Protocol of the Session on April 25, 2012

(Beifall CDU und FDP)

Das Wort erhält der Abgeordnete Baer für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Homeyer! Es geht natürlich nicht darum, hier in dieser Frage Panik zu verbreiten. Es ist schon angemessen, angesichts der Schließung eines Werkes mit 1 200 Beschäftigten zumindest für diese Menschen von einer Katastrophe zu sprechen, weil dies für sie und ihre Familien genau dieser Katastrophe gleichkommt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Planungen von mehr als Tausend Menschen wurden durch eine unternehmerische Entscheidung durchkreuzt, die deutlich macht, wie gering der Wert von Arbeit heute geschätzt wird und mit welcher Rücksichtslosigkeit manche Entscheidungen heutzutage getroffen werden. Menschen, die glaubten, einen sicheren und unbefristeten Job in einem zukunftsträchtigen Unternehmen zu haben, müssen sich nun plötzlich umorientieren.

Das Unternehmen First Solar hat ganze Familien in die Regionen gezogen. Die Schließung trifft die Region Frankfurt (Oder) und die Menschen dort schwer. Die Schließung der beiden Werke bedeutet nicht nur den Jobverlust für die 1 200 Beschäftigten, sondern hat auch mit großer Wahrscheinlichkeit - das haben wir heute gehört - Auswirkungen auf die Zulieferbetriebe und die Unternehmen in der Region, die mit First Solar wirtschaftliche Beziehungen unterhalten haben. Zudem sind auch andere Unternehmen davon betroffen. Die Werkschließung zieht Kreise.

First Solar ist einer der größten Arbeitgeber in der Region, der mit seinem Ausbildungsangebot auch für die Zukunft junger Menschen Verantwortung trägt und berufliche Perspektiven bieten sollte. In der Zeit, in der wir in diesem Hause mehrfach über Fachkräftemangel gesprochen haben, muss es uns doch jetzt darauf ankommen, die qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Region zu halten.

Die geplante Transfergesellschaft scheint hierbei zunächst der richtige Weg für eine vorübergehende Sicherung der Beschäftigung und für den Erhalt des Fachkräftepersonals gerade in die

ser Region zu sein. Daran muss sich auch First Solar beteiligen. Denn das Unternehmen hat - wie heute schon gesagt wurde - nicht Insolvenz angemeldet, sondern legt den Betrieb als eine Unternehmensentscheidung still infolge einer auch vom Bund zu verantwortenden Politik der geplanten drastischen Kürzung der Solarförderung und deren Folgen, die die Beschäftigten nun ausbaden müssen.

Wir sehen First Solar in der sozialen und unternehmerischen Verantwortung. Ich bin mir sicher, dass das Unternehmen dieser Verantwortung auch gerecht werden wird. Ich will der Landesregierung ausdrücklich dafür danken, dass sie sich in dieser Situation derzeit so stark engagiert, wie vorhin vom Wirtschaftsminister dargestellt.

Wir müssen uns gemeinsam mit allen Akteuren in der Region um die Arbeitnehmer kümmern. Wir müssen gemeinsam mit den Sozialpartnern den von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen im Land schnellstens neue Perspektiven bieten. Der Betriebsrat als Interessenvertreter der Beschäftigten, der im Übrigen erst nach langem Hin und Her und einigen Blockaden des Unternehmens gewählt werden konnte, muss dabei mit an den Verhandlungstisch, auch wenn - wie wir gerade erst gehört haben - eines der Betriebsratsmitglieder entlassen worden ist, was nicht unbedingt die Sprache einer Unternehmenskultur spricht, die von uns akzeptiert werden kann.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die guten und qualifizierten Fachkräfte, die nach Bekanntwerden der Werkschließungen nach Arbeit suchen, stehen den anderen Unternehmen in der Region zur Verfügung. Die Beschäftigten von First Solar haben bewiesen, dass sie hoch motiviert, qualifiziert und bereit sind, sich weiterzubilden. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen: Die Beschäftigten von First Solar arbeiten in Zwölf-Stunden-Schichten. Einige von ihnen hatten am Ende des Monats gerade so viel in der Lohntüte, dass sie im Herbst dieses Jahres, nachdem die Werke in Frankfurt (Oder) geschlossen sein werden, Arbeitslosengeld bekommen werden, das in der Nähe von Hartz IV liegt.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der eigentliche Skandal und macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Löhne gerecht und fair sind. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Zum Abschluss erhält die Landesregierung noch einmal das Wort. Der Ministerpräsident spricht.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Bretz, Sie haben vorhin in der bei Ihnen ja üblichen Mischung aus Emphase und Scheinheiligkeit hier die Frage in den Raum gestellt,

(Burkardt [CDU]: Unverschämtheit!)

was für ein Unternehmer das denn wäre, der da gewirkt hat? Das haben Sie hier gefragt. Die Antwort ist relativ einfach: ein lupenreines amerikanisches, kapitalistisches Unternehmen, des

sen Art und Weise Sie sonst bei jeder Gelegenheit laut Beifall zollen. Für diese Art von Kapitalismus hatten Sie immer ein Herz und gewährten immer ganz viel Unterstützung, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich bin sehr gespannt, wie Sie auf den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Romney reagieren werden,

(Oh! bei der CDU)

wie Sie sich zu ihm stellen werden - einem Kandidaten, der noch wesentlich härtere Gangarten dieser Gesellschaftsordnung vorschlägt.

