Protocol of the Session on September 13, 2006

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur 35. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg und erinnere Sie daran, dass unser Kollege, der Abgeordnete Christian Otto, am 4. August 2006 verstorben ist. Er war seit dem 13.10.2004 Mitglied dieses Hohen Hauses. Ich bitte Sie, sich zu seinem Gedenken von den Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich zu einer Schweigeminute von ihren Plätzen.)

- Ich danke Ihnen.

Ich habe Sie darüber zu informieren, dass der Landeswahlleiter mitgeteilt hat, dass Herr Wolfgang Thiel seit dem 21. August 2006 Mitglied des Landtages ist und der Fraktion der Linkspartei.PDS angehört. Viel Erfolg bei der Arbeit, Herr Thiel!

(Beifall)

Weiterhin habe ich Ihnen mitzuteilen, dass die SPD-Fraktion routinemäßig ihren Fraktionsvorstand gewählt hat. Als Fraktionsvorsitzender wurde der Abgeordnete Baaske gewählt, als Parlamentarischer Geschäftsführer der Abgeordnete Schulze. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und gleichzeitig Arbeitskreisvorsitzenden sind die Abgeordneten Herr Bischoff, Frau Geywitz, Frau Gregor, Frau Lehmann und Herr Schippel. Auch Ihnen viel Erfolg bei der weiteren Arbeit in der restlichen Legislaturperiode!

(Beifall)

Weiterhin habe ich die Freude, ein Geburtstagskind beglückwünschen zu dürfen: die Abgeordnete Siebke, altbewährte Mitstreiterin der SPD-Fraktion. Herzlichen Glückwunsch, Frau Siebke! Möge Ihnen die Arbeit weiterhin so viel Freude machen wie bisher.

(Unter dem Beifall der Abgeordneten werden Frau Siebke Blumen überreicht.)

Einige Anmerkungen zur Tagesordnung: Der jetzige Tagesordnungspunkt 10, die 1. Lesung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Heilberufsgesetzes, Drucksache 4/3206, sowie der jetzige Tagesordnungspunkt 5, die 1. Lesung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Sozialgesetzbuches und zur Änderung des Brandenburgischen Finanzausgleichsgesetzes, Drucksache 4/3159, werden in der Reihenfolge der Behandlung miteinander getauscht.

Es wird ein Tagesordnungspunkt 3 zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzt, womit der jetzige Tagesordnungspunkt 3 Tagesordnungspunkt 4 wird: 2. Lesung des Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Steuerberaterversorgungsgesetzes, Drucksache 4/3393. Dieser Tagesordnungspunkt wird ohne Debatte behandelt.

Als zusätzlicher Punkt 4 folgt die 2. Lesung des Gesetzes zum Staatsvertrag vom 17.03./23.03.2006 zwischen dem Land Berlin und dem Land Brandenburg über die Bergbehörde und energieaufsichtliche Zuständigkeit, Drucksache 4/3390. Auch

zu diesem Tagesordnungspunkt wurde vereinbart, keine Debatte zu führen.

Als zusätzlicher Tagesordnungspunkt 14 werden Beschlussempfehlung und Bericht zum Antrag „Ambulante Pflege stärken“, Drucksache 4/3363, behandelt.

Gibt es Bemerkungen zur geänderten Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich Sie um Beschlussfassung über die Tagesordnung. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Die geänderte Tagesordnung ist somit beschlossen und wird Ihnen schriftlich vorgelegt.

An Abwesenheiten habe ich zu vermerken, dass Frau Ministerin Prof. Dr. Wanka ab 13 Uhr durch Minister Szymanski vertreten wird. Minister Junghanns wird ab 15.30 Uhr durch Frau Prof. Dr. Wanka vertreten. Einige Abgeordnete fehlen - in der Regel ganztägig - ebenfalls.

Ich begrüße nun unsere Gäste, und zwar haben wir heute die Freude, neben den Gästen, die wir hier zu sehen gewohnt sind, wieder eine Delegation der Fregatte Brandenburg unter Leitung von Fregattenkapitän Sauerborn zu begrüßen. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Wir werden ab 11 Uhr noch Gelegenheit haben, miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie werden danach Ihre Partner-Kindereinrichtung in Trebbin besuchen. Schön, dass Sie diesen Kontakt halten.

