Protocol of the Session on April 14, 2005

Nun hat die Landesregierung vor wenigen Wochen ein Gutachten präsentiert, das die verpflichtende Teilnahme am Ethikunterricht als verfassungskonform beschreibt, wenn der konfessionsgebundene Unterricht, der Religionsunterricht, nicht angeboten werden kann. Die Kirchen signalisieren zu meiner Verwunderung mehr oder weniger offene Zustimmung oder aber leise Skepsis und bieten verstärkt Hilfe an zur Gestellung von Lehrkräften. Die katholische Kirche verweist auf die Praxis des Schulen übergreifenden Unterrichts, wenn an einer Schule keine Lerngruppen zustande kommen, was natürlich nur an Mehrfachstandorten geht.

Die Landesregierung denkt auch darüber nach - der Minister hat es heute beschrieben -, dass der Besuch des Religionsunterrichts der jeweils anderen Konfession möglich ist, wobei ich nicht weiß, wie die Kirchen darauf reagieren. Das ist aber auch nicht meine Sache. Allerdings wäre auch das nach den Äußerungen von Frau Feußner im Juli des vergangenen Jahres aus meiner Sicht noch undenkbar gewesen. Immerhin sind das doch erstaunliche Erkenntnisse innerhalb eines Jahres, die durchaus hoffnungsvoll stimmen.

Warum nun diese Debatte? - Ich finde schon, wir sollten tatsächlich zuerst vor unserer Tür kehren, anders als gestern der Bundestag. SPD und PDS in Berlin haben es nämlich gewagt, ein neues Fach verpflichtend zu planen - verpflichtend! -, wie es künftig beim Ethikunterricht in Sachsen-Anhalt der Fall sein soll. Damit müssen nun die Säulen des Werte bildenden Unterrichts noch einmal beschworen werden.

Aber in Berlin sind die Bedingungen andere. Zum Ersten hat Berlin seit jeher keinen Werte bildenden Unterricht als gesondertes Schulfach verpflichtend vorgehalten. Wie auch in Brandenburg gilt für Berlin nämlich die so genannte Bremer Klausel, die auch das Land SachsenAnhalt im Jahr 1990 hätte in Anspruch nehmen können. Der Landtag als verfassunggebendes Organ hat das aber nicht getan. Somit ist Religion in Sachsen-Anhalt ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen, aber in Berlin eben nicht.

Stattdessen gibt es die Möglichkeit der freiwilligen Teilnahme am Religionsunterricht als ureigene Angelegen

heit der Religionsgemeinschaften. Das Land Berlin bietet auch innerhalb der Schule Raum und Zeit für diesen Unterricht und entsprechende Zuschüsse auf der Grundlage von Vereinbarungen mit Religionsgemeinschaften. Solche Vereinbarungen gibt es in Berlin derzeit mit acht Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Mit acht! Wer zu dem Unterricht der acht Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht gehen will, hat bislang auch kein anderes Fach.

Insofern ist diese Situation mit der derzeitigen Situation in Sachsen-Anhalt in gewisser Weise sogar vergleichbar. Bei uns ist es so, dass es dort, wo nicht alle Fächer der Fächergruppe angeboten werden können, keinen Unterricht gibt, jedenfalls keinen verpflichtenden. In Berlin ist die Freiwilligkeit im Moment der gesetzliche Zustand. Wir sind uns offensichtlich einig, dass die Tatsache, dass jemand überhaupt keinen Werte bildenden Unterricht erhält, nicht gut ist. Deshalb ist die Entscheidung der Landesregierung aus meiner Sicht richtig.

Allerdings - der Minister hat es gesagt; ich wiederhole es nur kurz - kann nur die Teilnahme am Ethikunterricht verpflichtend gemacht werden. Ich gebe zu, ich hätte an dieser Stelle schon den Aufschrei der Kirchen erwartet.

(Herr Bischoff, SPD: Der kommt noch!)

