Protocol of the Session on November 19, 2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur heutigen Plenarsitzung des Landtages Brandenburg.

Mein besonderer Gruß gilt den Schülerinnen und Schülern des Weinberg-Gymnasiums Kleinmachnow. Ich wünsche euch einen informativen Vormittag.

(Allgemeiner Beifall)

Lassen Sie mich zunächst einige Bemerkungen zur Tagesordnung machen.

Unter Tagesordnungspunkt 3 soll nunmehr die 2. Lesung des Gesetzes zur Neuregelung des Hochschulrechts stattfinden. Die ursprünglich unter Tagesordnungspunkt 6 vorgesehene 2. Lesung des Elften Rundfunkänderungsstaatsvertrages soll unter Tagesordnungspunkt 7 und nun doch mit Debatte erfolgen. Zum Ausgleich dafür wird der ursprüngliche Tagesordnungspunkt 8 und jetzige Tagesordnungspunkt 9 ohne Debatte behandelt. Die anderen Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.

Wir haben ab 17 Uhr auf Herrn Minister Schönbohm und ab 14.30 Uhr auf Herrn Minister Speer zu verzichten. Frau Ministerin Ziegler ist ganztägig abwesend. Einige weitere Abgeordnete haben mir ihre Abwesenheit angezeigt.

Gibt es zu der so geänderten Tagesordnung Ihrerseits Bemerkungen? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wer nach ihr verfahren möchte, den bitte ich um sein zustimmendes Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Der Bildungsgipfel und seine Bedeutung für Brandenburg

Antrag der Fraktion die LINKE

Wir beginnen die Debatte mit dem Beitrag der Linksfraktion. Die Abgeordnete Große spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Noch war es der Gipfel, schon ist es PISA-E - aktueller geht es wohl nicht.

Als Bundeskanzlerin Merkel im Frühjahr in einer sehr forschen Rede den lange geplanten Qualifizierungsgipfel zum nationalen Bildungsgipfel überhöhte und zudem die Bildungsrepublik Deutschland ausrief, waren die Bildungspolitiker dieses Landes verblüfft, denn die Kanzlerin hatte das Thema seit 2004 nicht bedient. Nun hatte sie entdeckt, dass sich mit dem Thema möglicherweise auch Wahlen gewinnen lassen.

Sie heizte die Erwartungen noch kräftig an. Die Bürgerinnen und Bürger, so war zu vernehmen, interessierten sich nicht für Zuständigkeiten. Bund und Länder müssten an einem Strang ziehen, damit sich Deutschland endlich aus dem PISA- und Uni-Notstandssumpf erheben könne. So mancher fragte sich, ob angesichts der Gunst des Augenblicks möglicherweise etwas Großes im Werden sei.

Schnell wurden die Träume auf den harten Boden der bildungspolitischen Realität zurückgeholt, als unmittelbar nach der Rede von Frau Merkel das Hickhack von CDU-Ministern, SPDBildungsexperten und Verbandslobbyisten einsetzte. Auch die PR-Tour der Kanzlerin im Vorfeld des Gipfels trug eher zur Ernüchterung bei.

Den Rest besorgte die Bilanz des 22. Oktobers selbst. Drei - immerhin drei! - Stunden lang haben die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten gut vorbereitete Standpunkte ausgetauscht und ein Papier mit dem wohlklingenden Namen „Aufstieg durch Bildung“ verabschiedet, in dem Bekanntes und schon Beschlossenes bekräftigt wird. Es ist eine Sammlung vager Zielformulierungen, politischer Absichtserklärungen und abermals vertagter Entscheidungen.

Kollegin Geywitz bewertete den Gipfel folgerichtig als „Hügel“. Herr Minister Müntefering ging noch ein Stück weiter und hatte das Wort „Maulwurfshügel“ parat. Frau Ministerin Wanka hingegen war durchaus zufrieden.

Für die Linke ist das magere Ergebnis die Bestätigung dafür, dass diese Bundesregierung unfähig ist,

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

den entstandenen Abstand zu den führenden Bildungsnationen wenigstens ein klein wenig zu verringern.

Darüber täuscht auch nicht die typisch deutsche Debatte um die Ergebnisse der gestern veröffentlichten PISA-E-Studie hinweg. Während andere Länder ihre Bildungssysteme Innovationen unterziehen, uns also weiter davonlaufen, wird in Deutschland die Kleinstaaterei zur Perfektion gebracht. Man vergleicht sich nun nicht mehr mit der übrigen Welt, sondern innerhalb von A- und B-Ländern. Das lässt man sich auch richtig etwas kosten. Statt nach Finnland schauen wir jetzt erstaunt nach Sachsen.

