Protocol of the Session on April 13, 2005

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur heutigen Plenarsitzung. Ich begrüße des Weiteren die Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse des Gymnasiums Beelitz. Ich wünsche euch einen informativen Vormittag und anschließend eine gute Auswertung. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Es gibt zwei Änderungen der Tagesordnung: Der ehemalige TOP 5 - Antrag „Gegen Rechtsextremismus und fremdenfeindliche Gewalt - für ein tolerantes und weltoffenes Brandenburg“ - wird zu TOP 3 und TOP 6 - 2. Lesung des Gesetzentwurfes „Zweites Gesetz zur Änderung des Landesaufnahmegesetzes“ ist zusätzlich aufgenommen worden.

Mir liegt eine unerfreulich lange Liste von Abwesenheitserklärungen vor. Ich wünsche mir, dass alle Betroffenen und potenziell Betroffenen künftig ernsthaft über die Prioritätensetzung bezüglich der Zeitplanung nachdenken.

Gibt es zur Tagesordnung weiteren Redebedarf? - Herr Ministerpräsident, bitte.

Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich nehme den Hinweis, den Sie eben gegeben haben, sehr ernst. Ich habe auch von der PDS-Fraktion gehört, dass es Fragebedarf gibt, und will aus zweierlei Gründen um Nachsicht bitten:

Heute Nachmittag sind zwei Mitglieder des Kabinetts aus einem sehr erfreulichen Anlass, nämlich der Grundsteinlegung für das VW-Logistikzentrum, unterwegs. Leider fällt der Termin, der von uns nicht beeinflussbar war, in den Nachmittagsteil der Sitzung. Es geht um Hunderte von Arbeitsplätzen. Ich bitte deshalb um Verständnis, dass die Landesregierung dort vertreten sein wird. Ansonsten wäre es eine Missachtung des Investitionswillens, über den wir uns sehr freuen.

Am morgigen Nachmittag - Sie wissen, morgen ist der 60. Jahrestag der Bombardierung Potsdams - findet um 16 Uhr die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche statt. Ich bitte im Zusammenhang mit diesem ganz besonderen Datum um Ihr Verständnis, dass auch dort zwei Mitglieder der Landesregierung anwesend sein werden. - Ich danke Ihnen.

Danke für diese Erläuterungen. - Ich lasse nun über die Tagesordnung abstimmen, wenn es keine weiteren Wünsche dazu gibt. Wer mit dieser Tagesordnung einverstanden ist, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist die Tagesordnung einstimmig beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Einführung der Oberschule im Land Brandenburg - aktueller Stand

Antrag der Fraktion der SPD

Die Debatte wird mit dem Beitrag der SPD-Fraktion eröffnet. Frau Abgeordnete Siebke, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Thema dieser Aktuellen Stunde ist der Stand der Einführung der neuen Schulform Oberschule im Land Brandenburg. Mit der Betonung des Wortes „Stand“ liegt der Schwerpunkt zunächst einmal auf dem Anwahlverhalten für diese Schulform. Daher lassen Sie mich eingangs kurz die ersten Zahlen referieren.

Landesweit liegen die Erstwünsche für die Oberschule bei 40,6 %. Insgesamt haben sich demzufolge 5 682 Schülerinnen und Schüler nach der 6. Klasse für die Oberschule entschieden. Nun ist mit dieser Zahl noch nichts darüber gesagt, wie sie sich in das Gesamtensemble der Erstwünsche in den weiterführenden Schulen einordnet. Deshalb auch die Zahlen für die Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe und für das Gymnasium: Für die Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe liegen derzeit 2 402 Anmeldungen im Erstwunsch vor. Das sind 17,2 %. Für das Gymnasium entschieden sich 5 913 Schülerinnen und Schüler, sodass sich eine Prozentzahl von 40 bis 42,2 % ergibt. Diese Zahlen sind insgesamt noch nicht fest belastbar, weil wir noch Förderschüler und andere Schüler einbeziehen müssen. Wie gesagt, uns liegt derzeit nur der Stand der Erstwünsche vor. Wir wissen alle, dass die Ausgleichsverfahren noch im Gange sind, sodass die Zahlen erst im Mai vollständig vorliegen werden.

