Minka Dott
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Gäste! Seit Verabschiedung des Landesgleichberechtigungsgesetzes vor zwei Jahren beschäftigt sich das Parlament heute zum ersten Mal mit einer Gesamtsicht auf den Stand seiner Umsetzung. Wir tun dies unmittelbar nach dem europäischen Protesttag – ich betone Protesttag – behinderter Menschen, der am 5. Mai unter dem Motto stand: Gleichstellung jetzt und in allen Lebenslagen. – Die Diskussion einer fraktionsüber
greifenden Großen Anfrage zu diesem Zeitpunkt ist vor allem dem Landesbehindertenbeirat und Herrn Marquard zu verdanken. Auch ich danke dafür.
Es ist uns aber nicht nur aus gegebenem Anlass ein wichtiges Anliegen, das Thema im Parlament zu besprechen. Wir meinen, dass es sich nicht um ein politisches Randgruppenthema handelt, sondern um einen Ausdruck dafür, wie Politik mit ihren eigenen Grundsätzen umgeht. Deshalb rede ich darüber, welche Lebensbedingungen für Menschen unserer Stadt vorhanden sind, die diese in die Lage versetzen, ihre ihnen gleichberechtigt zustehenden bürgerlichen Rechte in Anspruch nehmen zu können – oder eben nicht.
Berlin verfügt als einziges Bundesland seit zwei Jahren über ein Landesgleichberechtigungsgesetz. Diese Tatsache muss man betonen, aber ich denke, die Abteilung Beweihräucherung haben wir heute schon gehört. Ich werde mich kritisch mit den Erfolgen des Gesetzes auseinander setzen.
Frau Schöttler hat zwar teilweise sanfte Kritik geäußert, aber wenn wir über die Umsetzung eines Gesetzes sprechen, dann kommt es besonders darauf an, die Stellen zu benennen, die weiterentwickelt und verändert werden müssen. Das, was gut funktioniert, kann man nennen, aber es sollte nicht den Hauptteil einer Rede beinhalten. Die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben ist auch in Berlin immer noch ein Wunschtraum. Angesichts aktueller Entwicklungen ist der Ausblick eher pessimistisch. Allerdings könnte man glauben, dass die Beantworter der Anfrage – in diesem Fall ist es Frau Schöttler – ebenso wie die Verfasser des am 8. Mai beschlossenen „Berichts zur Situation von Menschen mit Behinderung und zur Entwicklung der Rehabilitation in Berlin“ in einer anderen Stadt leben. Leider können wir uns heute nicht auf diesen – nach monatelanger Verzögerung vorgelegten – Bericht beziehen, denn wir kennen ihn leider nicht.
Wir haben den Bericht noch nicht in Händen und müssen uns später noch damit befassen.
Deshalb reden wir heute höchstens über die Meldung, die gestern im „Landespressedienst“ stand, nämlich dass ein Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik erkennbar geworden sei. Vielleicht kann man diesen herbeischreiben. Der PDS-Fraktion ist es aber noch nicht gelungen, in der täglichen Praxis zu erkennen, dass behinderte Menschen in den letzten Jahren in Berlin vom Objekt zum Subjekt der Rehabilitation geworden sind. Es gibt bestenfalls ein zartes Pflänzchen, das es zu hegen und zu pflegen gilt. Wir denken, dass daran auch das neue Sozialgesetzbuch IX erst einmal wenig ändern wird.
Im Verständnis der PDS ist und bleibt Behindertenpolitik zuerst eine Frage der Menschen- und Bürgerrechte und nicht vordergründig eine Frage der Wohlfahrtspflege und Fürsorge. Das ist ein besonders wichtiger Gedanke.
Wir wünschen uns, dass dieser Gedanke stärker in die Arbeit aller einfließt. Dafür habe ich mich im Gesetzgebungsverfahren in der vergangenen Legislaturperiode stark gemacht. Ich betrachte das als Ausgangspunkt aller unserer Bemühungen, denn zu den entscheidenden Geburtsfehlern dieses Landesgleichberechtigungsgesetzes gehört – diese Ansicht ist nicht neu –, dass das Gleichberechtigungsgebot, das Diskriminierungsverbot, die Beweislastumkehr bei Diskriminierung und das außerordentliche Klagerecht lediglich Postulate sind. Denn sie sind nicht einklagbar. Verstöße bleiben weiterhin ungeahndet. Ich werde noch einige Beispiele dazu nennen.
