Wenn ich die Gunst der politischen Stunde und den Vorwurf einer populistischen Forderung zunächst beiseite
schiebe, komme ich zur fachlichen Begründung dieses Vorhabens. Ein tiefer Blick in den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz, der anscheinend Grundlage dieser Forderung ist, zeigt auf, dass seit Beginn der 90er-Jahre in der BRD ein stetiger Anstieg der Jugendkriminalität zu verzeichnen ist. Dafür ist das jugendstrafrechtliche Handlungsinstrumentarium zu erweitern, um dem Gericht sachgerechte und auf den Einzelfall zugeschnittene Reaktionen zu ermöglichen. Daneben scheint es geboten, Fehlentwicklungen entgegenzutreten.
Konkret geht es in dem Gesetzentwurf unter anderem um folgende Änderungen: Erstens soll auf Heranwachsende, also Jugendliche zwischen 18 und 21 Jahren, das Jugendstrafrecht nur im Ausnahmefall Anwendung finden.
Zweitens sollen jugendstrafrechtliche Instrumentarien gezielt erweitert werden, unter anderem durch die Einführung eines Warnschussarrestes.
Drittens soll bei Heranwachsenden im Fall der Anwendung des Jugendstrafrechts bei schwersten Verbrechen die Jugendstrafe von bisher zehn auf 15 Jahre angehoben werden.
Viertens - Sie dürfen doch nachher, Herr Stahlknecht; warten Sie doch mal ab! - soll schließlich zum Schutz der Bevölkerung bei Heranwachsenden, die als hochgefährliche Straftäter eingestuft werden, die Sicherungsverwahrung zugelassen werden. - Ihr Einsatz!
Wie schaut es denn nun tatsächlich im Land aus? Sehen wir uns tatsächlich vor chaotischen Verhältnissen, denen nur durch härtere Strafen entgegengetreten werden kann? Und falls es an dem ist, sind härtere Strafen tatsächlich der Weg zu einer größeren Sicherheit oder einem größeren Sicherheitsempfinden der Bevölkerung? Ich möchte an dieser Stelle nicht einfach nein sagen, sondern die einzelnen Vorschläge getrennt bewerten.
Ich komme zunächst zu der Forderung, dass auf Heranwachsende in Zukunft grundsätzlich das so genannte Erwachsenenstrafrecht - sprich das des StGB - Anwendung finden soll, das nur Geld- und Freiheitsstrafe kennt. Als Argumentation wird dabei unter anderem die bundesweit unterschiedliche Rechtsanwendung und das Vermittlungsproblem gegenüber der Bevölkerung herangezogen.
An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, noch einmal das Grundprinzip des Jugendstrafrechts zu bemühen. Es handelt dabei um ein Erziehungsstrafrecht und eben nicht um ein Schuldstrafrecht, und es geht dabei schon gar nicht darum, die Bevölkerung zu befriedigen oder einen Schuldausgleich herbeizuführen. Gerade weil es sich um Erziehung handelt, ist es im Rahmen der momentan geltenden Norm durchaus schon möglich, Opferinteressen mit einzubeziehen, namentlich durch den Täter-Opfer-Ausgleich.
Das Mehr darüber hinaus, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, steckt doch gerade hinter dem Erziehungs
gedanken. Die Opfer und auch die Gesellschaft partizipieren in höherem Maße von einem „erzogenen“ Straftäter, der in Zukunft eben nicht mehr straffällig wird. Ich kann in diesem Punkt eher der Forderung des 25. Jugendgerichtstages folgen, auf dem die Fachleute die volle Einbeziehung der Heranwachsenden in das JGG als lange überfällig ansahen.
Wenn Ihnen jetzt noch das Argument der vollen Geschäftsfähigkeit ab 18 Jahren in den Sinn kommt, kann ich dem entgegenhalten, dass es hiervon beispielsweise auch beim Waffenrecht bereits Ausnahmen gibt, wonach junge Menschen einen fachärztlichen Nachweis zum Besitz einer Waffe erbringen müssen. Es geht doch auch nicht um die volle Geschäftsfähigkeit, sondern um die Tatsache, dass man in diesem Alter eben noch durch Erziehung nachhaltige Veränderungen erreichen kann.
Eine weitere Forderung betrifft den so genannten Warnschussarrest. Den Gerichten wird damit die Möglichkeit eingeräumt, bei einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe Jugendarrest anzuordnen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der FDP, Sie verkennen scheinbar die Effektivität des Jugendarrestes. Sowohl die Wissenschaft als auch die Fachverbände haben schon seit langem festgestellt, dass ein Arrest keine geeignete Sanktion ist. Er hat vielmehr eine stigmatisierende und entsozialisierende Wirkung, die zur Übernahme des Selbstbildes eines Kriminellen führen kann. Laut der Antwort auf die Große Anfrage zum Haushalt, die wir gestern bekamen, wollen Sie dies ja auch nicht.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die bundesweite Rückfallstatistik verweisen. Danach beträgt die Rückfallquote beim Jugendarrest ca. 70 %. Das ist sicher nicht das Ziel Ihrer Forderung. Im Übrigen liegt die Rückfallquote bei der Jugendstrafe mit 60 % sogar darunter.