(Weitere Zurufe von der CDU - Görke [DIE LINKE]: Das ist zu hoch für sie!)

Meine Damen und Herren, uns alle hat der Rückzug von First Solar hart getroffen; es wird eine gewisse Zeit dauern, diesen Schock zu verarbeiten. Ich bin dankbar, dass die Diskussion hier im Landtag - bei allen gravierenden Unterschieden - eines ergeben hat: dass jetzt das Mitgefühl, vor allen Dingen aber die Solidarität den Frauen und Männern und ihren Familien in Frankfurt (Oder) gehören, die von dieser Entscheidung betroffen sind - und zwar hart betroffen sind.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Unsere Solidarität sollte ihnen gehören. Es muss ein schreckliches Gefühl sein, wenn der persönliche Lebensweg auf eine derart harte Probe gestellt wird, und zwar erst recht, wenn Träume, Ziele und Hoffnungen noch ganz frisch sind: Das zweite Werk, für das viele Familien extra in den Raum gezogen sind, ist erst vor wenigen Monaten von dem Unternehmen eröffnet worden - das sollte man immer im Kopf haben. Es darf nicht sein, dass 1 200 Beschäftigte einfach zu einer Zahl verkommen.

Meine Damen und Herren, trotzdem sage ich in dieser Diskussion hier: Ich bleibe zuversichtlich. Ich bleibe zuversichtlich, weil der Industriestandort Frankfurt (Oder) zukunftsfähig ist. Auch, wenn First Solar gehen sollte - die gute Infrastruktur, Hunderte hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und jede Menge Expertise bleiben am Standort. Die Verantwortlichen von First Solar stehen uns gegenüber im Wort, dass die Produktion bis zum 31. Oktober 2012 weiterläuft. Es geht ab jetzt und vor allen Dingen ab dann um einen möglichst nahtlosen Übergang für die Beschäftigten. Dafür ist die Gründung und Finanzierung einer Transfergesellschaft essenziell, und zwar durch First Solar; auch daran werden wir das Unternehmen messen, meine Damen und Herren. Wir erwarten, dass First Solar im Interesse der Beschäftigten und des Standorts zu seinen diesbezüglichen Zusagen steht.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Landesregierung hat immer Verantwortung - überhaupt keine Frage. Aber zugleich nehmen wir auch die Unternehmensführung von First Solar in die Pflicht. Das betrifft die Transfergesellschaft ebenso wie die Bereitschaft, möglichen Interessenten für die Betriebsstätte auf finanzielle Art und in Bezug auf die Bedingungen entgegenzukommen. Ich sage bewusst,

dass es hier keine K.o.-Kriterien für Interessenten geben darf, die diese Betriebsstätten übernehmen möchten. Wir werden natürlich alles in unserer Macht Stehende tun - das hat der Wirtschaftsminister sehr klar gesagt -, um einen neuen Investor zu finden. Eine Fortführungslösung wäre mit Sicherheit die allerbeste. In Anbetracht der aktuellen Marktsituation und der Entscheidung der Bundesregierung zur Kürzung der Einspeisevergütung wird es aber schwer - da sollten wir ganz realistisch bleiben. Andererseits ist die zweite Fertigungsanlage gerade erst gebaut und das gesamte Werk technisch auf allerhöchstem Niveau.

Meine Damen und Herren, wir werden die Fördermittel, die wir zurückfordern können, auch zurückfordern. Das betrifft auf jeden Fall die zweite Fabrik - überhaupt keine Frage. Wir prüfen aber auch, ob wir weitere Fördermittel zurückerlangen können. Wir werden für den Standort Frankfurt (Oder) und seine Beschäftigten kämpfen, und wir müssen uns auf bundes- und landespolitischer Ebene parteiübergreifend die Frage stellen, wie wir einen weiteren Flächenbrand in der Solarindustrie vermeiden können. Herr Kollege Büttner, selbstverständlich: Sich verändernde Marktsituationen brauchen auch sich verändernde und sich anpassende Förderbedingungen.

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

- Nein.

Die Frage ist aber, Herr Büttner, ob das, was hier in den letzten Monaten passiert ist, wirklich eine adäquate Reaktion war, die es Unternehmen ermöglicht hat, sich auf diese sich verändernden Bedingungen einzustellen. Dazu sage ich Ihnen: Diese Reaktion war nicht adäquat; Unternehmen konnten sich nicht einstellen. Der Unternehmensführer von First Solar hat ganz klar gesagt, die Entscheidung, die Großflächen nicht mehr zu fördern, sei für die Firma First Solar der Ausgangspunkt ihrer Entscheidung gewesen.