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Lage der inneren Sicherheit im Land Brandenburg vor dem Hintergrund einer wachsenden terroristischen Bedrohung

Antrag der Fraktion der DVU

Die DVU-Fraktion eröffnet die Debatte. Der Abgeordnete Claus spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nun ist der Terror endgültig in Deutschland und damit auch in Brandenburg angekommen.

(Unmut bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Wir von der DVU-Fraktion haben in den vergangenen Jahren immer wieder davor gewarnt, dass unser Land infolge verfehlter Innen- und Außenpolitik in den sicherheitsrelevanten Bereichen einer erhöhten Terrorgefahr ausgesetzt wird. Das ist nun eingetreten, meine Damen und Herren. Die beiden vor rund einem Monat fehlgeschlagenen Attentate nach spanischem Strickmuster auf Regionalzüge in Koblenz und Dortmund zeigen das. Seither geht Angst in Deutschland um, insbesondere

bei Bürgerinnen und Bürgern, die auf die Nutzung des Regionalverkehrs angewiesen sind. Seither ist auch bei uns in Brandenburg eine emsige Diskussion über Terrorismusbekämpfung im Gange. Ganz sicher haben die Bürger Anspruch darauf zu erfahren, wie wir die reale Terrorgefahr wirksam bekämpfen können, konkret, wie wir verhindern können, dass sie Opfer von Bombenanschlägen werden. Dies alles ist das Thema der von uns beantragten Aktuellen Stunde.

Vonseiten der politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern - auch in Brandenburg - liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch. Ich fasse sie kurz zusammen: Es soll eine Antiterrordatei eingerichtet werden. Die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung wird diskutiert. Innenminister Schönbohm will das Polizeigesetz verschärfen und die Videoüberwachung ausweiten.

Wir fragen uns jedoch, meine Damen und Herren: Verringert all dies die Terrorgefahr wirklich? Schützt das genügend? Inwieweit beeinträchtigt das die Freiheitsrechte unserer Bürger? Welche Alternativen gibt es? Um diese Fragen beantworten zu können, werden wir uns vergegenwärtigen müssen: Woher kommt die Terrorgefahr? Wie ist unser Land in das Fadenkreuz dieser Terroristen geraten und welchen personellen Hintergrund hat dieser Terrorismus?

Zur ersten Frage, meine Damen und Herren. Es ist festzuhalten: Es handelt sich bei der aktuellen Terrorismusgefahr nicht wie bei der RAF in den 70er Jahren, um Terrorismus, der in unserem Land und in unserer Gesellschaft seine Wurzeln hat. Wir haben es mit Erscheinungsformen eines fundamentalistischen Islam zu tun, der in einem anderen Kulturkreis seine gesellschaftlichen, religiösen und ethno-kulturellen Wurzeln hat. Eigentlich ist daran nichts international, meine Damen und Herren. Auslöser sind islamistisch interpretierte Dschihadvorstellungen, die Terrorismus zur Abwehr von Gefahren für den Islam zulassen. Nun ist unser Land aber trotz aller MultikultiAvancen kein islamisches oder gar ein islamistisches Land. Also ist dieser Terror ein Fremdkörper in unserem Land.

Damit komme ich zur zweiten Frage: Unser Land kann nach dem Gesagten nur durch das Handeln politisch Verantwortlicher in das Fadenkreuz dieses Terrorismus geraten sein. Maßgeblich ist die Beteiligung Deutschlands an Einsätzen in der islamischen Welt und sein internationales politisches Auftreten.

