Protocol of the Session on November 11, 2004

Das ist kein Problem, wenn man wenigstens weiß, wohin man mit einer solchen Kreisgebietsreform eigentlich möchte. Das wäre auch im Fall der Stadt Dessau als Oberzentrum kein Problem, wenn man in diesem Land wüsste, wohin man mit den Oberzentren und dem Interessenausgleich zwischen Oberzentrum und Umland will. Aber das, liebe Kollegen aus der Koalition, wissen wir nicht. Wir wissen nicht, welchen Gesetzentwurf uns Herr Daehre im Dezember, im Januar oder im Februar zuleiten wird.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

Wir wissen nicht, wie dieser Gesetzentwurf den Landtag verlassen wird. Wir wissen eben noch nicht, wie die Koalition zu dem Verhältnis zwischen Oberzentrum und Umland steht. Darin besteht das eigentliche Problem. All diese Dinge wissen wir nicht und die Menschen im Landkreis Anhalt-Zerbst wissen sie ebenfalls nicht. Deshalb ist es so schwierig, mit dieser Vorlage umzugehen.

(Herr Kühn, SPD: Das weiß die Regierung auch nicht!)

Nun könnte man schmunzelnd darüber hinweggehen und sagen: Wenn sich unter der CDU-FDP-Regierung ein Landrat der SPD zum Landesvorsitzenden wählen lässt, dann muss er eben sehen, wie er damit fertig wird, und sein Landkreis ist eben futsch. Ich will das gar nicht weiterdenken. Herr Webel hat auch angedeutet, dass er wahrscheinlich in absehbarer Zeit zwar Landesvorsitzender sein will - aber weiterhin Landrat des Ohrekreises? Stellen Sie sich das einmal vor, im Jahr 2006 geht es hier anders lang. Wird dann der Ohrekreis aufgelöst oder wie machen wir das?

(Heiterkeit bei der PDS)

Das wird wahrscheinlich nicht das Bewertungskriterium sein; ich will Ihnen das auch nicht unterstellen. Aber diese Vermutung drängt sich auf; denn ein anderes Bewertungskriterium der Landesregierung und der Koalition kennen wir nicht.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Wir haben zweifellos die Situation - das ist der zweite Gesetzentwurf, der den Landkreis Anhalt-Zerbst betrifft -, dass dieser Landkreis peu à peu aufgelöst wird. Er wird in seinem Bestand lebensunfähig, weil er keine Bevölkerung mehr hat, die die allgemeinen Finanzzuweisungen zur Aufgabenwahrnehmung in diesem Landkreis berechtigen würde. Das heißt, man setzt die Interessen der Stadt Dessau und der beiden Gemeinden durch, verletzt dabei aber substanziell die Interessen des Landkreises Anhalt-Zerbst und seiner Bewohner in Gänze. Damit kann man nicht fertig werden. Das geht so nicht.

(Beifall bei der PDS)

Wenn wir das so weiterlaufen lassen, werden wir eine ähnliche Konfrontation zwischen Umland und Oberzentrum haben, wie sie zurzeit zwischen Halle und dem Saalkreis besteht, natürlich mit etwas anderen Vorzeichen. In dem einen Fall geht es um punktuelle Eingemeindungen, in dem anderen Fall geht es im Wesentlichen gegen Eingemeindungen aus dem Umland heraus. Aber die Interessenkollision zwischen Umland und Oberzentrum zeichnet sich hier genauso deutlich ab wie in der Stadt Halle. Dort ist die Landesregierung wenigstens noch nicht tätig gewesen. In Dessau wird sie tätig und verschärft diese Konflikte zusätzlich.

Nun kann ich kurz etwas zu der Position der PDS dazu sagen; denn wenn man von Ihnen schon kein Konzept im Umgang mit diesem Problem kennt, können zumindest wir als PDS unsere eigenen Vorstellungen dagegen setzen. Diese will ich Ihnen kurz erläutern.

Wir denken sehr wohl, dass es wichtig ist, die Stadt Dessau als drittes Oberzentrum im Land Sachsen-Anhalt zu stärken. Oberzentrum in diesem Land wird man nicht dadurch, dass das in irgendeinem Landesentwicklungsplan steht, sondern Oberzentrum wird man dadurch,

dass man die oberzentralen Funktionen für ein bestimmtes Territorium, hier in erster Linie der Region Anhalt, wahrnimmt. Dafür die Stadt Dessau zu stärken, auch durch Eingemeindungen zu stärken, ist ein durchaus legitimes Ziel.

Das ist absolut vernünftig, weil man dadurch in der Lage ist, eine Verwaltungs- und Wirtschaftskraft zu entwickeln, die wirklich oberzentrale Funktion für die Region Anhalt wahrnimmt und eben nicht einem Abdriften der Region zu den Oberzentren Leipzig, Halle und Magdeburg Vorschub leistet. Das ist durchaus richtig.

Aber - das sagen wir auf der anderen Seite auch - dieser oberzentralen Funktion wird man in Dessau nicht dadurch gerecht werden, dass man krampfhaft an der Kreisfreiheit der Stadt festhält;

(Zustimmung bei der CDU)

denn selbst mit all diesen Eingemeindungen wird die Stadt Dessau in absehbarer Zeit weit weniger als 150 000 Einwohner haben. Wenn dieses Kriterium der 150 000 Einwohner für Landkreise gelten soll, dann muss es auch für kreisfreie Städte gelten.

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Muss es nicht!)

Wenn dieses Kriterium nicht realisiert wird, dann lebt man in diesem Oberzentrum mit einer überteuerten Verwaltung auf Kosten des Landes und der Region.

Dann gibt es noch ein Problem. Wenn ich Eingemeindungen in die Stadt Dessau so realisiere - stellen wir uns einmal vor, Roßlau kommt als Nächstes hinzu - -

(Herr Tullner, CDU: Rostock?)

