Protocol of the Session on November 12, 2004

Die Abstimmung durch Namensaufruf hat folgendes Ergebnis erbracht: Mit Ja haben 106 von 106 anwesenden Abgeordneten gestimmt.

(Beifall bei allen Fraktionen und von der Regie- rungsbank)

Kein Abgeordneter hat mit Nein gestimmt oder sich der Stimme enthalten.

Meine Damen und Herren! Dies ist ein großer Moment für dieses Haus. Damit stelle ich die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die mit 77 Abgeordneten erreicht wäre, fest. Das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt ist damit beschlossen.

(Beifall bei allen Fraktionen und von der Regie- rungsbank)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich den Dankesworten meiner Vorredner anschließen. Ich möchte allen danken, die um diesen Kompromiss gerungen haben, insbesondere Herrn Gallert, Herrn Bullerjahn, Herrn Rothe, Herrn Scharf, Herrn Gürth, Frau Dr. Hüskens und Herrn Wolpert. Ihnen nochmals ganz herzlichen Dank.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Damit, meine Damen und Herren, ist der Tagesordnungspunkt 4 beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Aktuelle Debatte

Sehr geehrte Damen und Herren! Für die Aktuelle Debatte liegen zwei Beratungsgegenstände vor. Die Redezeit in der Aktuellen Debatte beträgt zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten.

Meine Damen und Herren! Bevor ich das erste Thema aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, dass auf der Nordtribüne mehrere Vertreter der Interessenvertretung der Verfolgten des Nationalsozialismus Platz genommen haben. Ich bitte Sie, sie sehr herzlich zu begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe das erste Thema der Aktuellen Debatte auf:

a) Auswirkungen der Bundeswehr-Standortent- scheidungen durch den Bundesminister der Verteidigung auf das Land Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 4/1880

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: FDP-, SPD-, CDU- und PDS-Fraktion. Zunächst erteile ich dem Antragsteller, der FDP-Fraktion, das Wort. Bitte sehr, Herr Kosmehl, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn kurz skizzieren, warum die FDP-Fraktion diese Aktuelle Debatte beantragt hat. Am 2. November dieses Jahres gab der Bundesverteidigungsminister Herr Struck bekannt, dass bis zum Jahr 2010 deutschlandweit 105 Bundeswehrstandorte geschlossen werden sollen. Die Zahl der Soldaten soll sich in den kommenden fünf Jahren um 35 000 auf 250 000 reduzieren.

In Sachsen-Anhalt sollen fünf der 16 Bundeswehrstandorte geschlossen werden, darunter das Panzerflugabwehrbataillon in Hohenmölsen mit 770 entfallenden Dienstposten und das Verteidigungsbezirkskommando 81 mit Sitz in Halle mitsamt seiner beiden Verbin

dungskommandos in Köthen und Eisleben und die Kreiswehrersatzämter in Stendal und Wittenberg.

Darüber hinaus erfahren viele andere Dienststellen der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt personelle Reduzierungen in oftmals erheblichem, wie es aus dem Standortkonzept hervorgeht, signifikantem Ausmaß. Wenige Standorte, wie etwa der Standort Havelberg mit dem Pionierbataillon 803, werden einen Personalaufwuchs verzeichnen können.

Insgesamt aber werden im Zuge dieses Stationierungskonzepts in den Jahren bis 2010 mehr als 1 400 Dienstposten der Bundeswehr in unserem Bundesland abgebaut. Die Zahl der wegfallenden Dienstposten ist eigentlich sogar noch größer; denn mit Dessau, Brettin und Roßlau werden in den Jahren 2005 und 2006 Standorte endgültig geschlossen und somit Dienststellen wegfallen, deren Aufgabe bereits in früheren Stationierungskonzepten beschlossen worden war.

Hieran zeigt sich aus meiner Sicht auch ein Manko der Stationierungskonzepte der vergangenen Jahre. Bereits zu Beginn der Umsetzung des nun vorliegenden Stationierungskonzepts gibt es eine Liste mit immerhin 76 Standorten, deren Auflösung beschlossen, aber bisher nicht umgesetzt wurde. Dies bedeutet, dass in einem nicht unerheblichen Maße frühere Stationierungskonzepte noch nicht umgesetzt wurden. In der Betrachtung der Auswirkungen von Standortschließungen und Dienststellenreduzierungen dürfen diese aber nicht ausgeblendet werden.