Die Schulstruktur in Brandenburg wird nach diesem Kenntnisstand voraussichtlich 105 Oberschulen, 74 Gymnasien und 40 Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe umfassen. Vor dem Hintergrund der brandenburgischen Verhältnisse - ich nenne die Stichworte: Flächenland mit einem bevölkerungsstarken Kern um Berlin und in diesem Zusammenhang auch die unterschiedliche demographische Entwicklung - ist dies, so meine ich, eine akzeptable und gute Ausgangssituation - trotz der eiligen Einführung der Oberschule. Ich gebe offen zu und habe das auch an anderer Stelle getan, dass es eine eilige Einführung gewesen ist und damit natürlich auch Informationslücken bei Eltern und zum Teil auch bei Lehrern entstehen mussten - trotz aller Bemühungen, in der Kürze der Zeit Informationen zu bieten. Für diese Bemühungen bedanke ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen meiner Landtagsfraktion, die hierbei ebenso wie das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport mit dem Minister an der Spitze Immenses geleistet haben. Trotzdem gab es Informationslücken bzw. nicht vollständige Informationen. Gleichwohl ist der Run auf das Gymnasium - landesweit betrachtet - ausgeblieben. Ungefähr 4 % mehr Anmeldungen für das Gymnasium im Vergleich zum vergangenen Schuljahr sind, denke ich, realistisch und auch zu erwarten gewesen. Die Argumentation der Oberschulkritiker ist an dieser Stelle erst einmal widerlegt.

Angesichts des landesweit deutlich geringeren Angebots an Gesamtschulen ist der Erstwunschanteil diese Schulform betreffend mit 17,2 % außerordentlich hoch. Was wir gewollt haben, ist eingetreten, denn es ist abzusehen, dass durch die Aufhebung der Konkurrenzsituation Gesamtschule - Realschule Schulstandorte erhalten werden können - dies natürlich auch unter Einbeziehung der bestehenden Regelung, dass in Grundzentren zwei Klassen mit je 15 Schülern gebildet werden können.

Ich sehe die Ursache darin, dass Kinder, die sonst auf andere Schulen gewechselt sind - Realschulen oder Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe oder auch Gymnasien -, jetzt die Oberschule vor Ort besuchen und nicht mehr den vielleicht kleineren Schulort in dem Maße verlassen, wie es bisher der Fall gewesen ist.

Ich kenne diese Situation zum Beispiel aus Müllrose in meinem Wahlkreis. Das Grundzentrum hatte im letzten Jahr zweimal 15 Anmeldungen. Man konnte also die Klassen mit geringerer Schülerzahl bilden. In diesem Jahr hat man dieses Problem nicht, da sich über 40 Schüler angemeldet haben und die Oberschule die Klassen so bilden kann, wie es generell möglich und gewünscht ist. Ich meine, dass das auch an anderen Stellen des Landes so sein wird.

Die gesetzlich verbindlich geregelte Durchlässigkeit der Oberschule und die Wahl der Schulen hinsichtlich ihrer inneren Organisationsform sind konsequent und gut. Ich erinnere an die Diskussion, die wir hatten, als wir das Gesetz in Brandenburg einführten. Der SPD-Fraktion war es besonders wichtig, die Durchlässigkeit dieser Oberschule so weit wie möglich zu gewährleisten. Ich erinnere daran, dass es zu jedem Halbjahr Überprüfungen gibt, welchem Bildungsgang der jeweilige Schüler zugeordnet werden soll, und dass darüber die Klassenkonferenzen entscheiden. Es ist geregelt worden, dass durch besondere individuelle Fördermöglichkeiten Kinder wenigstens bis zum Ende der 8. Klasse und bei besonderen Leistungen auch darüber hinaus von der Oberschule auf das Gymnasium wechseln können.

Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Abschlüsse am Ende der 10. Klasse die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe beinhalten, sodass die Schüler, wenn sie sehr gute Leistungen aufweisen - ich sehe allerdings auch, dass es hier Probleme geben wird -, noch auf das Gymnasium wechseln können - auch wenn das Abitur nach zwölf Jahren eingeführt worden ist -, dass aber auf jeden Fall die Möglichkeit besteht, an den Oberstufenzentren oder auch an der Gesamtschule, je nachdem, wie sich diese entscheidet - für das Abitur nach 12 oder 13 Jahren -, die Abiturprüfung abzulegen.

