Thomas Jurk
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Ich will hier keine Ressortstreitereien. Herr Dr. Buttolo – –
Also muss ich meine Fraktion fragen bzw. mich beeilen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sieben Jahre nach dem 11. September 2001 verfügen die deutschen Sicherheitsbehörden über erheblich mehr Instrumente zur Gefahrenabwehr als damals. Das scheint einerseits wichtig zu sein, um den Bedrohungen angemessen entgegenzutreten; zunehmend stellen sich aber immer mehr Menschen die Frage, was uns die immer weitergehenden Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten noch bringen werden.
Sie fragen: Was darf der Staat noch alles tun, um meine Sicherheit zu schützen? – Meine Wohnung betreten, meine Post lesen, meine Telefonate belauschen, meinen Computer durchsuchen? Und wie ist das, wenn denn einmal andere an der Macht sind – solche, die es nicht mehr so genau mit den Gesetzen nehmen; die diese Instrumentarien nicht für die Sicherheit, sondern für eigene Zwecke nutzen?
Machen das die großen Unternehmen nicht sowieso schon alles: ihre Mitarbeiter belauschen, E-Mails mitlesen? Müssen wir unseren Rechtsstaat zu Tode schützen – so lange, bis alle bürgerlichen Freiheiten zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit aufgegeben sind; so lange, bis
wir unsere Freiheit im Namen der Freiheit aufgegeben haben? Und warum reden die Politiker immer über neue Gesetze, wenn sie immer mehr Polizisten bei uns abziehen? – Das sind Fragen, die mir zunehmend auch insbesondere von jüngeren Menschen gestellt werden.
Aber auch die Älteren, die bei uns im Osten die Allgegenwart des sogenannten Staatssicherheitsapparates gespürt haben, fragen sich, wo es noch vor staatlichem Zugriff geschützt ist – das Leben der anderen.
Für mich gibt es keine Alternative zwischen absoluter Sicherheit und absoluter Freiheit. Beides ist innerhalb einer menschlichen Gesellschaft sowieso eine Illusion. Genauso wenig, wie es absolute Freiheit geben kann, kann es auch absolute Sicherheit geben. Wer auch nur eine annähernd absolute Sicherheit verspricht oder Menschen, die sich für ihre Bürgerrechte einsetzen, als Sicherheitsrisiko diffamiert, verblendet und verunglimpft die Menschen.
Deshalb kann es zwischen beiden Zielen, zwischen Freiheit und Sicherheit, immer nur eine Abwägung geben, und diese sollten wir im Zweifel zugunsten der Freiheit entscheiden – so wie uns das die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus guten Gründen ins Stammbuch geschrieben haben, und so wie wir Sozialdemokraten das bis heute und in Zukunft halten wollen.
Sieben Jahre nach dem 11. September 2001 ist es an der Zeit, einmal innezuhalten und zu schauen, ob es weiter unbegrenzt nötig und sinnvoll ist, die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten immer weiter voranzutreiben.
Dabei hilft uns ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Dieses hat in der letzten Zeit in bislang unerreichtem Ausmaß begonnen, immer neue Sicherheitsgesetze zu verwerfen. Ich erinnere nur an die jüngsten Entscheidungen zum Verbot des Abschusses entführter Flugzeuge, zum Verbot des automatischen KfzScannings oder zum Verbot der Online-Durchsuchung im Nordrhein-Westfälischen Verfassungsschutzgesetz. Diese Entscheidungen lehren uns, dass es in einem Rechtsstaat immer darum gehen muss, die größtmögliche Freiheit mit der größtmöglichen Sicherheit zu vereinbaren.
Dabei findet das staatliche Gewaltmonopol dort seine Grenzen, wo es den Kernbereich persönlicher Lebensführung und damit die Würde des Menschen berührt. Das heißt nicht, dass wir unsere Sicherheitsbehörden nicht in den Stand versetzen sollten, auf neue Bedrohungen und Technologien angemessen zu reagieren. Aber es kommt eben auf das Maß an, mit dem wir dies tun.