Wenn Sie mir an dieser Stelle mit dem Argument kommen, dass Täter, deren Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, sich wie freigesprochen fühlen, halte ich dem entgegen, dass dies zum einen durch eine entsprechende Verfahrensweise verhindert werden kann; zum anderen wird erfahrungsgemäß die jahrelange Unterstellung unter einen Bewährungshelfer und die Aussicht, dass schon ein leichtes Delikt zum Widerruf führen kann, als Belastung und Härte wahrgenommen.
Schließlich wird Ihnen auch der gesetzessystematische Widerspruch aufgefallen sein: Entweder es liegen die Voraussetzungen für die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung vor oder nicht.
Ich möchte auch noch etwas zur Heraufsetzung der Höchststrafe im Jugendstrafrecht von zehn auf 15 Jahre und zur Sicherheitsverwahrung sagen. Einmal abgesehen davon, dass ich fachlich bestreite, dass irgendjemand eine positive Wirkung in einer Jugendstrafe von 15 Jahren sieht, finde ich die dazu vorliegende Argumentation geradezu absurd. In dem Gesetzentwurf ist diesbezüglich vermerkt, dass in Fällen schwerster Kriminalität bei Heranwachsenden eine der Schwere der Schuld angemessene Ahndung nicht möglich sei.
An dieser Stelle offenbart sich wahrscheinlich des Pudels Kern. Wie ist denn tatsächlich Ihr Standpunkt zum Grundprinzip des Jugendstrafrechts? Sehen Sie es als Täter- oder als Tatstrafrecht? Stellen Sie auf den Täter oder auf seine Schuld ab? Oder wollen Sie nicht vielmehr auch bei jungen Straffälligen generalpräventiv tätig
werden? Dann sprechen Sie dies so offen aus. Sagen Sie dann auch offen, dass damit kein Rückgang der Jugendkriminalität zu erwarten ist, sondern eher eine Erhöhung der Kosten im Justizhaushalt bei repressiven Maßnahmen.
Nun noch etwas zum Thema Sicherheitsverwahrung. Frau Tiedge hat bereits mehrfach in diesem Haus die Meinung der PDS zu dieser Thematik geäußert, der ich mich vollumfänglich anschließen kann. Diese Forderung widerspricht dem Schuldprinzip und damit dem verfassungsgleichen Grundsatz: keine Strafe ohne Schuld.
Im Grundgesetz ist zudem festgeschrieben, dass der Täter nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung und der Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden darf. Ein Verstoß dagegen wäre verfassungswidrig, da gegen das Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde.
Schließlich lässt auch die Menschenrechtskonvention eine Freiheitsentziehung aufgrund eines allgemeinen Gefährdungspotenzials nicht zu. Ich finde es geradezu verantwortungslos, den Menschen damit eine 100-prozentige Sicherheit vorzugaukeln. Was ist bei Therapieunwilligkeit bzw. bei erfolglos verlaufenen Therapieversuchen, die bei diesen Straftätern in der Regel bereits mehrere Jahre umfassen können?
Im Übrigen verschärft sich meiner Meinung nach die Situation bei Heranwachsenden, weil die Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und eine Sicherheitsverwahrung damit unverantwortlich wäre.
Die PDS hält diesen Vorschlag sowohl bei Erwachsenen als auch bei Heranwachsenden für rechtswidrig und lehnt ihn strikt ab. Mich überzeugen die Argumente der CDU-geführten Bundesländer weder fachlich noch politisch. Es handelt sich dabei nur um kurzfristige und vor allem nur um scheinbare Lösungen.
Die PDS-Fraktion fordert die Landesregierung daher auf, diese Verschlechterung des Jugendstrafrechts im Bundesrat zu verhindern.
Unabhängig von diesen fachlichen Argumenten ist bei einer nüchternen Betrachtung der bundesweiten Statistik tatsächlich eine Erhöhung der Tatverdächtigenzahlen zu erkennen. Diese Zahlen können jedoch nicht losgelöst von der deutlichen Zunahme der Aufklärungsquote betrachtet und bewertet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine Dramatisierung der Jugendkriminalität nicht begründbar. Hierbei findet eine Verschiebung vom Dunkel- ins Hellfeld statt.
Konkret für Sachsen-Anhalt ist dem aktuellen Bericht zur Jugendkriminalität und Jugendgefährdung im Land für das Jahr 2004 jedoch zu entnehmen, dass bei Jugendlichen und Heranwachsenden in den letzten Jahren eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen ist. Das ist doch mal schön. Dabei frage ich mich allerdings, warum gerade Sie, Herr Becker, in das gleiche Horn wie Ihre Amtskollegen blasen.
