Meine Damen und Herren, wie Sie unschwer erkennen können, ist es Punkt 10 Uhr. Daher bitte ich Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Wir begehen heute ein kleines Jubiläum, und zwar findet heute die 55. Sitzung des Landtages Brandenburg statt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die erfreuliche Aufgabe, meiner Nachbarin zur Linken einen herzlichen Geburtstagsglückwunsch auszusprechen. Die Abgeordnete Elisabeth Alter feiert heute ihren Geburtstag. Alles Gute!
Ich habe Ihnen folgende Mitteilung zu machen: Die Fraktion DIE LINKE wählte am 25. September ihren Vorstand. Folgende Abgeordnete wurden gewählt: Die Abgeordnete Kerstin Kaiser wurde zur Fraktionsvorsitzenden gewählt. Herzlichen Glückwunsch!
Die Abgeordneten Frau Große und Christoffers wurden zu stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.
Zu weiteren Mitgliedern des Vorstandes der Fraktion wurden die Abgeordneten Frau Tack, Frau Wehlan, Krause und Dr. Scharfenberg gewählt.
Meine Damen und Herren, der Entwurf der Tagesordnung liegt Ihnen so, wie er zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern abgestimmt wurde, vor. Gibt es hierzu Bemerkungen? Das ist nicht der Fall. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wer nach ihr verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Dann ist die Tagesordnung in der vorliegenden Fassung beschlossen.
Ich habe Ihnen eine Reihe von Abwesenheiten mitzuteilen. Der Ministerpräsident verlässt uns ab 15 Uhr und wird durch Minister Junghanns vertreten. Herr Minister Dellmann ist ganztägig abwesend und wird durch Minister Rupprecht vertreten. Herr Minister Dr. Woidke ist ab 12 Uhr abwesend und wird durch Minister Schönbohm vertreten. Frau Ministerin Wanka ist ab 15 Uhr abwesend und wird durch Minister Junghanns vertreten. Eine Reihe von Abgeordneten ist ebenfalls zeitweise oder ganztägig abwesend; ich erspare mir jedoch die Verlesung.
Ich eröffne die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion der CDU. Herr Abgeordneter Senftleben hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine tolle Schlagzeile könnte in Deutschland bald - zumindest nach Meinung von „SPIEGEL-Online“ - Wirklichkeit werden. Sie könnte lauten: Deutschland zählt zu den Spitzenreitern beim internationalen Schulleistungsvergleich PISA.
Diese Schlagzeile könnte jedoch nur dann Wirklichkeit werden, wenn es in deutschen Klassenzimmern nur noch Mädchen und keine Jungen mehr gäbe. Das sind zumindest die Angaben von Experten, die sich damit beschäftigt und die PISA-Auswertung - auf diese stützen wir uns - vorgenommen haben.
Wenn diese Aussagen den Bemühungen von Lehrern, Eltern, Schülern und Bildungspolitikern auch nicht gerecht werden, ist dennoch klar: Diese Aussage bzw. Annahme bestätigt einen deutlichen Trend, und zwar hat ein Teil der Jungen an unseren Schulen Probleme und wird benachteiligt.
Ich dachte eigentlich, Sie würden erst bei Seite 7 oder 8 meines Manuskripts zu Reaktionen gerührt sein. Wenn das jedoch schon eher der Fall ist, scheint es wohl richtig zu sein, heute in der Aktuellen Stunde über dieses Thema zu debattieren. Eventuell hat eine zu geringe Anzahl von Abgeordneten den aktuellen Bericht gelesen, den Bildungsminister Rupprecht vor wenigen Tagen veröffentlicht hat.
In Deutschland hat sich seit 1992 die Zahl der männlichen Schulabbrecher deutlich erhöht. Das wird aus Zahlen der Industrie- und Handelskammern ersichtlich. Im Schuljahr 2005/ 2006 verließen in Deutschland 10 % der Jungen die Schule ohne Schulabschluss; doppelt so viele wie Mädchen. Zudem sind die Leistungen der Jungen im Durchschnitt eine Schulnote schlechter als die der Mädchen. Die unterschiedliche Auftei
lung der Arbeitslosenquote bei den Jugendlichen unter 25 Jahren ist als Konsequenz daraus zu sehen. Ein Drittel der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahre sind Mädchen und zwei Drittel Jungen. Dies setzt sich natürlich auch im Berufsleben fort.
Ohne Zweifel hat man in Deutschland, wenn auch nur zaghaft die Zeit, das einmal nachzulesen, sollten Sie sich nehmen - dieses Problem erkannt. Alle Kultusminister - ob schwarz oder rot; Kultusminister einer anderen Fraktion gibt es Gott sei Dank nicht - haben erkannt, dass diesbezüglich Veränderungen herbeizuführen sind. Aufgrund dessen ist der Bericht in Brandenburg eine logische Konsequenz; dafür bin ich dem Kultusminister dankbar.
