Protocol of the Session on December 17, 2004

Noch vor den Sommerferien planten die Initiatoren eines so genannten Schulhofprojektes eine kostenlose flächendeckende Verteilung einer professionell aufgemachten CD an Jugendliche.

(Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Operative Maßnahmen der Sicherheitsbehörden und eine konsequente Information der Öffentlichkeit ließen das aus der Sicht der Rechten ehrgeizige und kostspielige Projekt scheitern. Sie werden mir zustimmen, wenn ich dies als Erfolg werte.

(Zustimmung bei der FDP - Zuruf von Frau Bull, PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden weiterhin wachsam bleiben und gegen extremistische Tendenzen jeder Art entschlossen vorgehen. Das ist eine fortwährend wichtige Aufgabe, die nicht nur von unseren Sicherheitsbehörden geleistet werden kann. Wir alle sind aufgefordert, daran mitzuwirken, um gemeinsam die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft verteidigen und bewahren zu können. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Die Debatte wird mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fortgesetzt. Dazu erteile ich dem Abgeordneten Herrn Steinecke das Wort. Bitte sehr, Herr Steinecke.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, mit einer persönlichen Reminiszenz zu beginnen. Im Februar 1944 wurde ich in Biere bei Schönebeck geboren, weil meine Mutter aus Angst vor den zunehmenden Bombenangriffen auf Magdeburg zu ihrem Bruder aufs Land floh. Hier, nur 15 Kilometer südlich der Stadt, erlebte ich als Kleinkind auf dem Arm meiner Mutter am 16. Januar vor 60 Jahren das nächtliche Bombardement.

Hunderte von Bombern entluden ihre Tod bringende Last über Magdeburgs Industriegebieten und der dicht besiedelten Innenstadt. Blutrot färbte sich der Himmel über der brennenden Stadt - das hatte mir später meine Mutter berichtet. Angst und Verzweiflung machten sich breit. Die schöne Stadt Magdeburg, mein Zuhause, wurde zum zweiten Mal in ihrer 1 200-jährigen Geschichte zerstört.

Meine Damen und Herren! „Auf der Erinnerung zu bestehen, kann mitunter auch schon Widerstand sein, zumindest dann, wenn Vergesslichkeit groß geschrieben oder Erinnerung diskreditiert wird.“ - Das hat der Schriftsteller Siegfried Lenz gesagt. Was es für Folgen haben kann, wenn ein Feuer auf Erden angezündet wird, mussten wir Deutsche und die Völker der Welt leidvoll erfahren. Die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten hatte einen Sturm entfacht, der um die Erde raste, nichts übrig ließ als Trümmer, Schutt, Asche, Millionen Tote, Menschen ohne Hoffnung.

Die Älteren unter Ihnen spüren sicherlich heute noch jenes Feuer. In diesen düsteren Tagen unserer Geschich

te hat sich die Gesellschaft in Deutschland selbst ruiniert, weil sie dem nicht Einhalt gebot und weil sie nicht aufstand, um dem Wahnsinn ein Ende zu machen. In diesen Tagen und Nächten wurde die damalige Gesellschaft nicht nur für ausgeglühte Gebäude und Häuser verantwortlich, sondern vor allem für die „Ruinen“ in den Köpfen und Herzen vieler Menschen.

Die Ruinen von Oradour, die Verbrennungsöfen in Auschwitz, die Soldatenfriedhöfe an der Somme und in Stalingrad sprechen eine eigene Sprache. Sie sind direkte Überreste einer schrecklichen Vergangenheit, unverfälschte Zeugnisse von Ereignissen, die das gesprochene Wort oft gar nicht wirklich vermitteln kann. Deshalb, meine Damen und Herren, ist eine bewusste Spurensicherung heute mehr denn je erforderlich, je weniger Opfer noch Zeugnis ablegen können. Diese Spurensicherung muss zu einem Beitrag im Widerstand gegen das Vergessen und gegen die bewusste Geschichtsfälschung werden.

