Peter Bonitz

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Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich erlaube mir zu dem heutigen Tagesordnungspunkt 8 einige historische, aber auch einige Bemerkungen zu machen, die uns als Bundesland Thüringen mit der "Stiftung Zwangsausgesiedeltenhilfe Thüringen" in ein besonderes Licht gestellt hat. Thüringer Arbeitsgruppen der Vergangenheitsbewältigung, Bürgerrechtler und Betroffene sorgten in den bewegten Tagen der Wende dafür, dass die Zwangsaussiedlungen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze aus dem Tabubereich ins Licht der Öffentlichkeit gerückt worden sind und damit eine der schlimmsten Hinterlassenschaften von 40 Jahren DDRHerrschaft bekannt wurde. Ich erlaube mir, aus einem Brief zu zitieren, den Zwangsausgesiedelte erhalten haben, die gegen ihre Aussiedlung Widerspruch eingelegt haben, die sich gegen diese Unrechtsmaßnahme zur Wehr gesetzt haben. Ich darf zitieren, Frau Präsidentin: "Aufgrund Ihres antidemokratischen Verhaltens gegenüber der DDR fallen Sie unter den Personenkreis, der nach der Regierungsverordnung auszusiedeln ist. Ihre Aussiedlung ist somit zu Recht erfolgt. Der Einspruch wird abgelehnt. Die Entscheidung wird Ihnen schriftlich zugestellt und ist endgültig. gez. Gebhardt, Minister des Innern". Ich bitte Sie, verehrte Damen und Herren, sich gedanklich in den Inhalt dieses Schreibens zu versetzen und jene Phase des Entsetzens der Betroffenen nachzuvollziehen und nachzuerleben. Die historischen Hintergründe der Zwangsaussiedlungen betreffen in den Jahren 1952 und 1961 unter den Tarnbezeichnungen "Ungeziefer" und "Kornblume" vorbereitete Nacht- und Nebelaktionen, wobei Tausende unschuldige Familien aus der ehemaligen 5-km-Sperrzone unter Gewaltanwendung und Zurücklassung ihrer Habe evakuiert worden sind. Die Betroffenen mussten ultimativ, d.h. in nur wenigen Stunden, Haus und Hof verlassen, ihre Heimat zurücklassen und wurden mit unbekanntem Ziel in das Landesinnere umgesiedelt. Sie hatten keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, hatten keine Möglichkeit der Verteidigung vor Gericht mit Anwälten gegen das ihnen zugefügte Unrecht vorzugehen. Die willkürliche und rigorose Vorgehensweise gegen unschuldige Bürgerinnen und Bürger, das waren umgeschulte Antifakader nach sowjetischem Vorbild. Das muss man heute feststellen.
Das waren Funktionäre mit höchster Parteibildung, die sich durch bedingungslose Treue zur damaligen SED als Stützen des DDR-Systems auszeichneten, die Zuträger und Helfer von Schild und Schwert für die Staatssicherheit waren, die skrupellos jede kritische Meinung im Grenzgebiet verfolgten und unterdrückten und letztlich und endlich das Primat der Ideologie über das der Menschenrechte gestellt haben. Somit waren die Zwangsaussiedlungen, Herr Minister Dr. Pietzsch, wie Sie sagten, ein besonders prägnanter und eklatanter Fall der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und darüber hinaus auch ein Verstoß gegen damalig geltende Rechte, internationale Völkerrechte, gegen die Konvention der Vereinten Nationen; ja sogar gegen das eigene in der DDR-Verfassung garantierte Recht von Ausreise und Heimkehr, von Wohnsitzwahl wurde verstoßen.
