Protocol of the Session on July 9, 2004

Bundesrat entscheidet heute über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum kommunalen Optionsgesetz, das im Übrigen mit den Stimmen von CDU und CSU im Bundestag bestätigt worden ist. Dabei geht es um die Frage der finanziellen Entlastung der Kommunen sowie um die Trägerschaft für die zukünftigen Leistungsempfänger, wie ich anfangs schon sagte.

Auch bei der Sitzung des Bundestages zum kommunalen Optionsgesetz in der vergangenen Woche hat die CDU noch einmal ihre Vorstellungen deutlich gemacht, indem sie erneut das Existenzgrundlagengesetz zur Abstimmung gestellt hat. Sie fordert damit faktisch die Einführung eines Niedriglohnsektors und die Zwangsarbeit in Kommunen als Bedingung für die Gewährung der Existenzsicherung. Das empfinden wir als unsozial und wollten es hier öffentlich machen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die praktische Umsetzung des Hartz-IV-Gesetzes im Land ist eine große Herausforderung für alle Beteiligten: die Kommunen, die Arbeitsagenturen, aber auch die Beschäftigungsgesellschaften, alle Träger, die sich aktiv an der Arbeitsmarktpolitik beteiligen. Ich appelliere an die Landesregierung, alles dafür zu tun, dass die Umsetzung gelingt und die Umstellung auf das Arbeitslosengeld II möglichst reibungslos verläuft. Dazu ist es auch notwendig, dass das Land die 187 Millionen €, die es aufgrund der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit vom Bund zusätzlich erhält, den Kommunen weitergibt.

(Zustimmung bei der SPD)

Auf meine Kleine Anfrage hierzu konnte die Landesregierung keine Antwort geben, wie sie die Mittel einsetzen will. Auch über eine entsprechende Weitergabe an die Kommunen war Ende April noch nicht entschieden.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Eine Debatte darüber hielten Sie damals nicht für notwendig. Es ist zu befürchten, dass sich das Land auf Kosten der Kommunen einen gewissen Anteil sichern will, und davor kann ich nur warnen.

(Beifall bei der SPD)

Die Kommunen haben das Geld sicherlich dringend nötig. Sie müssen zusätzliche Aufgaben übernehmen. Wir kennen die jüngsten Entwicklungen in Halberstadt. Sie haben nochmals gezeigt, wie dringend die Kommunen Geld benötigen.

(Zurufe von der CDU)

Das Land steht auch in der Verantwortung, wenn es um den Bereich Fördern geht. Die Kommunen allein werden es nicht schaffen, die vom Gesetz geforderten etwa 30 000 Arbeitsmöglichkeiten allein für Jugendliche und die 50 000 Arbeitsmöglichkeiten für andere zur Verfügung zu stellen. An dieser Stelle sind dringend Vorschläge auch vom Land gefragt, die deutlich machen, welche arbeitsmarktpolitischen Programme denn eine Alternative wären. Auch darüber steht leider die Debatte noch aus.

Hartz IV und die Einigung auf ein kommunales Optionsgesetz sind sozusagen der Schlussstein der notwendigen und umfangreichen Arbeitsmarktreformen, die nicht zuletzt vom neuen Bundespräsidenten Horst Köhler und von allen Wirtschaftsverbänden gefordert werden. Wir

wissen, dass das nicht ohne Belastungen und Einschnitte für die Menschen bleiben wird. Das macht uns auch gewaltige Bauchschmerzen. Es wäre unehrlich, würde man das leugnen. Aber auch deswegen haben wir die Verantwortung, alles dafür zu tun, dass wir am Ende das Ziel erreichen, das Ziel nämlich, Menschen wieder Arbeit und eine Perspektive zu geben. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Frau Fischer, würden Sie noch die Nachfrage beantworten? - Herr Gallert.

Frau Fischer, Sie haben viel über Ihre Kopfschmerzen und über Ihre Bauchschmerzen geredet. Die glaube ich Ihnen auch. Aber in der Politik ist es wie im richtigen Leben: Es zählt das Ergebnis und nicht das Gefühl. Können Sie mir bitte sagen, wie sich die Landes-SPD und die Bundestagsabgeordneten der SPD aus SachsenAnhalt zu dem Gesetz verhalten haben?

(Herr Tullner, CDU: Eine gute Frage!)

Sie haben dem Gesetz im Bundestag zugestimmt.

Danke, Frau Fischer. - Für die CDU-Fraktion wird die Abgeordnete Frau Marion Fischer sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen mit einigen Bemerkungen zu dem beginnen, was Frau Fischer und Herr Gallert gesagt haben.

Frau Fischer, es geht sicherlich in zwei Stunden nicht nur um Ja oder Nein. Wir versuchen, durch unsere Ablehnung zu erreichen, dass es möglich wird, nochmals zu verhandeln,

(Herr Gallert, PDS: Sie müssen einen Weg fin- den!)

um eine ordentliche handwerkliche Vorbereitung für die Umsetzung dieses Gesetzes zu schaffen, was wir im Moment noch nicht haben.

(Beifall bei der CDU)

Herr Gallert, so viel Zustimmung wie heute Morgen in diesem Saal hat es für Sie vielleicht lange nicht gegeben. Ich muss nämlich sagen, die Fakten, die Sie genannt haben - abgesehen von der Polemik und von den Prügeln; das schiebe ich einmal ein bisschen weg -, sind einfach so. Hinsichtlich der Fakten gehe ich mit Ihnen mit und ich setze vielleicht noch ein paar Dinge drauf. Als letzte Rednerin kann man immer nur abräumen, was noch nicht gesagt worden ist.

