Wir werden uns auch morgen, nach der Diskussion, nicht alle einig sein; das ist ganz sicher. Wir wussten vorher, als wir diese Reform begannen, von der ich be
haupte, dass sie die letzte größere Reform in dieser Legislaturperiode sein wird, dass wir nicht nur eine schwierige Reform beginnen, sondern dass wir uns in vielen Zielvorstellungen nicht alle einig sein werden. Das hat auch die Debatte jetzt wieder gezeigt.
Die Erinnerungen an den Meinungswandel, den wir in den letzten Jahren nicht nur bei uns in der CDU, sondern auch bei Ihnen in der SPD miterlebt haben, sind ja nicht ganz falsch. Mir fällt vieles ein, was ich dazu jetzt sagen könnte; aber das ist mehr oder weniger Schnee von gestern.
Ich habe mir auch durchgelesen, was in Ihren Wahlprogrammen für die nächste Landtagswahl geschrieben steht. Ich will das jetzt gar nicht zitieren. Es gehört einfach dazu, dass bestimmte Strukturvorstellungen in Bewegung sind. Das ist normalerweise gut so. Das müssen wir uns gegenseitig auch nicht vorwerfen.
Wir wenigstens wissen uns mit unseren Zielvorstellungen auch mit vielen in der SPD einig. Ich kenne den Beschluss des Landkreistages zu der Zielvorstellung einer eventuellen Halbierung der Zahl der Kreise in SachsenAnhalt, dem damals alle Landräte unabhängig von der Parteizugehörigkeit zugestimmt haben. Ich habe von vielen gehört, dass sie noch heute zu diesem Votum von damals im Landkreistag stehen.
Da kann ich natürlich gern glauben, dass es Leute gibt, die noch nie Landrat waren, aber besser wissen, wie ein Kreis beschaffen sein muss, als die, die es machen. Aber nach wie vor bin ich Pragmatiker genug, insbesondere denen zuzuhören, die diese Arbeit vor Ort machen und einschlägige Erfahrungen mitbringen.
Ich denke, wir sind mit dem, was Ihnen die Landesregierung vorgelegt hat, relativ gut aufgestellt und durchaus in der Lage, ein Konzept vorzulegen, von dem ich der Meinung bin, dass es wenigstens für den nächsten überschaubaren Zeitraum zukunftsträchtig ist.
Ich will sehr gern noch etwas zu der Problematik in der Region Anhalt sagen, weil ich selbst ein wenig betroffen bin, da eigens für mich, weil ich häufig durch diese Gegend fahre, Plakate und Schilder aufgestellt worden sind, damit ich den Willen der Bevölkerung lesen kann.
Sie haben völlig Recht: Dies ist kein einheitlicher Wille. Ich weiß, dass der Kreistag für den Kreis die Willensbildung formuliert und Kreistagsbeschlüsse zunächst der Wille des Kreises sind. Aber bitte glauben Sie mir: Ich bekomme auch viele Briefe von Bürgermeistern und von Leitern von Verwaltungsgemeinschaften, die mir mit zum Teil bitteren Formulierungen sagen: Wir als Gemeinde X oder Y sind doch nicht die Leibeigenen des Landrates oder des Kreistages.
Dazu sage ich in aller Offenheit: Ich nehme diese Voten - unabhängig davon, wie sie legitimiert sein wollen - als Teil der Willensbildung der Bevölkerung genauso ernst. Die Willensbildung ist auch im Bereich Anhalt nicht gleich lautend und nicht homogen. Das wissen wir inzwischen alle.
Ich darf doch wenigstens daran erinnern - ohne dass ich Einzelheiten erzähle -, dass wir im Mai in unterschiedlicher Zusammensetzung zusammengesessen haben. Ich bekenne mich dazu, dass wir dieses Reformvorhaben
zumindest mit dem Versuch begonnen haben, eine möglichst breite parlamentarische Mehrheit für ein solches Gesetzeswerk zu finden. Dies ist uns am Ende nicht gelungen. Das muss man dann zur Kenntnis nehmen.
- Verehrter Herr Bullerjahn, wenn Sie mich jetzt fragen, sage ich es auch: Weil Sie mir gesagt haben, selbst wenn wir Ihnen da und dort entgegenkommen, werden Sie dem Gesetz am Ende nicht zustimmen.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank - Herr Bul- lerjahn, SPD: Das ist falsch, Herr Böhmer!)
- Das ist richtig. Sie können das dann Ihrerseits gern noch sagen; das Recht dazu haben Sie. Jetzt bin ich erst einmal dabei, meinen Standpunkt vorzutragen.
