Protocol of the Session on July 19, 2002

Unser Antrag greift entschieden weiter. Wir wollen, dass der gesamte Entwicklungsabschnitt eines Kindes bis zum Schuleintritt als ganzheitlicher Bildungsprozess verstanden wird, in dem die persönlichen, sprachlichen, kommunikativen und sozialen Kompetenzen ausgeprägt sowie Lernmotivation, Lernbereitschaft und Lernfähigkeit entwickelt werden sollen, und zwar unabhängig davon, in welchem sozialen Umfeld Kinder aufwachsen. Daher kann auch die konkrete Schulvorbereitung nicht auf ein halbes Jahr zusammengedrängt werden. Bildung passiert in einem längeren Zeitraum, in dieser Altersgruppe eigentlich von null bis sechs oder sieben Jahren, bis zum Schuleintritt.

Im Übrigen haben wir sehr bewusst auf die Begriffe „vorschulische Bildung“ oder „Elementarbildung“ oder „frühkindliche Bildung“ verzichtet, die in der Literatur von Zeit zu Zeit, aber nicht einheitlich verwendet werden, weil sie entweder strittig sind oder unterschiedlich beschrieben werden. Eine klare Begriffsbildung ist offensichtlich noch im Gange.

Wir wollen, dass bei aller notwendigen Solidität und dem Erfordernis, über den begrenzten Tellerrand verfestigter Positionen hinauszuschauen, zügig Zielstellungen und Konzepte für die Bildung in dieser Altersgruppe insgesamt entwickelt und darauf aufbauend Bildungsinhalte und Wege bestimmt werden. Ebenso zügig ist an der Umsetzung und Fortschreibung dieser Konzepte zu arbeiten und das notwendige Fachpersonal entsprechend auszubilden. Dazu ist besonders die Rolle des Kindergartens, der Kindertageseinrichtungen neu zu profilieren.

Zu den Fragen, die bundesweit debattiert werden, gehört übrigens auch die der Zuständigkeit. Darauf hat auch Herr Schomburg vorhin schon verwiesen. Auch in Sachsen-Anhalt muss über die Zuständigkeit für diesen Bildungsbereich in der Landesregierung entschieden werden. Ich vermute, dabei wird es quer durch alle Fraktionen fröhliche Widersprüche geben. An der Debatte wollen wir im Bildungsausschuss und im Gleichstellungsausschuss beteiligt werden.

Deshalb bitte ich Sie um Überweisung unseres Antrages sowie des Änderungsantrages von CDU und FDP in diese Ausschüsse. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Für die Landesregierung erhält Herr Minister Kley das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es hat sicherlich nicht erst der Pisa-Studie bedurft, um die Notwendigkeit einer Reform des deutschen Bildungssystems zu erkennen. Angesichts der unstrittigen Bedeutung der frühen Jahre der Kindheit für spätere Bil

dungsprozesse, wie heute auch mehrfach dargestellt, ist es nur folgerichtig, in diese Diskussion auch den Bereich der vorschulischen Bildung einzubeziehen.

Neben den Eltern tragen natürlich die Kindergärten, die Tageseinrichtungen, die in Sachsen-Anhalt von 50 % der Null- bis Dreijährigen und von 90 % der Drei- bis Sechsjährigen besucht werden, eine grundlegende Verantwortung für das Gelingen frühkindlicher Bildungsprozesse.

Die konzeptionelle und pädagogische Ausgestaltung dieser Bildungsprozesse muss daher Gegenstand kritischer öffentlicher Diskussionen sein; in diesem Punkt stimme ich den Antragstellern zu. Dies betrifft auch das Verständnis der bei der Bildung der Kinder ablaufenden Prozesse.

In der Fachdiskussion erkenne ich eine weitreichende Übereinstimmung dahin gehend, kindliche Bildung vorrangig als einen Prozess zu verstehen, der hauptsächlich als Selbstbildung, abhängig von den persönlichen Interessen der Kinder, zu betrachten ist. Ein solches Verständnis von Bildung rechtfertigt jedoch keinesfalls die Annahme, dass Bildungserfolge beliebig seien, ebenso wenig wie das pädagogische Handeln, das diesen Erfolgen zugrunde liegt. Vielmehr müssen die Erzieherinnen und Erzieher durch gezielte Auswahl derjenigen Themen, mit denen sich die Kinder beschäftigen, diese Selbstbildungsprozesse gezielt fördern.

