Wenn es so weitergeht, das ist meine traurige Prognose, werden die Werte des nächsten ThüringenMonitors wahrscheinlich kein Stück besser sein. Aber damit wir jetzt nicht alle im Trübsal versinken
Die Umfragewerte des Thüringen-Monitors sind sehr ernst. Das habe ich vorhin ja auch schon mal gesagt. Ich kann und ich will und ich darf die Verantwortung, die ich auch als Landespolitiker habe, deswegen beim Durchlesen und beim Auswerten dieses Thüringen-Monitors auch gar nicht von mir weisen. Es reicht dabei eben auch nicht, immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, diese Schuldzuweisungen. Die Frage bleibt nämlich: Was können wir hier zumindest in der Landespolitik für einen Beitrag leisten? Was können wir tun, weil wir ja auch eine gewisse Vorbildwirkung haben.
Und wenn auch schon viele Menschen im Land, ich meine das zumindest herauslesen zu dürfen, Politiker nicht mehr als direkte Vorbilder betrachten, da will ich zumindest sagen, wir stehen in der Öffentlichkeit und Leute hören uns zu und nehmen das wahr, was wir hier tun, nicht nur im Livestream, generell, auch in den Nachrichten, in den Zeitungen. Ich bin fest davon überzeugt, dass zwei Sachen hier in der Landespolitik entscheidend sind, nämlich Verbindlichkeit und Nachvollziehbarkeit. Die Menschen erkennen sehr schnell, was Politik ihnen bringt. Das erkennen die dann, wenn ich die Politik auch für diese Menschen mache. Um das mal ganz griffig zu sagen – wir gehen mal in das Lieblingsthema der SPD, die Familienpolitik, das ist so ein bisschen unsere politische DNA –: Wer beispielsweise vor Ort einen guten Kindergarten hat und dabei auch noch von Beiträgen entlastet wird, der hat eine ganz praktische Erfahrung von Landespolitik. Der merkt das an seinen Kindern, der merkt das zu Hause, der merkt es auch an seinem Portemonnaie. Das ist quasi Politik zum Anfassen. Beim Gezerre und beim Herumgelärme wegen Untersuchungsausschüssen im Landtag – wir haben mittlerweile schon vier Stück – sieht das von außen betrachtet sicher ganz anders aus. – Das ist das eine. Und das andere ist: Ich habe die Hoffnung und die herzliche Bitte, dass wir auch hier in diesem Hause mit etwas mehr Respekt miteinander und in der Sache umgehen. Wie ich schon sagte, politische Zuspitzung sehr gern, aber eben, wenn es geht, auf mitteleuropäischem Niveau und nicht auf diese Art und Weise.
Ich will auch zum Schluss noch mal sagen: Sehen Sie sich doch mal allein hier in Europa oder generell in der Welt um, und dann gucken Sie in unser Land. Im Gegensatz zu vielen Menschen – auch Millionen von Kindern – auf dieser Welt leben wir hier alle seit vielen Jahrzehnten und Gott sei Dank ohne Krieg in unserer Heimat, aber mittlerweile auch – habe ich das Gefühl – ohne Frieden in der
Gesellschaft. Damit sich das zumindest ein wenig ändert, ist es, glaube ich, geradezu unsere Pflicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch und vor allem verbal ein wenig abzurüsten. Das täte uns gut und das täte auch diesem Land gut. Ich danke Ihnen.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, sehr verehrte Gäste auf der Tribüne – ich denke, viele Schüler! Sie erleben eine interessante Debatte. Noch mal zum Zusammenhang: Der Thüringen-Monitor war eine Erhebung im letzten Jahr, Zeitraum war der 19. September bis 6. Dezember des Jahres 2022. In dem Eindruck der damaligen Ereignisse sind knapp 2.000 Thüringer befragt worden, wie sie verschiedene Dinge in der politischen Lage einschätzen. Viele meiner Vorredner haben gesagt, wie hoch die Kritik an den demokratischen Institutionen ist, die Unzufriedenheit mit Politik.
Schauen wir auch mal zurück, was die Leute vielleicht damals noch bewegt hat, was wir so ein bisschen vergessen haben. Es sollten trotzdem Lehren daraus zu ziehen sein, aus den Folgen, die wir heute noch spüren. Herr Lauterbach sprach immer noch von „Killervarianten“, die uns über Corona und den Winter begleiten könnten. Passiert ist da nichts. Viele hatten das Gefühl, dass Corona zu überwinden sei und nicht der nächste Winter der Unfreiheit droht – mit Ausgangssperren, mit Restriktionen im persönlichen Leben –, sondern – von uns oft eingefordert – mit mehr Eigenverantwortung im Umgang auch mit der Grippewelle, die dann tatsächlich stärker kommt, überhaupt mit Gesundheitsfragen.