Noch eines: Die Nennung der Fakten geht in Ordnung, aber es kann nicht sein, dass sich Ihr Nachbar, der eigentliche Urheber, wegduckt und Sie immer darüber hinwegspucken, wenn ich einmal diesen burschikosen Ausdruck verwenden darf. Es gibt mehr Schuldige in

diesem Raum. Es kann nicht so sein, dass die Prügel letztlich immer nur die beziehen, die die Opposition sind. Sie nehmen das für sich auch in Anspruch. Als Opposition hat man eben nicht so viele Möglichkeiten und wir sind im Bund in der Opposition.

(Herr Gallert, PDS: Dann sage ich noch einmal ganz klar: Ich habe sehr wohl SPD und CDU an- gesprochen! Über die FDP muss man in diesem Kontext wahrscheinlich auch reden!)

- Ich bin sicherlich sehr sensibel und habe mich einfach nur angesprochen gefühlt.

(Herr Gallert, PDS: Wahrscheinlich!)

- Gut.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II ist Kernpunkt des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. So weit waren wir schon. Wir wissen, dass es in Sachsen-Anhalt um etwa 170 000 Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger geht, die erstmals eine einheitliche Grundsicherung erhalten. Wir wissen auch, dass es für viele zu finanziellen Einbußen kommen wird. Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ soll es Ziel der Hartz-IVReform sein, besser zu beraten, besser zu betreuen sowie schneller in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Der neu angesetzte Schlüssel von 1 : 75 soll dies bringen oder unterstützen.

Wer an dieser Stelle Lust auf Galgenhumor hat, braucht nur einmal zu rechnen: in Sachsen-Anhalt 250 000 Arbeitslose gegenüber 10 000 freien Stellen. Selbst mit einem Schlüssel von 1 : 75 kann mir keiner erklären, dass das zu organisieren ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Auch durch die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien, hinter denen wir voll stehen - das muss ich für die CDUFraktion noch einmal sagen -, werden wir für unser Land kein Jobwunder erwarten können.

Ich halte es für fatal, wenn Bundeswirtschaftsminister Clement nun von einer gewissen Rechtssicherheit spricht und meint, damit die Zeitwende auf dem Arbeitsmarkt eingeläutet zu haben. Kommen die Regelungen in den neuen Bundesländern so wie heute bekannt, werden wir die Verlierer dieser Reform sein. Man drückt uns eine Arbeitsmarktpolitik ohne Arbeit auf. Man ignoriert die Spezifik des ostdeutschen Arbeitsmarktes.

(Zustimmung bei der CDU)

Das Vermittlungsergebnis trifft die Bundesländer besonders, die einen unverhältnismäßig hohen Anteil an Arbeitslosenhilfeempfängern haben. Das sind nun einmal die neuen Bundesländer und dazu gehört auch Sachsen-Anhalt.

Wir haben heute schon über den Kaufkraftverlust von etwa 200 Millionen € gesprochen. Aufgrund dieses Kaufkraftverlustes werden wir auch etwa 5 000 Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich verlieren, weil diese Leistungen einfach nicht mehr bezahlt werden können. Gerade dieser Bereich sollte durch die Hartz-Gesetze Möglichkeiten eröffnen, die betroffene Klientel in Arbeit zu bringen.

Vor dem Hintergrund, dass das Kernproblem in Deutschland, nämlich der Strukturwandel von Industriearbeitsplätzen zu Dienstleistungsarbeitsplätzen, noch nicht ge

löst worden ist und viele gut bezahlte industrielle Arbeitsplätze verloren gegangen bzw. ins Ausland verlegt worden sind, können wir den Menschen jetzt nur schlecht klarmachen, dass sie auf häufig unterbezahlte einfache Dienstleistungsarbeit umsteigen sollen.

Für mich ist es auch unehrlich, die Menschen durch höheren Druck oder durch Sanktionen motivieren zu wollen, solange uns die Jobs hier fehlen.

(Zustimmung bei der CDU)

Das sagen wir eindeutig. Das sagt auch der Ministerpräsident. Das wird er heute auch so formulieren.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Was haben Sie denn dazu gesagt?)

Ich möchte die Reformen keinesfalls infrage stellen. Was uns die Bundesregierung jetzt aber auch mit den Ausführungsgesetzen vorgelegt hat, sind aufeinander folgende Flops.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Was? - Frau Dr. Kuppe, SPD: Wissen Sie eigentlich, wovon Sie reden, Frau Fischer?)

- Ich weiß das. Ich bin alt genug, um das zu wissen. - Die so genannten Ich-AGen - lassen Sie mich noch ein paar Punkte dieser Hartz-Reform ansprechen - laufen auf den ersten Blick betrachtet gut an. Wer am Markt besteht, wird sich nach drei bis fünf Jahren zeigen. Da sich diese Existenzgründungen in den neuen Bundesländern fast alle im Dienstleistungsbereich bzw. im Niedriglohnsektor konzentrieren und diese Bereiche wiederum vom privaten Konsum abhängig sind, ist die Gefährdung dieser Existenzen vorauszusehen.

(Zustimmung bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Fischer?