Zudem muss ich sagen, dass ich eigentlich ein Freund kontroverser Aktueller Stunden bin, in denen viel diskutiert und die Farbenlehre ein wenig deutlich wird.
Dieses Thema eignet sich jedoch nicht zu einer solchen Kontroverse. Deswegen möchte ich - wie auch andere - mit Sicherheit keinen Beitrag dazu leisten, dass die Debatte über dieses Thema kontrovers geführt wird. Der Ausschuss hat gezeigt: Es ist sinnvoll, gemeinsam Überlegungen anzustellen und neue Wege für Jungen zu finden.
Eine gemeinsame Auffassung ist, dass Bildung und Wertebasis das Wertvollste sind, was wir unseren Kindern bei ihren Entwicklungsprozessen mit auf den Weg geben können. Das Ziel dabei muss sein - das propagieren auch alle anderen Fraktionen in diesem Hause -, dass es chancengerecht zugeht. Wer mit dem Hintergrund der Chancengerechtigkeit - einige sagen auch Chancengleichheit - folgende Auswertungen liest, wird feststellen, dass man hier in Brandenburg ins Zweifeln geraten kann.
Diagnose 1: Die Krankenhäuser haben festgestellt, dass mehr als zwei Drittel der Kinder mit Verhaltens- bzw. emotionalen Störungen Jungen sind. Zudem wurde festgestellt, dass mehr als zwei Drittel der Kinder, die zum Schulbeginn zurückgestellt werden, ebenfalls Jungen sind. Des Weiteren wurde festgestellt, dass von den jährlich 3 500 Jugendlichen in Brandenburg ohne Abschluss mehr als zwei Drittel Jungen sind. Beim Abitur verhält es sich umgekehrt; denn 58 % der Mädchen absolvieren das Abitur, jedoch nur 42 % der Jungen.
Ich bitte Sie deshalb darum, etwas gedämpfter mit Reaktionen umzugehen. Zudem sollten wir gemeinsam Folgendes feststellen: Es gibt offenbar eine Gerechtigkeitslücke. Wäre diese Gerechtigkeitslücke im umgekehrten Sinne aufgetreten, würde die Reaktion mit Sicherheit deutlicher ausfallen. Aufgrund dessen bitte ich auch darum, dass wir vernünftig über diese Thematik diskutieren.
Frau Hackenschmidt, Sie haben es gerade richtig gesagt. Schulforscher haben herausgefunden, dass der Erfolg der Mädchen offenbar daran liegt, dass sie in den 90er Jahren besonders gefördert worden sind. Das haben die PISA-Forscher herausgefunden, auf deren Ergebnissen Sie seit Jahren Ihre Ideologien weiterentwickeln wollen. Und heute, wo es einmal andere sagen, ist es plötzlich nicht mehr richtig. Das kann nicht sein.
Wir haben also ein Problem in der modernen Pädagogik. Wir machen jedoch aus dem Problem eine Chance für die moderne Pädagogik, indem wir neue Wege für Jungen entwickeln.
Der Bericht ist sehr fundiert und gewissenhaft formuliert, wie alle Fraktionen im Bildungsausschuss festgestellt haben. Niemandem wurde darin eine Rolle im Sinne von schuldig oder nichtschuldig zugesprochen.
In dem Bericht wurde auch festgestellt, dass Jungen in der Schule zu selten eine Bezugsperson finden. Wenn es für Familien wichtig ist, dass Kinder Mutter und Vater erleben, dann ist es auch wichtig, dass Jungen in der Schule männliche Vorbilder für sich erkennen können und nicht nur die, die die Medienwelt immer wieder aufbaut. Es wird nicht die Arbeit der Lehrerin, die engagiert ist, beschrieben, sondern eher der Mangel an männlicher Kompetenz. Zwei Zahlen dazu: Gerade einmal 7 % der Grundschullehrer sind männlich. Ein Viertel der Lehrer an unseren Schulen insgesamt ist männlich. Darin liegt ein Problem.
Andererseits ist unsere Gesellschaft im Wandel begriffen. Mädchen kommen anscheinend mit den sich bietenden Perspektiven besser zurecht als ein Teil der Jungen - ich sage bewusst: ein Teil; denn ich will mein eigenes Geschlecht nicht schlechterreden, als es ist.
Sie können gern den Weg mit uns gemeinsam gehen. - Meine Damen und Herren, die Europäische Union, die Kultusminister, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, soziale Einrichtungen, freie Träger, auch hier in Brandenburg - es gibt darüber nichts zu lachen - haben es erkannt. Aber Erkennen ist noch keine Reaktion. Deswegen müssen wir Veränderungen einleiten. Ich nenne nun einen Teil der Veränderungen und weiß, es wird hier im Landtag, auch bei Einzelnen, gleich richtig zur Sache gehen.