Protocol of the Session on October 6, 2005

Aber das Problem, über das wir hier reden

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

- hören Sie mir erst einmal zu, Frau Feußner -, ist ein anderes. Das deutsche Bildungssystem krankt vor allem daran, dass besondere Zuwendung erst erwarten kann, wer irgendwie negativ auffällt, oder anders formuliert: Das Kind muss erst zum Problemfall werden, ehe man sich regelhaft seiner individuellen Situation annimmt.

Das ist für hochbegabte Kinder nicht anders. Darum findet man auch in der Literatur Hochbegabung sehr oft gleich neben dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und der Lese-Rechtschreib-Schwäche abgehandelt. Das halte ich für durchaus bezeichnend.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Hochbegabte Kinder finden sich je nach individueller Bildungskarriere in allen Schulformen und in keiner davon wird man ihren persönlichen, individuellen Bedürfnissen wirklich gerecht. Wenn aber, wie die Statistiken besagen, 2 % bis 3 % aller Kinder - so habe ich es gelesen - hochbegabt sind - manche sprechen sogar von 5 %; ich kann das nicht bewerten -, dann gibt es statistisch gesehen ein bis zwei davon in jeder Grundschule mit Regelgröße, fünf bis sieben an jeder Sekundarschule und zwölf bis 18 an jedem Gymnasium. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen, die hochbegabt sind, will ich hier nicht spekulativ in den Raum stellen; ich weiß es nicht. Es ist auch nur eine rechnerische Größe.

Aber allein diese Zahlen machen deutlich, um welche Dimension es sich bei der Förderung von Hochbegabten überhaupt handelt und wie wenige Schulen darauf eingerichtet sind. Denn tatsächlich kommt jede Lehrerin und jeder Lehrer mit relativer Regelmäßigkeit mit hochbegabten Kindern in Berührung. Aber nur die wenigsten

können damit umgehen. Das ist kein Vorwurf; denn das hat niemand gelernt.

Die erste Schwierigkeit ist eben auch die Diagnose. Weder Eltern noch Lehrerinnen und Lehrer sind dazu hinreichend in der Lage, manche sind auch nicht dazu bereit. Hochbegabung lässt sich auch nicht nach dem Elternhaus ableiten. Alle empirischen Daten wiederlegen das. Dennoch werden Hochbegabte, wenn überhaupt, vorrangig in Elternhäusern mit großer Bildungsnähe und mit hohem sozialen Standard verortet. Auch darüber müssen wir nachdenken.

Es gibt inzwischen diverse Diplomarbeiten und andere wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema und es werden weiterhin welche geschrieben. Es ist fast ein Boomthema. Ich weiß im Moment nicht - vielleicht kann uns der Kultusminister darüber Auskunft geben -, inwieweit dies in Sachsen-Anhalt Gegenstand der Lehrerbildung, vor allem der Lehrerausbildung ist.

Noch schwieriger wird es wahrscheinlich bei der Bereitstellung des didaktischen und methodischen Handwerkszeuges. Das, was ich bisher gefunden habe, ist wohl eher das Ergebnis engagierten Arbeitens von Praktikerinnen und Praktikern nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“.

Herr Kultusminister, ich habe auf dem Bildungsserver etwas dazu gefunden, nämlich einen einzigen Eintrag von der Landesmedienstelle: Diagnose und Förderung individueller Lernleistungen, zum Beispiel Begabtenförderung, Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen usw. Auch hier gibt es also diese relative Gleichsetzung, die ich für sehr schwierig halte.

(Frau Feußner, CDU: Begabtenförderung ist aber etwas anderes als Hochbegabtenförderung! Ich bitte das zu unterscheiden!)

- Aber an dieser Stelle wird Hochbegabtenförderung aufgeführt.

(Frau Feußner, CDU: Nein!)

- Sie können dort einmal nachlesen. Ich habe jetzt nicht die Zeit, Ihnen das genauer vorzulesen.

(Frau Feußner, CDU: Aber Sie reden von der Be- gabtenförderung! Sie haben eben „Begabtenför- derung“ gesagt! - Frau Dirlich, Linkspartei.PDS: Naak, naak, naak! - Heiterkeit bei der Linkspar- tei.PDS und bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

- Frau Feußner, übrigens gibt es hier in unserem Haus wahrscheinlich auch ein bis drei Hochbegabte. Ich will sie aber nicht identifizieren.

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Dort, wo Lehrerinnen und Lehrer sich dieses Problems annehmen, zeigt sich, dass man sich sehr mühen muss, dass es aber möglich ist, Hochbegabungen mit individuellen Lernplänen tatsächlich zu fördern. An dieser Stelle muss ich sagen: Die Förderung von Hochbegabungen ist keinesfalls ausschließlich über die Sonderung der Kinder in besondere Lerngruppen zu erreichen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Eher ist das Gegenteil der Fall. Die Eltern von solchen Kindern wollen das in der Regel auch nicht. Sie wollen eine Förderung im System mit Zusatzangeboten.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Ja, aber mit Zu- satzangeboten!)