In Thüringen, meine Damen und Herren, mit der längsten innerdeutschen Grenze zu Bayern, Hessen und Niedersachsen, sind, wie gesagt, 6.000 Menschen zwangsausgesiedelt worden. Vielen, die diesem grausamen Schicksal entgehen wollten und entgangen sind, blieb lediglich die Flucht übrig über die innerdeutsche Grenze oder wie damals über Westberlin. Mit der Einheit Deutschlands und mit dem Einigungsvertrag und hier im Artikel 17 wurde bekräftigt, Opfern von politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahmen sowie anderen Opfern des DDRUnrechts eine Wiedergutmachung und Lastenausgleich zu gewähren. Das führte zur Inkraftsetzung des ersten und zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes. Hier muss man mit großer Freude auch konstatieren, dass der Bund der Zwangsausgesiedelten Thüringen die Föderative Vereinigung Zwangsausgesiedelter in Mecklenburg-Vorpommern und viele Thüringer Opferverbände den Mut hatten zu fordern, den Sondertatbestand von Zwangsaussiedlung in das Gesetzgebungsverfahren einzubeziehen und es zu berücksichtigen. Ich kann mich noch entsinnen, als auf dem Kongress der Zwangsausgesiedelten in der Stadthalle Magdeburg der damalige Justizminister Klaus Kinkel in seiner Abschlussansprache an die Zwangsausgesiedelten den Tatbestand der Zwangsausgesiedelten anerkannte und es in die Gesetzgebung einfließen ließ. Die Rechtsnachfolge war wie für andere Opfer der Strafjustiz nach Vermögensrecht, Gesundheitsschäden nach dem Bundesversorgungsrecht, berufliche Nachteile nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz geregelt. Jedoch gab es auch zahlreiche Ausgesiedelte, die diesen Rechtsfolgen nicht entsprechen konnten. Um denen eine angemessene Entschädigung als Ausgleich für ihr erlittenes und oftmals - wie es im Gesetz heißt - "langjährig fortwirkendes Unrecht" zu gewähren, wurde die für Thüringen einmalige Stiftung "Hilfe Zwangsausgesiedelter für Thüringen" gegründet. Die Zielstellung der Stiftung war, den vom Teilungsunrecht Deutschlands und den zu DDR-Zeiten verordneten Unrechtsmaßnahmen besonders betroffenen Zwangsausgesiedelten aus dem Grenzgebiet jene 4.000 DM zuzuerkennen, um ihrer Entwurzelung, ihrer Ausweisung, ihrer unrechtmäßigen Ausweisung zu entsprechen. Damit haben Sie, verehrte Abgeordnete der damali
gen großen Koalition zwischen der CDU und SPD der 2. Legislaturperiode und die Landesregierung, sich dem besonders schweren Schicksal der Thüringer Zwangsausgesiedelten zugewandt und eine nach Möglichkeiten des Haushalts und des Landes angemessene finanzielle Regelung zur Entschädigung getroffen.
Man muss es heute auch im Zusammenhang sehen, wie andere Länder mit diesem Problem verfahren sind. Während in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern die Betroffenen gleichen Unrechts leidenschaftlich und bisher leider vergeblich für eine gleichartige Regelung kämpfen, hat der Freistaat Thüringen seine große Verantwortung gegenüber den Opfern, auch anderen Opfergruppen, wahrgenommen. Die in den zurückliegenden Jahren beantragten Anträge auf Zuweisung sind von Herrn Dr. Pietzsch benannt worden: 2.430 Anträge mit einem Mittelaufwand von 8,2 Mio. DM als ausgezahlte Mittel für die Betroffenen. Ich kann mich noch an einen besonderen Höhepunkt für die Zwangsausgesiedelten in Thüringen entsinnen. Das war der Festakt der Landesregierung in der Staatskanzlei am 30. September 1997, an dem durch den Thüringer Ministerpräsidenten, Herrn Dr. Vogel, und Sie, Frau Ellenberger, als damalige Sozialministerin, den ältesten Zwangsausgesiedelten die ersten Bescheide ausgehändigt worden sind. Damit haben Sie die großen persönlichen Opfer für Demokratie und Freiheit gegen politische Gewalt im Allgemeinen und das Schicksal der Entwurzelung und Vertreibung im Besonderen anerkannt und gewürdigt. Ich möchte jedoch sagen, bei so einem schweren Lebensschicksal, wie es die Betroffenen hinnehmen mussten sowie den seelischen und moralischen Folgen sind weder Gut und Geld geeignet, einen Ausgleich zu finden. Sie, die ehemalige SED und heutige PDS, verleugnen bis heute auch jene Verbrechen der Zwangsaussiedlung und damit auch einen Teil Ihrer eigenen Geschichte. Es fehlt bei Ihnen ein generelles Schuldeingeständnis
