Protocol of the Session on December 18, 2008

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zur 78. bombenfreien Plenarsitzung im Landtag Brandenburg

(Bochow [SPD]: Noch wissen wir das nicht!)

und danke Ihnen für Ihre Geduld, die gestrigen Unwägbarkeiten ertragen zu haben.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Geburtstagsglückwünsche loswerden. Unsere Chefstenografin, Frau Elminowski, hat heute Geburtstag und hat nichts Besseres zu tun, als ihn bei uns im Landtag zu verbringen. - Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Der Entwurf der Tagesordnung liegt Ihnen vor. Gibt es dazu Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich um das Handzeichen, dass wir nach dieser Tagesordnung verfahren können. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Dass der Ministerpräsident heute den ganzen Tag zur MPK ist, wissen Sie. Einige Abgeordnete leiden an diversen Krankheiten und fehlen deshalb. Das wird hoffentlich unsere Beschlussfähigkeit nicht beeinträchtigen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Auswirkungen der Kürzung der Direktzahlungen durch die EU auf die Landwirtschaftsbetriebe in Brandenburg

Antrag der Fraktion der SPD

Die SPD-Fraktion beginnt mit den Redebeiträgen. Bitte, Herr Abgeordneter Folgart.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zwei Bergsteiger am Mount Everest. Sie stehen vor einem Gletscherfeld - das ist die neue Herausforderung, die vor ihnen steht -; dem einen sagt der Expeditionsleiter: Du hast Steigeisen, die brauchst du ab jetzt nicht mehr. - Dem anderen sagt er: Du hast größere Füße als die anderen, also gib mal nicht nur die Steigeisen, sondern auch deine Bergsteigerstiefel gleich mit ab. Aber weil ihr eine große Herausforderung zu bewältigen habt, bekommt jeder von euch noch eine Thermoskanne Tee mit auf den Weg.

Wie leicht oder wie schwer der Expeditionsleiter es damit den Bergsteigern gemacht hat, den Gipfel zu erreichen, kann sich jeder an der Stelle vorstellen.

Gleiches ist aber aktuell mit den Betrieben geschehen, und genau das ist im übertragenen Sinne eingetreten: Die EU hat mit

den Beschlüssen zum Health Check für die landwirtschaftlichen Betriebe diese Ausgangssituation gesetzt.

Meine Damen und Herren, es ist damit weiterhin Vertrauen in die EU-Agrarpolitik verloren gegangen, und es ist vor allen Dingen Planungssicherheit für die Betriebe verloren gegangen. Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik sollte bis zum Jahr 2013 halten. So wurde es erst im Jahr 2004 festgelegt. Nun gibt es sozusagen auf halber Strecke eine neue Reform, und es ist eine neue Reform.

Auch wenn noch tiefere Einschnitte verhindert werden konnten, belasten sie Deutschland im Jahr 2012 mit 242 Millionen Euro, wovon 19 Millionen Euro auf das progressive Element entfallen.

Da klingt es wenig versöhnlich, dass von der Kommission rund 183 Millionen Euro weniger als zu Beginn der Beratungen vorgesehen waren.

Die Belastung für Deutschland ist also 43 % niedriger, als es der Kommissionsvorschlag vorsah, aber es ist eine Belastung. Die Einschnitte sind groß. Deshalb spreche ich auch von einer neuen Reform innerhalb der Reform.

Wolfgang Birthler, mit dem ich vorhin gesprochen habe, wird sich daran erinnern, dass die Bedrohungslage gerade für größere Strukturen seit 1990 schon immer latent vorhanden war, seit dem Beitritt der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland. Ich erinnere auch an solche Szenarien wie die 90-Bullen-Obergrenze in der Förderung, als es noch um die Tierköpfe ging, die in der Förderung bewertet werden mussten.

Lassen Sie mich etwas ausholen, meine Damen und Herren! Die Direktzahlungen in dieser Form, also die entkoppelte Direktzahlung, gibt es seit dem Jahr 2005, 2004 beschlossen. Zuvor gab es über viele Jahre - ja, ich kann sagen, über Jahrzehnte - Preisstützungssysteme, die über die Hälfte des EU-Agrarhaushalts in Anspruch nahmen und die an die Produktion gekoppelt waren.

