Peter Reinelt

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Last Statements

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt hier noch elf Abgeordnete, die sich, weil sie damals schon dabei waren, noch wie ich an die Plenardebatte vom 9. Juni 1978 erinnern. Von diesen sehe ich hier im Augenblick allerdings nur zwei. Einer von Ihnen ist Herr Kollege Moser. Herr Kollege Birzele war an dem genannten Tag krank.
Meine Damen und Herren, in dieser Debatte ging es vor allem um den berüchtigten Filbinger-Satz: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Der SPD-Frak
tionsvorsitzende Erhard Eppler hat ihm damals dafür ein „unheilbar gutes Gewissen“ attestiert
und den damaligen Ministerpräsidenten mit dessen Gedenkrede konfrontiert, die er im Jahre 1960 auf die Männer von Brettheim im hohenlohischen Brettheim gehalten hatte. Vielleicht wissen einige von Ihnen noch, dass diese Männer am 10. April 1945 nach der Entwaffnung von Hitlerjungen nach Nazirecht gehenkt wurden und zur Abschreckung hängen bleiben mussten.
Der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Erwin Teufel hat in dieser Debatte den Ministerpräsidenten verteidigt, indem er unter anderem sagte – und das ist auch heute noch unserer Aufmerksamkeit wert –:
Die Angriffe gegen Herrn Dr. Filbinger richten sich aber nicht nur gegen ihn. Sie treffen – ob Sie das wollen oder nicht – eine ganze Generation.
Wer diese Debatte damals mitverfolgt hat – ich kann sie wegen ihrer Bedeutung und wegen des Erschreckens nicht vergessen – oder wer diese Debatte im Plenarprotokoll 7/53 nachliest, der weiß, dass nicht wenige in der CDU Herrn Hochhuth den folgenden Satz niemals verzeihen:
Am wenigsten sind die Behörden des Landes BadenWürttemberg daran interessiert, die in ihrem Bundesland lebenden und dort Pension verzehrenden Mörder dieses – und zahlloser anderer – Gefangener, die aus dem gleichen „Grund“ dilettantisch gehängt, das heißt: erwürgt wurden, dingfest zu machen. Ist doch der zurückgetretene Ministerpräsident dieses Landes, Dr. Filbinger, ein so furchtbarer Jurist gewesen, dass er noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod deutsche Matrosen mit ehemaligen Nazigesetzen verfolgt hat.
Meine Damen und Herren, Herr Filbinger ist deswegen vor Gericht gegangen,
und Herr Hochhuth hat Recht bekommen. Er durfte lediglich nicht wieder sagen, dass Filbinger seine Freiheit, wenn ich es richtig im Kopf habe, dem Schweigen anderer verdanke.
18 Jahre nach dieser Debatte gab es eine versöhnende Geste. Sie, Frau Dr. Schavan, waren damals schon Kultusministerin. Die für die Auswahl der Pflichtlektüre zum Abitur zuständige Kommission hat das Buch „Eine Liebe in
Deutschland“ für das Abitur 2002 vorgeschlagen. Das Kultusministerium hat dies akzeptiert.
Vier Jahre später – darum geht es heute –, übrigens ausgerechnet am Geburtstag von Herrn Filbinger, rief ein Ministerialrat bei der Vorsitzenden der erwähnten Kommission an und sagte, das Buch werde zurückgezogen, er habe den entsprechenden Erlass unterschreiben müssen.
Wenige Tage danach ging dieser Erlass mit Datum vom 15. September – Filbingers Geburtstag – bei den Schulen ein. Begründung: fehlende Sekundärliteratur. Da diese Begründung nachweisbar falsch ist, wurde eine andere nachgeschoben: Was vorliege, sei für den Unterricht nicht aufbereitet.
