Protocol of the Session on January 28, 2004

- Ja, so war die Realität seinerzeit. Das wollen wir nicht vergessen. Hinzu kam dann, dass man in dieser Situation sagen musste: Wir wollen weg von dieser Notstandsgesetzgebung hin zu einer vernünftigen Reform, die vielleicht etwas länger trägt, die nicht nur in diesen letzten Quartalen eine Wirkung hat.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

Die Explosion der Kosten war sehr deutlich. Dem musste man sich schlichtweg stellen.

Das Seltsame ist nur: Wenn man solche Diskussionen führt, weil man sieht, dass das Geld in der Kasse nicht reicht und man erhöht die Beiträge um 1 oder 2 %, dann gibt es ein kurzes Aufstöhnen in der Bevölkerung und erst recht in der Wirtschaft; aber ansonsten heißt es dann: Na gut, das wars jetzt.

Wenn man aber steuernd diese 1 oder 2 % einnimmt, nämlich so, dass jeder seine eigene Wirkung damit erzielen kann und überlegt, wofür er diese 1 oder 2 % abgibt, dann merkt man plötzlich: Es gibt ein großes kollektives Gejammer. So ist die Situation in dieser Republik, meine Damen und Herren, obwohl wir genau wissen, dass es volkswirtschaftlich Unsinn ist, generell alle mit 1 oder 2 % mehr zur Kasse zu bitten,

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

dass es sinnvoller ist, zu schauen, wie man mit 10 Euro oder einer ähnlichen Summe steuern kann. Das ist doch wohl ganz klar.

(Zurufe von der PDS)

- Das werden wir sehen.

Wichtig ist, dass wir die solidarische Finanzierung der GKV aufrechterhalten wollen.

(Beifall der Abgeordneten Förster [SPD])

Ich denke, das ist gelungen.

Wichtig ist, dass wir auch die Strukturen modernisieren wollten. Das ist nicht in dem Maße gelungen, wie ich es mir gewünscht hätte. In Ordnung, darüber kann man noch reden. Aber auch das ist gelungen. Es ist wichtig, dass wir ein hohes Niveau in der medizinischen Versorgung erhalten. Es wurde vorhin schon gesagt: Wir haben nicht das preiswerteste System, aber wir haben ein gutes System.

Schauen wir uns einmal die Gesundheitskosten im weltweiten Vergleich an; ich nehme einmal drei OECD-Länder: Die USA haben das teuerste System; übrigens PKV-finanziert, also weitgehend durch private Krankenversicherung. Ungefähr 4 500 Euro oder Dollar kostet das dort. Wenn man das als 100 % zugrunde legt, liegt die Schweiz bei 70 % und Deutschland bei 60 %. Dafür haben wir aber noch lange nicht das effizienteste und beste System, aber ein sehr gutes. Es kann bei uns durchaus noch nachgearbeitet werden und das wollen wir auch tun.

Wenn es heißt, dass Arztpraxen jetzt sozusagen zu Krämerläden werden, dann muss ich mich schon etwas darüber wundern, und zwar als jemand, der seit 13 Jahren seine Arztrechnungen nach Hause geschickt bekommt und der weiß, wie es vielen anderen geht, die privat versichert sind, die auch Sondersprechstunden bei den Ärzten bekommen - bei denselben Ärzten, die sich jetzt darüber mokieren, dass sie zehn Euro kassieren sollen -, die auch besser behandelt werden als die GKVPatienten und bei denen es den Ärzten überhaupt nichts ausmacht, die Rechnung nach Hause zu schicken und den Rechnungsbetrag auch einzutreiben; denn das Geld landet auf dem Konto der Ärzte. Da geht das plötzlich.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Das ist jetzt ein bisschen ge- mein!)

- Aber es ist so.

Jetzt komme ich dazu - weil das Thema auch angesprochen wurde -, dass es in diesem Jahr erhebliche Verwirrungen, Irritationen und auch Ärgernisse bei der Umsetzung der Reform gegeben hat.

Herr Dr. Wagner, zweifelsohne ist es so, dass sich der neue Ausschuss erst in diesem Jahr konstituiert hat. Nun wollen wir einmal sagen, was sich dabei geändert hat. Es war Wunsch und Wille der SPD, dass in diesen neuen Ausschuss Patientenvertreter kommen und dort auch etwas sagen können.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Wagner [CDU])

Das war die einzige Änderung! Man hätte sehr wohl schon im vergangenen Jahr arbeiten und sich bestimmte Sachen erarbeiten lassen können.

