Protocol of the Session on December 8, 2005

Ich denke, die Wirklichkeit sieht durchaus anders aus. Das Glas ist nicht halb leer. Es ist auch nicht nur halb voll. Es ist mindestens dreiviertel voll.

(Frau Kachel, SPD: Das stimmt nicht! - Zuruf von Frau Schmidt, SPD - Oh! bei der CDU)

Es gibt auch immer Sachen, die man noch verbessern kann. Diesbezüglich gebe ich Ihnen natürlich Recht. Aber ein Stückchen mehr Anerkennung der geleisteten Arbeit täte uns, denke ich, allen gut. Kritik ist wichtig. Aber sie muss nicht gleich vernichtend sein.

Zurück zu der Anfrage. Zuerst richte auch ich einen herzlichen Dank an die Landesregierung für die akribische Beantwortung der Großen Anfrage. Bedanken will ich mich auch bei der Fraktion der Linkspartei.PDS, dass sie diese Aussprache hat auf die Tagesordnung setzen lassen; denn das gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, wie viel Positives gerade in den letzten vier Jahren auf den Weg gebracht worden ist.

Die Lektüre der Antwort lohnt sich auch für diejenigen, die sie vielleicht noch nicht gelesen haben. Die Antwort ergibt meines Erachtens ein außerordentlich positives Resümee des Einsatzes der Landesregierung für ein barrierefreies Sachsen-Anhalt.

Da sowohl der Tag der Menschen mit Behinderungen als auch der Tag des Ehrenamtes erst wenige Tage her sind, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um mich auch von dieser Stelle aus bei allen engagierten Menschen zu bedanken, die sich haupt- und vor allem ehrenamtlich in der Arbeit mit und für Menschen mit Behinderungen engagieren.

Von hier aus auch noch einmal stellvertretend einen herzlichen Dank, einen herzlichen Glückwunsch und weiterhin viel Erfolg dem Allgemeinen Behindertenverband Sachsen-Anhalt, der am Wochenende sein 15-jähriges Jubiläum feierte.

(Beifall im ganzen Hause)

Wenn ich schon einmal bei Dank und Glückwünschen bin, dann mache ich gleich weiter; denn offensichtlich ist es auch den engagierten Streitern des ABiSA nicht entgangen, dass die Landesregierung sich intensiv für ein barrierefreies Sachsen-Anhalt einsetzt. Als Dank für die geleistete Arbeit ist am Samstag unser Bau- und Verkehrsminister mit der Ehrenmitgliedschaft im ABiSA ausgezeichnet worden. Er ist jetzt leider nicht da. Aber ich gratuliere ihm auf jeden Fall ganz herzlich.

(Beifall bei der CDU)

An dieser Stelle ein kurzer Einschub; ich habe das in mein Konzept aufzunehmen vergessen: Der Wettbewerb „Barrierefreie Kommunen“ ist im Jahr 2003 erfolgreich durchgeführt worden und der zweite von 2005 ist derzeit in der Auswertung. Nach meinen Informationen tagt in der nächsten Woche die Jury. Im Januar 2006 werden wir im Rahmen der Landtagssitzung die Preisträger beglückwünschen können. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Erfolg.

(Beifall bei der CDU)

Gerade im Bereich der Zuständigkeit des Bau- und Verkehrsministeriums ist nicht nur in den letzten vier, sondern natürlich in den vergangenen 15 Jahren Hervorragendes passiert. War zu DDR-Zeiten „Barrierefreiheit“ fast ein Fremdwort, so ist sie inzwischen größtenteils zu einer Selbstverständlichkeit geworden. - Herr Dr. Eckert, ich sage bewusst „größtenteils“; denn diese oder jene Gedankenlosigkeit, einige Barrieren in den Köpfen und vielleicht auch diese oder jene Gesetzesregelung sind sicherlich eine Diskussion wert.

Zurück zu der Antwort auf die Große Anfrage. Um nur einiges aufzugreifen, nenne ich erst einmal Zahlen zum ÖPNV. Jeder von uns kennt noch die guten, alten Tatra

Straßenbahnen. Für viele sind sie auch heute noch ein Graus. Für Behinderte, für ältere Menschen und für Mütter oder Väter mit Kinderwagen war oder ist der Einstieg eine schwer zu überwindende Hürde.

Heute sind diese Bahnen bei uns kaum noch im Einsatz. Dafür gibt es im Land Sachsen-Anhalt inzwischen fast 200 geförderte Niederflurstraßenbahnen. Hinzu kommen wiederum geförderte Niederfluromnibusse und natürlich auch behindertengerechte Haltestellen. Dies alles hat zu einer wesentlich verbesserten Mobilität älterer oder behinderter Menschen geführt. Fast überall wurden die Verbesserungen im Bereich des ÖPNV auch gemeinsam mit Vertretergremien behinderter oder älterer Menschen auf den Weg gebracht.