Wofür gibt es eigentlich diese Direktzahlungen? - Auch das sind Fragen, die in letzter Zeit oft beantwortet werden mussten. Sie gibt es als Ausgleich für die abgeschafften Preisstützungsmaßnahmen, sie gibt es für die Sicherung des Einkommens in der Landwirtschaft, sie gibt es zur Stützung der Wirtschaftskraft im ländlichen Raum, sie gibt es zur Sicherung einer angemessenen Lebensmittelversorgung der Bevölkerung - und das zu angemessenen Preisen. Weiter: Sie gibt es als Beitrag - ja! zur weltweiten Ernährungssicherung, und sie gibt es als Ausgleich bestehender Wettbewerbsnachteile im internationalen Maßstab. Es werden auch Prämierungen damit erteilt, die der Landwirtschaft für die bereitgestellten öffentlichen Güter, die die Landwirtschaft sichert, zugutekommen.

Wir dürfen nicht vergessen, meine Damen und Herren, sie gibt es nicht für ein Null ouvert, sondern die Landwirte müssen eine exakte Dokumentation und das Einhalten von Richtlinien und Verordnungen - es sind 21 an der Zahl - sichern. Cross Compliance ist das entsprechende Stichwort. Die Anwendung der hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards im Tier,- Umwelt- und auch im Verbraucherschutz spielen hier eine Rolle; Rückverfolgbarkeit, aber auch der Düngemitteleinsatz werden

geregelt, und beispielsweise auch auf die Fruchtfolgegestaltung wird Einfluss genommen.

Meine Damen und Herren, eine Kürzung der Direktzahlungen wurde mit dem Einstieg in die neue Reform bereits 2005 beschlossen, nämlich die fünfprozentige Modulation, die stufenweise eingeführt wurde und die heute gilt. Ziel war es damals, die Agrarumweltprogramme und die ländliche Entwicklungspolitik sollten gestärkt werden, ohne jedoch mehr Mittel durch die Europäische Union in den Agrarhaushalt einzustellen.

Es besteht seit 2005 die Möglichkeit für die Nationalstaaten der Europäischen Union, eine fakultative Modulation - in Klammern: bis zu 20 % - einzuführen. Meine Damen und Herren, davon Gebrauch gemacht haben aber für die neuen Herausforderungen, die ich vorhin angesprochen habe, nur das Vereinigte Königreich und Portugal ab dem Jahr 2007; alle anderen Länder, alle anderen Nationalstaaten, haben dafür keine Notwendigkeit gesehen.

Was hat die EU-Kommission vorgehabt? - Sie wollte eine Umschichtung in die große Überschrift „Ländliche Entwicklung“ hineinlegen, hat da aber auch Konfrontation im Parlament gesehen. Das Parlament in Straßburg oder in Brüssel sperrte zeitweilig die Mittelfreigabe, um einen höheren Mitteleinsatz in diesem Feld der Agrarförderung, der Förderung für den ländlichen Raum, zu erzwingen.

Meine Damen und Herren! Mit der EU-Planungsperiode 2007 bis 2013 wurden auch die Mittel für die sogenannte zweite Säule moderat gekürzt. In Deutschland erhielten einzelne Bundesländer sogar höhere Zuweisungen; dazu gehört auch Brandenburg.

Brandenburg erhielt also für die ländlichen Entwicklung mehr als vorher. Dieses Plus kommt nicht in allen Fällen den Betrieben und damit unmittelbar der Landwirtschaft zugute, die ich immer auch als Herzstück des ländlichen Raumes bezeichne. Die Gelder werden auch für Herausforderungen wie Hochwasserschutz, Artenvielfalt, Diversifizierungen und - dieses Stichwort will ich hier nicht vergessen - NATURA 2000 eingesetzt.

Meine Damen und Herren, teils wurden und werden Mittel der zweiten Säule bereits für diese Maßnahmen verwendet, und die EU-Kommission hat jetzt mit dem Health Check auch die neuen Herausforderungen neu beschrieben. Zu den neuen Herausforderungen gehören nämlich die Biodiversität, das Wassermanagement, der Klimaschutz und auch innovative Verfahren der Produktion. Auch wurde - darüber bin ich sehr froh - die Umstrukturierung des Milchsektors mit aufgenommen und als eine Herausforderung - so kann man sagen - definiert, sodass auch hier Geld umgelegt werden kann, um den Milchsektor zu stärken, der ja aufgrund des Ausstiegs aus dem Kontingentierungssystem, aus dem Quotensystem im Jahr 2015, begleitet durch diverse andere Maßnahmen, den Anpassungsprozess sehr stark erfahren wird.