(Zurufe von der PDS)

- Ja, aber das lag nicht an uns. - Man hätte bestimmte Dinge schon einmal deutlich machen können, dass zum Beispiel die Regelung zu den Chronikern anders sein muss, als sie nachher war. Eine Chronikerregelung, durch die die Betroffenen sozusagen dazu verpflichtet werden, zweimal im Jahr ins Krankenhaus zu gehen, um auf 1 % herunter zu kommen, kann man doch nicht stehen lassen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Sie sagen, Frau Schmidt habe daran Schuld - mit Verlaub! Da geht der Patient zum Arzt und sagt: Weisen Sie mich ins Krankenhaus ein, damit ich von den 2 % auf 1 % komme, dann bin ich nämlich Chroniker. - Das kann man doch nicht ernsthaft wollen - mit Verlaub!

Das hätte man in der Selbstverwaltung schon lange machen können.

Es ist wahr, die Ärzte haben lamentiert und gesagt: Das funktioniert nicht mit diesen 10 Euro. - Es gab Klagen und, und, und. Das erinnert mich fatal an die Situation mit dem Dosenpfand, in der die Industrie immer wieder gesagt hat: Das steht die Politik nicht durch. - Nachher kam es doch und niemand in den Geschäften und in den Hallen war so weit, die Dosen entgegennehmen zu können. Da hinken wir dem, was in Skandinavien bei der Entgegennahme von Dosen läuft, Lichtjahre hinterher. Das hat die Industrie verpennt und in der gleichen Situation sind jetzt die Ärzte. Die hätten das längst regeln können. Das wurde nicht getan, es wurde regelrecht verschlafen bzw. verquatscht, muss man fast sagen.

Ich möchte auf noch etwas aufmerksam machen. Wir haben Schutzmechanismen in dieses Gesetz aufgenommen. Wenn Sie, Herr Wagner, jetzt sagen, die Patienten beklagten die schmidtsche Reform, dann möchte ich entgegnen: Es war nicht die schmidtsche Reform, sondern es war ein Reformkonsens.

(Dr. Wagner [CDU]: Sonst wäre es noch schlimmer ge- worden!)

- Moment, das wollen wir jetzt einmal ganz kurz ansprechen. Die Idee, die Frau Schmidt im Regierungsentwurf zur Steuerung der Patienten hatte, war das Hausarztmodell nach dem Motto: Nicht immer gleich zum Facharzt!

(Zuruf von der CDU)

- Das war so, ganz klar. So schnell vergesse ich das nicht. Ich will es noch einmal erläutern: Der Patient geht zum Hausarzt, so wie wir das von früher her kennen, und der Hausarzt überweist an den Facharzt, der den Patienten weiterbehandelt. Das war zuzahlungsfrei. Der Besuch beim Hausarzt war auch zuzahlungsfrei. Dann erst kam diese Klausel, dass man 10 Euro zuzahlen sollte - damals waren es sogar 15 Euro -, wenn man nicht zunächst zum Hausarzt, sondern gleich zum Facharzt geht. - Das war der schmidtsche Regierungsentwurf.

Dann kam von der CDU die Forderung: Nein, wir wollen das Eintrittsgeld. - Das war nicht die Idee der Sozis. Das will ich noch einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist uns aber gelungen - das will ich hier noch einmal deutlich machen -, dieses Hausarztmodell den Kassen als Optionsmodell an die Hand zu geben. Heute sind die Kassen angehalten, zu schauen: Welche Ärzte können wir als Hausärzte nehmen? Dann müssen diese Hausärzte angenommen werden. Die Patienten müssen hingehen und können sich Überweisungen geben lassen. Das soll auch weiterhin zuzahlungsfrei sein.

Ich will noch einmal kurz erklären, warum die Kasse hier ein Auswahlverfahren bei den Ärzten vornehmen muss: Es kann bei diesem zuzahlungsfreien Modell, das dann entsteht, nicht jeder Arzt gewählt werden. Es gibt praktische Ärzte - Sie wissen es, Herr Dr. Wagner - und es gibt Allgemeinmediziner, die insbesondere aus der DDR-Ausbildung kommen und die mitunter eine weitaus bessere Ausbildung als andere heutzutage praktizierende Ärzte haben. Es wird also bei uns gar nicht ein so großes Problem sein, Ärzte zu finden, die für ein solches Hausarztmodell zur Verfügung stehen. Die Patienten können dann zu dem Arzt gehen, der von der Kasse benannt wird, und zuzahlungsfrei, auch eintrittsgeldfrei, an andere Ärzte überwiesen werden. Daran müssen die Kassen noch arbeiten. Dieses Modell ist als Option im Gesetz enthalten. Ich denke, dass das auch durchaus greifen wird, wenn die Kassen die entsprechenden Richtlinien entdeckt und auch umgesetzt haben.

Das nächste Stichwort: Die PDS sieht das Solidarprinzip nachhaltig beschädigt. - Wir standen im vergangenen Sommer vor der Frage: Schmeißen wir Leistungen raus oder versuchen wir eine Steuerung hinzubekommen? Wir haben überlegt: Welche Leistungen könnte man herausnehmen? Dann wurden solche Sachen vorgeschlagen wie Computertomographie, Kernspin, bestimmte Operationen, die man sozusagen privat versichern sollte, und, und, und.