Hinzu kommt, dass wir uns in Sachsen-Anhalt auch hinsichtlich der präventiven Maßnahmen von Polizei und Justiz nicht verstecken müssen. Falls Sie diese nicht kennen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie doch mal unter anderem in den von mir genannten Bericht hinein. Und, Herr Becker, Sie sollten lieber weiterhin Ihre Energie in den Erhalt und Ausbau dieses Bereiches stecken, so wie Sie Ihr Engagement auch bei
den Haushaltsverhandlungen immer wieder bewiesen haben, als derlei populistische Forderungen zu unterstützen.
Ich möchte durch die von mir vorgetragenen Argumente jedoch die Angst vor Kriminalität und das Problem der Jugenddelinquenz an sich nicht banalisieren oder gar niederreden. Doch aus meiner Sicht hat die Politik vor allem drei Aufgaben: Erstens ist es die Aufgabe von Politik, keine Ängste zu schüren, sondern die Menschen über ihre tatsächliche Sicherheit aufzuklären.
Klären Sie die Menschen durch eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit über die Ursachen, über die tatsächlichen Umstände und auch über präventive Maßnahmen gegen die Jugendkriminalität auf. Verschärfen Sie die Problematik nicht durch kontraproduktive und polemische Forderungen.
Zweitens ist es die Aufgabe von Politik, alle Kraft in präventive Maßnahmen zu stecken, um Jugendkriminalität so weit es geht auszuschließen. An dieser Stelle möchte ich aus meinen Erfahrungen als jugendpolitische Sprecherin meiner Fraktion reden: Wenn diese Landesregierung endlich zu der Einsicht kommen würde, dass wir eine hohe Qualität und ein bedarfsgerechtes Angebot in der Kinder- und Jugendhilfe brauchen - damit meine ich namentlich zum Beispiel die Schulsozialarbeit -, dann könnten wir uns den späteren Ruf nach mehr Jugendkriminalprävention ersparen.
Im Übrigen würden wir dann noch eine Menge Geld in dem Bereich der Kriminalprävention einsparen, denn gesellschaftliches Engagement in junge Menschen ist die beste Kriminalprävention.
Drittens ist es die Aufgabe von Politik, strafffällig gewordene junge Menschen nicht durch repressive Maßnahmen zu entsozialisieren, sondern ihnen den Weg in ein rechtstreues Leben aufzuzeigen.
Die Forderung der Landesjustizminister von CDU/CSU und FDP entsprechen keinem der oben genannten Punkte. Ich hoffe, dass die hier im Landtag vertretenen Parteien diesbezüglich eine andere Meinung vertreten und heute den Antrag der PDS-Fraktion unterstützen, damit wir in den Ausschüssen Expertinnen und Experten hören und konstruktive Lösungen gemeinsam finden können. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau von Angern. - Meine Damen und Herren! Für die Landesregierung hat nun der Minister der Justiz Herr Becker um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Dieser Antrag hat verschiedene Zielrichtungen und eine eint ihn wiederum in allen Zielrichtungen. Er soll in den Ausschuss überwiesen werden. Ich bin der Auffassung und würde anregen, dass wir über diesen Antrag heute hier entscheiden und ihn nicht in den Ausschuss überweisen. Ich werde versuchen, Ihnen das zu verdeutlichen.
Lassen Sie mich zunächst zu Punkt 2 kommen. Sie fordern, dass die Landesregierung beauftragt werden soll, im Bundesrat einer Verschärfung des Jugendstrafrechts entgegenzuwirken. Wir möchten uns - das gebe ich unumwunden zu - nicht an die Kette legen lassen. Im Übrigen haben wir einen Koalitionspartner, von dem wir alle wissen, dass er uns, wenn es darauf ankommt, in solchen Fragen sehr zur Zurückhaltung mahnen wird,
Sie haben ferner gesagt, dass Sie gern über das unterrichtet werden möchten, was die Justizminister von CDU/CSU und FDP am 15. und 16. in Naumburg gemacht haben. Ich darf vielleicht zur Erklärung anfügen, dass das eine so genannte B-Justizministerkonferenz war. Es gibt seit ca. 50 Jahren auch A-Justizministerkonferenzen.
Es ist Usus, dass dort weder Beschlüsse gefasst noch Protokolle geschrieben werden. Es ist ein Meinungsaustausch, es ist eine Kanalisierung von Meinungen zur Vorbereitung von anderen Konferenzen, die mit den A-Ländern stattfinden. Diese Konferenz hat tatsächlich zehn Tage später in Dortmund stattgefunden. Wir haben dort Meinungen koordiniert, sodass ich Ihnen im Grunde genommen nur einiges davon berichten könnte.