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Für uns ist es nach wie vor rechtlich bedenklich, den Behörden und Einrichtungen des Landes Berlin die Entscheidung darüber selbst zu belassen, in welchem Umfang sie das Benachteiligungsverbot umsetzen und wie sie sich an diesen Forderungen beteiligen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Bestimmungen des Gesetzes zu Artikel 11 der Verfassung von Berlin nicht einmal in der Verwaltung ausreichend bekannt sind, und wenn sie bekannt sind, dann nur teilweise. Zumindest ist nicht im Bewusstsein verankert, dass dieses Gesetz auch auszuführen ist. Dies zeigt sich beispielsweise auch beim Erstellen von Formularen und Schriftstücken. So gibt es beim Landesschulamt wirklich diskriminierende Briefbausteine. Es gab schon vielfach Beschwerden darüber.
Danke schön! – Das Gesetz schuf die Funktion des Landesbehindertenbeauftragten. Es ist aber zu hoffen, dass nunmehr endlich gesichert wird, dass bei allen Gesetzes- und Verordnungsvorhaben er auch rechtzeitig beteiligt wird und endlich geklärt ist, was unter der Formulierung des § 5 Abs. 3 – unter „sonstigen wichtigen Vorhaben“ – zu verstehen ist. Gehörte dazu beispielsweise der vorgelegte Bericht zur Situation von Menschen mit Behinderungen? Zumindest ist dieser Bericht nicht bei Herrn Marquard vorbeigekommen, soweit uns bekannt ist.
Die Senatsverwaltung hat sich, wie zu erwarten war, mit dem ebenfalls im Gesetz geforderten Bericht über Verstöße gegen die Regelung zur Gleichstellung behinderter Menschen sehr schwer getan. Frau Schöttler hat darauf hingewiesen, dass der Behindertenbeauftragte diesen Bericht erstellt hat. Dies war im Februar. Die Abstimmung mit den Senatsverwaltungen dauert bis heute an; der Verstößebericht liegt noch nicht vor. Wir bedanken uns aber trotzdem bei all denjenigen, die an diesem Bericht gearbeitet haben. Man muss ihn benutzen, um etwas zu verändern.
Zu der Thematik der Bezirksbehindertenbeauftragten, die im § 7 geregelt sein soll, haben wir ebenfalls kritisch anzumerken, dass die schon von Beginn an schwammige Formulierung tatsächlich auch dazu führt, dass in den Bezirken gehandelt wird, wie es jedem – meistens nach Finanzlage – wichtig erscheint. Wir kritisieren dies sehr und erinnern an unsere Forderungen, diese Funktion hauptamtlich und nicht ehrenamtlich einzusetzen, wie es in einigen Bezirken der Fall ist, und überhaupt Regelungen zu finden. Wir bedauern sehr, dass es dem Senat im Vorfeld der Fusion nicht gelungen ist, in diesem Zusammenhang auch die Funktion der Bezirksbehindertenbeauftragten rechtlich eindeutig festzulegen. Es ist unredlich, die Verantwortung den Bezirken zuzuschieben, weil ihnen das Hemd näher als der Rock ist. Dabei zieht die Behindertenarbeit oft den Kürzeren.
Wir betrachten es regelrecht als Schande, dass darüber gestritten wird, wie diese Beauftragten zu bezahlen sind. Auch das müsste eindeutig geregelt werden. Jeder, der sich ein wenig mit der Problematik auskennt, weiß, dass sie, volkswirtschaftlich betrachtet, das Geld vielfach wieder einbringen. Wir haben uns wirklich bei der sehr engagierten Arbeit der Bezirksbehindertenbeauftragten zu bedanken, die in den vergangenen Jahren schon intensiv gearbeitet haben!
Jetzt möchte ich auf einige Probleme aus dem Bereich der Hörbehinderungen eingehen. Die notwendigen Regelungen zur Anerkennung und Umsetzung der Gebärdensprache als gleichberechtigte Kommunikationsform zur deutschen Sprache wurde bereits durch immer weiter nach hinten verschobene Termine im Gesetzgebungsprozess verzögert. Nun soll erneut die Einführung des Studienganges Gebärdendolmetscher aus Kostengründen um ein Jahr hinausgezögert werden. Ich habe jetzt mit
Freude vernommen, dass im Jahr 2005 die erste Ausbildungsrunde abgeschlossen sein soll. Ich hoffe es sehr. Wenn ab dem Jahr 2005 ein Anspruch auf Unterricht in Gebärdensprache bestehen soll, müssen natürlich zunächst einmal die entsprechenden Lehrer zur Verfügung stehen. Alles andere wäre indiskutabel.