Die Zahl der Dienststellen, die in Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2010 wegfallen sollen, ist somit größer als die Zahl der 1 400 Dienstposten, die derzeit in der Diskussion sind. Hinter dieser Zahl verbergen sich Soldaten und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr, die unter Umständen mitsamt ihren Angehörigen und Familien das Land verlassen werden.

Die wirtschaftlichen Folgen der getroffenen Entscheidung liegen auf der Hand: Weniger Wirtschaftsaufträge und Investitionen gehen in die Region; Kaufkraftverluste in erheblichem Umfang werden sich insbesondere auf umliegende Kommunen negativ auswirken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Auch Soldaten kaufen Brötchen“ - treffender als mit dieser einem Online-Politikmagazin entstammenden Überschrift lassen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Standortentscheidung kaum darstellen. Der Soldat kauft beim Bäcker keine Brötchen mehr, der Handwerksbetrieb wird aus den verlassenen Kasernen keine Aufträge mehr erhalten. Kurzum: Die Bundeswehr geht; die Wirtschaft wird das zu spüren bekommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gewiss sind wir Liberalen die Letzten, die sich einer effizienteren Struktur im öffentlichen Bereich verschließen werden. Wir sehen auch bei der Bundeswehr die Notwendigkeit solcher Veränderungen, nicht zuletzt auch wegen des von uns durchaus mitgetragenen gewandelten Auftrags der Streitkräfte in den vergangenen Jahren. Die Transformation der Bundeswehr setzt auch die Effektivierung der Strukturen voraus.

Der nach dem Grundgesetz nach wie vor bestehende Auftrag der Landesverteidigung ist allerdings in den Hintergrund gerückt. Die Bundeswehr ist mit der Beteiligung an Auslandseinsätzen zunehmend der gewachsenen in

ternationalen Verantwortung Deutschlands in Bündnissen und im Rahmen der Vereinten Nationen gerecht geworden. Bedeutet dies, dass wir in Sachsen-Anhalt Standortentscheidungen einfach so hinnehmen müssen? - Ich sage Ihnen: Nein, das müssen und dürfen wir nicht hinnehmen. Lassen Sie mich dies im Folgenden noch etwas näher begründen.

Nach der Bekanntgabe des Stationierungskonzeptes war zu lesen und zu hören, dass Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern bei den Streichungen glimpflich davongekommen sei. Ich glaube hingegen, dass man bei einer weiteren Reduzierung von 1 400 Dienstposten wohl kaum davon sprechen kann, dass man „glimpflich“ davongekommen sei.

Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die Bundeswehr in Sachsen-Anhalt, aber auch in anderen neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten Bundesländern schon immer unterrepräsentiert war. Die neuerliche Streichung bringt weitere erhebliche Einschnitte in der Flächenpräsenz der Streitkräfte mit sich. Sachsen-Anhalt liegt dann mit 2,4 Dienstposten je 1 000 Einwohner deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 3,5 Dienstposten je 1 000 Einwohner.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann sich ungefähr vorstellen, wie ungleich größer der Aufschrei gewesen wäre, wenn ein Unternehmen verkündet hätte, dass man sich zurückziehen und 1 400 Arbeitsplätze abbauen werde. Aber nichts anderes, meine sehr geehrten Damen und Herren, geschieht hier gerade. Deshalb haben wir, die Liberalen, das Thema hier und heute in diesem Hohen Haus zur Debatte gestellt.

Vor dem Hintergrund knapper Finanzen werden zunächst immer wirtschaftliche und finanzielle Aspekte von Ereignissen betrachtet. Die Erhöhung der Belegungsdichte in den Standorten etwa ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll und nicht zu beanstanden. Die Bundeswehr ist aber zuletzt auch noch aufgrund ihres Auftrages unter weiteren Aspekten zu betrachten.

Die Schließung von Standorten der Bundeswehr und die Personalreduzierung wirken sich auch gesellschaftspolitisch aus. Viele Soldaten und zivile Mitarbeiter haben mit ihren Familien in Sachsen-Anhalt ein Zuhause gefunden. Damit verbunden ist häufig gesellschaftliches und bürgerschaftliches Engagement, beispielsweise in Vereinen, in der Kommunalpolitik oder auch, wie das Beispiel des Kollegen Schulz zeigt, in der Landespolitik. Hinzu kommen Patenschaften, welche größere Standorte mit ihren Gemeinden eingegangen sind, und vieles mehr.