Auch da gibt es ja viele Tipps aus verschiedenen politischen Kreisen, wie man denn mit seiner Gesundheit oder mit seiner Ernährung umgeht. Ich verweise auf einen Bericht der letzten Tage, wo die Deutsche Gesellschaft für Ernährung jetzt sagt, 10 Gramm Fleisch am Tag sind genug. Das sollen dann auch Empfehlungen werden für Kindergartenessen. Also das sind die Übergriffigkeiten, die da oft gemacht werden.
Die Energiekrise war auf dem Höhepunkt. Herr Robert Habeck saß im Fernsehen und sagte, er produziert nun keine Brötchen mehr, aber er ist nicht insolvent. Das war nun mal ein Schlag in das Rechtsempfinden vieler Leute, die sagen, wenn unser Wirtschaftsminister so wenig Ahnung von dem hat, wofür er eigentlich verantwortlich ist, dann haben wir ein gestörtes Vertrauensverhältnis. Gleichzeitig wollte er eine Gasumlage nehmen, die es dann begradigen sollte. Die Leute hatten Angst, dass bei den Energiepreisen das Zehnfache droht. In diesem Umfeld ist das entstanden, worüber wir heute reden.
Kernsatz von unserem Ministerpräsidenten war: Der Motor unseres Gemeinwesens läuft, ohne zu stottern. Steile These ob der Feststellung in dem Monitor – ich zitiere noch mal: Die Ergebnisse des aktuellen Thüringen-Monitors unterstützen uns in dem Bestreben, den ländlichen Raum als Zentrum unseres Landes zu sehen. Seit 2014 zeigen wir erfolgreich als rot-rot-grüne Regierung, dass der ökonomische und gesellschaftliche Wandel kein unabänderliches Naturereignis ist, sondern gestaltet werden kann. Unser Anspruch in allen Landesteilen, gleichwertige Landesverhältnisse zu schaffen und niemanden zurückzulassen, wird auch künftig Maßstab unseres Handelns sein.
Dies kann man sich nicht einreden, die Ergebnisse sind nämlich anders, sonst würde uns der Thüringen-Monitor ja nicht eines Besseren belehren.
Wenn der überwiegende Teil der Menschen sagt, wir fühlen uns abgehängt, dann muss man das akzeptieren. Wir können doch nicht die Realität ändern und sie so lange passend machen, bis sie zu dem passt, was wir uns einbilden. Da sind Leute befragt worden, die sagen, wir fühlen uns abgehängt. Und abgehängt fühlt man sich, wenn man sich nicht mehr mitgenommen fühlt von diversen Entscheidungen. 64 Prozent der Leute sagen, wir müssen uns aktiv sogar gegen die Politik stellen. Das halte ich ja für noch dramatischer als zu sagen, ich bin mal unzufrieden mit der einen oder anderen Entscheidung. Aber das Bündel der Entscheidungen scheint die Leute so aufzubringen, dass sie sagen, wir müssen uns aktiv dagegen wenden. Das sind Entwicklungen, die wir doch nicht hinnehmen wollen.
Ich nehme mal ein paar Beispiele, auch wenn es negiert wird: Es ist der Eindruck da draußen, dass Gendern zur Vorschrift gemacht wird in gewissen Kreisen.
Dann gehen Sie raus aufs Dorf, gehen Sie raus auf ein Volksfest, gehen Sie raus auf den Fußballplatz und reden mit den Leuten!
Das ist deren Eindruck. Den können wir nicht wegdiskutieren. Nehmen Sie doch mal die Leute ernst! Nehmen Sie mal endlich die Leute ernst!
Wenn Sie denen sagen, ihr dürft nicht mehr Mohrenköpfe oder Schokoküsse essen, dann lachen die sich kaputt. Und die sollen auch „Layla“ singen, so lange sie Spaß daran haben. Das ist nicht unsere Sache, jemandem vorzuschreiben, was er singt, was er macht.
Über das Klimakleben haben wir gesprochen und wenn 800 Demonstranten gestern allein in Leipzig nach dem Prozess gegen Lina E. wieder Gewalt gegen die Polizisten ausüben, mit Pyros und Flaschen auf Polizisten werfen, dann ist das Rechtsgefühl gestört.
Und das haben wir in Lützerath gesehen und da muss eine gewaltige Reaktion von allen kommen zu sagen, das ist nicht hinnehmbar.