Die Europäische Union - ich sage es mal so - propagiert ständig neue Aufgaben, neue Anforderungen, ohne jedoch den Haushalt entsprechend zu gestalten, sprich: zu erhöhen. Ich meine, dass die Europäische Union durchaus Reserven hätte, auch aus dem Agrarbereich - hier sind nicht genutzte Haushaltsgelder, „Agrargelder“, zu erwähnen -, die für Projekte im Weltall wie das Projekt GALILEO eingesetzt wurden; die Ent

wicklungshilfe wird auch aus diesem Topf bezahlt und natürlich auch Konjunkturprogramme für bestimmte andere Wirtschaftsbereiche, die außerhalb der Land- und Ernährungswirtschaft liegen.

Nun erfolgte - ich meine, ohne Not - vor wenigen Tage trotzdem die Anhebung der Kürzungssätze für die Direktzahlungen. Die Basismodulation wird schrittweise um weitere 5 % angehoben, bzw. die Direktzahlungen werden nochmals um 5 % gekürzt. Zusätzlich kommt die progressive Modulation hinzu. 4 % der Zahlungen über dem Direktzahlungsbetrag von 300 000 Euro, unabhängig von den natürlichen Bedingungen und der Zahl der Arbeitskräfte oder den wirtschaftlichen Verhältnissen, werden gekürzt. Es ist tatsächlich, wie es der Ministerpräsident gestern auch in seiner Regierungserklärung sagte, ein Paradigmenwechsel. Die Progression bricht sozusagen mit dem bisherigen Prinzip der Gleichbehandlung der Unternehmen und auch der Fläche.

Hier kann man das geflügelte Wort „ein Hektar ist ein Hektar“, egal, in welcher Betriebsgröße er sich befindet, durchaus heranziehen.

Wie ich vorhin schon sagte, ist aus unserer Sicht das Prinzip der Verlässlichkeit der Politik damit gebrochen.

Die Hauptkritikpunkte sind: Die ursprüngliche Reform ist noch nicht voll zum Tragen gekommen. Auch das will ich an dieser Stelle erwähnen. Denn wir werden eine Anpassung der Direktzahlungen auf eine einheitliche Prämienhöhe in den 16 Regionen in Deutschland erst im Jahr 2012 haben, sprich: am Ende des jetzigen Reformzeitfensters.

Ich bitte auch zu bedenken, meine Damen und Herren, dass sich die Preise momentan für sämtliche landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Getreide, aber auch für die Ölfrüchte und für Milch wieder massiv in einer Abrutschphase befinden. Die Erlöse gegenüber 2007 sind teils zwischen 50 und sogar 100 % zurückgegangen. Bei Raps erlöst man heute zum Beispiel 29,50 Euro je 100 kg; im vergangenen Jahr waren es noch 38 Euro je 100 kg oder je Dezitonne. Beim Roggen sind wir jetzt wieder bei einem Durchschnittspreis von 9 Euro je Dezitonne angekommen und haben damit das Niveau von 2005 erreicht.

Wir müssen dieses gesunkene Erlösniveau natürlich auch dem Kostenniveau in den Betrieben - auch die landwirtschaftlichen Betriebe in Brandenburg leben nicht im luftleeren Raum - gegenüberstellen. Das Kostenniveau ist größtenteils nicht analog abgesenkt, und wir haben es mit einem hochpreisigen Bodenmarkt sowohl im Pacht- als auch im Kaufbereich zu tun.

Statt ein Stützungsprogramm für die Landwirtschaft wird hiermit ein Destabilisierungsprogramm gestartet, und das ohne Not. Die große Befürchtung der Landwirtschaft in Ostdeutschland und damit auch hier in Brandenburg ist es: Mit dem Einzug dieses Elements der Progression wird die Basis für die fortschreitende Diskussion für das Zeitfenster nach dem Auslaufen der jetzigen Gemeinsamen Agrarpolitik nach dem Jahr 2013 gelegt.

