Protocol of the Session on April 14, 2005

Aber all das - ich betone das - ist in Sachsen-Anhalt derzeit kein Thema. Wir sind froh, dass Ethikunterricht und Religionsunterricht einander ergänzen und dass sie im

Rahmen ihrer Möglichkeiten stärker zu einer Wertebildung in unserem Land beitragen.

Die FDP-Fraktion hält die Bestrebungen des Kultusministeriums für richtig und hält weiterführende Debatten sowohl angesichts unserer Rechtslage als auch angesichts unserer gesellschaftlichen Gegebenheiten für nicht erforderlich. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Für die SPD-Fraktion erhält nunmehr Herr Dr. Fikentscher das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Fikentscher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema ist ohne Zweifel aktuell, und zwar seit 14 Jahren. Es hätte jetzt nicht der Begründung bedurft, dass ein Papst gestorben ist. Weder der Tod noch die Neuwahl eines Papstes wird die Verhältnisse bei uns in dieser Hinsicht ändern, auch nicht die Diskussion in Berlin; das haben wir gerade gehört.

Ich fand es deswegen ein klein wenig befremdlich, dass Sie, Frau Feußner, etwas vorwurfsvoll zu uns geschaut haben. Ich konnte daraus fast die Verdächtigung herauslesen, als würden wir uns mit dem Gedanken tragen, hieran etwas ändern zu wollen.

(Frau Feußner, CDU: Das habe ich gar nicht ge- tan! Ich habe nur herumgeschaut!)

Es hat bei uns nirgends, weder intern noch nach außen, irgendeinen Hinweis darauf gegeben.

(Zustimmung von Herrn Dr. Polte, SPD - Frau Feußner, CDU: Umso besser!)

Die Aktualität ist also in jedem Falle gegeben.

Ebenfalls seit 14 Jahren besteht ein Spannungsfeld zwischen dem, was wir einerseits wollen, und dem, was wir andererseits können. In Bezug auf diese Thematik besteht ein öffentliches Interesse, und es gibt auch individuelle Interessen, und zwar von Personen, aber auch von Gruppen. Dieses Spannungsfeld entfachte immer wieder auch eine Diskussion. Dabei ging es jedoch nicht um das Grundsätzliche.

Durch das Rechtsgutachten sind nunmehr neue Aussichten entstanden. All das ist dargelegt worden. Es gibt die Aussicht darauf, die Situation verbessern zu können. Das ist gut. Man sollte alle Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, voll ausschöpfen.

Es gibt noch immer enge Grenzen. Diese werden wir auch nicht grundsätzlich erweitern können. Seitens des Ministeriums und des Ministers ist schon gesagt und geschrieben worden, dass wir das Problem aufgrund der neuen Auslegungsmöglichkeiten nicht vollständig lösen können; aber wir können die Situation vielleicht verbessern.

Es stellt sich die Frage: Was wollen wir eigentlich? - Im Grunde wollen wir alle das Gleiche, nämlich einen wertebezogenen Unterricht für alle. Warum wollen wir das? - Weil wir es für wichtig halten. Unabhängig von Parteien und unabhängig von Bekenntnissen wird ein solcher Unterricht für wichtig gehalten.

Vermutlich wir alle bekennen uns zu dem Grundsatz, dass der freiheitliche säkulare Staat auch von Voraussetzungen lebt, die er nicht selbst schaffen und auch nicht selbst garantieren kann, dass er aber versuchen muss, diese Voraussetzungen zu schützen, damit er sich nicht selbst seiner Grundlage beraubt.

Wenn das unser gemeinsames Bekenntnis zu der Situation ist, dann sind wir alle für einen wertebezogenen Unterricht. Dazu gehören dann auch die Sinnfragen des Lebens. Aber Staat und Parteien sind für die Sinnfragen des Lebens nicht zuständig.

(Herr Kehl, FDP: Aha!)

Sie sind vielleicht für nachgeordnete Fragen zuständig, aber nicht für die grundlegenden Sinnfragen. Wir wollen jedenfalls nicht Kirche sein.