Wir betrachten es auch als ein Armutszeugnis, dass es der SFB bislang nicht geschafft hat, mindestens eine Stunde täglich mindestens eine Nachrichtensendung so auszugestalten, dass sie auch für gehörlose Menschen wahrzunehmen ist.
Vielleicht ist die angekündigte Regelung über Verkehrsverhältnisse schon etwas. Gehörlose Menschen sind aber auch politisch und kommunalpolitisch interessierte Menschen. Auch die anderen Informationen sollten zumindest in Kurzform täglich zugänglich gemacht werden. Der SFB hatte dies bislang mit der Begründung abgelehnt, dass die Akzeptanz durch das allgemeine Publikum nicht gegeben wäre. Das betrachten wir als einen Skandal. Es ist eine weitere Diskriminierung!
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der Senat bei allen guten Vorsätzen mit den Belangen hörbehinderter Menschen schwer tut. Ich erinnere an einen Fauxpas, der bei der Plakataktion anlässlich des internationalen Frauentages 2001 unter dem Titel „Frauen bewegen Berlin“ geschehen war. Dort war zur Freude des Schwerhörigenverbandes die von ihnen vorgeschlagene Begründerin ihres Vereins, Frau Margarete von Witzleben, auch auf dem Plakat abgebildet. Allerdings wurde sie dort falsch bezeichnet. Frau von Witzleben war vor 100 Jahren die Gründerin der Schwerhörigenselbsthilfe und nicht – wie dargestellt – der Selbsthilfegruppen und des Verbandes der Gehörlosen. Diese entstanden bereits 52 Jahre früher.
Auch ein Beispiel für den Grundfehler des Gesetzes ist, die Forderung der Schwerhörigen, die Formulierung „jeder Hörbehinderte hat das Recht auf die ihm gemäße Kommunikationsform“ aufzunehmen, nicht in das Gesetz hineinzuschreiben. Im Übrigen wurden die Plakate später nicht korrigiert. Sie waren bereits gedruckt und ausgehängt; Geld war nicht vorhanden.
Sie hätten sie auch einstampfen können, es war ein Kardinalfehler enthalten. – Apropos Geld: Anlässlich des europäischen Protesttages behinderter Menschen haben Berliner Interessenvertreter ein Quiz veranstaltet. Eine Frage lautete – das „Blaue Kamel“ hatte einen witzigen Einfall: „Wie viele Jahre müsste Herr Landowsky in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten, um einen Jahresbetrag seines Ruhestandsgehaltes zu verdienen?“ Es gab drei Antwortmöglichkeiten: „25 Jahre, 100 Jahre oder 250 Jahre?“
Ich möchte auf ein weiteres Problem eingehen. Wir befinden und in dem von der UNO ausgerufenen internationalen Jahr der Freiwilligen. Ohne ehrenamtliche Arbeit ist auch die Behindertenhilfe und Selbsthilfe undenkbar. Menschen mit Behinderungen haben zahlreiche Ehrenämter übernommen. Wenn sie dabei allerdings auf Assistenz angewiesen sind, beispielsweise aus Blindheit, Hör- oder Mobilitätsbehinderungen, haben sie schlechte Karten. Diese Tätigkeit wird nicht als Arbeit anerkannt, also werden auch keine Mittel beispielsweise durch die Hauptfürsorgestelle zur Verfügung gestellt. Hier gibt es eindeutigen Handlungsbedarf. Dies wäre auch ganz im Sinn des § 8 des Gesetzes, der Stärkung des Zusammenlebens von Menschen mit und ohne Behinderungen.
