Protocol of the Session on February 25, 2022

(Beifall)

Der Bezirk Magdeburg hate intensive Beziehungen zum Oblast Donezk, die Stadt Magdeburg zur Stadt Donezk - seit den 60er-Jahren bis hinein in das Jahr 1997, dann ist sie von deutscher Seite aufgekündigt worden. Mein Bruder hat dort studiert.

Auch die PerspekƟve der Menschen aus Donezk ist übrigens interessant, sie ist sehr differenziert in diesem Konflikt. Es gehört zur Wahrheit und zu unserer Verantwortung, auch deren PerspekƟve wahrzunehmen.

Jetzt haben wir hier einen gemeinsamen Antrag der demokraƟschen FrakƟonen vorliegen. Ich sage: Das ist verdammt viel wert.

(Starker Beifall)

Wenn wir die PerspekƟve der Menschen einnehmen, dann ist es, glaube ich, ganz wichƟg, an dieser Stelle auf unsere humanisƟschen Verpflichtungen einzugehen. Ich will gern noch einen Punkt hinzufügen. Ja, wir haben eine humanisƟsche Verpflichtung gegenüber den Menschen, die in der Ukraine betroffen sind und die aus der Ukraine fliehen. Aber es ist - das ist hier gesagt worden - vielleicht wahnsinnig wichƟg, die Proteste, die es in Russland jetzt gibt, zu unterstützen. Das werden wir aus der Ferne durch Unterstützung tun können. Am Ende ist es der entscheidende Mut der Menschen, die sich dort jetzt auf die Straße stellen, die ich bewundere.

(Beifall)

Lassen Sie uns hier aber ein weiteres Signal aussenden. Was sollte uns davon abhalten, jedem Russen, der sich diesem Krieg verweigert, Asyl zu gewähren, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall)

Das wäre doch mal ein Akt für den Frieden.

Jetzt kommen wir zu den Kriegsursachen. Jetzt kommen wir zur NATO-Debate. Ja, die NATO, der Westen insgesamt hat seit 1990 viele Fehler gemacht. Es gab an vielen Stellen die Möglichkeit, eine solche wiedererstehende bipolare SystemkonfrontaƟon, die es übrigens gar nicht

ist, weil die Systeme zumindest ökonomisch gesehen gar nicht mehr so unterschiedlich sind, zu vermeiden. Das wäre möglich gewesen. Dafür, dass das nicht geschehen ist, tragen viele die Verantwortung.

Dass es Völkerrechtsbruch durch Krieg in Europa auch nach 1990 gegeben hat,

(Zustimmung - Zuruf: Ja!)

das haben wir im Jugoslawienkrieg gesehen, und zwar bei dem wirklichen Genozid in Bosnien durch Serben. Das haben wir aber auch im Jahr 1999 bei dem Kosovokrieg gesehen, der völkerrechtswidrig war; darüber herrscht inzwischen Einigkeit. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass PuƟn diesen Kosovokrieg jetzt genüsslich als Drehbuch für seine IntervenƟon in der Ukraine zelebriert. So ehrlich müssen wir sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Aber - das ist der große Unterschied - das MoƟv für den Ukrainekrieg ist gerade nicht die NATO, sind gerade nicht die Fehler des Westens. Das dient PuƟn als LegiƟmaƟon, als Begründung, aber das ist nicht die Ursache. Darüber müssen wir uns einig sein.

(Beifall)

PuƟn hat sehr deutlich gesagt, was der Hintergrund dieser IntervenƟon ist. PuƟn hat sehr deutlich gemacht, dass es eine naƟonalisƟschmilitarisƟsche Großmachƞantasie ist.

(Zustimmung)

Das ist das MoƟv für den Überfall auf die Ukraine: naƟonalisƟsche, militarisƟsche GroßmachtpoliƟk. Das ist der Hintergrund. PuƟn hat sehr deutlich gesagt, was er will: Sowjetunion ohne Republiken und ohne Sozialismus. Das ist seine

historische Mission, sehr klar - das ist das, was übrigens die poliƟsche Dimension für uns noch einmal deutlicher macht; denn diese ArgumentaƟon kann man nicht nur auf die Ukraine übertragen, sondern fakƟsch auf jede ehemalige Sowjetrepublik -, und zwar ausdrücklich und nur mit der Macht des Stärkeren. Das ist die Ideologie, die diesem Krieg zugrunde liegt. Das ist die zentrale MoƟvaƟon, um die es hier geht. Das ist die Gefahr.