Meine Damen und Herren, wie immer es auch sei: Es handelt sich um einen einmaligen Vorgang. Die Kommission hat erklärt, die Frage der Sekundärliteratur habe bei der Auswahl nie eine Rolle gespielt. Es gibt andere Beispiele dafür.
Ich möchte noch ganz besonders herausstellen: Das Kultusministerium hat den betroffenen Lehrerinnen und Lehrern ein vernichtendes Urteil ausgestellt. Denn sie seien auch nach zwei Staatsexamina nicht in der Lage, diesen Text für ihre Schülerinnen und Schüler sowie mit ihren Schülerinnen und Schülern zu interpretieren. Was durch das Ministerium folgte, war eine feige Zuweisung der Schuld an die Adresse der Kommission.
Das alles ist dargestellt worden. Die Kommission ist inzwischen auch zurückgetreten, weil sie sich von der Ministerin desavouiert fühlt und weil sie vermutet, dass die Entscheidung keine fachliche, sondern eine parteipolitische Grundlage habe.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion kann zu keiner anderen Wertung kommen. Wir sehen uns in dieser Meinung durch die Aussage des Kultusministeriums bestärkt – nachzulesen in der „Stuttgarter Zeitung“ –, dass die Ministerin diese Entscheidung nicht initiiert habe. Die Ministerin sei von der zuständigen Abteilung über die Entscheidung lediglich in Kenntnis gesetzt worden. Wenn dies stimmte, so würde Frau Dr. Schavan bei der Tragweite dieser Entscheidung ihr Ministerium nicht leiten.
Aber gerade weil auch ich ministerielle Willensbildung kenne, halte ich diese Aussage für abenteuerlich. Ich halte sie für eine unwahre Konstruktion.
Hier geht es um ein Exemplar politischer Literatur, das höchste und nachweisbare Wirkung erzielt hat. Die Wirkungsgeschichte ist auch dokumentiert. Diese Erzählung ist aus der baden-württembergischen Zeitgeschichte nicht wegzudenken. Sie beschreibt schmerzhaft, was eintritt, wenn es keine Zivilcourage mehr gibt.
Die Absetzung der Erzählung als Pflichtlektüre für das Abitur fällt in eine Zeit der Gewalt gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, Gewalt gegen Synagogen und Gedenkstätten. Die Absetzung erfolgt zeitgleich mit
Appellen von ganz oben an die Bürgerinnen und Bürger: Wehrt euch, verteidigt das Grundgesetz, ihr seid jetzt gefragt,
zeigt Zivilcourage!
Ich bin mit meiner Rede gleich fertig, Herr Präsident.
Zur gleichen Zeit, meine Damen und Herren, diskutieren wir hier im Plenum über den Kampf gegen Rechtsextremismus.
Vor diesem Hintergrund wäre eine solche selbstständige Entscheidung einer Abteilung ein unglaublicher und irreparabler Vertrauensbruch der Ministerialbürokratie. Da ich an einen solchen Vertrauensbruch nicht glaube, an ein solches Die-Ministerin-ins-Messer-laufen-Lassen, an eine solche Instinktlosigkeit oder katastrophale Dummheit in einem unserer Ministerien, ist das für mich der Beweis dafür, dass man die Ministerin jetzt aus der Verantwortung nehmen will. Aber Ihre politische Verantwortung für diese Entscheidung, Frau Dr. Schavan, die Sie auch stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und stellvertretende Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sind, können Sie nicht delegieren.
Sie tragen die politische Verantwortung für diese Verneigung nach rechts.
Meine Damen und Herren, damit das ganz klar ist: Es geht hier nicht um Rechtsradikalismus, wie ihn Rolf Hochhuth der Ministerin leichtfertig und ungerecht unterstellt hat. Darum geht es nicht.