Aber warum nun der Aufschrei bei der Berliner Lösung? Weil kein Wahlpflichtbereich eingerichtet wird? - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berliner haben sich auf den Verfassungsrang der Bremer Klausel bezogen. Wenn jemand von außen fordert - das Berliner Abgeordnetenhaus kann das immer anders entscheiden -, die Berliner mögen den Wahlpflichtunterricht einrichten, dann bedeutet das eine Aufhebung der Bremer Klausel und somit eine Veränderung des Verfassungsranges dieser Fächer. Wir können uns lange darüber unterhalten - das kann man wollen und das kann man nicht wollen -, aber es steht uns nicht zu, eine solche Entscheidung von außen zu be- oder zu verurteilen.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Herr Tull- ner, CDU: Machen wir nun eine Debatte oder Kleinstaaterei? - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Sie wissen ganz genau, dass die PDS zu der Frage der Trennung von Staat und Kirche eine andere Auffassung hat. Aber auch wir werden uns an diesen Verfassungsrang halten müssen, der im Land Sachsen-Anhalt mehrheitlich so entschieden worden ist. Das gilt jetzt, aber in Berlin eben nicht.

Wenn die Berliner unter den gegebenen Bedingungen, die in Berlin angesichts der Vielfalt der dort lebenden Angehörigen unterschiedlicher Kulturen und unterschiedlicher religiöser Bindungen noch um einiges schärfer stehen als vielleicht bei uns, nun endlich einen verpflichtenden Werte bildenden Unterricht anbieten, dann ist das nicht nur legitim,

(Herr Tullner, CDU: Aber die Inhalte!)

sondern es ist höchst notwendig und kein so furchtbar anderer Schritt, als ihn die Landesregierung in SachsenAnhalt für das nächste Schuljahr gehen will.

Wovor also haben Sie Angst? Die Freiwilligkeit des Besuches des Religionsunterrichts bleibt doch erhalten.

(Herr Tullner, CDU: Ja, aber am späten Nachmit- tag! - Frau Feußner, CDU: Sie können nicht mehr entscheiden, ob sie am Religions- oder am Ethik- unterricht teilnehmen!)

- Nein, Sie haben mir nicht zugehört; es gibt Raum und Zeit für diesen Unterricht. Wovor haben Sie Angst? Jetzt können sich die Schülerinnen und Schüler frei entscheiden, ob sie den Religionsunterricht wahrnehmen oder nicht. Das ist eine freiwillige Entscheidung.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Sie haben dann nur ein anderes Schulfach mehr. Das finde ich richtig.

(Frau Feußner, CDU: Wenn man religionsfrei ist, kann man nur so diskutieren! - Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Darüber hinaus betone ich noch einmal, was ich schon vor einem Jahr unter dem Beifall von Herrn Schomburg gesagt habe, nämlich dass ich es gerade in dieser Zeit wichtig finde - weil ich es für wichtig halte, dass es eine Akzeptanz unterschiedlicher religiöser Bindungen gibt -, dass im Ethikunterricht bzw. im wertebezogenen verpflichtenden Unterricht - im Land Sachsen-Anhalt ist dies der Ethikunterricht - ein größerer Wert auf die Vermittlung von Wissen über unterschiedliche Kulturen und ihr religiöses Gesicht gelegt wird. Wenn Sie die Situation mit den acht Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Berlin berücksichtigen, wie wollen Sie das, bitte schön, hinbekommen?

Dennoch glaube ich, dass dieser Schritt richtig ist. Wenn wir erreichen würden, dass im Ethikunterricht - wenn wir ihn denn verpflichtend zumindest für all diejenigen haben, die keinen Religionsunterricht in Anspruch nehmen - mehr Wissen über die Religionen vermittelt wird, dann wäre dies auch ein richtig guter Beitrag gegen die platten ausländerfeindlichen Sprüche, für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit. Das wäre ein wirksamer Beitrag zu dem Antrag, den wir hier vor kurzem gemeinsam beschlossen haben. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Für die FDP-Fraktion erhält nun die Abgeordnete Frau Dr. Hüskens das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Hüskens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss gestehen, auch ich habe mich gewundert, warum wir heute über Ethik und Religion als Säulen eines wertebezogenen Unterrichts diskutieren. Artikel 27 unserer Verfassung schreibt vor, dass Ethik- und Religionslehre an unseren Schulen ordentliche Wahlpflichtfächer sind. Damit ist eigentlich alles gesagt.