Die durch die Föderalismusreform I verfestigte Situation wenigstens in Ansätzen aufzuheben war nicht möglich. So wurstelt sich Deutschland weiter durch. Der Therapieversuch ist gescheitert. Offensichtlich gab es unterschiedliche Erwartungshaltungen. Frau Kollegin Hartfelder meinte im Ausschuss, es wäre schon gut, dass wir wieder über das Thema geredet hätten. Zentrale Fragen - mangelnde Chancengleichheit, zu viele Abbrecher, zu wenige Akademiker, zu wenig Geld - blieben weitgehend ausgeblendet.

Selbst die finanzielle Zielmarke bleibt unverbindlich. Bis 2015 wollen Bund und Länder 7 % des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und 3 % für Forschung ausgeben. Das wäre ein riesiger Fortschritt und hätte schon etwas von einem „nationalen Bildungspakt“. Leider sind Bund und Länder eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, mit welchen Maßnahmen sie erreichen wollen, dass tatsächlich mehr Geld für Bildung ausge

geben wird. Selbst wenn das Geld wirklich fließen sollte, bleibt zu fragen, wofür es ausgegeben wird. Hoffentlich nicht nur für die dann fälligen Pensionszahlungen der verbeamteten Lehrkräfte!

Nicht einmal auf ein elternbeitragsfreies Mittagessen für Kinder von Erwerbslosen konnten sich Bund und Länder einigen. Ich kann die Aufzählung fortsetzen: keine Fortsetzung des Ganztagsschulprogramms, keine Aufstockung der dringend benötigten Schulsozialarbeiterstellen, kein Schüler-BAföG, keine konkreten Schritte zu mehr Chancengleichheit, schon gar nicht die Überwindung des überholten gegliederten Systems.

Auch für den Hochschulbereich blieben die Ergebnisse mager. Dazu wird mein Kollege Herr Jürgens noch sprechen.

Für uns stellt sich nun die Frage, wie mit den Ergebnissen besser: Nicht-Ergebnissen - des Gipfels umzugehen ist. Die Landesregierung hat dazu dem zuständigen Ausschuss ein Papier vorgelegt - ziemlich zeitnah übrigens -, das aber neben der Aufzählung aller Aktivitäten, die im Land schon ohne den Gipfel laufen und die wir auch unterstützen - Maßnahmen im Bereich der Kindertagesstätten, Grundsätze elementarer Bildung, Sprachförderung, Orientierungsrahmen Kita - Grundschule, Berufsorientierung, Praxislernen, IOS, die vielen INNO-PUNKTWettbewerbe -, nicht viel enthält. Der am häufigsten vorkommende Satz in diesem Papier aber lautet: „Der Bund hat zu dieser Maßnahme keine Gespräche mit den Ländern geführt“. Wie peinlich!

Da das Schwarze-Peter-Spiel offensichtlich fortgesetzt werden soll und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, leider nicht kraftvoll genug waren, hier mehr herauszuholen, bleibt nur eines: Es liegt jetzt weiter beim Land, die Bedingungen für das Lernen und das Lehren spürbar zu verbessern.

Meine Damen und Herren von der CDU, Herr Kollege Senftleben, Ihre Freudentränen über die gestern bekannt gewordenen PISA-E-Ergebnisse sind hoffentlich schon getrocknet. Der Erfolg hat ja immer viele Väter. Ich rede den Erfolg im Bereich der Naturwissenschaften, im Bereich Mathe, auch überhaupt nicht klein, aber mit Ihrer Bildungsoffensive hat das Ergebnis der Neuntklässler aus 2006 wirklich noch nichts zu tun.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Die Anerkennung dafür verdienen vor allem die Lehrkräfte, die die Schülerinnen und Schüler unter enorm schwierigen Rahmenbedingungen dazu befähigt haben, die einer neuen Aufgabenkultur zum Durchbruch verholfen haben - in diesem Zusammenhang möchte ich auch lobend das LISUM erwähnen -, die sich fortgebildet und die PISA-Herausforderung angenommen haben.

Was Sie, meine Damen und Herren von der CDU, gar nicht wahrhaben wollen oder billigend in Kauf nehmen, ist, dass inzwischen auch in Brandenburg die soziale Herkunft in erheblichem Maße über den Bildungserfolg entscheidet, und das alles, obwohl es kaum Schüler mit Migrationshintergrund gibt. Die Neuntklässler aus 2006 hatten noch nicht in dem Maße durch die Eltern zu finanzierende Zusatzangebote in der Kita, hatten noch keine zentralen Vergleichsarbeiten in Jahrgangsstufe 6, noch keine Leistungs- und Begabungsklassen, noch nicht das Kappen der Durchlässigkeit in der Oberschule, noch nicht die

Verdichtung durch das Abitur in zwölf Jahren. Die Ergebnisse dieser Ihrer gemeinsamen Offensive stehen uns also noch bevor. Insofern war die etwas verhaltenere Reaktion bei der SPD - der Kollege Baaske und Minister Rupprecht waren ja gestern zu hören - durchaus berechtigt. Vielleicht bekommen wir als Linke künftig ja auch einmal eine Antwort von der Landesregierung, wenn wir nach den Auswirkungen ihrer Maßnahmen bezogen auf die soziale Herkunft der Kinder fragen.