Ich halte deshalb auch das BKA-Gesetz für ein grundsätzlich notwendiges Gesetz; denn es ermöglicht uns, die organisatorischen Risiken, die der Föderalismus bei überregionalen Bedrohungen mit sich bringt, zu verringern. Hier wäre kaum etwas schädlicher als Zielkonflikte zwischen verschiedenen Sicherheitsbehörden. Dass das BKA dazu Befugnisse erhält, wie sie Polizeibehörden der
Länder bereits haben, ist ebenfalls konsequent; denn wer zuständig ist, muss auch die notwendigen Befugnisse erhalten.
Wie die Fraktion DIE LINKE hier auf eine Ausstattung des BKA mit nachrichtendienstlichen Befugnissen kommt, erschließt sich mir nicht. Ich rate Ihnen dazu, einmal einen Blick in die Gesetze über die Nachrichtendienste und den Entwurf des BKA-Gesetzes zu werfen. Dieser Blick sollte manchmal nicht nur die Rechtsfindung, sondern auch das Grundverständnis erleichtern.
Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben uns nicht leicht getan mit dem BKA-Gesetz. Als Landesvorsitzender der sächsischen SPD bin ich aber froh und stolz, dass es die sächsische SPD war, die eine scheinbar bereits beendete Diskussion um die Online-Durchsuchung bundesweit noch einmal geöffnet und damit den entscheidenden Anstoß für substanzielle Verbesserungen für die Bürgerrechte erreicht hat.
Wurden wir anfangs noch dafür beschimpft, so haben wir heute einen Kompromiss erreicht, der sich sehen lassen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken und von den GRÜNEN: Sie können hier im Parlament schwadronieren, wie Sie wollen – Sie haben nichts substanziell verändert, das haben wir geschafft!
Dabei haben wir uns bei der Online-Durchsuchung in drei von vier entscheidenden Punkten durchgesetzt. Bei der Anordnung der Online-Durchsuchung und bei der Auswertung der Daten muss jetzt immer ein Richter mitwirken. Die Eilfallkompetenzen des BKA sind somit vom Tisch.
Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf kann das BKA nicht mehr in alleiniger Machtvollkommenheit entscheiden, wann es den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung erreicht hat und die Überwachung einstellen muss. Dies entscheidet nunmehr auch ein Richter.
Ich würde gern noch weiter ausführen, dann kommen Sie zu Wort.
Schließlich haben wir eine effektive Abgrenzung der Kompetenzen von Landes- und Bundesbehörden geschaffen, um Zielkonflikte zu vermeiden. – Bitte.
Das stelle ich mir genauso vor, wie es die Praxis in Rheinland-Pfalz ist, wo nämlich genau diese Regelung der Sachleitung durch Gerichte im Landespolizeigesetz steht. Es wird also in der Praxis bereits angewandt.
Das ist eine wesentliche Verbesserung zur bisherigen Regelung, die vorsah, dass sich lediglich zwei BKA-Beamte und der Datenschützer – wohlgemerkt, noch dazu des BKA – der Sache annehmen. Deshalb finde ich, dass die Unabhängigkeit eines Gerichtes genau dazu führt, dass unabhängig geprüft und entschieden werden kann, was mit den Daten passiert.
Na, vom Gericht. – Sie sehen, man kann Herrn Lichdi noch überzeugen. Das freut mich.
Aber gern, Herr Bartl.
Wenn Sie mich jetzt als Techniker fragen, antworte ich Ihnen: Ich will in der Rede noch darauf eingehen. Vielleicht hören Sie erst einmal zu. Es ist schon zu hinterfragen, wie effizient die OnlineDurchsuchung wirklich durchgeführt werden kann.
Ja.
Ich vermute, dass das gehen wird. Es wird jetzt abgesichert, dass keine Eilfallentscheidung ohne richterliche Einwilligung getroffen werden kann. Das haben wir erreicht.
Nein.
Ich gehe davon aus, dass sich Frau Däubler-Gmelin über das freut, was die sächsische SPD erreicht hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! All den Kritikern, die sich jetzt noch rühren – wir haben einige gehört –, will ich auch sagen, dass es die SPD war, die verhindert hat, dass im Zuge der Online-Durchsuchung auch Wohnungsbetretungen durchgeführt werden dürfen, wie es übrigens der Bundesinnenminister ursprünglich gefordert hatte. Ich bin überzeugt, dass wir damit die Voraussetzungen erfüllt haben, die das Bundesverfassungsgericht an die Rechtmäßigkeit der Online-Durchsuchung geknüpft hat.
