Protocol of the Session on December 15, 2004

Viertens: In den letzten Jahren sind zahlreiche Kindertagesstätten geschlossen worden. Setzt sich diese Entwicklung fort, ist die noch vorhandene Infrastruktur - wohnortnahe Kindereinrichtungen - im Land Brandenburg gefährdet.

Fünftens: Wegen Hartz IV werden wir möglicherweise Probleme in der Qualität der frühkindlichen Bildung und Erziehung bekommen. Potsdam ist ein „wunderbares“ Beispiel dafür. Dort gibt es eine Beschlussvorlage, wonach der Bereich 0- bis 3-jähriger Kinder in Spielgruppen von 1-Euro-Job-Empfängern abgedeckt werden soll. Das kann der richtige Weg ja wohl nicht sein.

(Beifall bei der PDS)

Außerdem ist ernsthaft zu fragen: Wie nutzen wir die guten Standards in der Kindertagesbetreuung für Kinder mit Entwicklungsstörungen und -defiziten? Frau Lehmann wies richtigerweise darauf hin. Wie werden Sprach- und Bewegungsstörungen bei Kindern beseitigt? Immer mehr Kinder müssen von der Einschulung zurückgestellt werden. Wie werden sie nach dieser Zurückstellung gefördert? Wie wird der Übergang von der Kita zur Grundschule möglichst problemlos und mit größtmöglichem Gewinn für die Kinder gestaltet?

Trotz guter Bilanz, die die OECD der Kinderbetreuung in Brandenburg bescheinigt hat, gibt es also auch in diesem Bereich zahlreiche Aufgaben, für deren Lösung die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen muss.

Die PDS bleibt bei ihren Grundforderungen und bekräftigt sie an dieser Stelle noch einmal. Wir sind nach wie vor für einen uneingeschränkten Rechtsanspruch eines jeden Kindes von 0 bis 12 Jahren auf einen Kita-Platz. Wir wollen mittelfristig ein elternbeitragsfreies Vorschuljahr erreichen. Wir wollen verbindliche Bildungspläne für alle Kitas, umfassende Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen und mittelfristig die Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen direkt für den frühkindlichen Bereich auf Hochschul-, mindestens aber auf Fachschulniveau. Die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Berlin - wer dort regiert, wissen Sie selbst - haben dies bereits begonnen.

Als Hauptargument gegen diese Forderungen wird immer wieder die Finanzierung ins Feld geführt. Wir sollten aber bedenken, dass Deutschland nur 0,4 % seines Bruttosozialproduktes

für die vorschulische Erziehung und Bildung ausgibt. Dies ist viel weniger als in anderen europäischen Ländern, in denen die Betreuung der 3- bis 6-Jährigen für die Eltern häufig kostenfrei ist.

Außerdem sollten uns die Ergebnisse zahlreicher internationaler Studien zu denken geben, die den sozialen, bildungspolitischen und finanziellen Profit einer guten Bildung und Erziehung - gerade für Kinder aus bedürftigen Familien - belegen. So rechnete beispielsweise das Washingtoner Economic Policy Institute aus, dass für jeden Dollar, der in ein Bildungsprogramm für 3- und 4-Jährige investiert wird, drei Dollar zurückfließen, und zwar durch Steuereinnahmen, geringere Sozialhilfeausgaben oder abnehmende Kriminalität. Dies erfordert natürlich einen Zeithorizont, der den Weitblick vieler Politiker übersteigt, der jedoch dringend notwendig ist, wenn es um Entwicklung im Bildungsbereich geht.

Der OECD-Bericht hat darüber hinaus einen Forderungskatalog formuliert. Bei aller Lobpreisung des Vorhandenen - diese Forderungen umzusetzen bedarf es schon noch großer Anstrengungen. Leider lag der Bericht nicht vor den Koalitionsentscheidungen vor. Vielleicht wäre ja eine andere Koalition oder wenigstens ein anderer Koalitionsvertrag zustande gekommen.

Auf einige ausgewählte Forderungen der OECD möchte ich noch kurz eingehen. Inwieweit die Landesregierung diese Forderungen zu unterstützen bereit ist, ist mir noch nicht klar. Wie zum Beispiel verhält sich Brandenburg zu der auch von Frau Lehmann angemahnten Ausweitung der Rolle des Bundes etwa bezüglich der Erarbeitung einer Gesamtstrategie und der Schaffung einer umfassenden Forschungsstruktur? Es gibt meines Wissens bisher nur sieben Lehrstühle im Bereich der frühkindlichen Erziehung. Das ist für ein Land wie Deutschland natürlich eine traurige Bilanz. Wird sich Brandenburg auf KMK- und Jugendhilfeministerebene dafür einsetzen?