Einen weiteren Aspekt will ich unter dem Stichwort „Wehrgerechtigkeit“ im weitesten Sinne ansprechen. Zu denken ist dabei nämlich aus meiner Sicht auch an die Wehrpflichtigen. Die Bundeswehr beherzigte bisher immer den Grundsatz, dass Wehrpflichtige, soweit es möglich ist, heimatnah eingesetzt werden sollen. Dies wird durch die Reduzierung von zahlreichen Standorten immer schwieriger werden.

Besondere Sorge bereitet mir aber der Umstand, dass die Flächenpräsenz der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt mit den Reduzierungen ein aus meiner Sicht notwendiges Mindestmaß unterschreiten wird. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die zivil-militärische Zusammenarbeit. Die mit diesen Aufgaben betrauten Verbindungskommandos in Köthen und in Eisleben sowie das Verteidigungsbezirkskommando 81 in Halle werden geschlossen, obwohl sie gerade in bundeswehrarmen Gebieten

eine reibungslose Verbindung zu den Kommunal- und Landesbehörden sicherstellen sollen.

Dabei wird auf den ersten Blick schon deutlich, dass das neu zu bildende Landeskommando Sachsen-Anhalt mit Sitz in Magdeburg nicht auf der Zusammenlegung der beiden Verteidigungsbezirkskommandos 81 und 82 beruht; denn auch der Standort Magdeburg wird um 50 Dienstposten reduziert. Es ist also kein Aufwuchs, keine Zusammenlegung, sondern eine Reduzierung.

Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal kurz darauf verweisen, wie wichtig die zivil-militärische Zusammenarbeit für unser Bundesland war und zukünftig sein wird. Ich erinnere Sie dabei an die Ereignisse der Flutkatastrophe im Sommer 2002. Damals war es nämlich zu einem großen Teil den beiden Verteidigungsbezirkskommandos in Magdeburg und in Halle zu verdanken, dass die Bewältigung der Flutkatastrophe größtenteils koordiniert und strukturiert erfolgen konnte. Gerade diese Hochwasserkatastrophe hat deutlich gemacht, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen der Bundeswehr und den Behörden vor Ort ist.

Eines muss uns vor diesem Hintergrund klar sein: Sollte es in Sachsen-Anhalt - was wir nicht hoffen - noch einmal zu einer Flutkatastrophe wie im Jahr 2002 oder zu einem ebenso gefährlichen Winterhochwasser kommen, wird es in Zukunft kein Verteidigungsbezirkskommando mehr direkt vor Ort geben, dessen Experten dann für die Bewältigung solcher Situationen geschult sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Betrachtung der vorgenannten Aspekte stellt sich nun die Frage, ob wir die von Verteidigungsminister Struck getroffenen Entscheidungen mitsamt ihren Konsequenzen unkommentiert geschehen lassen sollen oder nicht. Diese Frage kann ich für die FDP-Fraktion ganz klar verneinen. Aus der Sicht der FDP-Fraktion muss die Bundesregierung die Standortentscheidung insbesondere mit Blick auf die notwendige Vernetzung in der zivil-militärischen Zusammenarbeit neu überdenken.

Weiterhin, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollten wir die Bundesregierung in die Pflicht nehmen und für solche Regionen, deren Kommunen von den Schließungen und von den so genannten signifikanten Reduzierungen wirtschaftlich betroffen sind, ein Konversionsprogramm einfordern, das die wirtschaftlichen und strukturellen Folgen von Standortschließungen und von signifikanten Reduzierungen abmildert. Einen solchen Ausgleich, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat es bei der ersten großen Bundeswehrstandortschließung im Jahr 1992 unter der CDU-FDP-Bundesregierung bereits gegeben. Dies fordern wir auch heute.

Herr Abgeordneter - -

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Neben dem Stationierungskonzept hat uns in dieser Woche eine weitere Hiobsbotschaft erreicht. Bundesminister Struck soll weitere 500 Millionen € bei der Bundeswehr einsparen.

(Zustimmung von Herrn Gallert, PDS)

Ich glaube, das geht nicht, ohne dass es zu weiteren Schließungen in den nächsten Jahren kommen wird, wenn wir nicht an der Ausstattung und bei der Ausbildung der Soldaten sparen wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns heute in die Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt eintreten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Herrn Rothe das Wort. Bitte sehr, Herr Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche den 15. Jahrestag des 9. Novembers 1989 begangen. Ich freue mich, dass im Ergebnis des von den Ostdeutschen erzwungenen Falls der Mauer heute in ganz Deutschland abgerüstet wird.