Ich will nicht verhehlen, dass meine Zweifel an der Online-Durchsuchung damit nicht vollständig ausgeräumt sind. Mir scheint es gerade für technisch Versierte ver
hältnismäßig einfach zu sein, eine Online-Durchsuchung zu vermeiden. Auch hätte ich es natürlich für wünschenswert gehalten, allen Berufsgeheimnisträgern, also auch Ärzten, Anwälten, Seelsorgern und Journalisten, ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen. Allerdings kam hier auch der Verweis auf die Strafprozessordnung, die ein entsprechendes Recht genauso wenig vorsieht.
Wenn man von „Journalisten“ redet, die natürlich bestimmte Befindlichkeiten haben, muss man genau definieren, was man unter „Journalisten“ versteht.
Sehr geehrter Herr Bartl, was die Regelung zum Zeugnisverweigerungsrecht für Ärzte anbetrifft, so denke ich schon, dass es wichtig ist, dass der Arzt erzählt, was er von einem Menschen mitgekriegt hat, der – aus welchen Gründen auch immer, zum Beispiel wegen einer Verletzung – möglicherweise terroristische Absichten verfolgt. Ich glaube schon, dass das notwendig ist.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir befinden uns – anders als manche auf den Oppositionsbänken – sowohl in Berlin als auch hier in Dresden in einer Koalition. In der Regierung muss man, anders als in der Opposition, manchmal auch Kompromisse eingehen, wenn man in einer Sache, die man übrigens grundsätzlich für richtig hält, vorankommen will.
Trotz aller Kompromisse kann ich mit Fug und Recht sagen, dass die sächsische SPD nicht nur bei der OnlineDurchsuchung, sondern auch im sächsischen Landesrecht vieles für die Freiheit der Bürger erreicht hat, was nicht immer so öffentlichkeitswirksam geworden ist wie unser Wirken beim BKA-Gesetz. Ich rate Ihnen dazu, das sächsische Polizeirecht mit den Regelungen der anderen Bundesländer zu vergleichen. Dann werden Sie feststellen, dass wir einiges tun, um die aktuelle Sicherheitsdebatte wieder voll auf den Boden von Vernunft und Grundgesetz zurückzuführen.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Randbemerkung machen. Zu einer Sicherheitsdebatte gehören nicht nur die großen rechtsstaatlichen Themen. Oftmals sind es auch die scheinbar kleinen Sicherheitsprobleme, die die Menschen vor Ort sehr bewegen. Mir hat der Bundesinnenminister bis heute nicht erklären können, wie es zusammenpasst, immer neue Sicherheitsbedrohungen heraufzubeschwören, aber gleichzeitig fast 1 000 Polizisten der Bundespolizei aus Sachsen abzuziehen. Wer die Sicherheitsprobleme vor Ort aus den Augen verliert, muss sich fragen lassen, ob er dann die größeren Aufgaben verantwortungsvoll wahrnehmen kann.
Was wir brauchen, sind eben nicht nur Gesetze, sondern vor allem auch Menschen, die sich mit Mut, Augenmaß und Vernunft der Verantwortung stellen, und diese besteht in erster Linie darin, Sicherheit i n Freiheit zu schaffen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sächsische Landtag erlebt mit dem Antrag von CDU und SPD heute eine Premiere: Erstmals in seiner jüngeren Geschichte seit der Wiedereinrichtung im Jahre 1990 wird heute die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen. Der Sächsische Landtag bedient sich damit erstmals eines parlamentarischen Mittels, das seine Position gegenüber der
Regierung stärkt. Damit erfährt der Sächsische Landtag eine Aufwertung.
