Protocol of the Session on February 22, 2012

Zudem ändern sich die Zeiten. Das, was vielleicht vor zehn Jahren falsch war, kann heute richtig sein, oder was damals richtig war, ist heute falsch. Insofern finde ich es hervorragend, wenn sich Parteien auf den Weg machen und sagen: Bedingungen haben sich geändert. Wir sehen das jetzt so, was kein Umfallen bedeutet, sondern Klugheit.

Liebe Klara, ich bin sehr froh, dass du gesagt hast: solange die SPD regiert. Ich möchte das gern um folgende Worte ergänzen: mit dem richtigen Partner regiert.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Als ihr mit der CDU regiert habt, seid ihr in die andere Richtung marschiert. Also auch das gehört dazu.

(Frau Lehmann [SPD]: Gestattet!)

Wir regieren gemeinsam, weshalb wir jetzt ein anderes Grundverständnis haben. Du weißt selbst, es ist nicht innerhalb eines Tages so gekommen, dass wir gemeinsam gesagt haben: Okay, wir gehen jetzt in den Bundesrat und wollen dafür sorgen, dass der Spitzensteuersatz wieder erhöht wird. - Da haben wir ganz schön mit euch debattieren müssen. Aber ihr wart dafür; denn es stimmt: Ihr habt ihn abgesenkt.

Weil in diesem Zusammenhang immer von Sozialismus gesprochen wird: Dann war Herr Kohl wohl der Obersozialist.

Schließlich betrug der Spitzensteuersatz zu seiner Amtszeit 53 %.

(Beifall DIE LINKE)

Dorthin kommen wir nicht einmal mit dem Antrag. Wir wollen lediglich von 42 auf 49 %. Ich sage klar und deutlich: Gegen die Anhebung des Grundfreibetrages hat doch kein Mensch etwas. Extra deswegen wird im Bund der Existenzminimumbericht erstellt. Dieser ist dafür da, die Voraussetzungen zu schaffen. Selbstverständlich werden wir dem zustimmen. Was jedoch nicht geht und dem wir deswegen unsere Zustimmung nicht geben werden, sind Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung.

Ich sage Ihnen ganz klar: Im Bundesrat ist unser kluger Antrag, den viele andere Länder unterstützt haben, in die Ausschüsse gegangen. Insofern können Sie durchaus - das ist Ihr gutes Recht - Ihren Antrag dort stellen: Wir wollen nur das wieder, was unter Herrn Kohl der Fall war. - Erhöhen Sie den Antrag von 49 % auf 53 %. Mit der Differenz von 49 auf 53 % können Sie - das verspreche ich Ihnen - Steuersenkungen finanzieren, wobei wir sogar mitmachen würden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Dann hätten wir insgesamt mehr Geld im Haushalt und könnten dafür Sorge tragen, uns nicht mehr weiter zu verschulden. Diese Debatte wurde schon so oft geführt. Auch haben wir nach wie vor eine Nettokreditaufnahme geplant. Im Jahr 2011 haben wir diese nicht gebraucht, was ich wunderbar finde. Auch brauchten wir nicht die Entnahme aus den Rücklagen. Dennoch haben wir haushalterische Verbindlichkeiten von knapp etwas mehr als 18 Milliarden Euro. Demzufolge ist es ein Aberwitz, jetzt darüber nachzudenken, die Steuereinnahmen zu minimieren.

Im Übrigen muss man - das wissen Sie, schließlich haben Sie es selbst gesagt - in Zeiten, in denen es etwas besser läuft, Vorsorge betreiben, etwas in die Sparbüchse legen und Rücklagen bilden, damit man - wenn man keine Kredite mehr aufnehmen darf - etwas hat, womit man mögliche konjunkturelle Schwankungen kompensieren kann.

Das macht Brandenburg, und zwar in einer Art und Weise, die uns relativ sicher davon ausgehen lässt - wenn die Welt zusammenbricht, nützt das natürlich auch nichts -, dass wir eine konjunkturelle Delle - sollte es eine geben - kompensieren könnten. Das ist vorsorglich und klug.

Der Bürger weiß das und hört zu. Er hört jetzt, dass SchwarzGelb im Bund sagt: Wir müssen darüber nachdenken, ob wir nicht die Arbeitsmaßnahmen kürzen, das Elterngeld kürzen und die Rentenkassen insofern stärker belasten, weil wir als Bund weniger einzahlen wollen als Gegenfinanzierung. Bei diesen Aussagen weiß der Bürger sofort, was das bedeutet. Wenn es dann wieder in die andere Richtung geht, kommt die Bundesregierung nicht auf die Idee, zu sagen: Jetzt erhöhen wir wieder die Steuern. - Vielmehr sagt sie dann: Gut, dann werden nicht mehr einmal in drei Monaten 10 Euro beim Arzt bezahlt, sondern pro Arztbesuch 50 Euro.