Aber angesichts der Todesurteile und der Debatte von 1978 ist jeder Versuch einer Filbinger-Rehabilitierung alles andere als eine Abgrenzung nach rechts, von der Rita Süssmuth und Heiner Geißler anlässlich der Vorstellung des neuen Buches von Frau Süssmuth gesagt haben, dass die CDU diese Abgrenzung nach rechts noch nie geschafft habe. Auch Sie, Frau Dr. Schavan, haben sich nicht abgegrenzt. Vielmehr polstern Sie als Quereinsteigerin in die baden-württembergische CDU Ihren Platz im Landesverband mit anbiedernden Gesten nach rechts aus.
Ich erinnere zum Schluss an die Worte von Bundespräsident Gustav Heinemann vom 24. Dezember 1971:
Nur wer bekennt, findet den, der mit ihm bekennt. Nur wer Bürgermut lebt, macht andere Bürger lebendig.
Ich füge hinzu: Nur eine Kultusministerin, die bekennt, findet junge Menschen, die mit ihr bekennen. Nur wenn Sie sich bekennen, Frau Dr. Schavan, werden Sie den Ihnen anvertrauten jungen Menschen helfen, mutige und selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger in unserer demokratischen Gesellschaft zu werden. Ein solches Bekenntnis wäre zum Beispiel die Korrektur der heute angesprochenen Entscheidung.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Rau, Sie haben gestern Nachmittag noch am Forum des Südwestrundfunks nach 17 Uhr als Diskussionsteilnehmer teilgenommen. Dort hat ein Mitglied der Kommission, Herr Häring, gesagt, die Kommission sei zurückgetreten. Sie haben das zur Kenntnis genommen.
Im Übrigen will ich hier gerne einräumen, dass es letzten Endes nicht um diesen Rücktritt allein gehen kann.
Ich wollte nur fragen: Wann haben Sie die Information bekommen, dass die Kommission nicht zurückgetreten sei?
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Einzelplan 14 erscheint im verklärten Licht des Solidarpakts. Die Zeche wird von den Universitäten erst später bezahlt werden. Da nach Aussage des Wissenschaftsministeriums die hohe Auslastung der Hochschulen in den nächsten Jahren bestehen bleibt, wird diese Zeche – da muss man kein Prophet sein – die nächste Krise verursachen. In jedem Fall wird dann aber Herr von Trotha nicht mehr Wissenschaftsminister sein.
Herr von Trotha legt seinen letzten Haushaltsentwurf vor. In die Geschichte des Landes wäre er eingegangen, wenn es jetzt, nach 22 Jahren, eines eigenständigen Wissenschaftsetats gar nicht mehr bedürfte.
Denn wer die Hochschulen in die Selbstverantwortung entlassen will, muss sich selbst und sein eigenständiges Ministerium entbehrlich machen.
Wer aber in den Stellenplan des Ministeriums schaut, reibt sich verwundert die Augen: Da gibt es sogar eine halbe Beamtenstelle mehr. Auch diese Unstimmigkeit zwischen Sagen und Tun passt in die Hochschulpolitik des seit 1991 amtierenden Ministers. Seine Politik – ich meine, ich kann sie übersehen – ist geprägt von einem Widerspruch, der wie eine Folie über all seinen Entscheidungen liegt, zwischen der Hochschätzung von Wissenschaft, insbesondere der Technik und der Naturwissenschaften, in ihrer Bedeutung für die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft und dem tiefen Misstrauen gegenüber ihren Institutionen und den in ihr handelnden Personen. Wir hören von ihm jede Menge lobender Rhetorik für den Wissenschaftsbetrieb im Allgemeinen, aber noch mehr Kritik gegenüber dem Wissenschaftsprozess im Konkreten.
Meine Damen und Herren, ich frage nach dieser langen Amtszeit auch nach der Verantwortung des Ministers gegenüber den Studierenden. Seine von ihm losgetretene Kampagne im Zusammenhang mit Studien- und Immatrikulationsgebühren,
nach der Studierende als faul, Privilegien sichernd und nur Vorteile aus dem Studierendenstatus ausnützend erscheinen,
halte ich für verantwortungslos.