Frau Hein, ich bin sehr überrascht - aber wir wissen, dass unsere Bildungspolitiker das immer hinbekommen -, dass man dieses Faktum emotional diskutieren kann.

(Frau Dr. Hein, PDS: Das ist Frau Feußner ge- schuldet, die so emotional reagiert hat!)

- Das mögen die beiden Damen unter sich ausmachen. Da hänge ich mich nicht rein.

Es gibt allerdings zwei Entwicklungen - das haben wir heute schon gehört -, über die man sicherlich reden kann. Zum einen gibt es eine positive Entwicklung. Die Landesregierung fühlt sich aufgrund eines Rechtsgut

achtens stärker als bisher in der Lage, den Artikel 27 Abs. 3 umzusetzen.

Frau Hein, auch darin stimme ich Ihnen zu: Es wäre schön, wenn man das früher getan hätte. Sie hatten acht Jahre lang Zeit dazu, vorher hatten wir vier Jahre lang Zeit dazu, jetzt sind weitere zweieinhalb Jahre vergangen. Ich denke, wir alle sollten es begrüßen, dass in stärkerem Maße als bisher Ethik- und, wie ich hoffe, auch Religionsunterricht an den Schulen in Sachsen-Anhalt angeboten wird. Bisher konnte Ethikunterricht - auch das haben wir heute schon gehört - nur dann angeboten werden, wenn katholischer oder evangelischer Religionsunterricht angeboten werden konnte.

Diese neue Entwicklung wird von der FDP-Landtagsfraktion unterstützt, da ein Werte erklärender Unterricht ausgesprochen wichtig ist. Als Finanzpolitikerin sage ich ganz klar: Wir begrüßen das, wir unterstützen das, obwohl mir natürlich klar ist, dass dadurch ein höherer Bedarf an Unterrichtsstunden entsteht. Wir brauchen uns auch nicht zu agitieren. Das ist bisher der Grund gewesen, warum man in diesen Bereichen nicht so recht vorangekommen ist.

Meine Damen und Herren! Wir alle stellen fest, dass nach einem jahrzehntelangen Streben nach absoluter individueller Entfaltung, dem Aufbrechen von Werten und Vorschriften die Menschen - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa - verstärkt nach Vorgaben für ihr tägliches Handeln suchen. In den Medien wird allenthalben bedauert, dass ein Verfall von Werten zu verzeichnen ist. Unsere Welt wird selbst im letzten Winkel immer komplexer. Der gesellschaftliche Wandel beschleunigt sich. Wir werden täglich mit mehr fremden kulturellen Vorstellungen konfrontiert.

Das führt ganz offensichtlich zu einer verstärkten Suche nach Richtlinien für das eigene Leben, sowohl im Bereich der Grundwerte als auch im Bereich dessen, was man über lange Zeit als Sekundärtugenden abgetan hat, wie Ordnung oder Fleiß. Nicht umsonst finden sich heute auf den Schülerzeugnissen wieder Kopfnoten. Ich kann mich sehr gut an Zeiten erinnern, in denen das als völlig absurd, als alter Zopf oder was weiß ich abgetan worden ist und die Bildungspolitik über solche Dinge nur gelächelt hätte.

Meine Damen und Herren! Für die Liberalen ist es entsprechend dem Artikel 11 unserer Landesverfassung zunächst die Aufgabe der Eltern, ihren Kindern Werte zu vermitteln und vorzuleben. Darüber hinaus ist es natürlich die Aufgabe der Schule, insgesamt Werte zu vermitteln, die in unserem Bundesland - so ist es nun einmal - grundsätzlich auf der christlichen Lehre und den philosophischen Vorstellungen basieren, die sich aus dieser christlichen Lehre entwickelt haben. Für die Vermittlung des theoretischen Grundgerüstes muss zusätzlich ein entsprechender Ethik- oder Religionsunterricht angeboten werden.