Ich sage noch einmal: Auch ich - das sage ich mit aller Deutlichkeit - habe mich in PuƟn geirrt und habe mich in der poliƟschen Ausrichtung der PuƟn-AdministraƟon geirrt. Ich hate mir über seine moralischen Kompetenzen keine Illusion gemacht. Ich habe ihn aber immer für einen eiskalten MachtpoliƟker gehalten. Dazu muss ich sagen: Darin habe ich mich leider geirrt. Er ist kein eiskalter MachtpoliƟker. Er ist inzwischen ein besessener, naƟonalisƟscher Militarist mit der Hand am Atomsprengkopf.

(Zustimmung)

Das ist die eigentliche Dimension, um die es hier geht.

(Beifall)

Deswegen ist die Frage nach der ReakƟon auf diese SituaƟon so schwierig und kompliziert, weil es natürlich einen GerechƟgkeitsimpuls gibt. Der GerechƟgkeitsimpuls sagt: BestraŌ diesen Mann, bestraŌ dieses Russland, bestraŌ diese Aggression. Das Problem ist nur, dass genau das die einkalkulierte ReakƟon ist. Das ist genau deswegen die einkalkulierte ReakƟon, weil sie wiederum auf PuƟns Seite zur LegiƟmaƟon und zur Begründung der nächsten Eskala- Ɵonsstufe dient. Das ist der Unterschied zwischen PoliƟk und GerechƟgkeit.

Ich will deswegen etwas zu den SankƟonsfragen sagen. Zur Debate um Nord Stream 2. Ich muss

noch einmal ganz klar sagen: Sie ist inzwischen so lächerlich, dass man sie im Grunde genommen wirklich vergessen sollte. Nord Stream 2 exisƟert, aber Nord Stream 2 geht nicht in Betrieb. Nord Stream 2 wäre auch im nächsten Jahr oder zumindest in diesem Jahr auch ohne diese Aggression nicht in Betrieb gegangen. Wer jetzt Nord-Stream-2-Debaten unter den Begriff SankƟonen fasst, der macht sich selbst etwas vor oder hat keine Ahnung.

Wir können ehrlich sein. Wir können massive WirtschaŌssankƟonen fordern. Das können wir tun. Aber das würde bedeuten: ab morgen kein russisches Gas, kein russisches Öl mehr. Interessanterweise hat das bisher kaum jemand oder noch niemand aus Deutschland gefordert. Warum? Weil es uns selber treffen würde? - Natürlich würde es uns selber treffen.

Aber - darin mögen Sie jetzt nicht alle meiner Meinung sein - ich glaube, es häte noch eine andere Dimension. Das ist die Frage: Wie funkƟoniert dieses Russland? - Dieses Russland funkƟoniert jetzt so, weil Russland ein riesiges Problem hat. Russland hat keinen InnovaƟonsschub gekriegt. Russland gründet sich auf eine einzige zentrale Wertschöpfung und das ist der Export fossiler Energie. Das ist die AlternaƟv- und Ausweglosigkeit dieses Landes und deswegen ist Krieg aus der PerspekƟve dieses Landes so attrakƟv. Es gibt zurzeit keine russische ZukunŌsperspekƟve, weil die substanzielle Grundlage Russlands der Export fossiler Energie ist. Das ist ein endliches Verfahren.

Nur - das sage ich auch -, wissen Sie, was passiert, wenn dieser Cut jetzt erfolgt? - Es würde fakƟsch über Monate hinweg zu einem Zusammenbruch der gesamten sozialen, ökonomischen und poliƟschen SituaƟon in Russland führen, nicht nur zur massiven Verteuerung bei uns.