- Sie werden uns bald Aufschluss darüber geben, was Sie Großes in Sachsen-Anhalt vorhaben.

Ich gebe dem Kultusminister darin Recht, dass auch hier gilt: Auf den Anfang kommt es an. Auch hier ist die Kindertagesstätte eigentlich der erste Punkt, an dem man etwas tun muss.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD, von Herrn Tullner, CDU, von Frau Feußner, CDU, und von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Auch wenn der Kultusminister glaubt, man könne bei fehlender Differenzierung nicht individuell fördern - wir glauben das nicht -, belegen Beispiele inzwischen auch etwas anderes.

(Frau Feußner, CDU: Welche?)

- Erkundigen Sie sich bitte, Frau Feußner. Dazu bin ich hier jetzt nicht da.

(Herr Tullner, CDU: Ein bisschen freundlicher, bit- te!)

Es ist ein entsprechendes pädagogisches und fachliches Instrumentarium erforderlich, damit genügend Zeit für die Förderung bleibt, und es ist psychologische Beratung notwendig, und zwar der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer und natürlich auch der Kinder.

Der Antrag der SPD-Fraktion macht auf ein Problem aufmerksam, das offensichtlich auch die Landesregierung jetzt schon entdeckt hat. Ich hätte nicht geglaubt, dass sie schon in der Lage ist, tatsächlich etwas auf den Tisch zu legen. Aber warum sollen wir nicht auch einmal überrascht werden? Ich bin auf die Berichterstattung im Ausschuss gespannt. Wir stimmen diesem Antrag selbstverständlich zu.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Frau Feußner, Sie wollten eine Frage stellen? - Frau Dr. Hein, möchten Sie eine Frage von Frau Feußner beantworten?

Wenn ich dann noch ein bisschen reden darf, ja.

Frau Hein, ich empfinde es schon als infam, wie Sie sich hier vorn hinstellen. Sie waren schließlich acht Jahre lang über eine Tolerierung indirekt an der Regierung beteiligt und haben es in diesen acht Jahren nicht einmal hinbekommen, über dieses Thema im Plenum zu reden.

(Zustimmung bei der CDU - Minister Herr Dr. Daehre: Da hat sie Recht!)

Und heute stellen Sie sich hier hin und sagen: Offensichtlich hat diese Landesregierung jetzt schon bemerkt, dass es dieses Problem gibt. Frau Hein, das ist infam.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Mein Gott! - Wei- tere Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Frau Hein, ich möchte Sie jetzt fragen: Was haben Sie denn in den letzten Legislaturperioden unternommen,

um sozusagen eine individuelle Förderung für Hochbegabte, wie Sie sie beschrieben haben - diese halte ich für richtig, nur vom Ansatz her halte ich sie nicht ganz für richtig -, zu installieren? Das möchte ich jetzt gern von Ihnen wissen.

(Minister Herr Dr. Daehre: Acht Jahre lang haben Sie das überhaupt nicht angesprochen!)

Wir lassen uns hier als Landesregierung nicht von Ihnen brüskieren für das, was Sie nicht gemacht haben.

(Zustimmung bei der CDU - Minister Herr Dr. Daehre: Richtig, jawohl!)

Frau Feußner, einmal ganz abgesehen davon, dass Sie in der regierungstragenden Koalition und nicht in der Landesregierung sind, haben Sie natürlich das Recht, hier zu versuchen, mich in die Enge zu treiben, was Ihnen aber nicht gelingen wird.

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS und bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Ich will Sie nicht in die Enge treiben!)

Wenn Sie sich die Literatur anschauen, werden Sie bemerken, dass das Thema „Förderung von Hochbegabungen“ in den letzten Jahren tatsächlich fast inflationär betrieben worden ist. Davor war relative Ruhe.

(Frau Feußner, CDU: Das stimmt doch gar nicht! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Das ist einfach so. - Ich glaube auch nicht, dass es möglich ist - nach dem, was ich gelesen habe, ist das auch nicht so -, innerhalb eines so kurzen Zeitraumes ein so kompliziertes Problem wie die Förderung von hochbegabten Kindern tatsächlich zu lösen. Wäre es das, hätten wir - dabei nehme ich uns nicht aus - nicht diese Schwierigkeiten damit, das zu erklären und zu entwickeln. Das ist ein schwieriges Problem.

Ich sage es noch einmal: Es funktioniert nur über individuelle Förderung und es funktioniert nur über eine binnendifferenzierte Herangehensweise, nicht über eine Sonderung oder Selektion von Kindern, die hochbegabt sind. Außerdem müsste man dann schon im Kindergarten anfangen; das halte ich für falsch. Das wollen die Eltern auch nicht, weil gerade - -

(Frau Weiß, CDU: Antworten Sie doch auf die Frage!)