Ich betone dabei das Wort „Vermittlung“, denn es handelt sich um einen Werte erklärenden Unterricht. Wir vermitteln die theoretischen Grundlagen. Ich warne aber davor zu glauben, dass zwei Stunden Ethik oder Religion in der Woche dem von uns allen beklagten Werteverlust oder der Orientierungslosigkeit wirksam begegnen können.

(Zustimmung von Herrn Kehl, FDP)

Es handelt sich hierbei nicht um die Vermittlung im Sinne des Beibringens von Werten, sondern um das Erklä

ren. Vermitteln können Werte nur das Elternhaus, die Schule und die Gesellschaft insgesamt.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, uns als Politikern und auch den Medien kommt hierbei eine ebenso große Bedeutung zu wie der Schule.

Trotzdem, es ist ein Fortschritt, nun verstärkt einen Werte bildenden Unterricht anzubieten, Ethik zu unterrichten, auch wenn nicht zeitgleich Religionsunterricht angeboten werden kann. Das ist aus meiner Sicht keine Benachteiligung des Religionsunterrichtes. Ich freue mich darüber, dass die beiden Kirchen das offensichtlich auch nicht so empfinden.

Meine Damen und Herren! Die Entwicklung, die derzeit in Berlin stattfindet - das ist der zweite Anlass für die heutige Debatte -, ist in unserem Bundesland schon aufgrund der Verfassungslage ausgeschlossen. Eine derartige Diskussion ist hier im Land nicht möglich; es sei denn, wir versuchen, unsere Verfassung in dieser Richtung zu ändern. Das halte ich vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit der letzten Verfassungsdiskussion jedoch für ausgeschlossen. Aber auch ohne diese rechtlichen Vorgaben hielte ich persönlich das Ansinnen für abenteuerlich, den Religionsunterricht durch Ethikunterricht verdrängen zu wollen.

Ohne mich in die Angelegenheiten der Kollegen in Berlin einmischen zu wollen, möchte ich sagen: In den Metropolregionen Deutschlands wäre es meiner Meinung nach eher angezeigt, den Versuch zu unternehmen, durch Verträge über den Religionsunterricht auch die nichtchristlichen Religionsgemeinschaften stärker in die Schule zu integrieren, auch wenn das Arbeit bedeutet.

Denn auf diese Art und Weise können wir einen Unterricht verhindern, der außerhalb der Schule stattfindet und der Werte wie etwa Familienehre vermittelt. Wir lesen neuerdings häufiger in der Zeitung, dass junge Menschen, auch wenn sie in der zweiten Generation in Deutschland leben, noch Werten nachhängen, die wir in unserer Republik, in unserem Grundgesetz ablehnen.

Ich glaube, es wäre sinnvoller, wenn in Berlin eine solche Einbeziehung stattfinden würde, statt zu versuchen, den Ethikunterricht für alle verpflichtend und den Religionsunterricht für - ich sage es einmal zynisch - Ewiggestrige anzubieten.

(Frau Dr. Hein, PDS: Deshalb muss das gemacht werden!)

- Frau Hein, das ist aber nicht Diskussionsgegenstand in Berlin gewesen. Das war vor ein paar Jahren einmal so, habe ich in Vorbereitung auf die heutige Sitzung gelernt.

Ich hätte es gut gefunden, wenn sich die Kollegen dort einfach einmal mit dem Problem auseinander gesetzt hätten und versuchen würden, Religionen, mit denen wir jeden Tag leben müssen, in die Schule zu holen, statt unsere christlichen Religionen auszugrenzen. Ich bin der Auffassung, dass wir auch in den Schulen mit einem entsprechenden Pluralismus leben könnten, solange er sich im Rahmen unseres Grundgesetzes und nicht außerhalb unserer gesellschaftlichen Vorstellungen bewegt.

Aber all das - ich betone das - ist in Sachsen-Anhalt derzeit kein Thema. Wir sind froh, dass Ethikunterricht und Religionsunterricht einander ergänzen und dass sie im