein so oberflächliches Dahingesage, dass man es überhaupt nicht nachvollziehen kann.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Lockerungen sind Resozialisierungsmaßnahmen, sind Wiedereingliederungsmaßnahmen und haben nichts mit Täterschutz zu tun. Sie befähigen den Täter, zukünftig keine Straftaten mehr zu begehen; so einfach ist das. Opferschutz ist das sozusagen perspektivisch - und zwar nicht von Opfern, sondern von potenziellen Opfern. Sie müssen hier schon begrifflich korrekt sein. Opfer sind diejenigen, die wirklich Gegenstand von Straftaten waren. Schützen kann man nur die potenziellen Opfer. Dafür muss man Maßnahmen ergreifen.

Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig gesagt: Die soziale Integration steht eben nicht im Gegensatz zu dem weiteren Vollzugsziel, nämlich dem Schutz der Allgemeinheit vor weite

ren Straftaten, sondern die „soziale Integration“ von Strafgefangenen bedingt genau den weiteren Schutz, weil die Rückfallquote dadurch gesenkt werden kann. Insofern ist das, was der Musterentwurf auswirft, auch nicht in einen Gegensatz zu den Sicherheitsinteressen der Bevölkerung zu stellen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Dann tun Sie auch immer so, als ob in dem Moment, wo solche Lockerungen gewährt werden, auch der Missbrauch bzw. der Rückfall quasi per se eine logische Folge sei. Dazu will ich Ihnen sagen: Auch zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe Verurteilte bekommen eine solche Lockerung nicht so einfach lapidar von dem einen Tag auf den anderen, sondern es müssen andere Lockerungsentscheidungen, Behandlungsmaßnahmen und therapeutische Interventionen vorausgehen. Erst dann wird geprüft, ob Flucht- oder Missbrauchsgefahr vorliegt. Wenn Flucht- oder Missbrauchsgefahr nicht ausgeschlossen werden können, wird eine solche Lockerung auch nicht gewährt. Das machen bei lebenslang Verurteilten Psychologen, das machen Fachkräfte. Von diesen gibt es eine gutachterliche Einschätzung. Als Sicherung gibt es dann noch die letztendliche Entscheidung der Aufsichtsbehörde, nämlich meines Ministeriums.

Die Statistik sagt eindeutig aus, welche Gefahr besteht, wenn Lockerungen gewährt werden. Wir konnten es in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen: Die Missbräuche liegen hier im Promillebereich. Ich nenne Ihnen die Zahlen für Brandenburg: Hier ist es so, dass es in den letzten zwei Jahren bei etwa 2 500 Gewährungen von Hafturlaub nur zwei Missbräuche gab. Zwei Missbräuche - das entspricht einer Quote von 0,084 %. Diese beiden Missbräuche bestanden auch nur darin, dass die Betreffenden aus dem Hafturlaub nicht zurückgekehrt sind. Sie haben keine Straftaten begangen, sie haben niemanden belästigt; sie sind nur nicht rechtzeitig aus dem Hafturlaub zurückgekehrt. Das ist die Realität, und das ist bundesweit Realität. Daraus muss man ableiten und daraus ersieht man, dass verantwortungsvoll mit Lockerungen umgegangen wird.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Lassen Sie mich abschließend noch zu einem Punkt etwas sagen: Sie haben ja gesagt, die zu lebenslang Verurteilten müssten in Haft sitzen, weil es problematisch sei, der Bevölkerung Lockerungsmaßnahmen zu vermitteln, und berechtigterweise die Frage gestellt werde, ob ein lebenslang Verurteilter, der so viel Leid angerichtet hat - er hat ein Tötungsdelikt begangen -, nicht auch dafür büßen müsse. Dazu ist schon einiges gesagt worden.

Wir haben ja insgesamt drei große Strafzwecke und auch drei große Straftheorien: Die eine besagt, dass man auch vergelten muss; das ist das Talionsprinzip, also das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, oder, wie die Aufklärung gesagt hat: Für die Tat muss man genau abgemessen in Jahren eine bestimmte Zeit im Strafvollzug sitzen bzw. es muss für ein Tötungsdelikt auch wieder getötet werden. - Das ist die Vergeltungstheorie.

Daneben gibt es die Generalprävention, die Abschreckung. Danach ist durch möglicherweise harte Strafen auf die Bevölkerung einzuwirken.

Als Drittes gibt es die Spezialprävention, wodurch ein Mensch befähigt werden soll, nicht erneut eine Straftat zu begehen.