1969 wurde im Deutschen Bundestag auf Antrag der SPD erstmals in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands das Instrument der Enquete, so wie wir sie heute kennen, ins Leben gerufen. Ziel war es, ein Instrument zu schaffen, mit dem das Parlament gesellschaftspolitische Entwicklungen erkennen kann, um daraus Schlussfolgerungen für das politische Handeln ziehen zu können. Schlussfolgerungen heißt für mich, dass Politik gesellschaftliche Realitäten und Entwicklungen nicht nur passiv zur Kenntnis nimmt, sondern den Versuch macht, sie aktiv zu gestalten.
Politik muss auch in Zukunft gesellschaftlichen Prozessen eine Richtung geben können. Das gilt in besonderem Maße für den Gegenstand dieser ersten sächsischen Enquete-Kommission. Der demografische Wandel, die vorhersehbare demografische Entwicklung ist eine der größten Herausforderungen, vor der unsere Gesellschaft steht. Kaum eine politische Diskussion bleibt ohne Verweis auf die Folgen der Alterung für unsere Gesellschaft. In Sachsen kommt die besondere Problematik der Abwanderung hinzu. Die Politik – das erwarten die Menschen von uns – soll und muss hier Antworten finden.
Aufgabe der von uns beantragten Enquete-Kommission darf es also nicht nur sein, wissenschaftliche Ergebnisse und Prognosen zu erarbeiten und Schlussfolgerungen für die parlamentarische Arbeit zu ziehen; Ziel der Kommissionsarbeit muss es eben auch sein, Empfehlungen zu geben, wie wir diesen Prozess langfristig wieder umkehren können. Eine solche Trendwende setzt zum Beispiel voraus, dass wir Wege zu einer neuen Solidarität zwischen den Menschen, den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und zwischen den Generationen finden müssen.
Kinder sind unsere Zukunft. Die Kommission wird bei diesem Thema einen Schwerpunkt setzen müssen: Wie muss eine Familienpolitik aussehen, die unsere Zukunft sichert? Wie können Arbeit und Familie besser in Einklang gebracht werden? Wie muss sich unsere Arbeitswelt verändern?
Die Kommission muss auch die möglichen Chancen aufzeigen, die in einem aktiven Umgang mit der demografischen Entwicklung stecken: Was müssen wir tun, um die Berufserfahrung der älteren Kolleginnen und Kollegen im Erwerbsleben künftig lohnend einzusetzen? Wie kann bürgerschaftliches Engagement der jungen Alten generationsübergreifend genutzt werden? Welche Anreize können wir hierbei setzen?
Und nicht zuletzt: Mit welcher Solidarität können Menschen in Zukunft rechnen, um – gesellschaftlich integriert – in Würde zu altern? Wie können wir Sicherheit und gute Versorgung im Alter garantieren?
Auf all diese Fragen Antworten zu geben, Antworten zu geben, die nicht isoliert im Raum stehen, sondern die eine Gesamtstruktur erkennen lassen, wird nicht leicht sein. Zuvorderst brauchen wir eine bessere Faktenbasis. So gibt es laut Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für Demografie in Rostock keine verlässlichen Zah
len über Kinderlosigkeit in Deutschland. So wird zum Beispiel in der Geburtenstatistik eine Frau mit zwei Kindern, die sich scheiden lässt und neu heiratet, als „kinderlos“ gezählt.
Auf einer besseren Faktenbasis können die künftigen staatlichen Aufgaben auch besser beschrieben werden. Dabei muss es darum gehen, konkret die Aufträge zu formulieren, die Land und Kommunen bewältigen müssen. Sie müssen realitätsnah, mit den vorhandenen Ressourcen umsetzbar und für die Menschen im Land annehmbar sein. Wir benötigen nichts weniger als ein strategisches Gesamtkonzept, welches auf die Planung der jeweiligen Ebene heruntergebrochen werden kann.
Für eine so anspruchsvolle Aufgabe brauchen wir in der Kommission einen guten Mix aus Wissenschaftlern, speziellen Fachexperten und Politikern. Wie dieser Mix aussieht, wird Sache der einzelnen Fraktionen sein.
Ich hoffe, dass die Enquete-Kommission breite parlamentarische Zustimmung findet. Ich verspreche mir von ihr auch ein Signal, dass wir alle angesichts der Problemstellung nicht die Hände in den Schoß legen, sondern das Heft des Handelns ergreifen.