Teilt das Land die Forderung nach bundesweiter Ausweitung des Rechtsanspruchs für Kinder ab zwölf Monaten? Auch dies wird in dem Bericht gefordert.

Vertritt das Land Brandenburg die Auffassung, dass es bundesweite Bildungspläne auch auf dem Gebiet der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung geben muss?

Wird Brandenburg - wie Berlin und Mecklenburg-Vorpommern - mit der Hochschulausbildung für Erzieherinnen beginnen?

Die Forderung, Kita und Schule besser zu vernetzen, ist nicht neu. Was wird die Landesregierung tun, um dies künftig stärker zu befördern?

Unter Herrn Minister Reiche gab es gute Ansätze, auch den internationalen Austausch anzuregen. Auch dies wird in dem Bericht gefordert. Ich erinnere hier an zwei qualitativ hochwertige Fachtagungen. Inwieweit wird dies weiterentwickelt?

Der Fragenkatalog ließe sich fortsetzen. Da die Fragen nicht rhetorisch gemeint sind, werden wir auf parlamentarischem und außerparlamentarischem Wege nach Antworten suchen, Lösungsvorschläge unterbreiten und natürlich die Regierung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

Die PDS wird Sie, verehrte Damen und Herren der Koalition

insbesondere Sie von der SPD -, nicht auf Ihrem Erfolg ausruhen lassen. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Große. - Wir setzen mit dem Redebeitrag des Abgeordneten Senftleben von der CDU-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenige Tage vor dem christlichen Weihnachtsfest, dem Fest der Familie, reden wir heute über einen Bericht mit ganz entscheidenden Aussagen - auch hinsichtlich des Verständnisses von Familie in unserer Zeit.

Wir als Politiker sind zudem in der Verantwortung, den heute hier im Parlament stattfindenden Denkprozess mit einem Blick weit über den bevorstehenden Jahreswechsel hinaus zu verbinden. Das bedeutet für uns: Die Familie ist und bleibt das stärkste Bindeglied unserer Gesellschaft. Die Familie ist und bleibt zentraler Ort der Erziehung.

(Zuruf von der PDS: Kein Mensch will sie abschaffen!)

Die Familie ist und bleibt Grundlage für die Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen und urteilssicheren Persönlichkeit.

Ich bin etwas darüber enttäuscht, dass in all den Diskussionen vorher, in denen es um Bildung und Erziehung ging, nicht einmal das Wort Familie gefallen ist. Aber das ist der Ausgangspunkt aller weiteren Diskussionen, die wir auch im Kinderbereich finden.

(Beifall bei der CDU - Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Die will keiner abschaffen!)

- Sie haben noch Gelegenheit, sich zu äußern.

Keine staatlich verordnete oder gewollte und damit von der Gesellschaft gewünschte Einrichtung kann eine Eltern-Kind-Beziehung ersetzen. Deutlich wird dies unter anderem bei den bekannten Aussagen, dass jedes vierte Kind in Deutschland zum Schulbeginn eine sprachverzögerte Entwicklung aufweist. Tatsache ist: Es wird mit dem Kind nicht genügend gesprochen.

Ich unterstelle jeder Erzieherin und jedem Erzieher, jeder Lehrerin und jedem Lehrer, jeder Tagesmutti und jedem Tagesvati, solche Defizite zum Wohl des Kindes ausgleichen zu wollen. Aber gelingt es ihnen? Gelingt es uns? - Nein. Wir brauchen die Eltern und die Eltern brauchen Rahmenbedingungen, die wir herzustellen haben.

Jetzt kommt ein ganz entscheidender Satz, den Sie auch genüsslich nachvollziehen können: Eben nicht die Anforderungen an die Familie ändern sich, sondern die Anforderungen der Gesellschaft unterliegen dem Wandel. Wir wollen es Familien ermöglichen, Kinder und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren.

(Zuruf der Abgeordneten Tack [PDS])

Ich betone noch einmal: Kinder und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren im Land Brandenburg und mit Sicherheit auch darüber hinaus.

Die CDU-Fraktion hat deshalb ein sehr großes Interesse daran, über die uns heute vorliegende Studie zu beraten. Aber nicht nur Beratung muss unsere Grundlage sein, sondern es gilt auch, Konsequenzen für unser Handeln daraus abzuleiten.

Wenn dieser Bericht uns bescheinigt, in Deutschland die beste Kinderbetreuung zu haben, so sollte dies uns alle mit Stolz erfüllen und erfreuen. Diese Freude, diese Wahrheit strahlt deshalb auch wesentlich heller als der realitätsfremde Beitrag der PDS.

(Oh! bei der PDS sowie Zuruf: Freude schöner Götterfun- ken!)

- Die Sonne strahlt ja auch ein wenig, wenn ich es richtig gesehen habe.

