Am Ende dieses für mich sehr eindrücklichen Gesprächs, Frau Steinmetzer - von wegen unbeschwerte Kindheit -, haben mir die beiden Herren dann mitgeteilt, für den Fall, den sie da ins Kalkül gezogen haben - es war ein nicht erfreuliches Gespräch, wie Sie sich vorstellen können -, brauchte ich mir um meine drei Kinder keine Sorgen zu machen; die würden in einem staatlichen Kinderheim eine bessere Erziehung genießen als bei ihren Eltern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist unstrittig - so glaube ich -, dass vor 15 Jahren das hässlichste und traurigste Bauwerk Europas, der so genannte antifaschistische Schutzwall - wie Steffen Reiche richtig sagte -, vom Osten aus zum Einsturz gebracht wurde. Der Jubel über den Fall der Mauer war mit Sicherheit gesamtdeutsch und ich glaube sogar europaund teilweise weltweit. Auf friedlichem Wege wurden die Teilung Deutschlands und die Teilung der Welt überwunden und die Emotionen in jenen Novembernächten übertrafen die Vorstellungskraft vieler. Bewegende Bilder und Eindrücke aus diesen Tagen und Wochen sind bei den meisten für immer gespeichert.
In den Monaten zuvor war der Ruf nach politischen Reformen im Land immer lauter geworden, Montagsdemonstrationen er
lebten ihre Geburtsstunde und am 9. Oktober 1989 hatten über 70 000 Menschen den Mut - hier muss man wirklich von großem Mut sprechen -, im Schatten von unzähligen Kalaschnikows auf die Straße zu gehen und zu fordern: „Jetzt oder nie Freiheit und Demokratie!“ - Wahrscheinlich waren das alles Menschen, die Ihre Unbeschwertheit nicht teilen konnten, Frau Steinmetzer.
Am 4. November kamen dann Hunderttausende in Berlin zu einer der größten Kundgebungen der deutschen Geschichte zusammen. Die Grundforderung lautete seinerzeit: „Wir sind das Volk“.
Angesichts der aktuellen Stimmungslage in Deutschland sage ich heute sehr deutlich: Was wir seit dem Herbst 1989 erleben, bleibt für mich historisch betrachtet ein großes Glück. Wir Deutschen leben vereinigt in einem alles in allem wohlhabenden Land, wir leben in Freiheit und Demokratie und in Frieden mit all unseren Nachbarn.
Die Welle der Euphorie unmittelbar nach dem Mauerfall überdeckte viele Gegensätze. „Wir sind ein Volk“, riefen die Menschen nach dem 9. November und hofften, dies wäre Grundlage genug, um 40 Jahre Trennung und Teilung in kürzester Zeit zu überwinden. Die Selbstbefreiung der Deutschen, der Fall der Mauer, der Aufbruch zur Einheit - das war wahrhaftig eine euphorische Zeit.
Heute wissen wir - das spielte in den vorangegangenen Reden auch schon eine Rolle -, es war naturgegeben auch eine Zeit neuer Illusionen. Es musste auch eine Zeit unrealistischer Erwartungen sein und leider auch nicht einlösbarer Hoffnungen. Mauerfall und Wiedervereinigung waren die Geburtsstunde eines neuen Brandenburgs.
In den zurückliegenden 15 Jahren hat sich eine Menge verändert und wir haben gemeinsam für unser junges Land, für unsere Heimat viel erreicht. Das Erste - ich glaube, das teilen Sie alle -, was dabei zu sehen ist, sind die großartigen Leistungen der Menschen hier im Land. Fast jeder hat sein privates und berufliches Leben neu ausrichten müssen. 80 % der erwachsenen Menschen unseres Landes haben in diesen Jahren einen neuen Beruf erlernen müssen und ihn - wenn sie Glück haben - auch ausüben können. Davor empfinde ich außerordentlich großen Respekt, weil all diese Menschen eine unglaublich große Bereitschaft zur Annahme neuer Verhältnisse, eine hohe Bereitschaft zur Veränderung bewiesen haben.
Viele haben mitgemacht und die Erfolge, die wir heute sehen, sind die Erfolge der Menschen hier im Land und auch der Solidarität unserer westdeutschen Nachbarn. Diese Erfolge, meine Damen und Herren, dürfen wir uns nicht kleinreden lassen weder von innen noch von außen. Denn wir brauchen das Bewusstsein dieser Entwicklung, um Kraft für die Aufgaben zu schöpfen, die vor uns liegen.