Und der Präsident hat die Hand am Atomsprengkopf, das hat er vorgestern sehr deutlich

gesagt. Deswegen ist es kompliziert und schwierig, jetzt internaƟonal darauf zu reagieren. Deswegen halte ich die KriƟk am Bundeskanzler in den letzten Wochen für übermäßig überzogen und im Wesentlichen falsch. Mein letzter Satz ist: Lassen Sie uns heute hier ein gemeinsames Signal der Demokraten für den Frieden aussenden, in Verantwortung für das, was wir erleben und was unsere Kinder in der nächsten GeneraƟon erleben. - Danke.

(Beifall)

Herr Gallert, Herr Tillschneider hat eine Frage. - Herr Tillschneider, bite.

Wie Sie die russische AkƟon, die aus der Bedrohung Russlands durch die NATO-Osterweiterung resulƟert, in einen imperialen Akt umgedeutet haben, das war, würde ich sagen, vollendetes transatlanƟsches Vasallentum von links, wie nur Sie das können.

(Zuruf: Oh!)

Jetzt will ich Ihnen eine Frage stellen, und zwar kann ich mich erinnern, dass Sie vor nicht allzu langer Zeit, in der letzten Legislaturperiode, hier im Plenum voll des Lobes waren über George Soros. Dieser George Soros, den Sie damals so sehr gelobt haben, hate auch seine Finger im Spiel, als in der RevoluƟon in der Ukraine, im Euromaidan, in der gemachten RevoluƟon, die Ukraine von einem Staat pro Russland zu einem Staat pro Westen gedreht wurde, was die Voraussetzung dessen ist, was wir heute erleben.

Wenn ich Ihnen jetzt zugehört habe, wie Sie über Russland gesprochen haben, über die inneren Verhältnisse in Russland, was dort jetzt ge-

schieht, wie DemonstraƟonen angestachelt werden, will ich Sie fragen, ob Sie so etwas wiederholen wollen, diesen Wanderzirkus der DemokraƟe unter dem Namen des George Soros,

(Zuruf: Unglaublich!)

ob Sie das gut finden, dass das jetzt in Russland gemacht wird, und ob Sie das unterstützen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Alles antisemiti- sche Chiffren! - Zurufe: Da ist es wieder! - Also, das ist unglaublich! - Weitere Zurufe)

Ich würde es einmal so sagen: Nehmen Sie das, was der Mensch dort eben erzählt hat, und veröffentlichen Sie es unter der ÜberschriŌ: Was ist AnƟsemiƟsmus des 21. Jahrhunderts?

(Lang anhaltender Beifall)

Danke. - Wir setzen fort. Für die FDP-FrakƟon hat der FrakƟonsvorsitzende Herr Silbersack das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir in Sachsen-Anhalt leben in einem Landstrich, an dessen Grenze jahrzehntelang eine militärische KonfrontaƟon nie auszuschließen war. Wir kennen die Beklemmungen, die mit dem Gedanken verbunden sind, sich die eigene Heimat als Schlachƞeld vorstellen zu müssen. So tödlich real, wie es die Menschen in der Ostukraine seit Jahren erleben und wie es die Menschen in der übrigen Ukraine dieser Tage befürchten müssen, wurden sie bei uns glücklicherweise nicht. Wir sollten uns aber da-

ran erinnern, wenn sich der Impuls regt, dass uns das Schicksal der Menschen dort gar nichts anginge.

Die Sprache, die Wladimir PuƟn zum Einmarsch auf ukrainisches Staatsgebiet gewählt hat, zeigt deutlich, dass es ihm um die Begleichung alter Rechnungen geht, Rechnungen, von denen er und vielleicht die Staatssicherheit in Russland meinen, dass sie aus dem Zusammenbruch der alten Sowjetunion offengeblieben sind. Tatsächlich ging es damals um den Willen der Menschen, eigene Staaten zu gründen, ob das Kasachstan ist, ob das die Ukraine ist, ob das die balƟschen Staaten sind.

Auch wir in Ostdeutschland haben es gewagt, unser Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, und die Besatzungstruppen zum Gehen aufgefordert. Ich bin dem Ministerpräsidenten für seine Worte sehr dankbar. Als Erster Vizepräsident des Bundesrats vertrit er derzeit ein oberstes Bundesorgan. Allein schon deshalb ist es mehr als angemessen, dass er zu dieser besorgniserregenden außenpoliƟschen Lage hier bei uns im Parlament Stellung bezogen hat.