In den vergangenen Monaten war in der islamischen Welt ein Einschätzungswandel festzustellen, allgemein in der Bevölkerung, aber vor allem bei den strukturellen radikalen islamischen Kräften. Je mehr in diesen Ländern aktive deutsche Kräfte und US-Kräfte mit teilweise international nicht abgesicherten Mandaten und mit fragwürdigen Zielsetzungen und Verbindungen tätig werden, desto stärker wird unser Land nicht, wie es traditionell üblich ist, als Freund, sondern als Besatzer oder als Unterstützer fremder Besatzungsmächte gesehen, und zwar nicht nur bei Fundamentalisten, sondern auch allgemein bei der Bevölkerung.

Diese Besatzung- so zumindest wird es empfunden - und Abhängigkeit, von Afghanistan über den Irak und den Iran bis hin zum Libanon - der Einsatz dort soll heute auf der Bundesebene beschlossen werden -, ist letztlich der Auslöser für die Internationalisierung des Dschihad. Die Beteiligung Deutschlands trägt darauf fußend den Terrorismus in unser Land.

Zur dritten Frage lässt sich schlicht Folgendes festhalten: Deutsche sind an diesem Terror schlichtweg nicht beteiligt; es sei denn, sie haben einen Migrationshintergrund, welcher exakt in die Herkunftsländer der islamischen Welt führt. Das zeigen die Ermittlungen im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 und an die Bahn-Anschläge in Koblenz und Dortmund.

Was gegen diese Art von Terrorismus massive Einschränkungen von Freiheitsrechten unserer Bürgerinnen und Bürger, die mit der Verschärfung von Polizeigesetzen, um sich greifender Videoüberwachung oder Antiterrordatei notwendigerweise verbunden wären, effektiv bewirken sollen, ist leider noch klärungsbedürftig. Die Landesregierung mag uns dies einmal näher erklären. Näheres und Weiteres im zweiten Teil meiner Rede. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Petke.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war am Sonntag in Neuendorf bei Cottbus ein sehr bewegender Moment, als der Innenminister des Landes Brandenburg, Jörg Schönbohm, gemeinsam mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Herrn Timken, mit Feuerwehrleuten aus New York und anderen eine Gedenktafel für den 11. September 2001 enthüllte. Wie mir erging es sicherlich auch den Kollegen Schippel, Schrey und Dr. Scharfenberg, die als Vertreter des Landtags an dieser sehr eindrucksvollen Enthüllung eines Gedenksteines aus Anlass des fünften Jahrestages des 11. September teilgenommen haben.

Die New Yorker Sicherheitskräfte, die Feuerwehrleute und die Polizei, hatten am 11. September 2001 mehr als 300 Tote zu beklagen. An anderen Orten der USA, in Washington und in Philadelphia, sind bei ihrem Bemühen, anderen zu helfen, ebenfalls Menschen gestorben. Bei den Terroranschlägen am 11. September kamen allein in New York weit mehr als 3 000 Menschen ums Leben. Wir haben uns in Neuendorf bei Cottbus daran erinnert und derer gedacht, die ihr Leben ließen, um anderen Menschen das Leben zu erhalten bzw. sie vor Schäden zu bewahren.

Uns ist an diesem Sonntag auch in Erinnerung gerufen worden, dass der islamische Terrorismus und auch anderer Terrorismus eine dauerhafte Bedrohung unserer Freiheit und unserer Art des Zusammenlebens darstellt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Bedrohung eben dauerhaft ist. Das ist der Unterschied zu all den Bedrohungsszenarien, die wir in der Vergangenheit kannten, bei denen wir sagen konnten: Wir können dies mit Sicherheitsmaßnahmen, mit gesellschaftlichen Maßnahmen vielleicht in relativ kurzer Zeit in den Griff bekommen. Hier haben wir eine andere Bedrohung, allein was die zeitliche Komponente betrifft.

Der Staat muss darauf entschlossen und abgestimmt reagieren. Wir müssen unsere Freiheit, unsere Art des Zusammenlebens verteidigen, in Brandenburg, in Deutschland, in Europa und

natürlich weltweit. Dazu erwächst uns eine Pflicht allein aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Landesverfassung.