Die rechtlichen Grundlagen sind heute wieder einmal erwähnt worden: das Grundgesetz, die Landesverfassung, das Schulgesetz, Erlasse usw. Hierzu zitiere ich gern eine Aussage, die Frau Dr. Hein am 9. Juli 2004 gemacht hat. Sie sagte:

„Ich halte es auch nicht für sehr hilfreich, dass wir uns hier regelmäßig die Gesetzestexte vorlesen...“

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Das sollten wir, glaube ich, im Allgemeinen sein lassen; denn diejenigen, die sich damit beschäftigen, kennen sie ohnehin.

Bei diesem Thema, das, wie ich sagte, immer aktuell ist, gab es verschiedene Aktualisierungsschübe, die manchmal von der Regierung, und zwar von allen bisherigen Regierungen, manchmal von einzelnen Abgeordneten oder von Fraktionen ausgelöst wurden. Es sind Papiere erarbeitet worden.

Eines der bedeutendsten Papiere ist wahrscheinlich die Expertise „Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft“ vom Mai 2001. Darin stehen bedeutsame Sätze. Es lohnt sich, darin zu lesen. Einen Satz möchte ich vorlesen, weil er für uns alle wichtig ist, auch im Hinblick auf die Schlussfolgerungen. Unter der Überschrift „Öffentlichkeit“ heißt es:

„Die Stabilisierung und die Weiterentwicklung des Bereiches von Religions- und Ethikunterricht hängt entscheidend von seiner Akzeptanz und Unterstützung in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, in den politischen Parteien und bei den Mitgliedern der Landesregierung ab. Dabei muss sich das Anliegen dieser Fächer gegen anders gelagerte oder gar gegenläufige Interessen durchsetzen.“

Unterstützend wird in diesem Prozess die Eröffnung eines parteiübergreifenden Dialogs über die Rolle religiöser und ethischer Bildung an den öffentlichen Schulen Sachsen-Anhalts vorgeschlagen. Im Landtag von Sachsen-Anhalt findet das regelmäßig statt; deswegen brauchen wir uns dadurch nicht kritisiert zu fühlen. Wir sollten durchaus daran festhalten.

Bei den Aktualisierungsschüben kommt es dann auch immer wieder zu Anfragen und Debatten. Es ist, glaube ich, in diesem Landtag im Allgemeinen immer wieder Einigkeit in der Sache selbst erzielt worden. Wenn man die Ausführungen in den letzten Landtagsdebatten noch einmal nachliest, dann stellt man fest, dass sie alle in die

gleiche Richtung gehen. Herr Minister Olbertz hat bereits darauf Bezug genommen. Das alles ist schon sehr gut.

Für eines bin ich Frau Dr. Hüskens geradezu dankbar. Sie sagte vorhin, dass zwei Stunden Ethikunterricht oder Religionsunterricht natürlich nicht in der Lage sein würden, die für die jungen Menschen oder für die Menschen insgesamt wichtigsten Fragen zu beantworten. Es soll lediglich versucht werden, Antworten zu geben, Wissen zu vermitteln.

Ich wage kaum die Frage zu stellen, welches Ergebnis herauskäme, wenn die Soziologen in einer vergleichenden Untersuchung einmal diejenigen etwa 50 % der jungen Leute, die in den letzten 15 Jahren Religions- oder Ethikunterricht hatten, denjenigen gegenüberstellen würden, die diesen Unterricht nicht hatten. Möglicherweise würde festgestellt, dass die einen bessere Menschen geworden sind als die anderen.

(Herr Tullner, CDU: Wer will das beurteilen?)

Wenn die einen besser geworden sind, dann sind wir den anderen etwas schuldig geblieben. Wenn sie aber nicht besser geworden sind, dann relativiert sich natürlich die ganze Anstrengung.

(Zuruf von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Dennoch sind wir uns alle, glaube ich, darin einig, dass es sich nicht nur lohnt, sondern dass wir es weiterhin tun müssen und ernst nehmen müssen; denn das gehört zu unserem Leben.

Eine Pflicht zur Teilnahme am Ethikunterricht halte ich für sehr gut. Ich bin allerdings gespannt, was die Kirchen im Einzelnen dazu sagen werden. Wir kennen die Befürchtungen. Ein Pflichtfach Ethik wird sich unter Umständen so weit durchsetzen, dass der Raum für Religionsunterricht beider Konfessionen enger wird. Das haben auch Sie bisher befürchtet, wenn ich das richtig mitbekommen habe.