Auch die innere Organisationsform folgt unserem Leitbild der Selbstständigkeit von Schule. Das heißt, die Schulen können weitgehend zusammen mit Eltern und Schülern entscheiden, wie sie sich organisieren, ob sie also nach dem ersten Halbjahr in der 7. Klasse Klassen bilden, ob sie integrativ unterrichten wollen oder aber eine Mischform wählen, nämlich in den 7. und 8. Klassen integrativ zu unterrichten und ab der 9. Klasse abschlussbezogen Klassen zu bilden.

Meine Erfahrungen aus den letzten Wochen besagen, dass die Schulen mit dieser Möglichkeit sehr verantwortungsbewusst umgehen und sich entsprechend ihrer Schülerschaft sehr genau überlegen, welchen Weg sie einschlagen. Ich selbst befürworte - daraus mache ich kein Hehl -, die Schüler so lange wie möglich gemeinsam zu unterrichten und sie entsprechend zu fördern. Ich glaube auch, dass die zukünftige Akzeptanz der Oberschule davon abhängen wird, wie sie es versteht, ihre Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrem individuellen Vermögen zu fordern und zu fördern. Dann wird die Oberschule auch denen, die noch Bedenken haben, beweisen, dass sie auf keinen Fall eine Sackgasse für Schüler sein wird.

Die Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe und die Oberschulen sollten nach meiner Meinung bei örtlicher Nähe eng zusammenarbeiten, und zwar schon in der Sekundarstufe I. Sie können damit ein alternatives Angebot zum Abitur nach zwölf Jahren, wenn es denn eingeführt ist, an den Gymnasien sein. Ich mache immer häufiger die Erfahrung, dass Eltern sehr verantwortungsbewusst für ihre Kinder entscheiden und immer genauer wissen: Was kann ich meinem Kind wirklich zumuten? Mache ich Druck, schicke es auf das Gymnasium und nehme eventuell in Kauf, dass das Kind hier scheitern wird, oder aber gehe ich einen Weg, der gewährleistet, dass sich das Kind entwickeln kann und später entscheidet, ob es zum Abitur geht? Dafür, meine ich, bietet die Oberschule zusammen mit der Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe gute Voraussetzungen.

Nicht Zugangsbeschränkungen für Gymnasien, sondern gute Oberschulen sind der Garant für den Bestand der Oberschule als Schule für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler. Grundlage dafür ist die ausreichende Ausstattung mit Lehrerstellen. Die derzeit vorgesehenen Lehrerstellen sind also unbedingt zu realisieren, um das, was Oberschule leisten soll, auch leisten zu können.

Ich sehe in diesem Zusammenhang als weiteren Punkt, dass die Fortbildungsaktivitäten im Lehrerbereich hinsichtlich der individuellen Förderung und auch im Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern verstärkt werden müssen. Ich möchte einen dritten Punkt nennen: die kontinuierliche Entwicklung guter pädagogischer Konzepte vor Ort, die Ganztagsangebote einschließen.

Ich meine, wir können mit der ersten Analyse so weit zufrieden sein. Damit ist die Einführung der Oberschule im Land Brandenburg jedoch längst nicht geschafft. Wir alle haben gemeinsam im Landtag, im Ministerium, aber auch vor Ort noch eine Menge zu tun, damit dies eine im Land Brandenburg akzeptierte Schulform wird. - Danke.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Abgeordneten Siebke und rufe den Redebeitrag der PDS-Fraktion auf. Frau Abgeordnete Große, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich habe Verständnis dafür, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass Sie das Thema Bildung wieder besetzen wollen. Die Vor-Ort-Powerpoint-Imagekampagne des Kollegen Senftleben - CDU - zur Einführung der Oberschule hat schon den Eindruck erweckt, es handele sich dabei um eine reine CDU-Erfindung. Dieses Gefühl hat man angesichts der Beschlüsse des Landesparteitages der Berliner SPD vom Wochenende hier erst recht. Ihre Genossen in Berlin haben den Weg zu einer zukunftsfähigen Gemeinschaftsschule bereitet, wozu man sie nur beglückwünschen kann.