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Handlungsbedarf gibt es aber auch hinsichtlich der Bewilligung und Bereitstellung von notwendigen Hilfsmitteln für den Arbeitsbereich behinderter Menschen. Diese Hilfsmittel können erst bei der Hauptfürsorgestelle beantragt werden, wenn der behinderte Mensch eine Arbeitsstelle bekommen hat. Dies ist aber meist verknüpft mit einer Probezeit. Oft ist die Probezeit aber bereits abgelaufen, bevor die Bewilligung der Hilfsmittel vorliegt. Somit können die Behinderten oft gar nicht ihre volle Arbeitsleistung unter Beweis stellen. Auch das ist eine Form der Benachteiligung. Keiner kann erklären, warum die Bearbeitungszeit dieser Landesbehörde in der Regel ein halbes oder gar ein dreiviertel Jahr beträgt. Da auf wundersame Weise die Anträge nach Prüfung meistens bewilligt werden, kann es auch eine Einsparmaßnahme sein.
Die Behauptung des Senats, dass Berlin bundesweit das behindertenfreundlichste Baurecht hat, lässt erkennen, dass wenige Sonnenstrahlen – heute ist auch schönes Wetter – schon ausreichen, um die Welt durch eine rosarote Brille zu betrachten. Es pfeifen buchstäblich die Berliner Spatzen von den Dächern dieser Stadt, dass Fachleute gerade in Berlin immer wieder beklagen, dass viele Vorschriften des Landes Berlin diesbezüglich nicht mehr auf dem neuesten Stand des Baugeschehens seien. Notwendige Umplanungen oder sogar Umbauten haben schon zusätzliche Kosten in Millionenhöhe verursacht.
Auch die Leitlinien – ich habe leider nicht mehr die Zeit, darauf ausführlich einzugehen – sind unbedingt zu überarbeiten. Eine Aktualisierung wurde kürzlich im Bauausschuss mit dem Hinweis abgelehnt, es würde alles getan.
Wir hoffen sehr, dass damit nicht auch der Bau der geplanten Sperranlagen an U-Bahnhöfen gemeint ist, denn ich finde es symptomatisch, dass nicht nur die Behindertenverbände, sondern z. B. auch Seniorenvertretungen Sturm laufen gegen die Absicht, diese Anlagen einzurichten. Ich denke, hier gibt es die Möglichkeit zu einer echten Einsparmaßnahme. Hier soll etwas gemacht werden, was viel Geld kostet und nicht gewollt wird. Warum hört man nicht auf die Betroffenen?
Einen Komplex möchte ich noch ansprechen: Aus unserer Sicht ist es nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung, sondern eine Investition in die Zukunft, wenn Menschen mit Handikaps gut ausgebildet werden, um bessere Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben zu erlangen. Nach dem Landesgleichberechtigungsgesetz besteht zwar das Elternwahlrecht zwischen der gemeinsamen Erziehung an einer Regelschule und der Erziehung an einer Sonderschule. Das Recht auf gemeinsame Erziehung und Unterricht in der Grundschule und Sekundarstufe I wird jedoch durch den generellen Finanzvorbehalt praktisch wieder aufgehoben.
Der Entwurf des neuen Schulgesetzes stellt in Bezug auf die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern einen weiteren Rückschritt dar. Der Verweis auf „die schutzwürdigen Belange der Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf“ ist ein Beweis dafür – –
Ich komme zum Schluss. – Dieser Hinweis ist ein Beweis dafür, wie weit wir noch von einem Paradigmenwechsel in positiver Richtung entfernt sind. Dass auch dieser Entwurf ohne Kenntnis des Landesbehindertenbeauftragten veröffentlicht wurde, passt dabei wohl in das Bild.
Wir schließen uns den Forderungen der Verantwortlichen an: Aufhebung des Haushaltsvorbehaltes, Genehmigung aller von den Schulen beantragten Integrationsklassen, Absicherung der angemessenen Ausstattung der Schulen für eine gemeinsame Erziehung, Sicherstellung des Anspruchs auf die Fortsetzung der gemeinsamen Erziehung in der Sekundarstufe I durch die Verpflichtung aller Oberschulen!
Ich wurde schon gemahnt, deshalb mein allerallerletzter Satz:
Für heute! Danke! – Die Beratungen für den Nachtragshaushalt und erst recht die Haushaltsdebatte für das Jahr 2002 werden beweisen, wie ernst die Absichten zu nehmen sind, und wir hoffen sehr, dass die Kürzungen in diesen Bereichen nicht die Arbeit lähmen, sondern dass dieses Gesetz, das mit gutem Willen gemacht worden ist, dann auch in der Wirklichkeit zum Zuge kommt. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke auch, dass dieses Thema sehr wichtig ist und dass es vor allem im Rechtsausschuss noch einmal einer ausgiebigen Diskussion darüber bedarf. Dort wird dieser Antrag auch besprochen werden.
