Wer sehen will, was wir schon geschafft haben, muss nach Polen oder nach Tschechien fahren. Wir hatten das Privileg der frühen europäischen Geburt schon am 3. Oktober 1990 und wurden mit allen Ambivalenzen Teilgebiet des Weltexportmeisters Deutschland - nicht nur verlängerte Werkbank, aber eben auch. Viel ist kaputtgegangen, weil wir zu viel zu schnell wollten. Aber vieles haben wir erhalten und aufbauen können, weil wir uns für diesen Weg entschieden haben.
Matthias Platzeck hat Recht: Wir müssen mit uns selbst ehrlicher werden. Mit der Verschuldung von Sachsen hätten wir heute bessere Zukunftschancen. Wir wollten zu viel - nicht von
unseren Bürgern, sondern für unsere Bürger. Aber wir wollten auch zu wenig. Gesundheitszentren und längeres gemeinsames Lernen hätten wir beibehalten bzw. durchsetzen müssen, um effizienter und besser zu sein, als wir es heute sind. - Zwei Beispiele, die für viele stehen.
Seit der Wende hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung für uns alle um zehn Jahre erhöht; die Geburtenzahlen aber haben sich halbiert. Arbeitsplätze sind weggefallen, weil wir schnell und konsequent eine neue Währung eingeführt und die Einheit mit Rechtsangleichung durchgeführt haben. Nicht nur unsere 24 historischen Stadtkerne haben sich von Aschenputteln zu attraktiven Plätzen entwickelt, sondern auch viele Dörfer prägen ein neues Bild der Mark.
Investoren, deren Herkunftsländer wir nur von der Landkarte kannten, haben zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen.
15 Jahre nach der deutschen Einheit sind sich beide Seiten einig: Jetzt sind wir mal dran! - Aber der erst spät, vor tausend Jahren intensiv besiedelte und zivilisierte Osten hat vor der Wende über zwei Millionen Menschen, nach der Wende bisher ca. 1,3 Millionen verloren. Darunter waren und sind - aus verständlichen Gründen - oft sehr gute, für uns wichtige Menschen.
Die Transfers aus mehreren Bundesländern haben das Agrarland Bayern von einem Nehmerland zu einem Geberland gemacht. Genau das beanspruchen wir für uns. Aber dann müssen wir genauso weltoffen, weltverbunden und ausländerfreundlich sein wie Bayern - mindestens! Denn dort liegt die Ausländerquote viermal so hoch. Es gibt nun einmal eine direkte Proportionalität zwischen Weltoffenheit, Zuwanderung und Wohlstand.
Wir müssen uns ehrlich vor Augen halten, dass wir uns die deutsche Einheit auch in Zukunft erobern müssen, um sie zu erhalten. Die große Generation der Großeltern und Eltern, die die deutsche Teilung erlebt und sich nach dem 3. Oktober 1990 mehr auf Selbstverwirklichung als auf Selbstreproduktion konzentriert hat, hat die deutsche Einheit, das große, erkämpfte Geschenk, zulasten der kleinen Generation, ihrer Kinder und Enkel, finanziert. Die Schulden der Eltern sind die Steuern der Kinder.
Man muss Bundestagspräsident Thierse zustimmen: Wir haben 15 Jahre schmerzliche Erfahrungen hinter uns: Entwertung von Biografien, Veränderungen und Umbrüche. Aber was den Ostdeutschen in den vergangenen 15 Jahren abverlangt wurde, haben die Westdeutschen bzw. Deutschland insgesamt noch vor sich:
nicht nur den Abschied von der Wohlstandslüge auf Kosten der Kinder, sondern auch Reformen, um die Zukunft zu gewinnen. Die Föderalismus-Combo wird uns zu Weihnachten, gut intoniert, ein schönes Lied spielen. Aber wird das den Abstieg des
einstigen Superstars Deutschland verhindern? Denn was mit elf Ländern halbwegs, aber nicht wirklich ging, geht mit 16 Ländern nicht mehr.
Gabor Steingart hat Recht - Artikel 149 des Grundgesetzes sagt es ebenfalls -: Um für Deutschland Zukunft im 21. Jahrhundert zu gewinnen, brauchen wir eine zweite Staatsgründung. Deutschland - mitten im Europa des 21. Jahrhunderts - muss sich für dieses neue Jahrhundert neu konstituieren.
Fraglos: Uns in Brandenburg, in Ostdeutschland, in Deutschland insgesamt ist vieles gelungen, mehr als wir vor 15, erst recht vor 20 Jahren geglaubt haben.
Fraglos: Es wäre mehr möglich gewesen, wenn jede Partei nicht nur ihren Vorteil, sondern das Wohl der Republik und der Bürger gesucht hätte.
Die deutsche Einheit ist das Einfache, das schwer zu machen ist. Das war so in den letzten 15 Jahren; das wird in den nächsten 15 Jahren so bleiben. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 9. November 1989 welch überwältigende Euphorie und Freude bei den Menschen in der DDR; denn die Mauer hatte die ersten Löcher bekommen und war somit durchlässig geworden. Der Sozialismus war nach 40 Jahren Versuchsweg schlichtweg gescheitert.
Aber nicht nur die DDR-Deutschen, auch die damaligen Bundesdeutschen waren voller Freude. Alle waren voller Zukunftsträume.