(Zwischenruf Abg. Schubert, DIE LINKE: Steht das im Thüringen-Monitor, Herr Kem- merich? Sie reden doch gar nicht zur Sache!)
Ich rede über die Unzufriedenheit dieser Gesellschaft, Herr Schubert, und Sie haben doch auch Ihre eigene Welt, in der können Sie gleich noch weiter versumpft bleiben, aber gehen Sie mal raus und reden Sie mit den Leuten! Darum geht es.
Die wirtschaftliche Lage Thüringens wird so schlecht beurteilt wie lange nicht. Obwohl wir seit Jahr und Tag eigentlich grundsätzlich gute Zahlen haben, hat aber jeder das Gefühl, es geht bergab. Und wo spürt er das denn? Es geht bergab im Mangel von Fachkräften, es geht bergab in verschiedenen Dysfunktionalitäten dieses Landes. Heute war zu lesen, dass junge Menschen auf BAföG-Anträge monatelang warten müssen. Laut Recherche des MDR liegt das unter anderem auch daran, dass wir technisch nicht in der Lage sind, in den BAföG-Stellen auch online übersandte Anträge zu bearbeiten. Die werden ausgedruckt und dann bearbeitet. Das muss man sich vorstellen. Wenn das jemand liest,
sagt der: Ich bin skeptisch bis erschüttert. Und dasselbe gilt für Wohngeldanträge. Wir haben die Tage diskutiert über Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Bei Steuererklärungen, konnten wir die Tage lesen, sind wir noch langsamer geworden. All das ist, was die Leute spüren.
Konkret – und wir wollen ja nicht ins Meckern einfallen, das sollen Aufforderungen sein, es besser zu machen. Krankenhausplan – Kollege Robert Montag hat es gesagt: Es geht nicht darum, dass er nicht existiert. Es geht aber darum zu sagen, dann macht es doch endlich mal. Herr Ramelow sagt, die Regierung nimmt das alles ernst. Ja, dann handeln Sie an der Stelle! Hausärztemangel, Fachkräftemangel, Zahnärzte werden gesucht – all das ist doch, was die Bevölkerung spürt und weshalb sie sagt: Ich lebe auf dem Land, wo kann ich denn in Zukunft meine ärztliche Versorgung haben?
Personalmangel an den Schulen – Herr Hey, glaube ich, war es –: Es ist zu einfach zu sagen, ich bin dann 70 und habe damit nichts mehr zu tun. Ich glaube, jeder macht sich Sorgen um das Bildungssystem, weil es dann auch die Enkel betrifft. Vielleicht sind die Kinder und die Enkel inzwischen so alt, dass sie auch mal Kinder haben wollen und sich Sorgen machen, wo ist der Kindergarten, wo ist die Schule. Es ist doch kein Witz, wenn 20.000 Stunden ausfallen, 10.000 Stellen nicht besetzt werden und jeder, den man fragt, sagt, es kann nur noch schlechter werden.
Kollege Voigt hat es gesagt, es ist doch ein Anspruch an unsere Gesellschaft zu sagen, wir akzeptieren nicht einen, und zwar nicht einen Schüler, der die Schule ohne Abschluss verlässt, und wir haben 10 Prozent. Das sind 15.000 Menschen, die es unheimlich schwer haben im Leben und wo wir mit irrem Aufwand dann das reparieren wollen. Das ist nicht hinnehmbar.
Corona-Aufholprogramm – na ja, wenig da von der Regierung, an die Adresse von Herrn Holter –: 40 Millionen Euro werden nicht genutzt und an den Bund zurückgezahlt. Corona-Aufholprogramm, das ist die Möglichkeit, Dinge, die wir durch Corona verloren haben, wieder auf den Stand zu bringen. Das ist unsere Bringschuld an die nächste Generation, die nicht dort im Regen stehen zu lassen. Ich erlebe das doch von Personalverantwortlichen in diversen Stellen, wenn ein Jugendlicher heute mit 16 Jahren kommt, dann sagen die, ich fühle mich noch nicht reif für die Lehre. Mit 18 kommen die Leute, ich muss noch mal mehr vom Leben lernen, denn mir fehlen zwei Jahre, und im Alter zwischen
Digitalisierung habe ich schon gesagt, Investitionsstau bei den Kommunen, die der Monitor seit 2017 erfasst. Ja, passieren tut da nichts. Die Ruinen, die man örtlich in den Kommunen und Gemeinden sieht, werden größer, und da hilft es auch nicht, 32 Kümmerprogramme zu nennen. Wir haben viel mehr Gemeinden. Die Probleme werden nicht kleiner, indem wir an Leuchttürmen etwas lösen, nein, wir müssen allumfassend auch den Kommunen die Möglichkeit geben, sich selbst zu helfen. Das mahnen die ewig an. Die wissen selbst, wo der Schuh drückt. Aber wenn das permanent ignoriert wird und einer von oben sagt, ich weiß das besser, dann passiert das.
