Protocol of the Session on October 6, 2005

Bei der Umsetzung des Grundsätzegesetzes waren auch die raumordnerischen Belange zu berücksichtigen. Zum Beispiel zwingen die Grenzen unseres Landes den Burgenlandkreis zu einer Verbindung mit Weißenfels.

Infrastrukturen und bereits vorhandene Entwicklungsachsen wie im Harz, Bernburg/Schönebeck, Bördekreis/ Ohrekreis, Merseburg-Querfurt, der Saalkreis, auch Bitterfeld und Köthen waren genauso zu beachten wie die Ausnahmen im Norden und Nordosten unseres Landes. Die Bevölkerungsdichte in der Altmark, im Fläming und in der Dübener Heide sind Vorgaben, die nicht par ordre du mufti beiseite gelegt werden können.

Verwaltungstechnische Belange waren ebenso zu betrachten wie die Stimmungen vor Ort und die Anhörungsergebnisse. All dies ist in unsere Entscheidung eingeflossen und abgewogen worden.

Meine Damen und Herren! Ich weiß, dass es hier unterschiedliche Auffassungen gibt, die die Opposition mit ihrem Änderungsantrag deutlich machen will. Dies betrifft vornehmlich den ehemaligen Regierungsbezirk Dessau.

Es ist mir nicht entgangen, dass sich in diesem Bereich vermeintlich große Verwerfungen aufgetan haben sollen, die nicht berücksichtigt wären. Das ist unwahr. Gerade die Entwicklung in diesem Bereich unseres Landes war Teil einer intensiven und kontrovers geführten Diskussion. Im Ergebnis ist sie mehrheitlich so entschieden worden, wie es in dem Gesetzentwurf ausgedrückt ist, nämlich Dessau-Roßlau bleibt kreisfrei, Bitterfeld und Köthen bilden einen Kreis und Wittenberg mit Teilen der Altkreise Roßlau und Gräfenhainichen einen weiteren.

Die Kritik hebt in der Hauptsache darauf ab, Bitterfeld/Köthen sei eine Ausnahme, die gegen das Grundsätzegesetz verstoße, Köthen/Anhalt-Zerbst sei eine ideale Vorstufe für einen Großkreis Anhalt mit Dessau als Kreisstadt und eine andere Konstellation verhindere das; im Übrigen sei der erklärte Bürgerwille, einen Kreis Anhalt auch in kleiner Form zu bilden, missachtet worden. - Diese Argumente sind teilweise richtig, teilweise aber auch nicht. In ihrer Gesamtheit lassen sie andere Aspekte außer Betracht und führen in einer Gesamtabwägung aus Landessicht nicht zu einer anderen Lösung als der, die im Gesetzentwurf vorliegt.

Betrachten wir das Argument der Gesetzwidrigkeit. Die Einwohnerprognose für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld beläuft sich auf 142 066 Einwohner, angeblich dann 434 zu wenig. Die Untergrenze ist aber ausdrücklich mit einem „soll“ festgeschrieben worden, ganz im Gegensatz zur Obergrenze, bei der ein juristisches „muss“ steht. Diese Abweichung ist auch gewollt. Denn es ist aufgrund der demografischen Entwicklung durchaus denkbar, dass die Untergrenze erreicht wird; dennoch muss eine Praktikabilität aufrechterhalten bleiben. Im Übrigen rechtfertigt sich diese Ausnahme des Solls bereits aus der Alternative, auf die ich später eingehe.

Die andere Begründung, der Verlust der Möglichkeit der Bildung eines Großkreises Anhalt, ist schon nicht stichhaltig, wenn man keinen Großkreis will. Wozu soll man dann eine Vorstufe zur Maxime machen?

Bliebe noch der Bürgerwille und die Stimmung vor Ort. Dieser Begriff ist in den letzten Wochen von jedem im Munde geführt worden und jeder hat ihn so definiert, wie es für ihn und seine Absicht günstig war. Es gab bereits im Jahr 2000 Bewegungen in den Kreisen, in deren Folge sich Entwicklungsachsen zwischen Köthen und Bitterfeld einerseits und zwischen Wittenberg und AnhaltZerbst andererseits ergaben.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Dafür haben Sie gekämpft!)

Zwar hatten sich die Landräte von Wittenberg und Anhalt-Zerbst nach dem Hochwasser nicht mehr ganz so lieb wie zuvor, aber für die Entwicklungsachsen bedeutete das keinen Abbruch. Noch bis in das Jahr 2005 hinein blieben diese anfänglichen Verflechtungsbeziehungen als Optionen bestehen und wurden von den politischen Gremien getragen.