Knapp ein Jahr später wurde der Traum aller Deutschen endgültig Wirklichkeit: Wir lebten in einem geeinten Deutschland, unserem Vaterland.
Was ist 15 Jahre nach dem historischen Fall der Mauer geblieben? Blühende Landschaften, vom damaligen Bundeskanzler Kohl versprochen - ja, die gibt es zur Genüge in unserem Land Brandenburg. Man muss nur die blühenden Unkrautfelder auf unseren Industriebrachen aus der richtigen Perspektive sehen.
Freiheit und Demokratie, im Grundgesetz festgeschrieben - ja, die gibt es in Brandenburg. Man muss beim Betrachten dieser Begriffe nur durch eine rot-schwarze Brille schauen.
Jeder Brandenburger hat die Freiheit, das Land zu verlassen. Er hat auch die Freiheit, den etablierten Parteien und den Regierenden zu vertrauen, um somit in den wirtschaftlichen und sozialen Keller zu steigen.
Hinsichtlich der Demokratie ist festzustellen, dass immer mehr Brandenburgerinnen und Brandenburger noch geschult werden müssen, Herr Lunacek, weil sie den Machtausübenden im Land nicht glauben und in der Deutschen Volksunion eine demokratische Volkspartei sehen.
Diese Aufzählung - besser gesagt: Aufzeigung - könnte beliebig fortgesetzt werden; doch ich möchte hier nur noch eine so genannte gesellschaftliche Errungenschaft darstellen: Aufschwung Ost. Ja, auch den gibt es. Er ist nämlich der in den Reden der Politiker am meisten strapazierte Begriff.
Mit „Aufschwung Ost“ ist jedoch sicherlich die wirtschaftliche, soziale und - damit verbunden - die kulturelle Entwicklung auch in unserem Land Brandenburg gemeint. Es steht zwar zweifelsfrei fest, dass es einige wenige Beispiele für eine Vorwärtsentwicklung gibt; aber diese sind eben nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Milliarden und Abermilliarden - erst D-Mark, nun Euro - versickern bei irgendwelchen Fehl- und Phantasieprojekten im sprichwörtlichen märkischen Sand: CargoLifter, Chipfabrik oder LEG sind nur einige Beispiele für die Tätigkeit politischer Bankrotteure in unserem Land und beispielgebend in dieser Richtung auf Bundesebene.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, glauben Sie mir: Ich bin mit Sicherheit keine Schwarzmalerin. Sonst würde ich heute nicht hier stehen. Ich hätte nur allzu gern eine würdige, von Erfolgsmeldungen getragene Rede gehalten. Leider können es nur zum Nachdenken anregende Worte sein.
Wenn ich an die vielen arbeitslosen Menschen in unserem Land denke, die am Rande des Existenzminimums leben, so kann ich als gewählte Volksvertreterin - hier spreche ich auch im Namen meiner DVU-Fraktion - nicht einfach die Augen schließen in der Hoffnung, es wird sich schon alles irgendwie richten. Nein, wir müssen drastische Veränderungen für unsere Menschen herbeiführen. Wir müssen Ihnen wieder Mut und Lebensfreude bringen.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht nun einmal nicht mit schönen Worten. Hartz IV, Bildungsmisere, voranschreitende Verwahrlosung eines Teils unserer Jugend, der teilweise Zusammenbruch des Mittelstandes und die demographische Fehlentwicklung sind Schwerpunkte für unsere künftige Arbeit.
Trotz dieser heute gezogenen negativen Bilanz stecken wir den Kopf nicht in den märkischen Sand, sondern blicken zwar mit
Sorge, aber optimistisch in die Zukunft. Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Jeder Erwachsene, jeder Jugendliche und jedes Kind soll eines Tages mit Stolz erklären können und auch wollen: Ja, ich bin ein Brandenburger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eingangs eine persönliche Bemerkung. Ich gehöre eher zu den Menschen, die im Fall der Wahl nach vorn schauen und lieber aufbauen, statt nach hinten zu gucken und zu überlegen, was alles nicht in Ordnung war. Aber, Frau Steinmetzer, Ihre Art der Unbeschwertheit, mit der Sie Geschichte betrachten - da entschuldigt Sie auch Ihre Jugend nicht; Sie studieren immerhin Politikwissenschaften -, verleitet mich dann doch zu einem Satz.
Ich durfte - ich habe nie darüber geredet wegen meiner Eigenschaft, die ich vorher genannt habe - im Jahre 1989 den Besuch von zwei hochrangigen Staatssicherheitsoffizieren erleben, die sich anders angekündigt hatten: Aufklärung eines Sachverhaltes. Der Sachverhalt stellte sich dann sehr umfassend dar.
Am Ende dieses für mich sehr eindrücklichen Gesprächs, Frau Steinmetzer - von wegen unbeschwerte Kindheit -, haben mir die beiden Herren dann mitgeteilt, für den Fall, den sie da ins Kalkül gezogen haben - es war ein nicht erfreuliches Gespräch, wie Sie sich vorstellen können -, brauchte ich mir um meine drei Kinder keine Sorgen zu machen; die würden in einem staatlichen Kinderheim eine bessere Erziehung genießen als bei ihren Eltern.