Wie ist Brandenburg betroffen? - Alle Betriebe ab ca. 17 ha sind in Brandenburg von Kürzungen betroffen - ab 17 ha. Besonders hart sind Betriebe betroffen, die über 300 000 Euro Direktzahlungen erhalten. Das sind ca. 370 Betriebe - es können

372 oder 373 Betriebe sein -, bei denen die Progression dann greift. Diese 370 Unternehmen steuern mehr als die Hälfte des zusätzlichen Modulationsbetrages bei, und das von über 6 000, 6 200, 6 300 Betrieben, die wir in Brandenburg in der Statistik führen. Sie bewirtschaften aber etwa 50 % der Fläche und beschäftigten rund 40 % der Arbeitskräfte in der Brandenburger Landwirtschaft.

Die neue Regelung belastet die Brandenburger Betriebe insgesamt mit ca. 87 Millionen Euro bis zum Jahr 2013 zusätzlich; davon werden es im Jahr 2012 allein 21,7 Millionen Euro sein.

Lassen Sie mich noch ein Beispiel bringen. Ein Unternehmen mit einer Direktzahlung in Höhe von 450 000 Euro muss von 2009 bis 2013 einen Verlust von 225 800 Euro durch die Modulation - das wären 10 % Basismodulation am Ende des Jahres und 4 % Progression - hinnehmen. Allein im Jahr 2012 macht das für den Betrieb über 50 000 Euro aus.

Ich habe vorhin den Begriff „Planungssicherheit“ angesprochen. Die Betriebe, die Anfang dieses Jahrtausends investiert und neue Stallanlagen gebaut oder Boden gekauft haben, stehen in Verpflichtung gegenüber den Banken, was den Kapitaldienst betrifft. Hier ist dann wieder dieses Vertrauen, die Planungssicherheit, die im Wechselspiel mit getätigten Investitionen steht, zu sehen. Der Kapitaldienst ist zu leisten - ohne Wenn und Aber.

In Deutschland, meine Damen und Herren, werden den Betrieben im Jahr 2013 - wie ich vorhin schon gesagt habe - rund 242 Millionen Euro durch die zusätzliche Modulation entzogen, und diese werden umgeschichtet. Obwohl das Land Brandenburg lediglich 7,3 % der Direktzahlungen erhält, liegt der Anteil am Modulationsaufkommen bei 9,2 %. Das liegt natürlich auch an den Strukturen, die wir hier haben.

Von der Flächenausstattung her gehören die Betriebe in Brandenburg - historisch gewachsen - zu den größeren. Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt im laufenden Jahr bei 198 ha.

Brandenburger landwirtschaftliche Betriebe sind von ihrer Rechtsform her unterschiedlich organisiert. Es gibt Genossenschaften, Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und den klassischen Familienbetrieb. Gerade die Betriebe, die ich zu Anfang genannt habe - Genossenschaften, Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften - haben überdurchschnittliche Belastungen zu tragen. Ich bin sehr dankbar, dass wir im Vorfeld der Entscheidung in Brüssel zahlreiche Besucher bei uns hatten. Ich nenne insbesondere die zuständige Kommissarin, Frau Fischer Boel, und ihren Stellvertreter, Prof. Borchardt, der mit Vertretern seines Kabinetts angereist war. Wir haben anhand von Direktkontakten mit Betrieben das Bild der Landwirtschaft in Brandenburg abgespiegelt.

Ich war beeindruckt, als ich hörte, dass die Kabinettsmitarbeiter von Prof. Borchardt zum ersten Mal in Ostdeutschland waren, als wir während der Grünen Woche im vergangenen Jahr die Agrargenossenschaft Mittenwalde besuchten. Dort konnten sie zum ersten Mal die Vielfalt dessen erleben, was für zahlreiche Orte in Ostdeutschland, speziell in Brandenburg, das Vorhandensein einer Agrargenossenschaft bedeutet. Die Agrargenossenschaften sind nicht nur der größte Arbeitgeber im Dorf oder der Kleinstadt, sondern erfüllen auch Versorgungsaufgaben. Das hat auch etwas mit Diversifizierung zu tun. In vielen Orten gibt es heute keinen Lebensmittelladen mehr. Deshalb

spielt die Agrargenossenschaft eine entsprechend größere Rolle. Auch dieser Aspekt sollte in die Bewertung einfließen.

Nun kann man im Umkehrschluss sagen: Vielleicht hat all das dazu beigetragen, dass es nicht so schlimm gekommen ist, wie ursprünglich von der Kommission geplant. Dennoch ist das Ergebnis so, wie es eben ist: aus unserer Sicht unbefriedigend.