Wer heute durch Brandenburg fährt und die Augen nicht zumacht, erlebt ein völlig anderes Land als vor 15 Jahren. Man braucht sich nur die Städte anzuschauen, man braucht sich nur die Kulturdenkmäler - für viele war es Hilfe in allerletzter Minute - anzuschauen.
Jeder, der am Aufbau dieses Landes mitgewirkt hat, kann zu Recht stolz sein, meine Damen und Herren.
Die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben sich eine moderne Landesverfassung gegeben. Wir haben lebendige Gemeinden, die sehr wohl bei allen Schwierigkeiten die kommunale Selbstverwaltung sehr schätzen und auch auszufüllen wissen. Es gehört zu den größten Leistungen der Revolution von 1989, dass die Menschen in Brandenburg in ihren Kommunen Demokratie aufgebaut haben und sie heute kraftvoll gestalten. Die meisten Brandenburgerinnen und Brandenburger schätzen sehr wohl - wie auch alle Umfragen besagen - die Lebensqualität in ihren Dörfern und Städten. Wir haben nunmehr nach 15 Jahren gut arbeitende Verwaltungen und eine funktionierende Rechtsprechung. Eine große Zahl von Schulen wurde saniert, Hochschulen wurden gegründet und eingerichtet, Straßen und Schienenwege wurden modernisiert und neu gebaut und das Kommunikationsnetz ist eines der modernsten der Welt.
Wenn hier vorhin der etwas geschönte Blick zurück eine Rolle spielte, will ich nur sagen: Wer zu DDR-Zeiten durch Altenpflegeheime gegangen ist und dies heute sieht, der sieht einen gravierenden Unterschied im Umgang mit Menschen und Schicksalen zwischen diesen Gesellschaften.
Vielleicht sollten wir nicht zu sehr der menschlichen Angewohnheit frönen, das alles abzuhaken, zu vergessen und zu schönen, weil: Alte Menschen in 10- und 12-Bett-Zimmern unterzubringen und dahinvegetieren zu lassen, ist wahrlich kein Aushängeschild für eine menschliche Gesellschaft, meine Damen und Herren.
Ich will auch - nur der Vollständigkeit halber - daran erinnern, dass Flüsse, Seen, dass Luft und Böden am Ende waren in der DDR, gesunde Fische kaum noch lebten, die Luft an vielen Stellen - ich erinnere nur an den Energiebezirk Cottbus - zum Schneiden war und wir Weltmeister im Schwefeldioxidausstoß pro Kopf der Bevölkerung waren. Alles das war Endzeitstimmung, organisierte Endzeitstimmung, alternativlos, ohne jede Zukunft, und ich bin nicht bereit, das zu vergessen!
Bei allem Erreichten, über das wir froh sein und auf das die Menschen in unserem Lande auch stolz sein können, ist auch Fakt, dass 1990 zu viel versprochen wurde. Der Glaube an diese Versprechungen ist bei vielen dann in Resignation umgeschlagen - menschlich nachvollziehbar. Daran kranken wir übrigens an vielen Stellen bis heute.
Wenn es dann noch Schlagzeilen gibt wie „1,25 Billionen Euro sinnlos im Osten versenkt“, dann schafft das natürlich Ursachen für den Unmut, der sich insbesondere in diesem Sommer in unserem Land, aber nicht nur hier, kräftig entladen hat. Diese Art der Berichterstattung verfälscht die Realität in mehrfacher Hinsicht:
Erstens: Ohne den Solidarpakt - das müssen wir an dieser Stelle auch ganz klar sagen - hätte der Aufbau Ost nicht stattfinden können.
Aus den Investitionen ist - zweitens - ein Potenzial entstanden, mit dem Ostdeutschland und Brandenburg sehr wohl in der Lage sein werden, Zukunft zu gestalten.
Drittens muss man sagen, dass die Summe von 1,25 Billionen Euro der reine Bruttotransfer ist, der nicht berücksichtigt, dass die Ostdeutschen sich über ihre Steuer- und Beitragszahlungen ebenfalls an der Finanzierung dieser Leistungen beteiligt haben.
Meine Damen und Herren! Wer sich offenen Auges umschaut, der weiß, dass die Aufbauhilfen, dass die Zahlungen, die für die Verbesserung der Infrastrukturausstattung und für die Unterstützung der Unternehmungen bereit gestellt wurden, sehr wohl nicht versenkt, sondern gut angelegt sind. Wir wissen alle nur zu gut - Herr Reiche hat vorhin darauf hingewiesen -, dass wir bis 2019 auf eigenen Füßen stehen müssen; einen Solidarpakt III wird es nicht geben. Dazu bedarf es anderthalb Jahrzehnte nach der Gründung unseres Landes eines zweiten entschlossenen Aufbruchs. Die Themen Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft und die Bewältigung des demographischen Umbruchs sind die zentralen Felder, auf denen sich entscheiden wird, ob das Land Brandenburg in den kommenden Jahrzehnten eine lebenswerte Heimat für alle Bürgerinnen und Bürger sein wird.
