Protocol of the Session on December 17, 2004

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung bei der FDP)

Die wehrhafte Demokratie muss sich mit allen Kräften gegen alle Tendenzen von Fremdenfeindlichkeit und der Abwertung von Behinderten oder anders lebenden Menschen stellen.

In den Diskussionen der letzten Wochen habe ich oft gehört - manchmal auch in eigenen Kreisen -, man solle solche Erscheinungen nicht so ernst nehmen; Rechtsextreme gebe es in allen Ländern, eben mal mehr und mal weniger.

Diese Ansicht mag die Tatsache berücksichtigen, dass es in der Vergangenheit immer wieder rechtsextreme

Abgeordnete in Landtagen und Kommunalparlamenten gegeben hat. Ihr Dasein war meist nur von kurzer Dauer, weil sie entweder zerstritten auseinander fielen oder durch Faulheit glänzten. Trotzdem halte ich eine Relativierung solcher Entwicklungen nach dem Grundsatz: „Das gehört zu den Randerscheinungen in allen Ländern“, für falsch und gefährlich.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung bei der FDP)

Wie andere Länder damit umgehen und wie hoch der Grad der Tolerierung rechtsextremer Gruppierungen ist, darf für Deutschland kein Maßstab sein. Unsere Geschichte verbietet es uns, einfach darüber hinwegzuschauen oder gar zu schweigen. Gerade die Kriegs- und die Nachkriegsgeneration - dazu zähle ich mich auch - haben aufgrund der unmittelbaren Nähe zu den unheilvollen und dunkelsten Jahren unserer Geschichte bis heute ein gebrochenes Verhältnis zum eigenen Land.

Um dies zu überwinden, brauchen wir immer noch und immer wieder den offenen Blick auf jene Ereignisse, die das vergangene Jahrhundert so sehr geprägt haben, die Auseinandersetzung mit den Ursachen und Wirkungen und die Lehren, die daraus zu ziehen sind, um solche Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und zu bekämpfen.

Wenn es schon in dieser Debatte darum geht: Zu einem echten Patriotismus gehört der offene Umgang mit der Geschichte, mit den Ursachen und den Folgen, dazu gehört das Erinnern und das Lernen aus der Geschichte.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Dazu gehört erst recht, Unrecht und Geschichtsverfälschung nicht zuzulassen. Wer stolz auf das eigene Land sein will, auf seine Denker und Dichter, auf Baumeister und Künstler, auf kulturelles Erbe und moderne Wissenschaft, der darf um Gottes und der Menschen willen die schwierigen, die dunklen, die schuldbeladenen Ereignisse nicht verharmlosen, verdrängen oder umdeuten. Zum ehrlichen Umgang gehören alle Fassetten geschichtlicher Ereignisse.

(Beifall bei der SPD, bei der PDS und bei der FDP)

Deshalb danke ich an dieser Stelle ausdrücklich allen in der Wirtschaft - sie lebt besonders von dem globalen Miteinander -, ich danke den Kirchen, der Politik, auch den Vereinen wie zum Beispiel dem Verein „Miteinander“, dass sie dies unterstützen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Die Absicht rechtsextremer Parteien und Gruppierungen, die Bombardierung deutscher Städte durch Briten und Amerikaner am Ende des Krieges zum Anlass zu nehmen, die geschichtlichen Zusammenhänge zu verdrehen und die Schuld am Tod Tausender Menschen denen in die Schuhe zu schieben, ist ein ungeheuerlicher Akt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Damit soll der Versuch unternommen werden, den Faschismus zu verharmlosen, die ungeheuren Gräueltaten zu rechtfertigen und deren Ursachen zu verfälschen. Das dürfen wir nicht zulassen, niemals.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung bei der FDP)

Deutschlands Zukunft kann nur gedeihen im Verbund mit unseren Nachbarn und der Welt. Damit bleibt sie auch friedlich, wenn wir die Lehren aus unserer Geschichte ernst nehmen und Weltoffenheit, Toleranz und Fremdenfreundlichkeit tagtäglich leben. Deshalb soll von diesem Landtag aus über Parteigrenzen hinweg ein deutliches Signal ausgehen, dass wir all unseren Kräften gegen jede Art von Fremdenfeindlichkeit und Geschichtsverfälschung eintreten.

Wir unterstützen die Magdeburger Bürgerschaft; denn der Anlass für die heutige Aktuelle Debatte ist auch, dass am 15. Januar 2005 in Magdeburg die erste große Demonstration vorgesehen ist, die genau diese Geschichtsumdeutung zum Ausgangspunkt nimmt und die dann in allen deutschen Städten fortgesetzt werden soll. Wir nehmen das zum Anlass, uns zu solidarisieren mit der Magdeburger Bürgerschaft und dem Stadtrat, der über alle Parteigrenzen hinweg einmütig dazu aufgerufen hat, dies nicht zuzulassen.