Ich habe auch deutlich gesagt, dass wir den jetzigen Zuschnitt, den Vorschlag der Landesregierung unter raumordnerischen Gesichtspunkten für den vernünftigsten und sachgerechtesten halten, weil er es ermöglicht, dass in diesen Strukturen auch der neue Kreis seine Aufgaben - Personennahverkehr, Schülerbeförderung, Abfallentsorgung, alles das, was schon gesagt worden ist - optimal organisieren kann. Aber ich habe auch gesagt - das weiß auch Herr Bullerjahn -: Wir sind auch bereit, eine zweitbeste raumordnerische Lösung zu akzeptieren, wenn es dafür einen breiten Konsens gibt. Den haben wir einfach nicht erreicht.
Ich habe im Mai auch mit den Landräten der vier Kreise - wenn Sie es genau wissen wollen: am 13. Mai nachmittags - zusammengesessen. Ich erzähle Ihnen jetzt nicht, welche Antworten ich im Einzelnen bekommen habe. Ich habe zumindest keine Grundlage für einen anderen Konsens bekommen. Das ist die Wahrheit.
Ich will Ihnen auch Folgendes sagen: Wir haben den ersten Entwurf zur Anhörung verschickt und haben einen Brief mit Fragen beigelegt. Wir haben gesagt, wir sind bereit, über Alternativen zu sprechen; wir sind an Stellungnahmen insbesondere aus der Region Anhalt zu Alternativen zu unserem Vorschlag interessiert. Das ist selbst für einen Anhörungsvorgang sehr ungewöhnlich.
Eine Zeitung, die die Zusammenhänge nicht kannte, hat dann groß aufgemacht: Ministerpräsident fällt Innenminister in den Rücken usw. - Damit muss man in diesem Geschäft leben können. Das ist alles nicht tragisch. Mir ging es darum, eine breite Meinungsbildung auch bei der Diskussion von Alternativen zuzulassen, um am Ende die Lösung zu finden, von der wir annehmen konnten, dass sie zumindest von dem größeren Teil der Bevölkerung mitgetragen wird. Diese Lösung legen wir Ihnen heute zur Entscheidung vor.
Ich denke, dass es völlig richtig ist, dass der Kollege Wolpert darauf hingewiesen hat, dass Zerbst Teil der Region Anhalt bleibt, auch wenn der Zuschnitt der Verwaltungskreise ein anderer sein möge, als hier beantragt worden ist.
Meine Damen und Herren! Wir haben in Sachsen-Anhalt einen Heimat- und Förderverein Harz - Frau Kachel weiß das; sie steht ihm ja vor -, der sehr gut arbeitet, Kreisverwaltungsgrenzen und Ländergrenzen übergreifend, der eine sehr gute Pflege des regionalen Kulturerbes betreibt und auch vom Land gefördert wird. Wir haben
einen ähnlichen Verein für den Fläming, Kreisgrenzen übergreifend und Ländergrenzen übergreifend mit Brandenburg, der eine gute Arbeit betreibt und ebenfalls gefördert wird.
Wir haben auch einen Heimatverein Anhalt, der schon mehr als zehn Jahre alt ist, in den frühen 90er-Jahren gegründet worden ist. Ich habe erst erfragen müssen, was dieser Verein in den letzten Jahren an Öffentlichkeitsarbeit, an Aktivitäten usw. gemacht hat. Das muss ich jetzt hier nicht referieren. Aber die wenigsten von Ihnen werden von den Aktivitäten dieses Vereins etwas gehört haben. Erst seit der Kreisgebietsreformdiskussion wird dieses Thema wieder fast überwertig gefahren.
Dazu sage ich hier - deshalb habe ich mich hauptsächlich zu Wort gemeldet -: Auch wenn wir jetzt die Verwaltungsstrukturen der Kreise so zuschneiden, wie es beantragt worden ist, geht die Region Anhalt als eine für die Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt identitätsstiftende Region als solche in ihrem Wert nicht verloren.
Wir müssen die Menschen in Anhalt auch ermuntern, dieses Heimatgefühl zu leben und in den entsprechenden Organisationsformen zu artikulieren. Die Landesregierung wird mit der Projektförderung diesen Verein genauso unterstützen, wie sie es bei den anderen Vereinen macht, wenn es denn die Menschen in der Region wollen.
Ich weiß aus der Geschichte, dass der Kreis Bernburg auch einmal zu Anhalt gehört hat. Wenn Sie aber in Bernburg dafür plädieren, möglicherweise die ehemaligen Regionen Köthen und Bernburg zu einem neuen Kreis zusammenzufügen, dann müssen Sie sich für den Vorschlag fast entschuldigen. Auch das gehört zur Lebenswirklichkeit.
Deshalb sage ich: Das, was an kultureller Identität bewahrenswert ist, sind wir durchaus in der Lage zu bewahren. Das ist nicht abhängig von den Verwaltungsstrukturen, über die wir heute entscheiden.