Der Bürger ist klüger, als Sie glauben. Er glaubt Ihnen diese permanenten Steuersenkungsdebatten zum Wohle des Bürgers

nicht mehr. Das ist auch gut so. Aus diesem Grund - das müssen Sie selbst wissen - verlieren Sie in den Umfragen an politischer Bedeutung. Eine Partei wird dann nicht mehr gewählt, wenn es für sie in der Gesellschaft keine Aufgabe gibt. Offensichtlich sieht die Gesellschaft nicht die Aufgabe einer Steuersenkung. Sieht sie nicht!

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das ist das Resultat und nicht mein Problem, sondern Ihres. Wir haben auch manchmal Probleme, um die wir uns dann kümmern müssen.

(Zuruf des Abgeordneten Genilke [CDU])

Ich sage noch einmal klar und deutlich: Das, wozu Steuern dienen, ist das Ausschlaggebende. Ich verlange von den Besserverdienenden - zu denen gehören auch wir -, dass sie einen höheren Anteil leisten, damit wir eine gute Infrastruktur und eine hervorragende Ausbildung haben können und damit wir eine Gesundheitsversorgung definieren, die für jeden gleich zugänglich ist. Daran erkennt man die zahlreichen Probleme, und für die Beseitigung derer steht linke Politik.

Herr Vogel, ich habe mich gefreut, dass Sie sich in diesem Fall auf unsere Seite positioniert haben. Da gehören Sie auf diesem Gebiet meiner Ansicht nach auch hin. Sicherlich haben wir sehr viele Auseinandersetzungen auf anderen Gebieten, was aber auch in Ordnung ist.

(Zuruf des Abgeordneten Genilke [CDU])

Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist der richtige, und wir sollten nach ihm verfahren. Den anderen Antrag dagegen sollten wir ablehnen. - Recht vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, wir kommen zu einem weiteren Beitrag der SPD-Fraktion. Die Abgeordnete Muhß erhält das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Finanzpolitik der Bundesrepublik Deutschland leidet unter einer schlimmen Krankheit. Es ist die Krankheit der Vergesslichkeit. Dafür gibt es noch andere Namen, ich lasse es aber bei Vergesslichkeit. Wir neigen dazu, in Krisen die Staatsverschuldung auszuweiten, doch vergessen wir in wirtschaftlich guten Zeiten, die Schulden zurückzuzahlen.

(Burkardt [CDU]: Tilgen!)

Lassen Sie mich ein privates, ganz plastisches Beispiel nennen, um es einfach noch einmal bildlich zu gestalten: Ich bin Besitzerin eines Haus- und Hofgrundstückes, und zwar in 5. Generation.

Mit der Übergabe durch meine Eltern gab es auch eine ganze Reihe von Regeln, wie das zu behandeln ist. Eine davon war: Dieses Grundstück muss sich in guten Zeiten vollsaugen wie

ein Schwamm, damit man in schlechten Zeiten etwas herausdrücken kann. Ich finde, das ist ein wirklich gutes Beispiel und lässt sich an vielen anderen Stellen auch anwenden.

Die Bundesrepublik hat in 41 der vergangenen 44 Jahre mehr Geld ausgegeben, als sie eingenommen hat, im Durchschnitt jährlich zwischen 5 und 6 % mehr. Lediglich in drei Jahren wurden in sehr geringem Umfang Schulden getilgt. Übrigens: In diesen drei Jahren stellte die SPD den Bundesfinanzminister.

(Aha! bei der CDU - Frau Lehmann [SPD]: Das war ja völlig klar!)

Brandenburg ist inzwischen auf einem besseren Weg. Wir haben seit 2006 nur in einem Jahr neue Kredite aufgenommen. Allerdings haben wir seit Bestehen des Landes auch noch keinen Cent zurückgezahlt - keinen Cent! Das müssen wir angesichts des Bevölkerungsrückgangs aber tun, wenn wir unsere Kinder und Enkel nicht mit Zins- und Tilgungslasten erdrücken wollen. Deswegen ist jetzt nicht die Zeit, um Spendierhosen anzuziehen und Steuergeschenke zu verteilen. Das gilt für die Bundesrepublik insgesamt. Wo könnte die Bundesrepublik Deutschland heute stehen, wenn sie pro Jahr 60 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Wissenschaft ausgeben könnte? Mit diesen 60 Milliarden Euro pro Jahr finanzieren die Steuerzahler stattdessen Zinszahlungen, päppeln die Steuerzahler stattdessen die Bilanzen und Gewinne von Banken und Hedgefonds auf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe durchaus Verständnis für die Griechen, die jetzt auf den Straßen protestieren; denn sie sehen, dass von ihren gezahlten Steuern keinerlei Zukunftsausgaben mehr finanziert werden. Stattdessen werden die Interessen der Banken bedient.