Was danach kommt, ist allerdings eine Sache, die – wie ich meine – im Rechtsausschuss zu besprechen ist. Es gibt eine Menge Literatur dazu. Dieses Thema ist ja nicht neu, das spielt ja in der Rechtswissenschaft schon lange eine Rolle. Ich möchte mich beziehen auf Joachim Rosenkranz, der in seinem Buch „Normal entwickelt, verunsichert im Verhalten. Die Entwicklung von Kindern im Strafvollzug“ meint, dass man vor allem Einzelfallauswertungen betrachten solle und dort in nachdrücklicher Weise dokumentiert werden könne, dass die Gesamtproblematik der gemeinsamen Inhaftierung für manche, insbesondere ältere Kinder eine sehr große seelische Belastung in ihrem noch jungen Leben darstelle. Hieraus leitet sich vor allem ab, dass man über Alternativen nachdenken soll.
Wie geht man überhaupt mit Müttern um? – Berlin hat zurzeit 5 200 Strafgefangene, davon sind ca. 200 Frauen. Die Gründe, warum Frauen inhaftiert werden, und ihre Motivationen, straffällig zu werden, unterscheiden sich in vielen Fällen stark von denen der Männer. Hier muss darüber geredet werden, welche Alternativen es zur Haftunterbringung für Mütter gibt. Hier, bei der Suche nach neuen Methoden, könnte Berlin Vorreiter sein. Das wünsche ich mir auch von der Diskussion im Rechtsausschuss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird hier so getan, Frau Richter-Kotowski, als ob Sie die Wahrheit ein für allemal fest hätten und daran überhaupt nicht zu rütteln wäre.
Wenn Sie davon sprechen, dass die Vermischung von weniger tief Gefallenen und den ganz Verelendeten in den Fixerstuben stattfindet, so weise ich darauf hin, dass Sie diese Vermischung täglich in den Parks und in der Drogenszene am Bahnhof finden. Sie findet heute draußen statt. Das ist kein Argument gegen diese Stuben. Wenn Sie sagen, dass sich die Kosten der Fixerstuben auf diese 500 000 DM, 600 000 DM oder 700 000 DM
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beziehen, ist das sicherlich richtig. Wie sieht es aber jetzt aus? – Die Drogenkranken infizieren sich mit Spritzen, sie bekommen Hepatitis oder andere Folgererkrankungen.
Ich weiß nicht, ob Sie sich solche Kranken schon einmal angesehen haben. Die Folgen dieser nicht ausreichenden Drogenpolitik wird einfach auf die Krankenkassen abgewälzt. Schließlich sind sie als kranke Menschen an anderer Stelle zu betreuen. Dieser Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden.
Auch aus diesem Grund begrüßt die PDS-Fraktion den Antrag der Grünen. Er ist sehr konkret und einleuchtend formuliert, und ich kann den fachlichen Argumenten von Dr. Köppl nur wenig hinzufügen. Mit diesem Gesetz sind zwar einerseits die bestehenden Einrichtungen, die es z. B. in Frankfurt schon gab, gesetzlich legitimiert worden. Auf der anderen Seite stellt dies eine große Chance für andere Städte dar. In Berlin hätte es nun beginnen können. Offensichtlich wird dies aber zu einer Glaubensfrage innerhalb des Senats selbst.
Ich habe mir in der vergangenen Woche angehört, was in den einzelnen Ausschüssen zu diesem Thema schon in diversen Aktuellen Stunden gesagt worden ist, und habe mich gefreut, bei den SPD-Senatsmitgliedern zumindest Nachdenklichkeit und Überlegungen in etwas moderne Richtungen gehört zu haben. Ich hoffe sehr, dass sie sich im Senat gegen die nicht besonders fachliche Auffassung der CDU-Senatoren – die ich allerdings bisher nur gelesen habe – durchsetzen. Die Einigung im Vermittlungsausschuss hat in Berlin eher Verwirrung anstelle von Klarheit gebracht, obwohl jetzt die gesetzlichen Möglichkeiten für ein Handeln endlich gegeben sind.