Wer sich mit dem Koalitionsvertrag von SPD und CDU wirklich ernsthaft auseinander setzt, wird feststellen, dass wir uns gemeinsam darauf verständigt haben, an den bestehenden Strukturen der Kinderbetreuung festzuhalten. Das Ziel eint, meine Damen und Herren von der Linken. Davon können Sie in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren mit Sicherheit ausgehen.

Meine Damen und Herren von der PDS, Frau Große, Sie haben die gute Ausgangslage beschrieben. Ich will ja gar nicht alles in eine bestimmte Ecke stellen. Aber eines ist klar: Sie haben das Wort Selektion wird von Ihnen auch im Bildungsbereich sehr oft verwandt - genau das Gegenteil von Integration gemacht. Sie haben behinderte und nicht behinderte Kinder in der DDR genau getrennt. Wir haben es nach der Wende geschafft, diese Trennung zu verhindern und Integration zu ermöglichen. Das heißt, Sie haben in Ihrer Regierungszeit vor 1989 mit Sicherheit den falschen Ansatz gewählt.

(Zurufe von der PDS)

Der zweite entscheidende Punkt: Sie können gern immer mit Berlin winken und wedeln. Aber ich glaube, Sie haben auch dort aktuelle Diskussionen ausgelöst dahin gehend, weitere Kürzungen vornehmen zu wollen. Ich sage nur: Lieber in Brandenburg als in Berlin Kind sein angesichts der heftigen Diskussion, die Sie jetzt in Berlin führen.

(Beifall des Abgeordneten Lunacek [CDU])

Mehr als 90 % der Kinder erhalten eine vorschulische Betreuung. Jede Einrichtung und jede Tagesmutter versuchen ihren wertvollen Beitrag zu leisten, um die Entwicklung jedes Kindes zu fördern. Wir sprechen also einerseits von guten Angebotsstrukturen für die Kinderbetreuung. Andererseits müssen wir uns die Frage gefallen lassen, wieso wir diese gute Quantität nicht in Form von Qualität im weiteren Bildungsverlauf wiederfinden.

Im Bildungsbereich hat die KMK bereits nationale Mindeststandards festgelegt. Diese Mindeststandards müssen auch für die vorschulische Betreuung erarbeitet werden. Das ist für die CDU eine ganz klare Konsequenz aus dem Bericht.

In finanzieller Hinsicht - das ist eben schon von Frau Lehmann gesagt worden - erfüllt das Land einen hohen Standard. Daran wollen wir auch festhalten. Wichtiger als moderne Einrichtungsgegenstände sind jedoch die Arbeit der Erzieher bzw. die Qualität der geleisteten Arbeit.

(Beifall des Abgeordnete Homeyer [CDU] - Zuruf von der PDS: Genau!)

Menschliche Kompetenz ist eben nicht ersetzbar. Also ergibt sich die Konsequenz, bessere Ausbildungskonzepte zu schaffen. Aus Sicht der Union sind weitere Qualifizierungen am Ausbildungsweg notwendig. Das heißt, wir brauchen nicht nur gut gemeinte Pilotprojekte, sondern auch grundlegende Reformen. Verstärkte Hochschulausbildung für Erzieherinnen und Erzieher ist aus Sicht der CDU der einzige Weg, wenn man mit den eingesetzten Finanzmitteln im Kita-Bereich auch zukünftig wirkliche pädagogische Erfolge erzielen will.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der PDS)

Wie eingangs von mir bereits kurz erwähnt, ist die Zahl der Kinder mit Sprech-, Sprach- und Stimmstörungen von 12,6 % in den vergangenen Jahren auf 17 % angestiegen. Jeder von Ihnen wird mir zustimmen, dass diese Entwicklung genau das Gegenteil von dem ist, was wir eigentlich wollen, was wir alle hier in diesem Hause wollen. Klare Ziele für Kitas können helfen, diesen Trend wieder umzukehren. Ein wirksames System für die Verbesserung der pädagogischen Arbeit muss unser Anspruch sein. Die geplante Weiterentwicklung des Bildungsauftrags der Kitas wird deshalb von der CDU gefordert. Die geplante Sprachstandserhebung ein Jahr vor der Einschulung wird diese Bemühungen unterstützen.

Aber Kita und Schule können nicht reparieren, was das Elternhaus versäumt hat. Einerseits müssen wir die Eltern bei der Erziehung unterstützen. Andererseits darf durch staatliche Angebote nicht der Eindruck entstehen, Eltern könnten ihre Kinder morgens abgeben und abends konfliktgelöst, abiturtauglich und zu einem besseren Menschen erzogen mit einem kurzen Gutenachtkuss ins Bett schicken.

(Beifall bei der CDU)