Meine Damen und Herren! Auf seiner Internet-Seite ruft der braune so genannte „Nationale Widerstand“ alle „Volksgenossen“ auf, in Magdeburg gegen die alliierten Kriegsverbrechen zu demonstrieren. Dabei wird jedoch jegliche Verantwortung unseres Volkes geleugnet. Dem muss eindeutig widersprochen werden. Das sind wir uns, unseren Kindern und unseren Kindeskindern schuldig.

(Beifall im ganzen Hause)

Jeder Krieg ist ein singuläres Ereignis voller Brutalität und Zerstörungswut. Kein Krieg kann deshalb gegen einen anderen aufgerechnet werden. Ich halte es daher für zutiefst unmenschlich und verachtenswert, wenn rechte Gruppierungen versuchen, die Zerstörung Magdeburgs und anderer deutscher Städte für ihre Ziele zu instrumentalisieren.

(Beifall im ganzen Hause)

Ihnen halte ich entgegen: Die Bürger Magdeburgs und unseres Landes Sachsen-Anhalt lehnen dies ab. Ich bin froh, dass sich der Landtag von Sachsen-Anhalt an dieser Stelle eindeutig positionieren wird.

Gott sei Dank, wir haben gelernt und wir haben durchaus ein gesundes Misstrauen gegenüber Menschen entwickelt, die sich berufen fühlen, die Welt zu etwas Neuem, zu etwas nie Dagewesenem umzuschmelzen. Wir sind misstrauisch geworden; denn die Brandstifter dieser Welt verheizen immer nur die anderen. Ihr Brennmaterial sind Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Menschenwürde, Menschen.

(Beifall im ganzen Hause)

Solange das so ist, wird die Welt nicht wirklich neu. Die von Menschen entfachten Feuer verändern zwar das Gesicht der Welt, aus der Glut wächst aber nichts Neues, nichts Gutes. Die jüngste Geschichte hat uns dies gelehrt.

Meine Damen und Herren! Wir ächten die Kriege, auch die Kriege unserer Tage, und möchten alle, die sie anzetteln, aus dieser Welt verbannen. Wir möchten auch die Verbrecher und Verführer sowie die Terroristen aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen wissen. Aber, meine Damen und Herren, wir wissen auch, dass es trotz aller Bemühungen keine heile Welt und keine heile Gesellschaft gibt. Immer wieder keimt das Böse auf. Alle Versuche, den reinen Menschen und die reine

Gesellschaft herzustellen, haben ihrerseits in Verbrechen und Chaos geendet.

In diesem Wissen gilt es, die positiven Kräfte zu entfalten, die sich, wie heute, auch im politischen Leben bemerkbar machen und sich behaupten. Dann können wir aus diesem Gedenken jene Aufmerksamkeit und Wachsamkeit gewinnen, welche die in uns womöglich schlummernden Rachegedanken vor dem Aufwachen bewahren.

Es leuchtet nicht nur in dieser Weihnachtszeit die „Sonne der Gerechtigkeit“ mit ihrer heilenden Kraft in uns. Wir müssen sie nur bündeln, müssen zusammen bleiben und Entschlossenheit zeigen.

Meine Damen und Herren! Doch das Kriegsgeschehen ist wieder allgegenwärtig. Ich denke an die Diskussion über die Wehrmachtsausstellung. Die Erinnerung wird schmerzhaft lebendig in den Bildern über die Verbrechen der Wehrmacht. Die Zeit der Gewaltherrschaft rückt wieder in das Bewusstsein, wenn die Öffentlichkeit wie heute über Rechtsextremismus diskutiert, für den insbesondere Jugendliche ohne Arbeit und ohne Zukunftsperspektive anfällig sind.

Krieg und Gewaltherrschaft kommen uns auch durch Flüchtlinge und Asylbewerber nahe, die auf der Suche nach Frieden und Freiheit unser Land erreichen. Nicht zuletzt spürt jede Familie, deren Sohn oder Vater zur Unterstützung von friedenssichernden Maßnahmen in die Krisengebiete entsandt wird, die Präsenz kriegerischer Bedrohung.