Nebenbei war im Raum Köthen die Idee eines Großkreises Anhalt entstanden. Eine Bürgerinitiative erklärte, das sei der Bürgerwille, den der Landtag zu berücksichtigen habe. Als Bernburg und Dessau schroff ihre Mitwirkung versagten, wurde dargelegt, es seien nur die Kreistage und der Stadtrat als politische Gremien, die eine Verweigerungshaltung einnähmen; der Bürgerwille sei das nicht. Bei der folgenden Unterschriftensammlung kamen die Unterzeichnenden allerdings zum überwiegenden Teil aus Köthen und Anhalt-Zerbst, nicht aus Dessau und nicht aus Bernburg.

Der Landrat von Wittenberg erklärte in der Innenausschusssitzung gemäß dem Beschluss seines Kreistages, er bevorzuge die Fusion mit Bitterfeld und Teile von Anhalt-Zerbst seien willkommen, Zerbst und insbesondere die Rechtsnachfolge des Landkreises Anhalt-Zerbst mitnichten. Was gehe ihn im Übrigen fremdes Elend an?

Der Kreistag von Anhalt-Zerbst stimmte mehrheitlich für eine Fusion mit Köthen, allerdings nicht mit qualifizierter Mehrheit.

Der Protest kommt umgehend aus Coswig, unterstützt von vielen Gemeinden, und auch von Loburg-Leitzkau kommt Widerspruch. Angeblich sind allein in Coswig 48,4 % der Bevölkerung für eine Fusion mit Wittenberg. Ich weiß nicht, ob das so stimmt. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten im Raum Coswig unterschreiben allerdings dafür.

Roßlau stimmt in einem Bürgerentscheid mehrheitlich für eine Fusion mit Dessau und Dessau stimmt dem zu und damit gegen einen Anhaltkreis.

In Bitterfeld hielt man sich fast fünf Jahre an Köthen, um dann nach der Anhörung und nach der Sommerpause des Landtages den Vorrang für Wittenberg mehrheitlich zu beschließen, gegen die Stimmen der Bürgermeister von Brehna, Zörbig und Bitterfeld und Teilen von Wolfen.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz zu den Abwägungen kommen. Die Fakten sind, dass in AnhaltZerbst und Köthen die Elbe trennende Wirkung hätte. Das wird deutlich, wenn man eine Schulentwicklung planen will. Denken Sie an die Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs, der Schülerbeförderung, der Müllentsorgung, des Kranken- und Rettungsdienstes; dies gilt also auf allen Gebieten. Bei einer kleinen AnhaltLösung käme man nicht umhin, Doppelstrukturen vorzuhalten, die sämtliche Synergieeffekte infrage stellten.

Der ehemalige Regierungsbezirk Dessau wird aus drei kommunalen Einheiten bestehen, der Stadt Dessau als Oberzentrum und zwei Kreisen. Aus Landessicht macht es einfach keinen Sinn, auf der einen Seite in einem Kreis zwei Mittelzentren mit Teilfunktion eines Oberzentrums zusammenzuschließen und auf der anderen Seite einen Kreis zu schaffen, der weniger als 100 000 Einwohner hat. Wenn Sie dieses Gebilde laufen ließen, würde es hinken, weil in den beiden Kreisen rund um Dessau unterschiedliche Gangarten bestünden.

Meine Damen und Herren! Bei diesem Gesetz geht es um annähernd gleiche Entwicklungschancen im Land.

Von solchen Chancen können Sie bei einem Kreis Anhalt-Zerbst und Köthen im Vergleich zu Wittenberg und Bitterfeld nicht sprechen. Es geht um nichts anderes als die Zukunft unseres Landes, ein liebens- und lebenswertes Sachsen-Anhalt. Das schaffen wir mit diesem Regierungsentwurf.

Ich bitte Sie, diesem Entwurf zuzustimmen. Sofern es notwendig ist, Frau Präsidentin, erheben wir die Korrektur aus der Berichterstattung zu § 23 zum Änderungsantrag der Fraktion. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Gestatten Sie noch eine Nachfrage der Abgeordneten Frau Dr. Weiher? - Bitte sehr.

Herr Wolpert, ich kann es mir jetzt doch nicht verkneifen, eine Nachfrage zu stellen, weil Sie an zwei Stellen auf die Position von Dessau eingegangen sind. Ist es nicht gerade so, dass durch die Zusicherung der Kreisfreiheit für die Stadt Dessau, die schon längst weniger als 100 000 Einwohner hat, die nachhaltige Entwicklung im Raum Anhalt verhindert wird, einem Gebiet, das kurzfristig zumindest Anhalt-Zerbst, Köthen und Dessau und langfristig dann auch noch Wittenberg und Bitterfeld umfassen sollte, womit Sie nicht zu einer nachhaltigen Stärkung dieses Gebietes beitragen, sondern eine solche Entwicklung im Grunde genommen verhindern, indem Dessau eine Sonderposition zugestanden wird?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Nein. Ich habe es in der Rede schon gesagt.