Ungeachtet der in den Fachdiskussionen feststellbaren Übereinstimmungen im Hinblick auf Art und Grundbedingungen des Verlaufs der kindlichen Bildung habe ich jedoch Zweifel, ob dieses Verständnis insbesondere der Rolle der Erziehenden ausreichend Eingang in die Praxis der Tageseinrichtungen gefunden hat. Im Sinne der Qualifizierung des Bildungsauftrages von Tageseinrichtungen halte ich auch die Qualifizierung der Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher in diesem Bereich für unerlässlich. Dabei müssen einerseits aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und andererseits Praxiserfahrungen im Bereich des eigenständigen Lernens der Kinder unmittelbar Berücksichtigung finden.

Es ist daher beabsichtigt, gemeinsam mit der Universität Halle in einem Modell eine entsprechende Fortbildungskonzeption für die Kindereinrichtungen in Sachsen-Anhalt zu entwerfen. Ferner haben das Kultusministerium und mein Haus gemeinsam eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel ins Leben gerufen, sich dieser Frage verstärkt zu widmen.

Meine Damen und Herren! Wie ich bereits ausgeführt habe, kommt den Erziehenden die Aufgabe zu, auf der Grundlage der Interessen des Kindes und der gesellschaftlichen Erfordernisse relevante Themen des Bildungsprozesses auszuwählen und dem Kind auch zuzumuten. Den in der Praxis nach wie vor bestehenden Vorbehalten gegen systematisches Lernen und strukturierte Bildungsprozesse im Vorschulalter ist durch qualifizierte Fortbildung entgegenzuwirken. Insoweit beziehe ich mich auch auf den Beschluss der diesjährigen Jugendministerkonferenz, deren Titel lautete: „Bildung fängt im frühen Kindesalter an.“

Die Darstellung der für den Bildungsauftrag von Tageseinrichtungen relevanten Themen in einem Rahmenplan halte ich daher für einen zulässigen und angesichts der Ergebnisse von Pisa auch notwendigen Schritt. Ähnlich wie im Hinblick auf die Fragen der wesentlichen Merk

male der Prozesse der kindlichen Bildung meine ich auch hinsichtlich dieser relevanten Themen eine breite Übereinstimmung in der Fachdiskussion und in der öffentlichen Meinung feststellen zu können. Danach sind als relevante Themenfelder insbesondere die verschiedenen Basiskompetenzen zu nennen, die den Einzelnen befähigen sollen, den praktischen Alltag zu bewältigen, seine Position in der Wissensgesellschaft zu finden und einen Beitrag zur Verbesserung und Erhaltung der Lebensgrundlagen für alle Menschen zu leisten.

Auf der Jugendministerkonferenz wurde zum Thema Wissensgesellschaft formuliert, dass dazu vor allen Dingen Offenheit für neue Erfahrungen, Dialog- und Kooperationsfähigkeit sowie die Fähigkeit zum selbst gesteuerten Lernen gehören. In diesem Zusammenhang sind auch sprachliche und lernmethodische Kompetenzen zu nennen, also Arbeits- und Lerntechniken, Strategien der Informationsbeschaffung und Fertigkeiten beim Umgang mit elektronischen Medien. Zur Erleichterung des Erwerbs dieser Kompetenzen sind die kognitiven ebenso wie kreative Kompetenzen der Kinder zu fördern.

Ungeachtet der Einigkeit im Hinblick auf die für den Bildungsauftrag relevanten Themenfelder bedarf es jedoch noch einer eingehenden öffentlichen Diskussion über den Grad der Konkretisierung und, in Abhängigkeit davon, auch der Verbindlichkeit eines solchen Rahmenplanes. Hieraus müssen dann die Vorgaben für die Mittel abgeleitet werden, die bei seiner Umsetzung einzusetzen sind. Diese Diskussion wird bereits durch die vorhin genannten Häuser eingeleitet und sicherlich auch in den zuständigen Ausschüssen weiter fortgesetzt werden.

Einen besonderen Schwerpunkt werden dabei die Anforderungen an die Bildung in der Übergangszeit vom Kindergarten zur Grundschule sein. Es geht nicht darum, spezielle Arbeitsweisen der Schule in den Kindergarten vorverlagern zu wollen; denn wie Sie wissen, gibt es nach Artikel 7 Abs. 6 unseres Grundgesetzes keine Vorschulen. Es geht vielmehr darum, durch die Arbeit im Kindergarten Voraussetzungen für den Schulerfolg zu schaffen. Insbesondere in den Bereichen Wahrnehmung, Kognition, Motorik, Sprache und Sozialverhalten müssen die Fähigkeiten und Fertigkeiten altersgerecht gefördert werden.