Es sind die Menschen in unserem Land selbst, die darüber entscheiden, welchen Weg unser Land in den kommenden Jahren einschlagen wird. Staat und Politik müssen die Rahmenbedingungen setzen und Anreize geben, aber am Ende, meine Damen und Herren, ist jeder Staat, ist jede Politik auf das Engagement der Menschen angewiesen, auf das bürgerschaftliche Engagement der gesamten Gesellschaft.
Im Jahr 1989 haben sich die Menschen die Gestaltungsspielräume erstritten, die sie benötigen, um ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen. Hieran müssen wir anknüpfen, dann wird der Aufbruch auch gelingen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Eigeninitiative und aktive Mitarbeit in unserem demokratischen Gemeinwesen. Zur Freiheit gehört unabdingbar die Verantwortung.
Ein Leben in Freiheit zu führen bedeutet, die Verantwortung für das eigene Leben auch anzunehmen, sich zu entscheiden, Neues zu wagen, Chancen zu erkennen, Risiken einzugehen und für Misserfolge auch einzustehen.
Wir haben beim Aufbau unseres Landes Fehler gemacht und wir haben daraus gelernt, meine Damen und Herren. Jetzt gilt es, die Chancen noch besser, noch intensiver zu nutzen als bisher. Lassen Sie uns das in den nächsten Jahren mit aller Kraft tun! - Herzlichen Dank.
Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der PDS-Fraktion fort. Anderthalb Minuten für Prof. Bisky. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 9. November ist ein historisches Datum, das ist wahr. Die hässliche Seite der
Mauer hätte ich Ihnen dargestellt - habe ich auch öfter gemacht -, die hässlichen Dinge der DDR auch. Aber vor dem 9. November gab es ein Datum, das war der 4. November mit der größten Demonstration der DDR-Geschichte. Da habe ich aus guten Gründen eine Rede gehalten und zu dieser Rede stehe ich mit jedem Wort bis heute.
Herr Ministerpräsident, Sie haben Ihre individuelle Geschichte, ich habe meine. Ich habe am 04.11.1989 das Recht der jungen Generation gefordert, das ihre zu sagen - ohne Wenn und Aber und ohne, dass immer ein Lehrer hinter ihnen steht und ihnen hineinredet, wie sie die Wirklichkeit zu sehen haben.
- Ja, von der CDU wurde ich dafür genauso kritisiert wie von der SED. - Ich fordere heute nichts anderes. Bitte, gestatten Sie das auch Frau Steinmetzer und bitte gestatten Sie allen jungen Leuten, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie sie sehen, und werfen wir ihnen nicht vor, dass sie sie anders sehen als meine Generation.
Gibt es Redebedarf bei der SPD? - Im Augenblick nicht. Die CDU hat noch fünf Minuten. Bitte, Herr Abgeordneter Dombrowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich richte mein Wort insbesondere an die junge Kollegin von der PDS. Eingangs meines Beitrages möchte ich drei Thesen aufstellen.
Erstens: Ohne Auswertung und Bewertung unserer gemeinsamen Vergangenheit in der DDR wird es keine Zukunft für unser Land geben, jedenfalls keine Zukunft, wenn man Zukunft als eine Gestaltungsaufgabe versteht.
Zweitens: Unser Problem liegt nicht darin, dass wir uns mit den Westdeutschen nicht verstehen, sondern unser Problem ist, dass wir unter den Ostdeutschen die Konflikte aus 40 gemeinsamen Jahren weder besprochen noch gelöst haben.
Drittens: Nicht die Höhe des verfügbaren Einkommens, sondern ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung und ein Leben auf Werte gegründet sind Voraussetzungen für Glück und Wohlstand.
Ganz schön vermessen, wird der eine oder andere sagen. Lassen Sie mich versuchen, uns trotzdem nachdenklich zu stimmen. Im Blick zurück auf 40 Jahre DDR erscheint vieles in einem wohligen Licht.
Was war das für ein Staat, was war das für eine Gesellschaft in der DDR? Was war das für ein Staat, der den Menschen ihr Eigentum weggenommen hat, um es zu verstaatlichen? Was war