Nun will ich zu einem weiteren Thema kommen, der Interessenvertretung von Seniorinnen und Senioren und von Menschen mit Behinderungen. Auch in diesem Bereich hat sich in den letzten 15 Jahren viel getan. Den Landesseniorenrat kennt inzwischen jeder. Das seniorenpolitische Forum im Landtag ist bereits zu einer hervorragenden Tradition geworden. In diesem Jahr fand auch das erste behindertenpolitische Forum statt. Es fand leider nicht im Landtag statt; darüber haben wir auch diskutiert. Aber das nächste Form soll in diesem Hohen Hause stattfinden.

Weiterhin hat inzwischen fast jeder Landkreis einen Behindertenbeauftragten bzw. eine Behindertenbeauftragte. Außerdem sind in einigen Landkreisen zusätzlich Behindertenbeiräte tätig. In den meisten Landkreisen haben sich Seniorenbeiräte bzw. Seniorenvertretungen gebildet.

Teilweise gibt es auch Seniorenbeauftragte. So hat zum Beispiel die Stadt Magdeburg seit etlichen Jahren einen ehrenamtlichen Seniorenbeauftragten, der vom Stadtrat gewählt bzw. bestellt wird. Der Seniorenbeauftragte und der Behindertenbeauftragte haben Rederecht zu senioren- bzw. behindertenrelevanten Themen im Stadtrat und in den jeweiligen Ausschüssen. Auch bei diversen Drucksachen sind die Beauftragten zu beteiligen.

Dieses Recht nehmen die Beauftragten - das weiß ich aus Erfahrung - engagiert wahr. Ich denke, es ist ein wichtiges Zeichen an diese Gruppe, dass auch ihr Recht und ihre Interessen und Wahrnehmungen bei Beschlussfassungen im politischen Raum berücksichtigt werden.

Auch dieses Engagement hat zu vielen Verbesserungen auf dem Weg zu einem barrierefreien Sachsen-Anhalt beigetragen. Ich bin mir sicher, dass wir uns alle, egal in welcher Fraktion oder Funktion, weiterhin erfolgreich auf diesem Weg bewegen werden. Ein wirklich barrierefreies Sachsen-Anhalt, sowohl materiell als auch ideell, sowohl infrastrukturell als auch in den Köpfen, wird auch weiterhin eines der wichtigsten Ziele einer zukunftsweisenden Politik sein müssen und auch sein. Ich wünsche uns allen dabei viel Erfolg im Interesse der Menschen in unserem Land. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Schwenke, möchten Sie eine Frage beantworten? - Bitte schön, Frau Schmidt.

Herr Schwenke, Sie haben den Tag des Ehrenamtes erwähnt und das in einen Zusammenhang mit der Auswertung der Großen Anfrage gebracht. Ist Ihnen wäh

rend des Empfanges in der Kantine nicht auch aufgefallen, dass das alles andere als behindertengerecht war?

Ich hatte jemanden aus dem Kreis da, der vor längerer Zeit einen Schlaganfall hatte. Diesem Gast fiel das Sitzen an den Tischen garantiert schwer. Ich habe anschließend versucht, einem Rollstuhlfahrer beim Essenholen zu helfen. Den beiden anwesenden Rollstuhlfahrern blieben hinten im Speisesaal nur zwei Tische mit dem Blick zur Wand. Es waren keine Tische für Leute da, die nicht auf Stühlen sitzen, nur die Tische an der Wand, wo man aber nicht essen konnte. Geben Sie mir dahin gehend Recht, dass das damit nun gar nichts zu tun hatte?

Frau Schmidt, nun war ich bei dieser Veranstaltung nicht zugegen. Ich habe zu diesem Zeitpunkt an einer anderen Veranstaltung im Theater teilgenommen. Aber ich habe zugegeben, dass es Gedankenlosigkeiten gibt, die man sicherlich zukünftig verhindern sollte. Ich könnte auch ein paar ähnliche Storys erzählen. Diese verdienen Kritik. Darin haben Sie Recht. An dieser Stelle muss man es beim nächsten Mal besser machen.

(Frau Kachel, SPD: Alles solche Sachen!)

Vielen Dank, Herr Schwenke. - Nun spricht für die SPDFraktion Herr Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir finden es auch gut, dass die Fragesteller immer wieder darauf aufmerksam machen, wie es mit der Barrierefreiheit im Land aussieht. Da ist es natürlich das übliche Spiel - das kennen wir auch -, dass die Regierungsfraktionen erst einmal das Positive herausheben. Das haben Sie auch eben gemacht. Nun können Sie doch nicht von der Opposition verlangen, dass wir gleich Glückwunschtelegramme zu Ihnen hinüberschicken und Lobeshymnen singen. Das ist nach der Verfassung auch nicht die Aufgabe der Opposition,

(Beifall bei der SPD)

sondern die Opposition soll die Regierung kontrollieren und nicht Glückwünsche aussprechen. Daher tun wir das auch.