Da haben wir gesagt: Das alles macht keinen Sinn. Wir wissen, das der Großteil der Kosten in der GKV von ganz wenigen Patienten, nämlich von Chronikern, verursacht wird. Gerade diese hätte so etwas besonders hart getroffen. Deshalb haben wir gesagt: Das geht nicht, das wäre das Unsolidarischste, was man machen könnte.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Wir haben heute eine Reform, die sicherstellt, dass jeder Patient die notwendige medizinische Behandlung erhält, die er braucht, und zwar kostenlos und in dem Umfang, wie wir sie mit der modernen Medizin, die wir in Brandenburg bzw. in Deutschland haben, anbieten können.

Ich halte das für einen guten Kompromiss. Die Sicherstellung der notwendigen Leistungen für alle war uns wichtiger als der Verzicht auf eine Steuerung oder Ähnliches.

Ich will noch die Beitragssätze ansprechen. Ich bin in einer vornehmeren Situation; denn gleich nachdem der Kompromiss in trockenen Tüchern war, fand unsere erste Pressekonferenz dazu statt. Ich habe schon im vergangenen Sommer gesagt, dass auch ich nicht an eine nachhaltige Senkung der Kassen

beiträge glaube; denn schon damals war klar, dass die Kassen, insbesondere die AOKs im Osten, ein erhebliches Defizit bzw. große Schuldenberge vor sich herschieben. Somit war absehbar, dass es nicht zu deutlichen Beitragssenkungen kommen würde.

Dabei ist zu bedenken, dass die privaten Krankenversicherungen ihre Beiträge in den letzten zwei Jahren um 10 bis 20 % erhöht haben. Das hat zwar auch etwas mit erlittenen Einbrüchen auf dem Kapitalmarkt zu tun - das ist keine Frage -, hat aber noch mehr damit zu tun, dass dien Leistungserbringer ihre Preise erhöht haben, die die Versicherten letztlich bezahlen müssen. Eine Erhöhung um 10 bis 20 % wie bei der PKV hätte uns in ähnlicher Form geblüht, wenn wir nicht reagiert hätten. Insofern stehe ich nach wie vor zu der Einschätzung, dass der erreichte Kompromiss gut ist.

Man muss hinzufügen, dass wichtige Entlastungswirkungen, zum Beispiel das Einsetzen der Tabaksteuer für versicherungsfremde Leistungen, noch nicht greifen, sondern erst im Laufe dieses Jahres wirksam werden. Dennoch haben zum Beispiel die DAK ihren Beitragssatz zum 01.01. um einen halben Prozentpunkt und die KKH um 0,4 Prozentpunkte gesenkt; andere Kassen wollen nachziehen.

Ich sagte schon, dass das für die AOKs schwieriger ist, weil sie die Auswirkungen der Chroniker-Regelung genau berechnen müssen. Zunächst sollte ein größerer Personenkreis 2 % des Einkommens zuzahlen; jetzt wird es bei zahlreichen Versicherten nur noch 1 % sein. Gerade die AOKs mit ihrem multimorbiden Versichertenspektrum werden sehr viel einzahlen müssen, wobei diese Aufwendungen durch den Risikostrukturausgleich nicht ausgeglichen werden. Darauf bleiben unsere Kassen sitzen.

Die PDS-Fraktion hat dezidiert gesagt, die Versorgung in Brandenburg sei nicht mehr gesichert, und die Frage gestellt, was wir in Ostdeutschland davon haben. Wenn Sie das nicht erkennen, dann haben Sie das GMG nicht gelesen. Die ostdeutsche Seite hat etliche Punkte eingebracht. Dabei hat sich übrigens Herr Böhmer aus Sachsen-Anhalt als sehr sachkundig erwiesen.

Zum einen kann eine integrierte Versorgung angeboten werden. Jeder Leistungserbringer - ob Reha-Klinik, niedergelassener Arzt oder Krankenhaus - hat jetzt die Möglichkeit, an der KV vorbei Modelle zu entwickeln, die der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationärem sowie Reha-Bereich dienen. Dafür gibt es viel Geld; zwei Drittel kommen von den Krankenhäusern, ein Drittel aus dem niedergelassenen Bereich. Die Ansätze sind in Brandenburg schon klar erkennbar. Etliche Träger schwingen sich auf. Die neuen, guten Projekte werden die elende Brandmauer, die zwischen ambulantem und stationärem Bereich nach wir vor existiert, wenigstens teilweise einreißen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Es hat keinen Sinn, ewig danach zu fragen, ob das Budget für den stationären oder für den ambulanten Bereich gedacht ist. Ein solches System ist albern und hirnrissig. Man kann nur sagen: Weg damit! Die integrierte Versorgung wird wenigstens ansatzweise dazu beitragen.

Früher konnte auch der Arzt im Krankenhaus Rezepte ausstel