Grundbedingung hierfür ist die Verständigung zwischen Kindergarten und Grundschule und die gegenseitige Information über Möglichkeiten und Erwartungen. Diesen dringend notwendigen Dialog wird die Landesregierung mit besonderem Nachdruck forcieren.

Ob jedoch das Ergebnis dieses Dialoges zwischen den Einrichtungen und die Folgerungen aus ihm eine verlässliche Ausgangsbasis für die schulische Bildung sein werden, bleibt abzuwarten - nicht zuletzt angesichts der Zahl derjenigen Kinder, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht in den Kindergarten gehen. Jedenfalls wird es Aufgabe der Tageseinrichtungen sein, den ihnen möglichen Beitrag für eine gelingende Vorbereitung auf die Einschulung zu leisten.

Ferner wird zu prüfen sein, auf welche Weise die Ergebnisse der Diskussion für die nicht in der Einrichtung betreuten Kinder nutzbar gemacht werden können, etwa über Informationsschriften für Eltern. Das heißt, auch wir werden kein Kindergartenpflichtjahr einführen, liebe Kollegin Hein.

Die Diskussion um die Erfordernisse vorschulischer Bildung wird auch nicht auf die Qualifizierung der Tageseinrichtungen zu beschränken sein. Vielmehr sind alle Personen einzubeziehen, die neben Eltern und Tageseinrichtungen Einfluss auf die Gestaltung der kindlichen Bildung haben. Besonderes Augenmerk wird hierbei auch auf den Einsatz und die Fortbildung von Tagesmüttern zu richten sein.

Die Zuständigkeit für diesen Bereich ist übrigens keineswegs unklar, liebe Kollegin Hein. Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern im vorschulischen Bereich sind eindeutig als Aufgabe der Jugendhilfe festgelegt und damit dem Ministerium für Gesundheit und Soziales zugewiesen. Hieran besteht ungeachtet der Notwendigkeit einer Abstimmung mit dem für die schulische Bildung zuständigen Ressort meines verehrten Kollegen Olbertz keinerlei Zweifel.

Herr Minister Kley, möchten Sie eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Hein beantworten?

Das wäre mir eine große Freude.

Bitte schön, Frau Dr. Hein, Sie dürfen fragen.

Herr Kley, Sie haben sicher zur Kenntnis genommen, dass diese Zuordnung in der bundesweiten Debatte inzwischen in die Diskussion geraten ist und es damit nicht mehr so eindeutig ist, ob das am Ende auch noch so sein wird.

Auf den Ministerkonferenzen, an denen ich in letzter Zeit teilgenommen habe, insbesondere auf der Jugendministerkonferenz, war diese Zuständigkeit unstrittig, zumindest unter den Landesministern.

(Zuruf von der PDS: Logisch!)

Es mag sein, dass innerhalb der Bundesregierung um diesen Bereich gestritten wird; aber ich glaube, allein aus dem Gebot des Grundgesetzes, dass es keine Vorschule gibt, und aus der eindeutigen Zuständigkeit der Jugendhilfe für diesen Bereich sollte sich die Kompetenzzuordnung ableiten.

Wir haben jedenfalls innerhalb der Landesregierung keinerlei Streit darüber. Wir haben uns diesbezüglich bereits mit einer interministeriellen Arbeitsgruppe formiert. Ich halte es für das Wichtigste, dass es bei der Umsetzung keine Probleme gibt, weil wir nur damit den Kindern die bestmögliche Bildung angedeihen lassen können. Insofern sollten wir uns jetzt nicht streiten, ob man im Ergebnis einer Diskussion irgendetwas anders ressortieren könnte. Es gibt einen Kabinettsbeschluss bezüglich der Ressortierung sowie langjährige Erfahrungen des Ministeriums in diesem Bereich.

Ich fasse zusammen: Ich bitte Sie, dem Änderungsantrag in der Drs. 4/100 der Fraktionen der FDP und der CDU Ihre Zustimmung zu geben. Ich werde dann auch

gern in den zuständigen Ausschüssen über den Fortgang der Arbeiten berichten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Wir treten in die Debatte der Fraktionen ein, die mit dem Beitrag der Fraktion der FDP beginnt. Das Wort hat Frau Seifert. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihnen liegt der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP in Drs. 4/100 vor. Unbestritten ist, dass seit dem Vorliegen der Pisa-Studie in Deutschland eine verstärkte Diskussion über mangelnde Bildungsvorkenntnisse der Kinder, die eingeschult werden, entbrannt ist. Wenn wir ein höheres Niveau in der Grundschulbildung erreichen wollen - wovon ich ausgehe -, müssen wir der Bildungsqualität im Vorschulbereich einen höheren Stellenwert einräumen.