(Herr Kosmehl, FDP: Au! - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Ich glaube, davon steht in der Landesverfassung nichts drin.

Wenn man sich die vorliegenden Antworten einmal genauer durchliest, Herr Kosmehl, dann sieht man, dass manches hervorgehoben und manches ein bisschen verschleiert wird. Manchmal wird auch etwas zugegeben. Aber man hat generell den Eindruck, eigentlich ist es lästig, dass man diese Fragen beantworten muss. Kommen die schon wieder! Wir machen doch eigentlich genug.

Deswegen ist es wichtig, auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen. Interessanterweise ist mir gleich auf der zweiten Seite dasselbe wie Herrn Dr. Eckert aufgefallen.

Woher kommt dieser Satz, dass der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben für viele Menschen, wenn

sie älter werden, an Bedeutung verliert? - Ich glaube, jeder Mensch hat ein Leben lang diesen Wunsch. Jeder Mensch hat doch den Wunsch, dass er bis zum Ende seines Lebens selbstbestimmt leben kann - ob er immer erfüllt werden kann, ist eine völlig andere Frage.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS)

Bei der zweiten Bemerkung, dass die vollständige Barrierefreiheit dazu beitragen kann, dass man Fähigkeiten verliert, dachte ich schon, dass jetzt wahrscheinlich die Fahrstühle herausgerissen werden müssen und alle wieder Treppen steigen sollen, damit man sportlich tätig ist und Kraft bekommt. - Das kann ja aber alles nicht gemeint sein. Was dahinter steckt, mag richtig sein, aber in dem dargestellten Zusammenhang wirkt es sehr eigenartig.

Ich habe mir vorgenommen, ein bisschen weiter als das Papier zu gehen und ein paar Dinge herauszukriegen; denn man kann ihm ja nicht umfassend beikommen: Auf den Seiten 3 und 4 wird dargelegt, dass die Landesregierung das seniorenpolitische Konzept bis zum Ende des Jahres 2006 vorstellen wird. Das verschiebt sich ja immer wieder durch Studien und Ähnliches. Erst sollte es Mitte und dann Ende dieses Jahres vorgestellt werden. Im Ausschuss haben wir dann erfahren, dass es demnächst erst einmal mit den Seniorenvertretungen beredet wird.

Unterdessen waren die Seniorenvertretungen mit ihrem Vorsitzenden Herrn Neugebauer einmal bei unserer Fraktion und vielleicht auch bei anderen Fraktionen. Dabei haben wir mitgekriegt: Es stimmt schon. Die kriegen schon Material in die Hand geliefert, obwohl das seniorenpolitische Forum einen Beschluss gefasst hat, dass die Landesregierung und der Landtag ein gemeinsames Konzept erstellen sollen. Wir erfahren jetzt aber über die Seniorenvertretungen, was die Landesregierung vorhat. Direkt haben wir es noch nicht erfahren. Das ist sehr fragwürdig.

Die Anreize zur Schaffung von altengerechtem Wohnraum: Ich weiß - das betrifft den Neubau von Pflegeheimen, der eigentlich abgeschlossen ist -, dass Artikel 52 des Pflegeversicherungsgesetzes ein gutes Instrument war. Wenn die Kommunen sagen, sie schaffen altengerechten, betreuten Wohnraum, dann hat das Land die Investitionen in Pflegeheime zu 100 % gefördert. Ich hätte einmal gern genau gewusst, wie viele Kommunen diese Förderung eigentlich in Anspruch genommen haben und wie viel Wohnraum entstanden ist. Darüber steht nichts in der Antwort. Das hätte ich gern genauer gewusst.

So ähnlich geht es immer weiter. Auf der Seite 8 steht die Frage: Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zur barrierefreien Zugänglichkeit von Rathäusern und Landratsämtern und wie schätzt sie die Situation ein? - Rathäuser und Landratsämter sind ganz wichtige Institutionen, aber die Antwort lautet: Darüber liegen keine Erkenntnisse vor.

Ich habe mir gedacht, das kann doch nicht wahr sein. Wenigstens bei den 21 Landratsämtern und bei den drei großen Städten müsste man es doch herauskriegen. Das geht aber nicht.

(Zustimmung bei der SPD - Minister Herr Dr. Daeh- re: Na, Sie wissen es doch für Magdeburg!)

- Na ja, gut. Dann weiß ich es für eine Stadt und das ist gut. Ich dachte, die Landesregierung ist für das ganze

Land zuständig und nicht nur für Magdeburg. Magdeburg ist gut, die haben es umgebaut.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Links- partei.PDS)

- Herr Daehre, an Ihrer Stelle würde ich mir den Schuh gar nicht anziehen; denn manches, was bei Ihnen läuft, ist gar nicht so schlecht.

(Minister Herr Dr. Daehre: Danke!)