Ja, wir brauchen eine Gesamtkonzeption zur Umsetzung der Energiewende - die ist dringend erforderlich. Wir brauchen dafür auch - so wenig das vielleicht in manche freidemokratischen Grundsätze passt - industriepolitische Grundsatzentscheidungen und Planungssicherheit. Eine Energiewende wird ohne Rahmenplan nicht möglich sein, meine Damen und Herren, und diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das richtet der Markt nicht allein. In der Energiestrategie haben wir uns für den vorrangigen Ausbau der Erneuerbaren ausgesprochen; das wird auch weiter unser Weg sein. Wenn die Bundesregierung sich gleichfalls dazu bekennt, muss sie auch die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür bieten und darf nicht mitten auf dem Weg einen Teil der Industrie im Regen stehen lassen.

Herr Kollege Bretz, dass Philipp Rösler und Norbert Röttgen große Teile der Solarindustrie in ein Desaster führen würden,

(Burkardt [CDU]: Und Herr Romney!)

waren nicht meine Worte im Bundesrat, sondern die Worte von Reiner Haseloff und Christine Lieberknecht - das sollten Sie zur Kenntnis nehmen -; das Parteibuch dieser beiden ist das der CDU. Sie haben von einem Desaster gesprochen,

(Beifall SPD und DIE LINKE)

in das diese Entscheidungen Teile dieser jungen Industrie führen. Wir sind bereit, Gespräche zu führen,

(Zuruf des Abgeordneten Bretz [CDU])

um einen politischen Konsens zu finden, und ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundeskanzlerin für den 23. Mai 2012 nun endlich - allerdings sehr, sehr spät - zu einem Gespräch mit den Länderchefs - und zwar nun mittlerweile mit allen, unabhängig vom Parteibuch - eingeladen hat. Wir werden am 11. Mai 2012 im Bundesrat den Vermittlungsausschuss zur Solarvergütung anrufen. Gestern Abend herrschte unter den Ministerpräsidenten Ostdeutschlands über alle Parteibücher hinweg Einvernehmen, dass wir das gemeinsam tun werden, denn es geht um unsere energiepolitische und industriepolitische Zukunft, und da hat politische Sturheit, denke ich, keinen Platz.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Frau Kaiser [DIE LIN- KE]: Genau!)

Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, dass Unternehmen in China die Produktion von herkömmlichen Solarmodulen heute ähnlich gut bewerkstelligen können wie Unternehmen in Deutschland und dass sie aufgrund der massiven staatlichen Unterstützung auf dem Weg auch noch mehr Luft haben. Fakt ist aber: Vor nicht allzu langer Zeit waren wir in diesem Bereich führend, und unsere Volkswirtschaft hat gut daran verdient. Die Frage für die nächsten Monate muss also lauten: Wie schaffen wir es, erneut eine Spitzenposition einzunehmen? Da bin ich mir auch mit Rednern der Opposition einig, dass wir Wertschöpfung nur im Land behalten können, wenn es um Gesamtsysteme geht und wenn wir bei Innovationen ganz vorn sind; sonst werden wir sie auf Dauer hier nicht halten können.

Wir schaffen das nur über Qualität und Innovation; die Energiewende ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit, und der Bedarf an Technologie und Innovation ist auf diesem Sektor immens. Wir haben bei Speichertechnologien, Netzen und Anwendungstechnologien den Zenit überhaupt noch nicht erreicht - das kommt alles noch -, und da könnten wir ganz vorn sein. Hier liegt auch ein Stück Schlüssel für Innovation, und deshalb bestätigt das, glaube ich, auch unseren Weg, die Wissenschaft im Energiebereich zu befördern. Wir müssen auf der erfolgreichen Forschungsarbeit von Einrichtungen wie der FH Lausitz und der BTU Cottbus aufbauen, aber noch ein deutlicheres Forschungsprofil daraufsetzen, wenn wir vorn bleiben wollen.

Mein zweiter Appell geht an die Unternehmen: Ja, Sie haben hier in den letzten Jahren zu wenig für FuE getan, und da muss nachgebessert werden, wenn wir gemeinsam öffentliche Forschung und Unternehmen, Wertschöpfung in Deutschland halten wollen. Wir dürfen unseren Platz in Deutschland als Weltmeister der Erneuerbaren nicht kampflos und nicht auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgeben und damit ganze Regionen gefährden. Das gilt ja nicht nur für Frankfurt; das gilt für Bitterfeld, das gilt für andere Gegenden - überall.

Ich sage noch einmal ganz klar: Wenn wir das schaffen wollen, brauchen wir gestaltende Industriepolitik, sonst wird dieser Weg nicht erfolgreich zu beschreiten sein. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.