(Zuruf von der CDU)

Deswegen sind die Vorschläge der Bundesregierung ein Ausdruck falscher Prioritätensetzung und ein schlechtes Signal an unsere Partner in der EU. Sie verlangt von ihnen die Einführung einer Schuldenbremse, sie verlangt mehr Haushaltsdisziplin. Doch sie macht sich selbst unglaubwürdig, weil sie Steuern senken will, bevor der Haushaltsausgleich geschafft ist. Damit demonstriert die Bundesregierung auch, wie vergesslich sie ist. Zu Beginn der Legislaturperiode hat sie bereits ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz - ein abartiges Wort - verabschiedet, gegen den Widerstand der SPD und trotz des Kopfschüttelns der meisten Menschen im Land. Inhalt dieses Gesetzes waren Steuerentlastungen in Höhe von 9 Milliarden Euro für ihre Klientel und damit verbunden ein um 9 Milliarden Euro höheres Defizit in den Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden.

Der Finanzminister hat die Gesamtsumme der Entlastungen, der Steuersenkungen seit 2000 genannt. Aber wir wissen aus der Schule: Wiederholung festigt. Nun, es gab tatsächlich Wachstum. Ob das allerdings nicht auf die vorherigen Reformen zurückzuführen ist, wäre noch zu ermitteln. Wir müssen erneut ein erhebliches Wachstum auf unserem Schuldenkonto registrieren. Deswegen wäre es an der Zeit für ein Schuldenbremsgesetz. Doch CDU und FDP wollen lieber ein Gesetz verabschieden, das sie korrekterweise eigentlich Schuldenwachstumsbeschleunigungsgesetz nennen müssten. Denn mit diesem

Gesetz verzichtet sie auf 6 Milliarden Euro, auch das ist schon vom Kollegen Görke vorhin - ausdrücklich erwähnt worden.

Auch die Brandenburger FDP glaubt offenbar daran, dass diese Entlastung für dauerhaft sichere Staatseinnahmen sorgen wird. Sie müsste es besser wissen. Unter Helmut Kohl galt ein Spitzensteuersatz von 53 %. Ich sage noch einmal: Wiederholung festigt. Ich weiß auch gar nicht, wie Herr Burkardt von einem „sozialistischen Dauerlutscher“ reden kann. Wir haben den Spitzensteuersatz dann auf 42 % gesenkt. Das Geld ist aber nie wieder hereingekommen

(Burkardt [CDU]: Nicht mal das stimmt!)

und fehlt uns bis heute. Die Konsequenz sind steigende Defizite in den Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden. Ohne die Steuersenkungen von Rot-Grün, Schwarz-Rot und SchwarzGelb, ohne die Senkung des Spitzensteuersatzes, ohne die Besserstellung von Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitseinkommen und ohne die Steuergeschenke für die Unternehmen hätten wir heute einen ausgeglichenen Haushalt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Bekanntlich ist es anders gekommen. Statt seinen Haushalt auszugleichen, hat Deutschland lieber die Maastricht-Kriterien außer Kraft gesetzt, weil Deutschland selbst nicht mehr mit gutem Beispiel voranging. Weil wir auf Einnahmen verzichteten und Ausgaben über Schulden finanzierten, konnten wir auch von den anderen Staaten keine strikte Haushaltsdisziplin mehr verlangen. Auch das gehört zur historischen Wahrheit.

(Burkardt [CDU]: Wer war das?)

- Dazu komme ich noch.

Und heute: SPD und Grüne haben aus den Fehlern einer übereifrigen Finanzpolitik gelernt. Wir sind lernfähig. Wir Sozialdemokraten bekennen uns dazu, dass wir von den Beziehern hoher Einkommen auch einen angemessenen Beitrag wollen; denn diese haben ihren Vermögensaufbau auch der gesamten Gesellschaft zu verdanken, die erst die Rahmenbedingungen für Erfolge schafft. Deswegen kann ich an einem Spitzensteuersatz von 49 % wirklich keine Ungerechtigkeit erkennen.

Um noch einmal auf den sozialistischen Dauerlutscher zurückzukommen. Ein Vergleich mit den USA: Die bekämpften ihre Staatsschulden nach der großen Weltwirtschaftskrise 1929 mit einem Spitzensteuersatz von 95 %.

Wir Sozialdemokraten sagen: Wer Gerechtigkeit möchte, der muss dafür sorgen, dass alle ihren fairen Beitrag leisten. Deshalb wollen wir übrigens auch eine Finanztransaktionssteuer. Der Staat hätte keine Kraft mehr für eine zweite Bankenrettung. Wer den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen helfen möchte, der muss zuallererst dafür sorgen, dass die Gemeinden, die Länder und der Bund ihre Aufgaben erfüllen können. Wer den Beziehern kleinster und kleiner Einkommen helfen möchte, der muss sich für einen flächendeckenden Mindestlohn stark machen.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Zuruf von der CDU: 10 Euro!)