- Roßlau. Rostock wäre ein bisschen übertrieben, fiele auch nicht in unsere Zuständigkeit, Herr Tullner.

(Heiterkeit bei der PDS)

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Sachse zu beantworten?

Im Anschluss. Dann ist es zwar keine Zwischenfrage mehr, aber trotzdem noch eine Frage. Die kann ich dann auch beantworten.

Okay.

Wir sagen ausdrücklich, dass vor diesem Hintergrund die oberzentrale Funktion der Stadt Dessau besser in einer Kreisstadt Dessau wahrgenommen werden sollte, die diese Funktion zusammen mit ihrer Funktion als Kreisstadt für die gesamte Region tatsächlich wahrnehmen könnte - wenn die Region die Kraft hat, sich in einem solchen großen Landkreis zu finden.

Das hat natürlich auch etwas mit Selbstfindungsprozessen zu tun, und das hat etwas damit zu tun, dass man in der Region vielleicht einmal darüber diskutieren sollte, ob eine solche große Lösung nicht das Bessere für die Region Anhalt und für das Oberzentrum Dessau wäre.

Wenn ich allerdings versuche, die Region rings um Dessau als einen Steinbruch zu betrachten, den ich sozu

sagen heranziehe, um mich als kreisfreie Stadt zu retten, und dabei die Interessen der umliegenden Territorien überhaupt nicht berücksichtige, dann habe ich eine konfrontative Situation in dieser Region, die auf längere Sicht weder der Stadt Dessau noch dem Umland hilft.

(Zustimmung von Herrn Grünert, PDS)

Deswegen sagen wir: Jawohl, es kann durchaus Eingemeindungen geben, aber dann nicht in eine kreisfreie Stadt Dessau, sondern in eine Stadt Dessau, die ihre oberzentrale Funktion mit einer Kreisstadtfunktion zusammenlegt und entsprechend für diese Region tätig wird. Das wäre unser Konzept. Wenn man dieses Konzept verfolgen würde, dann könnte man auch über diese Eingemeindungen reden.

Wir befürchten aber, dass Ihr Konzept ein völlig anderes ist und dass die stärkste Motivlage für diese Eingemeindungen aus dem Versprechen der Kreisfreiheit herrührt. Man hört sozusagen unterschwellig hier und da mal etwas; der Ministerpräsident soll etwas gesagt haben, auch hier und da hat man solche Informationen erhalten. Einen Gesetzentwurf dazu haben wir im Landtag noch nicht, Ihre Vorstellungen kennen wir noch nicht richtig; aber das sind die Dinge, die man hört.

Wenn das die eigentliche Motivlage der Stadt Dessau dafür ist, diese Eingemeindungen zu realisieren, dann ist es aus der Sicht der Stadt Dessau vielleicht noch nachvollziehbar, aber aus der Sicht der Landesinteressen, die wir hier zu realisieren haben, ist das nicht mehr akzeptabel. - Danke.

(Zustimmung bei der PDS und von Herrn Buller- jahn, SPD)

Bitte sehr, Herr Sachse.

Herr Gallert, Sie haben in Ihrer Rede sehr stark auf den Vergleich der Einwohnerzahlen zwischen Landkreisen und kreisfreien Städten abgehoben.

(Zuruf von Herrn Dr. Köck, PDS)

An einer Stelle habe ich das getan.

An einer Stelle ist darauf aus meiner Sicht sehr stark eingegangen worden.

Ist Ihnen bekannt, dass es allein in den neuen Bundesländern 26 kreisfreie Städte gibt, davon zwölf mit weniger als 80 000 Einwohnern? Würden Sie vor diesem Hintergrund anerkennen, dass es anscheinend auch andere Ordnungskriterien als nur die Einwohnerzahl gibt und dass es vielleicht nicht zwingend einen Vergleich der Einwohnerzahlen zwischen den Landkreisen und den kreisfreien Städten geben muss? - Das würde mich interessieren, weil das die Diskussion sehr häufig etwas verfälscht.

Herr Sachse, ich weiß das, aber das ist für mich nicht das Bewertungskriterium. Dass diese Dinge so sind,

heißt noch lange nicht, dass diese Dinge wirklich gut sind.

In Dessau haben wir gerade das Problem, dass man sich zum Beispiel mit Weimar vergleicht und sagt: Wir haben die entsprechenden Weltkulturerbestätten bei uns; Weimar ist in einer ähnlichen Situation; Weimar ist noch kleiner; Weimar ist eine kreisfreie Stadt. Dazu sage ich: Weimar ist ein gutes Beispiel. Weimar ist eine Kulturstadt, Weimar ist kreisfrei und Weimar ist gnadenlos pleite und überfordert.

Ja, die Situation ist so, dass es in Sachsen und Thüringen viele kreisfreie Städte gibt, die viel weniger als 150 000 Einwohner haben. Aber genauso wahr ist, dass man in fast all diesen Städten sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht hat.

Ich sage ausdrücklich: Lassen Sie uns diese Kreisfreiheit nicht sozusagen als Statusfahne in einer Auseinandersetzung vornweg tragen. Lassen Sie uns anschauen, was für die Leute am besten ist, welches die effizienteste Struktur ist und welches die Struktur ist, in der die Aufgaben in Zukunft am besten erfüllt werden können. Dann kann man sehr wohl auch in Dessau über diese Dinge reden.

Das Festhalten an überkommenen Strukturen, die in anderen Ländern aus meiner Sicht noch viel schlechter als in Sachsen-Anhalt sind, ist für mich kein Argument.

(Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die verbundene Debatte eintreten, hat für die Landesregierung der Minister des Innern Herr Jeziorsky um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.