Ein konfessionsübergreifender Unterricht wird sich schon deswegen nicht flächendeckend durchsetzen lassen, weil ein Gläubiger der einen Konfession nicht so leicht geneigt sein wird, seine Kinder in den Unterricht einer anderen Konfession zu schicken. Das beißt sich unter Umständen mehr, als wenn ein Gläubiger verpflichtet wird, in den Ethikunterricht zu gehen, in dem Wissensvermittlung, aber nicht so sehr Glaubensvermittlung erfolgt. Das wird also ein echtes Problem.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Außerdem muss man sagen: Nicht die Fächer vermitteln die Ethik und die Lebenshaltungen, sondern es sind die Personen; die haben wir natürlich auch außerhalb solcher Fächerangebote. Innerhalb des Unterrichts muss aber Zeit vorhanden sein, um das zu jeder Ethik und zu jeder Religion gehörende Wissen zu vermitteln. Das kann nicht nur nicht schaden, sondern es ist auch für alle im Sinne einer breiteren Bildung erforderlich.

Es wird in der Schule nicht die Antwort darauf gegeben, ob es einen Gott gibt oder nicht, aber es wird die Antwort darauf gegeben, welche Menschen nach welchem Gott fragen, und es wird aufgezeigt, was sie für verschiedene Antworten darauf bekommen können usw. Es wird also Wissen vermittelt. Es ist in der Schule allemal wichtig, auch zu erfahren, wie andere Menschen zu unserem Leben und zu unserer Gesellschaft stehen.

Der Religionsunterricht ist zum Teil auch eine Glaubensunterweisung. Ich habe nicht die Befürchtung, die Frau Dr. Hein beim letzten Mal geäußert hat, dass dort eine Missionierung erfolgt. Missionierung kann man heute höchstens noch im Sinne von Werbung und Vorbildwirkung verstehen, aber nicht mehr im Sinne der Missionierung, wie sie früher einmal mit Feuer und Schwert oder mit anderen Druckmitteln durchgesetzt worden ist. Darüber sind wir in einem säkularisierten Staat zum Glück längst hinaus. Warum soll man durch Werbung und Vorbildwirkung nicht auch junge Menschen zu beeinflussen versuchen? - Das ist schon richtig. Das wäre in einem Religionskundeunterricht allerdings nicht möglich.

Im Religionskundeunterricht - ich weiß, dass die Kirchen den gar nicht so mögen - steht ein Lehrer da und erzählt, was die einen oder anderen in ihrer Religion tun und glauben. Eine Religion zu vermitteln, ohne ihr selbst anzugehören und ohne den Glauben zu teilen, das gelingt nur sehr wenigen Menschen. Es gibt welche, die können das. Wenn sie es aber alle so distanziert machen, wie sie es gerade gelernt haben, dann ist es außerordentlich schwer. Das muss man dann schon denjenigen überlassen, die selbst zu dieser Religion stehen. Es wird aber schwer sein, Lehrer mit einer solchen Persönlichkeit zu finden, die dazu in der Lage wären.

Kurzum: Es sollte daher schon getrennt bleiben. Es sollte Religionsunterricht für diejenigen geben, die daran glauben und deren Elternhaus darauf achtet. Die anderen sollten über das unterrichtet werden, was andere glauben, zumal ja immer noch der schöne Satz gilt: Die einen glauben, dass sie glauben, und die anderen glauben, dass sie nicht glauben. - Danke schön.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Fikentscher. - Meine Damen und Herren! Beschlüsse zur Sache werden gemäß unserer Geschäftsordnung nicht gefasst. Damit haben wir das zweite Thema der Aktuellen Debatte abgeschlossen und den Tagesordnungspunkt 2 b erledigt.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, begrüßen Sie mit mir auf der Südtribüne Seniorinnen und Senioren der Volkssolidarität, Ortsgruppe GenthinSüdost.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Wir treten nun in die Behandlung des Tagesordnungspunktes 4 ein:

Aussprache zur Großen Anfrage

Zur Situation in den ländlichen Räumen SachsenAnhalts

Große Anfrage der Fraktion der PDS - Drs. 4/1896