Es wird am Ende dieser braunen Demonstration auf dem Domplatz eine Kehraktion geben. Ich kann nur alle bitten, dabei mitzumachen. Unter dem Motto: „Wir kehren den braunen Dreck weg“, will man das Zeichen setzen: Die Städte unseres gesamten Landes sind weltoffen und tolerant. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, bei der PDS und bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Bischoff. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Südtribüne die zweite Gruppe der Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Benndorf

(Beifall im ganzen Hause)

und auf der Nordtribüne unseren ehemaligen Alterspräsidenten Herrn Hans-Jochen Tschiche.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir setzen die Debatte fort mit dem Beitrag der Landesregierung. Für die Landesregierung ergreift Minister Herr Jeziorsky das Wort. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr 1945, also in der Endphase des Zweiten Weltkrieges fielen deutsche Städte den Bombenangriffen der Alliierten zum Opfer. Auch das heutige SachsenAnhalt war davon betroffen, wenn ich etwa nur an Magdeburg und Halberstadt denke. In dieser Endphase des Krieges wurden aber nicht nur Städte und Dörfer zerstört, sondern es fanden auch unzählige Menschen den Tod.

Der 60. Jahrestag der Angriffe wird vielerorts zum Anlass genommen, dieser furchtbaren Geschehnisse und der unzähligen Opfer zu gedenken. Entsprechende Veranstaltungen sind schon geplant. Umso beschämender ist es für uns alle, wenn wir hören müssen, dass rechte Gruppierungen versuchen, diese Gedenkveranstaltungen im kommenden Jahr für ihre Zwecke zu vereinnahmen und zu missbrauchen.

Das beschämt deshalb so, weil gerade diejenigen, die sich auch heute noch von nationalsozialistischen Parolen blenden lassen, Gedenkveranstaltungen zu den

furchtbaren Folgen der damaligen Politik umfunktionieren wollen, um ihre extremistischen Ziele zu befördern.

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Dabei ist sich die Landesregierung der Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht, sehr bewusst. Diese Gefahr lauert leider überall, wie schon ein kurzer Blick in unser Nachbarland Sachsen beweist. Mit dem Einzug der NPD in das sächsische Parlament kommt der Rechtsextremismus auch im parlamentarischen Raum wieder zum Zuge. Ich darf Ihnen daher versichern, dass sich die Landesregierung gewissenhaft der Beobachtung und der Bekämpfung des Rechtsextremismus jedweder Art widmet.

Extremismus jeder Art gefährdet unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung. Deshalb ist es geboten, gegen Extremismus generell, gleich welcher Couleur, entschlossen vorzugehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Aktuellen Debatte geht es aber speziell um die Gefahren des Rechtsextremismus. Deshalb will ich die Gelegenheit nutzen, dieses Feld einmal etwas näher zu beleuchten.

Die Wahlerfolge der NPD und der DVU im Sommer dieses Jahres ließen uns alle aufschrecken. Die von führenden Rechtsextremisten aus dem Parteienbereich und der neonazistischen Szene propagierte „Rechte Volksfront“ verunsichert die Öffentlichkeit und die Politik. Das ist zweifellos eine ernst zu nehmende Entwicklung und deshalb befasst sich die Verfassungsschutzbehörde unseres Landes auch intensiv mit diesen Vorgängen.

Es liegen verlässliche Informationen über das politische Agieren und die strukturelle Entwicklung der rechtsextremistischen Parteien in Sachsen-Anhalt vor. Danach ist die von verschiedenen Seiten beschriebene braune Volksfront bislang eine Wunschvorstellung vieler Rechter, aus der eine tiefe Niedergeschlagenheit angesichts der jahrelangen Bedeutungslosigkeit und der ständigen Wahlniederlagen spricht.

Die NPD gehört zweifelsohne zu den aktivsten rechtsextremistischen Parteien in Sachsen-Anhalt. Sie konnte in diesem Jahr ihre Mitgliederstärke leicht erhöhen. Derzeit sind knapp 200 Personen in neun Kreisverbänden in der NPD organisiert. Dem Landesverband fehlt es jedoch an inhaltlicher Tiefe. Ideen für die politische Arbeit werden von der Bundespartei adaptiert. Mit politischen Themen setzt man sich nur oberflächlich auseinander. Die breite Öffentlichkeit wird kaum erreicht.

Die anderen Parteien des rechten Lagers, wie die Deutsche Volksunion, DVU, die Republikaner und die Deutsche Partei, spielen in unserem Land so gut wie keine Rolle. Sie sind für den Bürger fast nicht wahrnehmbar.