(Beifall bei der CDU)

Wir verteidigen natürlich unsere Werte. Wir verteidigen sie und wollen unsere Werte des freiheitlichen Zusammenlebens nicht aufgeben. Wir dürfen unsere Werte des freiheitlichen Zusammenlebens auch in dieser Auseinandersetzung mit Terroristen, mit Menschen, die Argumenten eben nicht zugänglich sind, mit Menschen, die nicht auf herkömmliche Konfliktlösungsszenarien setzen, nicht aufgeben. Ich bin mir, wir sind uns insgesamt darüber im Klaren, dass das natürlich ein Spannungsverhältnis in unserer Gesellschaft ist, dass man sich immer die Frage stellen muss: Wie weit gehen wir, wie weit dürfen wir gehen und was ist notwendig, um die Menschen vor Terror und Gewalt zu schützen?

Wir mussten an vielen Orten in Europa - Madrid, London oder beinahe Koblenz und Dortmund, wenn man an die geplanten Anschläge auf die Regionalbahnzüge denkt - zur Kenntnis nehmen, wie verwundbar eine freie und moderne Gesellschaft ist. Wir haben nicht die Möglichkeit von geschlossenen Gesellschaften oder von Gesellschaften, in denen eine Diktatur herrscht, die innere Sicherheit so umzusetzen, wie es vielleicht vor 1990 in der DDR der Fall gewesen ist. Wir leben in diesem Spannungsverhältnis zwischen der Gewährleistung von innerer Sicherheit, die die Menschen brauchen, um die Freiheitsrechte überhaupt in Anspruch nehmen zu können, und der Frage, die es immer zu beantworten gilt: Wie weit dürfen der Staat bzw. seine Sicherheitsbehörden gehen?

An dieser Stelle ist es, so glaube ich, auch angezeigt, an die deutschen Opfer zu erinnern, die unabhängig davon, ob sie Geschäftsleute, Touristen, Soldaten, Unteroffiziere oder Offiziere der Bundeswehr oder Angehörige des Bundesgrenzschutzes oder der Länderpolizeien waren, irgendwo in der Welt ihre Pflicht erfüllt haben und dabei ihr Leben lassen mussten. Auch das ist ein Punkt, an den wir erinnern müssen. Es gilt herauszustellen, dass Menschen aus Deutschland überall in der Welt versuchen, einen Beitrag für die innere Sicherheit zu leisten. Sie versuchen, einen Beitrag dafür zu leisten, dass nicht nur in Deutschland die innere Sicherheit gewährleistet ist, sondern dass auch in anderen Ländern, sei es in Afghanistan, im Kosovo, in Afrika oder vielleicht bald vor der Küste Libanons und Israels, eine friedliche Welt entsteht.

Wir haben gemerkt, wie brisant auch die Situation in Deutschland ist. Die vereitelten, mit viel Glück nicht zustande gekommenen Kofferbombenanschläge auf die Regionalexpresszüge zeigen, wie viel Glück wir in Deutschland hatten. Denn es war nur ein kleiner Fehler, den die Terroristen gemacht haben; sonst wäre diese Apparatur an zwei Stellen explodiert und wären mit Sicherheit Tote und Verletzte zu beklagen.

Wir müssen uns in Deutschland einige Fragen stellen. Die Attentäter des 11. September 2001 haben hier bei uns gelebt, haben sich hier auf diese Anschläge vorbereitet. Natürlich - das kann man nachlesen - treibt die Menschen, die an Universitäten und in anderen Einrichtungen mit ihnen zusammen gearbeitet und in Studentenwohnheimen zusammen gelebt haben, die Frage um, warum sie nicht gemerkt haben, dass sich dort tickende Zeitbomben entwickeln, die dann zu solch einzigarti

gen, monströsen Anschlägen in der Lage sind. Da kapselt sich offensichtlich in unserer Gesellschaft ein Teil ab und bereitet sich auf etwas vor. Das muss uns Sorge bereiten, und das müssen wir ernst nehmen.

Auch die Attentäter in den Regionalexpresszügen waren bzw. sind junge Männer, die nicht einmal zwei Jahre in Deutschland gelebt haben. In diesen zwei Jahren haben Sie offensichtlich eine Entwicklung durchgemacht, dass sie zu Mördern werden wollten.