(Frau Dr. Weiher, Linkspartei.PDS: Nein, das ha- ben Sie eben genau nicht gesagt!)

Die Großkreise sind ein Gebilde, worauf Sie hinaus wollen und von denen wir nichts halten. Sie sind etwas, was nach unserer Meinung keine Effizienz erbringt.

(Frau Dr. Weiher, Linkspartei.PDS: Kurzfristig!)

- Frau Dr. Weiher, ich habe Sie doch auch aussprechen lassen. Wenn Sie mich fragen und die Antwort nicht hören wollen, dann brauche ich sie auch nicht zu geben.

Wie gesagt, Großkreise lehnen wir ab. Wir versprechen uns deshalb daraus nichts. Mit der Struktur, die wir jetzt haben, mit einem Oberzentrum Dessau bei zwei gleichberechtigten Kreisen, die auf gleicher Augenhöhe miteinander handeln können, haben wir eigentlich beste Voraussetzungen für die Entwicklung. Davon sind wir überzeugt; Sie sind es vielleicht nicht. Aber das ist eine Sache der Abwägung, die ich Ihnen heute in zwei Minuten nicht mehr werde beibringen können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Gestatten Sie eine weitere Nachfrage von Frau Jahr?

Bitte sehr.

Herr Wolpert, Sie sind Kreistagsvorsitzender und aus der Region Mandatsträger für den Landtag. Sie wissen genau, dass gerade in der Region, in der Sie wohnen und aus der Sie kommen, die Bürger eine Fusion mit Wittenberg wünschen. Wie gehen Sie mit diesem Wunsch um und wie können Sie diesen Bürgern in die Augen schauen, wenn Sie hier eine ganz andere Meinung vertreten?

Woher Sie, Frau Jahr, den Glauben haben, dass die Mehrheit in Bitterfeld Ihrer Meinung ist, weiß ich nicht. Ich kann den Bürgern sehr wohl ins Auge schauen. Außerdem habe ich ihnen in einem offenen Brief bereits erklärt, dass ich nicht davon ausgehe, dass bei uns ein imperatives Mandat herrsche und der Kreistag mich verpflichten könnte, im Landtag nur Kreisinteressen zu vertreten. Ich habe in meiner Rede gerade erklärt, warum ich Landesinteressen in die Abwägung einbezogen habe und dass der Bürgerwille nicht das einzig entscheidende Kriterium sein kann, wenn es raumordnerische Gründe gibt, die diesen überwiegen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Wolpert. - Für die Linkspartei.PDS spricht der Abgeordnete Herr Grünert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits mit der Verabschiedung des Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetzes mit der Mehrheit der Regierungskoalition wurde klar, dass unter der derzeitigen CDU-FDP-Regierung eine zukunftsfähige Verwaltungs- und Gebietsreform, gekoppelt mit einer kommunalen Politik- und Funktionalreform - Letzteres ist das eigentlich Wichtige -, im Land Sachsen-Anhalt nicht stattfinden wird.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Man kann noch so umfangreiche Begründungen herausgeben, Herr Wolpert, dass die Fläche nicht beherrschbar sei. Das ist klar: Unter den gegenwärtigen Maßregelungen der Gemeinde- und der Landkreisordnung ist sie das nicht. Aber das muss qualifiziert werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Festhalten am dreistufigen Verwaltungsaufbau im Land Sachsen-Anhalt, die Zentralisation vormals durch die Landkreise getätigter Aufgaben auf das Landesverwaltungsamt und nicht zuletzt die Kleinteiligkeit der von der Regierung vorgeschlagenen Landkreisstruktur, welche eben nicht die administrativen Räume an die sich entwickelnde Wirtschaftsstruktur anpasst, verhindern eine Weichenstellung hin zu modernen und effizienten Verwaltungsstrukturen und verhindern eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Waren Sie, meine Damen und Herren der Koalition, gleich nach der Landtagswahl ziemlich schnell mit der Erklärung bei der Hand, alles bleibe beim Alten, wurden von Ihnen rigoros die Beschlüsse der Vorgängerregierung zur Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform gecancelt, so wird nunmehr mit Hochdruck eine Landkreisneugliederung auf den Weg gebracht, die eine zukunftsfähige politische Zielrichtung der Landesregierung vermissen lässt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Am Ende bitte. - Zwar bekannten Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sich zu dem Entschließungsantrag vom Januar 2002 bezüglich einer Funktionalreform und der Kommunalisierung von Aufgaben, aber bei Ihrer bisherigen Tätigkeit verließen Sie sehr schnell diesen Weg.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Das war heiße Luft!)

Ihre Kreisneugliederung wird losgelöst von der Funktionalreform durchgeführt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Äußerung der CDU-Fraktion im Innenausschuss der dritten Wahlperiode: eine Gebietsreform erst nach einer Kommunalreform. Das ist bei Ihnen wahrscheinlich Schnee von gestern.