Es müsste doch klar sein, dass im Hinblick auf die Nachfrage von Drogen das Strafrecht überhaupt nicht abschreckend wirken kann. Das sehen wir doch. Wir haben die Folgen der gegenwärtigen Drogenpolitik täglich vor Augen! Wenn Betroffene aussteigen wollen, müssen ausreichend Angebote vorhanden sein. Vor allem kommt es aber darauf an, dass sich ihre normalen Lebensverhältnisse stabilisieren können. Dazu muss man an diese Menschen herankommen. Deswegen sind neue niedrigschwellige Angebote notwendig. Uns ist ganz besonders wichtig, dass mit Hilfe dieses Angebots Fixerstube auch eine parallele psychosoziale Betreuung möglich würde. Dies kann und muss nicht in jedem Fall greifen, das ist völlig klar. Es gibt keine hundertprozentige Lösung. Auch diese Gesundheitsräume sind nur eine Möglichkeit in der Palette der niedrigschwelligen Angebote, die es in der Stadt schon gibt, aber eine inzwischen in anderen Städten bewährte Möglichkeit. Wir möchten gern, dass die Schadensbegrenzung und die Ausstiegsförderung durch risikoarme, hygienische Bedingungen möglich und genutzt wird. Wir möchten gern, dass die Gesundheitsfürsorge, die hier möglich wird, genutzt wird. Wir möchten auch, dass die Drogenpolitik einfach eine Facette hinzugewinnt, um mehr Menschen als bisher auch helfen zu können. In diesem Gesetz werden Mindeststandards festgelegt. Sie sollten sich das Gesetz genauer ansehen. Es geht nicht darum, einfach einen Raum zu eröffnen, und es anderen zu überlassen, damit fertig zu werden. Gerade die Gesundheitsförderung wird gut und überzeugend formuliert. Es ist eine Notfallversorgung vorgesehen. Es sind Fachkräfte vorgesehen. Es ist einfach Gesundheitshilfe vorgesehen.
Auch die Innenpolitik kann solche Dinge erkennen, auch wenn sie sich über Gesundheitspolitik vielleicht nicht sehr viele Gedanken macht, was ich sehr bedauere. Im Übrigen habe ich kürzlich – ich erlaube mir zu zitieren – im Zusammenhang mit Fixerräumen ein interessantes Zitat in einer Zeitung gefunden. Wir haben gehört, dass sich Berlin im Vermittlungsausschuss enthalten hat. Bayern soll dagegen gestimmt haben. Eine Zeitung kommentierte die folgendermaßen:
Dass jedoch ausgerechnet Bayern das eigentliche Erfinderland der offiziellen Druckräume für flüssige Drogen so vehement gegen Fixerstuben ist, verwundert. Kennt nicht aus
München die ganze Welt ein jährliches offizielles Fest, bei welchem sich die Opfer im Rausch vor den Kameras winden?
Ich kenne eine Menge anderer Männerbünde, die sich mit ihrem letzten Rausch brüsten.
Der ist legal, Schnaps gibt es in jedem Supermarkt. Diese heuchlerische Politik muss aufhören. Wir unterstützen diesen Antrag der Grünen. – Danke!
Ich habe eine Frage an Herrn Senator Böger zur Drogenpolitik. Gestern hat es im Vermittlungsausschuss in Bezug auf Gesundheitsräume ein neues Ergebnis gegeben, einen Kompromiss. Ich frage Sie: Welche Haltung hat Berlin im Vermittlungsverfahren eingenommen? Wie stehen Sie zu dem Ergebnis? Welche Konsequenzen wird es für die zukünftige Politik haben? – Ich frage das auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es von verschiedenen BVVen – z. B. von der BVV Tiergarten – die Aufforderung an den Senat gibt, solche Gesundheitsräume einzurichten.
Herr Böger, ich möchte trotzdem noch einmal nachfragen: „Zu gegebener Zeit“ – wann kann das sein? – Das Thema ist ja ein drängendes und kein neues. Ich frage das auch im Zusammenhang mit den Überlegungen des Senats zur
Originalstoffsubstitution, also der Heroinvergabe als Modellversuch. Ich weiß, dass es dafür den Termin 31. März 2000 gibt, aber ich finde keine finanzielle Vorsorge im Haushalt.