Herr Ministerpräsident Platzeck, wenn Sie es wirklich ernst damit meinen, kein Kind zurückzulassen - das unterstelle ich, dass Sie das wirklich ernst meinen -, dann überprüfen Sie einfach noch einmal ernsthaft, inwiefern gerade die letzte Schulgesetzesnovelle einschließlich der Verordnungen dazu der sozialen Disparität noch Vorschub leistet.

Sie alle, meine Damen und Herren, haben erkannt, dass es auf den Anfang ankommt. Sie, Herr Dombrowski, haben sich inzwischen auf die Seite der Opposition in der Regierung geschlagen und den Vertretern der Kita-Initiative für einen besseren Personalschlüssel in der Kindertagesstätte Unterstützung zugesichert. Klären Sie das bitte einmal mit Ihrem Koalitionspartner. Uns haben Sie da schon einmal im Boot, auch wenn Sie das nicht wollen

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

wenn es um einen verbesserten Personalschlüssel bei den Kindertagesstätten geht, immer!

Wir wiederholen unsere schon seit Jahren gestellte Forderung an die Landesregierung: Belassen Sie die finanziellen Mittel, die durch sinkende Schülerzahlen frei werden, im System und nutzen Sie diese Mittel vor allem unter der Maßgabe des sich jetzt schon abzeichnenden Lehrkräftebedarfs in den nächsten drei Jahren zur Verbesserung der Unterrichtsqualität.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Eine der wenigen klaren Aussagen des Bildungsgipfels war die, die hohe Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss bis zum Jahre 2015 von 8 % auf 4 % zu halbieren; Brandenburg ist ja mit 11 % in diesem Bereich wirklich Spitzenreiter. Das wird eine ziemliche Herausforderung. Eigentlich lag die Zielmarke laut Lissabon-Prozess schon bei 2010. So viel zu den europäischen Zielen und unseren Verpflichtungen dazu.

Der entsprechende Auftrag ist nur mit mehr Personal zu schultern. Die Herbstcamps werden das nicht richten. Das schließt ein, dass keine weiteren Lehrerstellen gestrichen werden, sondern der sogenannte Lehrkräfteüberhang genutzt wird, um die Schulen besser mit Stellen auszustatten; das scheint übrigens eines der sächsischen Erfolgsrezepte gewesen zu sein. Nur dann kann man auch das Ganztagsschulprogramm weiterführen, wie Sie es versprochen haben. Vom Bund ist hier offensichtlich nichts zu erwarten. Die verpasste Chance können wir jetzt kollektiv bedauern. Aber die Brandenburgerinnen und Brandenburger erwarten von uns zu Recht deutliche Zeichen für Chancengleichhheit, für eine bessere Qualität, für mehr Verlässlichkeit von Schule ohne Denkverbote, ohne Tabus, auch hinsichtlich struktureller Veränderungen. Wenn wir nicht nur getrieben sein wollen von Untersuchungen wie PISA, die auf wenige messbare Kompetenzen abzielen, wenn Schule bei aller

Fachkräfterekrutierung nicht zum Dienstleister verkommen soll, wenn Schule also möglichst vielseitig bilden und die ihr anvertrauten Kinder auch in unsere Kultur und in ihre Aufgaben als Bürger einführen soll und den Kindern helfen soll, sich zu entfalten, dann brauchen wir noch eine ganz andere Debatte.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Da hat Hartmut von Hentig recht. Er hat an dem Bildungsgipfel teilgenommen und ist leider viel zu wenig erhört worden. Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Die Abgeordnete Lieske setzt die Debatte für die SPD-Fraktion fort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Große, Sie sind ziemlich schnell durch dieses Thema gehetzt, um so viele Informationen wie möglich hier und heute an den Mann und an die Frau zu bringen. Ihrer Fraktion ist es dabei schon schwergefallen, Ihre Worte an der jeweils richtigen Stelle mit Applaus zu würdigen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Der Bildungsgipfel am 22. Oktober ist meiner Meinung nach durchaus geeignet gewesen, das Thema Bildung, Weiterbildung, Aus- und Fortbildung in den breiten Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Dass die Ergebnisse etwas mager sind, gebe ich gern zu. Aber ich glaube, im Vorfeld war zu spüren, dass gerade die Ergebnisse der Föderalismusreform durch diesen Bildungsgipfel nicht umgestoßen werden. Länderhoheiten spielen hier eine große Rolle, und bekanntlich wäre Brandenburg gern bereit, die Zuständigkeit für dieses Thema an den Bund abzugeben.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])