Die Parteivorsitzenden von NPD und DVU kamen im Sommer dieses Jahres überein, sich bei den Landtagswahlen am 19. September 2004 in Brandenburg und Sachsen nicht durch gleichzeitige Kandidaturen zu behindern. Aus wahltaktischen Gründen empfahl man, in Sachsen die NPD und in Brandenburg die DVU zu wählen. Es ist zu erwarten, dass diese Strategie weiterhin praktiziert werden wird. Vor allem will man rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2006 die Weichen stellen.

Diese Strategie verfolgt auch der sachsen-anhaltische NPD-Landesvorsitzende Andreas Karl. Auf einem Parteitag am 18. September 2004, auf dem Karl erneut zum

Landesvorsitzenden gewählt wurde, deutete er eine engere Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen an. Wir beobachten hier eine zumindest partielle Aufgabe der Partikularinteressen zugunsten eines gemeinsamen Zieles. Ich halte es jedoch für verfrüht, von einer Sammlungsbewegung im Bereich des organisierten Rechtsextremismus zu sprechen.

Ganz klar ist, dass es in nicht parteigebundenen Kreisen des rechtsextremistischen Spektrums Bemühungen gibt, am Erfolg von NPD und DVU teilzuhaben. Im Übrigen trifft das auch für die kleineren rechtsextremistischen Parteien zu. Zu nennen ist an dieser Stelle die Deutsche Partei - Die Freiheitlichen, deren größter Landesverband in Sachsen-Anhalt existiert; denn die ehemalige DVUAbsplitterung FDVP ist in der Deutschen Partei aufgegangen.

Die DVU hatte mehrere Wahlerfolge auf Landesebene, blieb aber bis heute ein vom Parteivorsitzenden ideell und finanziell abhängiges Kunstprodukt mit schwacher sozialer Verankerung, chronisch knapper Personaldecke und unterentwickeltem Parteileben.

In jüngster Zeit ist auch immer wieder von einer engeren Zusammenarbeit der NPD mit Neonazis die Rede. Der NPD-Parteivorsitzende Vogt rief im letzten Jahr alle so genannten nationalkonservativen Konkurrenzparteien und Organisationen auf, zum nationalen Original zurückzukehren. Der Kampf um Deutschland habe begonnen; man möge sich einreihen. Ob die im rechten Lager vorherrschenden Partikularinteressen zugunsten einer wie auch immer gearteten Sammlungsbewegung überwunden werden können, bleibt abzuwarten. Die Entwicklung in Sachsen-Anhalt haben wir dabei gut im Blick.

Die Attraktivität der Neonazi-Szene scheint für einige junge Menschen ungebrochen zu sein. In Sachsen-Anhalt verzeichnen wir seit einigen Jahren ein gleich bleibendes Potenzial von etwa 250 Personen. Diese Szene ist in regional verankerten Gruppen von 20 und mehr Personen organisiert. Diese Personenzusammenschlüsse bezeichnen sich als Kameradschaften oder neuerdings auch als „freie Nationalisten“. Diese Gruppen nehmen einen positiven Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus und verherrlichen dessen Führer.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine augenfällige Gefährlichkeit erreicht der Rechtsextremismus immer dann, wenn politisch motivierte Straf- oder Gewalttaten ins Spiel kommen. Immer wieder ereichen uns Nachrichten von gewalttätigen, fremdenfeindlichen Übergriffen oder Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken. Der Anteil der rechtsextremistisch motivierten Kriminalität am Gesamtaufkommen politisch motivierter Delikte liegt unverändert bei rund 80 %. Dabei bilden die so genannten Propagandadelikte, das heißt die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbolik, den Hauptanteil.

Die Zahl der Gewalttaten im Bereich des Rechtsextremismus ist gegenüber dem Vorjahr leicht angestiegen. Erfreulich ist jedoch, dass seit dem Jahr 1998 mit 104 Fällen bis heute mit 55 Fällen in diesem Bereich eine rückläufige Tendenz festzustellen ist.

Im Fokus der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden stehen auch die zahlreichen Aktivitäten der rechtsextremistischen Musik- und Vertriebsszene. Während rechtsextremistische Skinhead-Musik nach wie vor ein wichtiger Identifikationsfaktor der Szene ist und mit rassistischen und antisemitischen Texten Feindbilder aufbaut,

fungieren einschlägige Vertriebe und Verlage mit teilweise strafrechtlich sanktionierten Publikationen und Tonträgern als Multiplikatoren von rechtsextremistischer Ideologie.

Noch vor den Sommerferien planten die Initiatoren eines so genannten Schulhofprojektes eine kostenlose flächendeckende Verteilung einer professionell aufgemachten CD an Jugendliche.