und der Wille zur Mitwirkung an einer notwendigen Wiedergutmachung gegenüber all denen, die Sie und Ihre Vorgänger im Besonderen in 40-jähriger Diktatur unerbittlich verfolgten, ihnen Freiheit, Leben und Gesundheit und wie bei den Zwangsausgesiedelten Existenz und Heimat geraubt haben.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir an dieser Stelle eine für mich sehr angenehme Feststellung, dass die in Thüringen für diese Dinge zuständigen Ämter, wie das Amt zur Rehabilitierung und Wiedergutmachung in Hildburghausen, das Sozialministerium, die Vermögensämter und auch die Gauck-Behörde und der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, kooperativ und für die Betroffenen zusammengewirkt haben. Mein Dank geht auch an die haupt- und ehrenamtlichen Stiftungsmitglieder. Sie haben in der kurzen Zeit den Betroffenen viel Hilfe zuteil werden lassen und ih
nen in vielen schwierigen Fragen geholfen, gerade was die Grenzfälle und die etwas unklaren Fälle betraf.
In der ehemaligen DDR, meine Damen und Herren, zum Schweigen verurteilt, hatten die Betroffenen Mühe, in die sich zum Teil abweisende Gesellschaft nach der Wende wieder einzugliedern. Deshalb sind die historischen Leistungen der Stiftung bei der Überwindung des Unrechts der Zwangsaussiedlungen und der DDR-Diktatur bleibend. Trotz des bisher Erreichten darf das Schicksal der in DDR-Zeiten Zwangsausgesiedelten nicht in Vergessenheit geraten. Gerade in Anbetracht der in diesen Tagen wiederkehrenden Wiedervereinigung unseres Vaterlands ist es bedeutungsvoll, auch auf die Vorreiterrolle Thüringens bei der Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung von SED-Unrecht mit Nachdruck zu verweisen.
Ich erlaube mir, an dieser Stelle ein paar kurze Beispiele zu nennen. So wurde für die Opfer der sowjetischen Militärjustiz des NKWD eine Mahn- und Gedenkstätte im Speziallager 2 in Buchenwald errichtet, eine gemeinsame Initiative des Thüringer und Sächsischen Landtags im Rahmen einer Bundesratsinitiative zur Fortschreibung der Verjährungsfristen für mittelschweres SED-Unrecht wurde erfolgreich auf den Weg gebracht, diese Stiftung errichtet und mit Erfolg vollzogen. Es wurden vielfältige Initiativen des Landes Thüringen im Rahmen der Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze mit dem Ziel umfassender Verbesserungen der bisherigen Rehabilitierungsleistungen in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Es wurde die Förderung der Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen sowie des Grenzlandmuseums im Rahmen der institutionellen Förderung durch den Freistaat Thüringen gewährleistet und durch Herrn Minister Dr. Pietzsch und Herrn Dr. Krapp am vergangenen Freitag vollzogen, das Betreuungs- und Informationszentrum für die Opfer des Stalinismus hier in Erfurt eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe mich auch zu Wort gemeldet mit diesem Beitrag, weil für zukünftige Generationen die Stiftung und ihr Wirken sehr wichtig wird und ist, weil sich aus dem Erlebten eine große Verantwortung ableitet, Erfahrungen, Erlebnisse auch anderen Menschen weiterzugeben und jene, die nur wenig von der Vergangenheit wissen, auch aufzuklären. Dieses historische Ereignis der rechtswidrigen Zwangsaussiedlung sollte allen eine ständige Mahnung und Verpflichtung sein, sich für unsere freiheitliche Ordnung und Demokratie und für Menschenrechte nachhaltig und dauerhaft einzusetzen.