Andere Länder, die im Pisa-Vergleich weit vor Deutschland rangieren, praktizieren das, was wir in Deutschland versäumt haben. Andere Länder schulen zwar nicht in jedem Falle früher ein, bieten aber vor Schuleintritt ein Betreuungsangebot für Kinder, welches von kindgerechten und altersspezifischen Bildungs- und Erziehungsangeboten unterstützt wird. Das vereinfacht den Kindern den Übergang vom Kindergarten in die Schule erheblich.

Erfahrungsgemäß haben Kinder, die diesen Entwicklungsweg genommen haben, bereits gelernt, wie wichtig Sozialverhalten ist. Ihre Fantasie und Kreativität wurde frühzeitig geweckt, ihnen wurde Spaß am Entdecken von Neuem und am Erlangen von Wissen beigebracht und sie können sich schon konzentrieren. Das sind Dinge, die ein Kind erlernt haben sollte, bevor es in die Schule kommt.

Anders ist es bei uns in Deutschland. Hier wird so spät wie möglich eingeschult und die so genannte Kuschelpädagogik so lange wie möglich beibehalten. Natürlich hat es auch schon Modelle gegeben, wie die veralteten Betreuungsmethoden durch innovative Ideen verändert werden können, aber offenbar war das noch zu wenig und reicht heute nicht mehr aus.

In Sachsen-Anhalt waren im Juni 2002 56 000 Drei- bis Sechsjährige - das sind fast 90 % - in Kindergärten untergebracht. Diese Kinder haben ein Recht darauf, besser als bisher auf die Schule vorbereitet zu werden; denn der Start in das Leben beginnt nicht erst mit der Einschulung. Vieles von dem, was die Kinder in der Familie früher automatisch von Eltern, Geschwistern und Großeltern gelernt haben, kann ihnen heute nur noch selten vermittelt werden, da sich die Familienstrukturen wesentlich verändert haben. Es muss also Aufgabe der Politik sein, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Eltern bei der vorschulischen Erziehung und Bildung ihrer Kinder unterstützt werden.

Meine Damen und Herren! Es darf ohne erkennbaren Grund nicht sein, dass ein Kind bei Schulantritt nicht weiß, wie man einen Stift hält, dass einfache elementare Fähigkeiten fehlen und dass einfache kommunikative Regeln nicht bekannt sind.

Meine Damen und Herren! Wir setzen uns dafür ein, dass verbindliche Vorgaben erarbeitet werden, die be

reits vor Schulantritt zur Erhöhung der Bildungsergebnisse beitragen. Wir fordern, über diese Ergebnisse informiert zu werden. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. - Nun bitte für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Frau Schmidt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits am 17. Januar 2002 haben wir über dieses Thema, Bildung im Vorschulalter, im Kindergarten, debattiert. Damals hat die Landesregierung schon einmal den Auftrag erhalten, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten, wie es heute wohl auch wieder gefordert werden wird.

Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, dass sich die CDU-Fraktion dem damals fürchterlich widersetzt hat, weil es nicht mehr geschafft werde und zusätzliche Aufgaben auf die Erzieherinnen zukämen und das alles nicht zu machen sei. Ich bin eigentlich froh darüber, dass sich die Erkenntnis in beiden Fraktionen gewandelt hat - wenngleich die FDP damals noch nicht im Parlament vertreten war.

Das mag vielleicht auch daran liegen, dass Professor Olbertz eine ganz andere Meinung dazu hat. Ich konnte in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lesen, dass er sich für eine gute Vorbereitung in Kindergärten einsetze, die gezielt auf Einschulung abziele. Natürlich solle man dort nicht Lesen und Schreiben lernen, aber mit bestimmten Dingen umgehen lernen, zum Beispiel mit der Schere üben, Vorstellungsvermögen trainieren, Takt und Rhythmus beherrschen usw. Der Kindergarten habe eine Bildungsaufgabe. - So stand es in der Zeitung; Aussagen von Professor Olbertz.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Ja, korrekt!)