Es ist gut und richtig, dass immer wieder an die Kriegsfolgen, an die Verbrechen und vor allem an die Toten der Kriege erinnert wird. An den Gräbern macht sich diese Erinnerung fest. „Kriegsgräber sind die großen Mahner des Friedens“, hat Albert Schweitzer festgestellt. Wie Recht er doch damit hatte.

Der Volkstrauertag in jedem November und die heutige Debatte regen immer wieder dazu an, dass jede Frau, jeder Mann und jeder für sich selbst prüfen kann: Was unternehme ich in meinem Verantwortungsbereich, damit es nicht immer wieder neue Kriegsgräber und neues Unrecht auf dieser Welt gibt? - Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall im ganzen Hause)

Vielen Dank, Herr Steinecke. - Für die PDS-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Dr. Klein das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Klein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt ziemlich einmütig gegen Rechtsextremismus und rechte Gewalt ausgesprochen. Es wurden Zeichen gesetzt und die Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts wurden ermutigt, sich gegen rechtsextreme Gewalt und fremdenfeindliches Gedankengut zu wehren.

Es war nicht nur der Einzug der DVU in den Landtag im Jahr 1998, mit dem wir uns auf allen Ebenen der Gesellschaft auseinander setzen mussten. Es waren leider auch rechtsextreme Gewalttaten, wie der Mord an Torsten Lamprecht im Jahr 1992, an Frank Böttcher im Jahr 1997 in Magdeburg und der Mord an Alberto Adriano in Dessau im Sommer 2000, die Sachsen-Anhalt in die Schlagzeilen brachten.

Die SPD, die PDS und die CDU haben sich auf gemeinsame Positionen einigen können, die auch heute von großer Bedeutung für die Ächtung und Bekämpfung rechtsextremen Gedankengutes sind. Insofern ist auch die Analyse, die der Herr Innenminister uns über den gegenwärtigen Zustand der rechten Szene gegeben hat, wichtig. Aber entscheidend ist es, hier und heute ein Zeichen zu setzen, dass wir uns im Kampf gegen rechte Kräfte, gegen rechtsextremes Gedankengut und fremdenfeindliches Handeln einig sind.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD, von Herrn Tullner, CDU, und von Frau Wybrands, CDU)

Erinnert sei daran - ich war damals noch nicht im Landtag, aber die Debatte im September 2000 hat mich tief beeindruckt -, dass es damals in gleich lautenden Anträgen der SPD, der PDS und der CDU unter anderem hieß - ich darf mit Ihrer Erlaubnis zitieren -:

„Der Landtag unterstützt alle Anstrengungen, gegen fremdenfeindliche und rechtsextremistische Tendenzen vorzugehen und für ein demokratisches und weltoffenes Sachsen-Anhalt einzutreten.“

Mit diesen Beschlüssen appellierte der Landtag an alle Bürgerinnen und Bürger, ein breites Bündnis zu bilden, Zivilcourage zu zeigen und nicht wegzusehen, wenn Menschen diskriminiert werden.

Ab Januar 2005 droht uns nun eine neue Welle rechtsextremistischer Aufmärsche. Am 15. Januar 2005, am Vorabend des 60. Jahrestages der Zerstörung Magdeburgs, wollen rechtsextreme Parteien und Vereinigungen in Magdeburg marschieren, um ihre Sicht auf die deutsche Geschichte und insbesondere auf Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkriegs zu verbreiten. Sie wollen sich die Trauer und das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs zunutze machen, um die Geschichte umzudeuten. Im rechtsextremen Denken gibt es keinen opferreichen Kampf der Völker gegen den Hitlerfaschismus, sondern alliierte Kriegsverbrecher, die deutsche Städte bombardierten.