Uns geht es darum, Strukturen zu schaffen, in denen die dort Verantwortlichen möglichst optimal in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen. Darüber werden wir noch viel zu diskutieren haben. Ich habe das mit der Kommunalisierung von Verwaltungsaufgaben ja alles schon gehört.
Sie wissen, dass dieser Vorgang noch nicht abgeschlossen ist. Ich könnte Ihnen aber erzählen, wie mühsam das Geschäft ist. Über die Zielstellungen sind wir uns relativ schnell einig. Es wird ganz schwierig, wenn wir über den Finanzausgleich und über die Bezahlung des Personals reden. Bei dem Pilotprojekt im Umweltbereich - das betraf den Wasser- und Abfallbereich und den Naturschutz - waren wir uns über das Ziel schnell einig. Über den Finanzausgleich haben wir lange Zeit verhandeln müssen. Die Kreise haben wahrscheinlich zu Recht gesagt, das Personal könnt ihr behalten; wir haben genügend eigenes Personal, das die Aufgaben machen kann. Dadurch wird die Problematik der Kommunalisierung relativ schwierig.
Ich weiß auch, wie das andere Länder gemacht haben. Baden-Württemberg macht das völlig anders. Dafür haben wir nicht die rechtlichen Voraussetzungen. Darüber
werden wir sicherlich erst in der nächsten Legislaturperiode noch viel miteinander diskutieren müssen. Aber wir sind heute dabei, die territorialen Strukturen so zuzuschneiden, dass wir bei der Verwaltungsreform den nächsten Schritt zu einem späteren Zeitpunkt gehen können. Deswegen bitte ich jetzt zum letzten Mal um die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung. - Vielen Dank.
Herr Ministerpräsident, es gibt zwei Nachfragen. Die Abgeordnete Frau Jahr und die Abgeordnete Frau Hajek möchten Fragen stellen. - Bitte sehr, Frau Jahr.
Herr Ministerpräsident, am 15. Jahrestag der Wiedergründung des Landes Sachsen-Anhalt hat Professor Spotka eine für mich beeindruckende Rede gehalten. Er hat gesagt: Wir sind im Land Sachsen-Anhalt in die Realität eingetreten. Die Realität bedeutet, dass viele verloren haben und dass nur eine Hand voll die Gewinner der Einheit waren.
- Dann wären Sie gegangen. - Er hat auch gesagt, dass wir in den nächsten 15 Jahren Menschen mit Persönlichkeit brauchen, um die Anforderungen zu bewältigen, die an uns gestellt werden, und die Entwicklung des Landes zu erreichen und zu schaffen. Herr Wolpert sagt nun hinsichtlich der Kreisgebietsreform, dass sie
- ja, ich bin ich dabei, einen Moment - die Bildung gleich starker Kreise zum Ziel hat, um den Frieden in den Regionen zu bewahren und das Land entwickeln zu können. Diese Art des Denkens war vor 15 Jahren bei uns zu Hause. Herr Wolpert hat eigentlich diese Vergangenheit gar nicht.
Jetzt meine Frage an Sie. Wir brauchen für die Entwicklung des Landes starke Kreise. Wir brauchen Kreise, in denen die Bürger ihre Identität finden und in denen Regionen mit anderen Regionen Auge in Auge verhandeln können. Wie sehen Sie das, wenn Sie diese Gebietsreform befürworten, wie sie ist, ohne dass die Möglichkeit gegeben wird, dass sich Regionen und Kreise bilden, die stark sind?
Frau Kollegin, so schwer es Ihnen gefallen ist, die Frage zu formulieren, so schwer fällt es mir, den Sinn zu erkennen.
Aber ich gehe davon aus, dass es uns mit dem vorgeschlagenen Entwurf gelingt, Verwaltungsstrukturen für die Kreise zu schaffen, in denen es sehr wohl möglich ist, die notwendigen Aufgaben einer Kreisverwaltung ordnungsgemäß und zukunftssicher zu lösen.
Herr Ministerpräsident, Sie beklagen die sehr unterschiedlichen Interessen im Raum Anhalt, die durchaus vorhanden sind. Meine Frage ist: Haben Sie nicht dadurch, dass Sie Roßlau für den kreisfreien Status der Stadt Dessau indirekt mit aufgefordert haben - das knappe Ergebnis zeigt, dass es tatsächlich nicht bei allen gewollt war -, die Sache im Vorfeld mit heraufbeschworen, sodass im Nachhinein ein einheitliches Votum sehr schwer möglich ist, und dass wir als Landesgesetzgeber und Sie als Regierung eigentlich in der Pflicht sind, hier ein klares Konzept vorzulegen und nicht im Vorfeld solche Entscheidungen mit dieser riesigen Tragweite zu verlangen?