Diskussion ÖPNV – und auch das ist nicht ein Vorwurf, zu sagen, ich fahre sowieso Auto, deshalb ist mir das mit dem Bus egal. Die Leute verstehen diese einseitige Fokussierung auf den ÖPNV nicht. Sie brauchen die individuelle Mobilität, um ihr eigenes Leben damit zu gestalten, um selber einkaufen zu können, wenn die Einkaufsmöglichkeit weit weg ist, um selber zum Arzt zu kommen, weil der Arzt nur in der Stadt ist und, und, und. Und wenn wir uns dann freuen über 10 Millionen ÖPNV-Tickets nach dem neuen Deutschlandticket, dann heißt das, 70 Millionen haben keins gekauft. Und von den 10 Millionen – so habe ich die Zahl gehört – haben es 700.000 neu erworben, vielleicht um in den Urlaub zu fahren, es gibt ja tausend gute Gründe. Aber noch mal: 70 Millionen haben es nicht gemacht, weil, ob der Bus für 9 Euro, für 49 oder 99 Euro nicht kommt, er kommt nicht zu dem Zeitpunkt, zu dem ich ihn brauche.
Deshalb ist das eine urbane Diskussion, die wir da führen, zulasten des Wertegefühls der Menschen auf dem Land. Das können wir jetzt diskutieren, wie wir wollen, wie viel Menschen auf dem Land oder nicht dort leben, aber die Mehrzahl lebt in Thüringen nun mal eher ländlich. Insofern kommt es dann auch zu diesen Punkten.
Der Posten des Polizeipräsidenten ist nicht besetzt. Das kann man wegtun – nein –, aber es ist doch eine ganz wichtige Aufgabe, wenn ich die Funktionsfähigkeit des Vollzugs und der Polizei stärken will. Dann ist doch eine der ersten Aufgaben, genau diesen wichtigen Posten möglichst schnell zu besetzen.
Migration: Wir können auch viel diskutieren und der Ministerpräsident hat ja auch versucht, das wieder ein bisschen einzudämmen, aber was blieb denn hängen? Wir haben einen Migrationsgipfel, täglich hören wir Nachrichten über illegale Migration gerade über die polnische Grenze. Und wir müssen diskutieren, dass dieser Sozialstaat nur überleben kann, wenn wir seine Außengrenzen wirksam schützen. Wir müssen darüber diskutieren, dass illegale Migration nicht hinnehmbar ist, genauso ein weiteres Verbleiben in Deutschland, also Abschiebepraxis und Migration müssen überprüft werden, müssen geordnet sein. Es gibt einen Migrationsgipfel in Berlin und das Erste, was danach publiziert wird, ist eine Protokollnotiz unseres Ministerpräsidenten, der sich dort gegen die Beschlüsse – ich will die jetzt nicht kommentieren –, aber gegen die Beschlüsse stellt und vielleicht auch falsch verstanden wird – ich kenne nur das, was veröffentlicht worden ist – und sagt: Wer drei Jahre hier ist, muss ein absolutes Bleiberecht bekommen. Er hat es jetzt relativiert mit den Spurwechselmöglichkeiten. Es ist uns auch ein Graus, dass Leute, die über Jahre in Deutschland, in Thüringen leben, die Sprache können, einen Job haben, Kinder in der Schule haben, dass wir gerade diese Leute abschieben. Das ist völlig unhinnehmbar. Aber es gibt genug Leute, die hier keinen gültigen Aufenthaltstitel mehr haben, die keine Bleibeperspektive bekommen werden. Und die Abschiebepraxis müssen wir uns vornehmen. Deshalb ist es kontraproduktiv, dieses Rechtsgefühl zu stören und gleichzeitig eine Nachrichtenlage zu haben, in der zwangsweise weitere Flüchtlinge nach Gera und in den Landkreis Gotha zugewiesen werden. Ich habe mit dem Oberbürgermeister von Weimar gesprochen. Der sagt: Ich kann die Leute nur noch auf den Flur legen. Hat ja gar keine böse Absicht, das nicht zu tun. Aber wenn sie es nicht können, dann können sie es objektiv nicht.
Und das spüren die Leute, dass sie da in eine Überforderung hineingeraten und das nennt man dann auch Abgehängtsein.