Bevor das Hitler-Regime am 8. Mai 1945 endlich vor den Alliierten kapitulierte, war der Zweite Weltkrieg nicht nur auf deutschen Boden zurückgekehrt, sondern lagen auch viele deutsche Städte in Schutt und Asche - eigentlich sinnlos; denn der Krieg war fast, aber nur fast vorüber. Die Opfer waren vor allen Dingen Frauen und Kinder, Alte und Kranke. Doch Köln, Magdeburg, Halberstadt, Dresden, Chemnitz, Berlin - um nur einige zu nennen - waren nur die letzten in einer langen Reihe von Städten, die durch Bomben zerstört wurden.

Der deutsche Bombenkrieg begann am 26. April 1937 mit der Zerstörung Guernicas. Deutsche Bomben fielen auf Warschau, Rotterdam, Belgrad, London und Coventry. Auch diese Aufzählung ist nicht vollständig.

Die Erinnerung an die Zerstörung deutscher Städte durch die alliierten Bomber muss unauflöslich mit der Erinnerung an die Zerstörung europäischer Städte durch deutsche Bomber verbunden sein.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD, bei der FDP und von Herrn Ruden, CDU)

Dies war nach dem Ende der Bombennächte bei all denen, die inmitten der zerstörten Städte einen Neuanfang wagten, über alle ideologischen Unterschiede hinweg

Konsens. So betonte der Oberstadtdirektor Osnabrücks, der dem Stadtrat am 2. April 1946 seinen Enttrümmerungsbericht vorlegte - ich zitiere -:

„Wenn die Trümmer Osnabrücks Anklagen bezeugen, das ist Hitlers hinterlassenes Werk, so gehört für seine Anhänger auch bei sachlichster Überlegung noch das Wort hinzu: Das ist auch euer Werk.“

Vor drei Wochen, am 27. November 2004 erinnerten sich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Freiburg im Breisgau mit einem Gottesdienst an die Zerstörung ihrer Stadt vor 60 Jahren. Ich möchte aus der Rede des Oberbürgermeisters von Freiburg Dieter Salomon zitieren, weil sich darin genau der Ansatz wiederfindet, um den es in dem Antrag der SPD, der PDS und der FDP heute geht und der für alle deutschen Städte, ob nun in Ost oder West, zutrifft. Ich zitiere:

„Der 27. November ist seit 60 Jahren ein Tag der Erinnerung und des Gedenkens. Er ist ein Tag der Erinnerung an die Menschen, die damals gestorben sind, und er ist ein Tag des Nachdenkens über die eigentlichen Ursachen, des Nachdenkens über einen Krieg, der mit nationaler Überheblichkeit begann und mit Millionen Toten endete, des Nachdenkens darüber, dass noch im Jahr 1944 Deutsche von Deutschen ermordet wurden, nur weil sie Juden waren - auch in Freiburg hat die Synagoge gebrannt; aus Freiburg sind die Juden vertrieben und deportiert worden -, und des Nachdenkens darüber, dass die Bomben auf Freiburg und auf andere Städte eine Antwort waren auf die Zerstörungen in London, in Coventry, in Polen, in Holland und in vielen anderen Staaten. Das Gedenken und die Trauer um die Opfer in unserer Stadt sind nicht davon zu trennen.“

Die leidvollen Erfahrungen mit Nationalismus und Rassismus in der Geschichte des deutschen Volkes erfordern eine offensive Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und die Übernahme von Verantwortung für die deutsche Vergangenheit mit allen ihren unbequemen Fragen und Antworten auch für die Nachgeborenen.

Viel zu viele möchten gern einen Schlussstrich unter dieses Kapitel der deutschen Vergangenheit ziehen. Doch gerade angesichts der beabsichtigen Aufmärsche müssen wir uns immer wieder unserer Geschichte erinnern. Dafür ist jede Familie zuständig, Generation für Generation, aber auch wir als Politikerinnen und Politiker haben diese Verantwortung.

Argumente, dass man mit Gegendemonstrationen den Rechten doch nur eine Bühne gebe und sie damit aufwerte, haben zwar auf den ersten Blick etwas für sich, sind aber auf den zweiten Blick untauglich.