Das ist verantwortungslos gegenüber jungen Menschen, die uns anempfohlen und Chance, nicht Last unserer Gesellschaft sind.
Verantwortungslos ist es auch in Bezug auf die Folgen. Meine Damen und Herren, wer diese Gebühren will – diese Debatte wird ja im Augenblick geführt –, der nimmt auch billigend in Kauf, dass sich die Hochschulen in Zukunft ihre Studierenden selbst aussuchen und dass dies dann auch in unsere Schulen hineinschwappen wird, was die Zerstörung von Gleichheit und Gerechtigkeit von Bildungschancen bedeutet.
Fehlende Sensibilität des Ministers gegenüber jungen Menschen erkenne ich auch bei der im Grundsatz von uns allen gewünschten Internationalisierung von Studiengängen. Dabei darf sich der Minister aber gerade wegen seiner Verantwortung für die junge Generation, insbesondere in Bezug auf ihre beruflichen Chancen, nicht vor dem mühevollen Austarieren von Freiheit der Bildung und ökonomischen Interessen drücken.
Deshalb kritisiere ich die provinzielle Eilfertigkeit in der Anpassung an Menschen verachtende Folgen der Globalisierung, die der Minister bei der Einführung in Hohenheim an den Tag gelegt hat. Er hat dort gefordert, man müsse „wegkommen von der Vollkaskomentalität“. Er hat dies gefordert, obwohl er eingeräumt hat, es sei noch nicht klar, wie der Arbeitsmarkt auf Master- und Bachelorabsolventen reagiere, und obwohl er weiß, dass nach dem Bachelorstudiengang für 70 % der Studierenden das Studium vorbei ist, weil sie die Kriterien für den Masterstudiengang nicht erfüllen. So hat es wenigstens Herr Liebig von der Universität Hohenheim gesagt.
Was also sollen dann die Bachelors tun, nach denen bei diesem Abschluss der Arbeitsmarkt möglicherweise gar nicht fragt? Unsere Hochschulen sollen doch dazu beitragen, durch Qualifizierung Arbeitslosigkeit zu vermeiden und nicht neue zu schaffen.
Der Prozess der Internationalisierung wurde vom Minister immer mit einer Kampagne mit dem Vorwurf mangelnder Konkurrenzfähigkeit und Attraktivität unserer Hochschulen begleitet. Da war nichts dran. Es kommen mehr denn je ausländische Studierende zu uns. Die Zahl derer aber, die von uns ins Ausland gehen, die Zahl der deutschen Studenten im Ausland, ist in der Studierendenstatistik bei uns im Grunde genommen fast vernachlässigbar. Wir sollten uns endlich dazu bequemen, die Frage der Internationalisierung nicht als Einbahnstraße zu begreifen, sondern vielmehr alles daransetzen, um jedem baden-württembergischen Studierenden ein Auslandsstudium zu ermöglichen.
Diesem Ziel soll der von uns vorgelegte Antrag dienen. Dies zu verwirklichen wäre unter den Aspekten Globalisierung, Mobilität und berufliche Chancen nun wirklich verdienstvoller, als noch in jedem Winkel unseres Landes in bodenständiger Verquickung von Hochschul- und Strukturpolitik eine Fachhochschul- oder Berufsakademieaußenstelle zu installieren. Ich bitte also das hohe Haus um Zustimmung zu unserem Antrag.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich weiß nicht, ob Sie noch darauf zu sprechen kommen. Deswegen meine Frage und Bitte. Zu der Frage der Internationalisierung in der Forderung, dass auch viel mehr baden-württembergische oder deutsche Studierende ins Ausland gehen müssten, haben Sie bislang nicht Stellung genommen. Wären Sie bereit, das noch zu tun, weil dies ein ganz zentraler Punkt in dem Forderungskatalog der Opposition in Bezug auf den Haushalt darstellt?