(Beifall bei der PDS)

Wo bleiben die Brandenburger sozialdemokratischen Visionen?

Verständnis für die Themensetzung gibt es also schon. Was aber hat Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, bewogen, das Thema gerade jetzt zu debattieren? Das hat schon was von Selbstermutigung - oder doch von Ideenlosigkeit?

Das Verfahren zur Aufnahme an weiterführende Schulen, das so genannte Ü7-Verfahren, ist wirklich überhaupt noch nicht abgeschlossen. Bis zum 4. Mai wird erst über die Zweitwünsche entschieden. Mitte Mai erfolgt die Zuweisung der Schülerinnen und Schüler, die bis dahin keiner Schule zugeordnet werden konnten, an eine Schule mit freien Kapazitäten. Gesicherte Zahlen gibt es also noch nicht, aber vielleicht war das sogar Absicht.

(Schulze [SPD]: Nur die PDS weiß immer schon, was in der Zukunft passieren wird!)

Was aber viel schlimmer ist: Sie wollen sich offensichtlich schon vor Abschluss des Verfahrens für Ihre „größte Schulstrukturreform seit 13 Jahren“ feiern,

(Schulze [SPD]: Sie haben den Antrag nicht gelesen; da steht: Bestandsaufnahme!)

wie es in der Begründung steht. Dabei hat selbst Herr Minister Rupprecht Fehler hinsichtlich der Zeitschiene und der Beteiligung der Mitwirkungsgremien eingeräumt. Frau Siebke hat das heute auch noch einmal verdeutlicht. Aber Unwohlsein reicht nicht, man hätte es auch zurückpfeifen können.

(Schulze [SPD]: Die PDS weiß nicht, was sie will! Mal ist sie dafür, mal dagegen!)

Offensichtlich ist Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der Realitätsbezug in Sachen Schule völlig abhanden gekommen.

(Beifall bei der PDS)

Nur so ist Ihre Themenwahl zu erklären.

Was meinen Sie, wie die 250 von Versetzungen und ca. 500 von Umsetzungen betroffenen Lehrerinnen und Lehrer einschließlich ihrer Schülerinnen und Schüler im Bereich des Regionalschulamtes Cottbus die heutige Debatte bewerten würden?

(Schulze [SPD]: Sie, Frau Große, würden die Schüler umsetzen!)

Was glauben Sie, wie motiviert die Lehrkräfte und auch die Schülerinnen und Schüler der demnächst zur Auflösung anstehenden 207 Schulen für Ihre Schulreform sind? Denken Sie wirklich, Ihr Schachzug, die neue Schule Oberschule zu nennen, wird zu einem dauerhaften Sympathiebonus führen?

(Schulze [SPD]: Wir machen keine Politik nach Sympa- thiebonus, sondern nach Notwendigkeit!)

Eine unter schlechten Voraussetzungen eingeführte Schule wird es schwer haben, von den Betroffenen angenommen und akzeptiert zu werden. Die Chance einer konstruktiven Begleitung durch diejenigen, die vor Ort Schule gestalten, ist ohnehin vertan worden. Sie haben eine von oben verordnete Schulre

form vollzogen, so wie es in diesem Land eben üblich ist, Reformen zu vollziehen.

(Beifall bei der PDS)

Dazu werden Sie diese Schulen auch noch unter Ihren Konsolidierungszwängen personell schlechter ausstatten als bisher die Gesamtschulen. Zudem wollen Sie mit dem Haushalt 2005/2006 noch mehr als im Schulressourcenkonzept vereinbart im Stellenbereich sparen. Damit führen Sie auch das Schulressourcenkonzept ad absurdum. 200 stillgelegte, also nicht finanzierte Stellen werden auch an den dann schlechter ausgestatteten Oberschulen nicht gerade Qualität befördern. Unter diesen Bedingungen ist auch die von „oben“ verordnete Qualitätsoffensive geradezu eine Farce.