Blasius Thätter

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Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das gegliederte Schulsystem in Bayern ist nicht aus einer Laune heraus entstanden, sondern aus dem Bewusstsein heraus, dass Begabung und Leistungsfähigkeit bei jedem Kind verschiedenartig sind. Daraus resultiert die Bereitstellung eines Schulsystems, das durch angemessene Angebote der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Kindes gerecht wird. Dieses Schulsystem gliedert nach Leistung. Hier im Haus wird oft ein Absenken der Leistung gefordert, damit der Besuch der gewünschten Schule ermöglicht wird.
Ich nenne ein Beispiel: Lange wurde die Einführung der Orientierungsarbeiten hier im Hause bekämpft. Man wollte nicht so klar sehen, wohin die Leistung eigentlich zeigt. Pisa hat uns bestätigt: Man kommt an den Unterschieden in der Leistungsfähigkeit nicht vorbei. Wenn ein Kind falsch eingeschult wird, dann ist die Gefahr sehr groß, dass es scheitert.
Die Gründe für eine verminderte Leistungsfähigkeit sind natürlich sehr verschieden. Oft hat sie gesellschaftliche oder familiäre Ursachen oder Ursachen im Umfeld, aber natürlich macht auch die Begabung Vorgaben.
Wir in Bayern haben – dazu möchte ich schon noch einige Sätze sagen – eine individuelle Förderung durchaus mit viel Energie über lange Jahre hinweg betrieben. Sie wissen, dass ich in den letzten Jahren für die Integration in Förderschulen gekämpft habe. Ich weiß auch, dass das ausgebaute Förderschulsystem in Bayern mit seinen verschiedenen Arten der Förderung, zum Beispiel mit seiner
Lern- und Sprachförderung, mit der Förderung der geistigen Entwicklung oder der emotionalen Bildung ein Beispiel für die Förderung des einzelnen Kindes je nach Förderbedarf ist.
Individuelle Förderung wird auch beim Schulbeginn seit vielen Jahren intensiv betrieben und ausgebaut. Ich nenne als Beispiel die schulvorbereitenden Einrichtungen, genannt SVE. Sie haben seit vielen Jahren große Erfolge und sind seit der Änderung des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes vom Haushaltvorbehalt befreit. Die Diagnose- und Förderklassen sind zur individuellen Förderung des einzelnen Kindes eingeführt worden. Wir sind momentan dabei, ähnliche Modelle in den Grundschulen einzuführen: Durch eine individuelle Förderung über zwei oder drei Jahre hinweg sollen die Kinder den Eingangsschulbereich bewältigen.
Der neue Grundschullehrplan, der seit einigen Jahren besteht, bietet viele Möglichkeiten der individuellen Förderung. Die Stofffülle wurde reduziert, und bis zu 30 % der Schulstunden sollen für Vertiefung, Wiederholung und Förderung verwendet werden. In den Grund- und Hauptschulen haben die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste eine wichtige Funktion für die individuelle Förderung übernommen. Die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste diagnostizieren, beraten und fördern sowohl die Schüler, die Eltern als auch die Lehrer, jeweils bezogen auf das einzelne Kind. Zugleich verbleiben in diesem Jahr von den frei werdenden Lehrerplanstellen 300 an den Hauptschulen allein zur gezielten individuellen Förderung.
Beim Schulausgangsbereich ist zum Beispiel die Einführung der Praxisklassen zu erwähnen. Als Hilfe zur Berufsfi ndung wurden Praxistage eingeführt. Immer wieder wird individuell gefördert und versucht, die Leistungsfähigkeit des einzelnen Schülers herauszufi nden. Für noch schwächere Schüler
haben wir sogar im Jahr 2000 die Diagnose- und Werkstattklassen eingeführt, in denen noch vertiefter praktisch gearbeitet wird. In der Berufsfi ndung werden dabei bemerkenswerte Erfolge erzielt.
Vorhin wurde die Realschule genannt. Natürlich ist es falsch, von über 23 % Wiederholern zu sprechen. Wenn ein Fünftklassler in die fünfte Klasse Realschule eintritt, dann ist er kein Sitzenbleiber. Wenn das so wäre, wäre ich damals, als ich aufs Gymnasium gekommen bin, auch einer gewesen. So ein Schüler wechselt eben die Schule zu dem Zeitpunkt, zu dem es für ihn am besten ist. Es ist bekannt: In Wirklichkeit wiederholen in der Realschule in dieser Klasse, nur circa 1 % das Schuljahr. An den Realschulen werden über 5000 Schüler durch Förderunterricht gefördert. Davon wiederum kommen 81 % in das nächste Schuljahr; das heißt, sie schaffen das Vorrücken.
Ich möchte noch etwas zu den Intensivierungsstunden sagen. Diese neu eingeführte Möglichkeit im G 8 wird dazu beitragen, viele Probleme zu bewältigen, wenn die
Intensivierungsstunden über die Jahre hinweg richtig eingesetzt werden.
Leider sind hier noch Fehlleistungen zu verzeichnen, gerade von den Schulen. So ist es nicht Sinn der Sache, die Gruppen entsprechend dem Alphabet oder der Farbe des Pullovers aufzuteilen. So kann in keiner Weise individuell nach Bedarf gefördert werden.
Herr Staatsminister hat schon viele Projekte genannt; deshalb möchte ich jetzt zum Schluss kommen. Die individuelle Förderung an Schulen in Bayern zeigt Erfolge. Das gegliederte System an sich mit den zusätzlichen Maßnahmen ist ein Erfolgsmodell. Das zeigen auch die Ergebnisse im internationalen Vergleich. Vielleicht sollte man sich tatsächlich manchmal wieder stärker darauf besinnen, dass alle drei Glieder unseres Schulsystems einen eigenen Wert haben, nicht nur das Gymnasium und die Realschule, wie die Eltern denken und deshalb nur den Besuch des Gymnasiums oder der Realschule fördern. Wir fördern nicht die Sitzenbleiber, sondern wir fördern die Kinder, damit sie nicht sitzen bleiben.
Ich glaube, wir sind nicht diejenigen, die das Scheitern verordnen, sondern die Kinder müssen dort eingeschult werden, wo sie hingehören, damit sie Erfolg haben; denn unser Schulsystem ist durchlässig und bietet jedem Kind die Möglichkeit, bis zur Hochschulreife zu kommen, wenn es dafür geeignet ist.