Protocol of the Session on June 17, 2004

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte der Fraktionen eintreten, haben wir die Freude, auf der Südtribüne Damen und Herren der Industriegewerkschaft Bergbau und vom Bergmannsverein Harbke begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun bitte für die CDU-Fraktion Frau Liebrecht.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Seit 1999 gilt das Verbraucherinsolvenzverfahren, das erstmals auch natürlichen Personen die Möglichkeit eines privaten Konkurses mit Restschuldbefreiung eröffnet. Das bedeutet, sechs Jahre lang müssen sie ihr Einkommen offen legen und jeden Euro, der den Pfändungsfreibetrag überschreitet, an die Gläubiger abgeben.

Das, was von den Schulden übrig bleibt, wird erlassen, um den Schuldnern die Chance eines wirtschaftlichen Neuanfangs zu eröffnen.

Um diese private Insolvenz zu beantragen, braucht der Betroffene eine juristische Beratung sowie eine Bescheinigung darüber, dass eine Einigung mit den Gläubigern nicht möglich war. Beides erfolgt durch geeignete Insolvenzberatungsstellen, die vom Land finanziert werden.

Die Auswertung der Statistik des Jahres 2002 über die Arbeit der 29 geförderten Insolvenzberatungsstellen durch den Landesrechnungshof hat große Unterschiede ergeben und gab Anlass dazu, die Effizienz der Beratungsleistungen zu hinterfragen. Die Qualität der Insolvenzberatung hat sich dabei sehr verschieden dargestellt.

(Herr Dr. Eckert, PDS: Nach drei Monaten Wirk- samkeit geht das nicht!)

Starke Differenzen sind bezüglich der Höhe der geflossenen Landesmittel pro Fall aufgetreten. Die Kosten pro Beratungsfall unabhängig von dessen Ergebnis variieren zwischen 190 € und 1 800 €. Die Erfolgsquote liegt zwischen 0 % und 50 %. Dabei liegt die höchste Erfolgsquote einer Beratungsstelle bei 50 % mit durchschnittlich 400 € pro Beratungsfall.

Dies zeigt, dass die derzeitige Förderpraxis keinerlei Anreize bietet. Deshalb muss die Förderung gezielter und effizienter erfolgen. Ein gesetzgeberisches Ziel ist die

Änderung der Förderpraxis durch die Einführung von Fallpauschalen, die bereits in einigen Ländern erfolgreich angewandt werden. Nicht zuletzt trägt man damit auch der angespannten Finanzlage des Landes Rechnung. Die Umstellung der Förderpraxis in anderen Ländern hat gezeigt, dass es nicht zu einer Kostenerhöhung bei Gerichten oder anderen Stellen gekommen ist.

Sowohl bei der Anhörung als auch in der Diskussion im Ausschuss ist deutlich geworden, dass es bei der Veränderung der Förderpraxis neben den bereits bekannten Pauschalen zusätzliche Bedarfe an Einmalberatungen, abgebrochenen Beratungen sowie eine Begleitung der Klienten nach erfolgreicher außergerichtlicher Einigung geben wird, für die ursprünglich keine Pauschalen vorgesehen waren. Aufgrund dessen haben sich die Koalitionsfraktionen mit der Landesregierung dahin gehend geeinigt, dass auch für diese Problemfälle im Rahmen einer Verordnung Pauschalen festgesetzt werden. Sinn der Verordnung ist es, schnell auf aktuelle Entwicklungen mit entsprechender Anpassung reagieren zu können.

Sie können sicher sein, dass wir uns die Sache nicht leicht gemacht haben. Bis zuletzt wurde die Rückwirkung des Gesetzes sehr kritisch gesehen und mehrfach hinterfragt. Obwohl die Betroffenen rechtzeitig im Jahr 2003 informiert wurden und die Problematik im Rahmen der Haushaltsberatungen diskutiert wurde, ist zu berücksichtigen, dass die Insolvenzberatungsstellen verpflichtet sind, weiter nach geltendem Recht zu arbeiten. Deshalb haben wir insbesondere diese juristische Frage dem Rechtsausschuss und dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst übertragen. Die Rückwirkung ist möglich, aber die rechtlichen Aussagen dazu sind nicht eindeutig. Wir wissen, es gibt nur selten eine einheitliche Rechtsauffassung.

Minister Olbertz führte bereits aus, dass das Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 2004 in Kraft treten wird. Aber die in der Rechtsverordnung zu regelnde Förderung durch Fallpauschalen wird erst ab 1. Juli dieses Jahres wirksam werden, sodass für die Träger der Insolvenzberatungsstellen für das erste Halbjahr 2004 die Sicherheit besteht, dass es für diesen Zeitraum bei der Geltung des bisherigen Rechts bleibt. Dieses Ergebnis wurde nach Abschluss der Ausschussberatungen zwischen der Landesregierung und den Regierungsfraktionen erzielt.

Unabhängig davon werden wir die Entwicklung der Insolvenzberatung in unserem Land aufmerksam beobachten. Hierzu gehört auch die Analyse in Bezug darauf, ob unabhängig von der sich abzeichnenden steigenden Zahl von Insolvenzfällen durch die Änderung der Finanzierung Folgekosten entstehen und ob eine Verschiebung der Fälle zu den Gerichten erfolgt, die dort eine Kostensteigerung nach sich zieht. - Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf und bedanke mich.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Liebrecht. - Nun hören wir für die PDS-Fraktion Frau Tiedge. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich in der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung für

meine Fraktion erklärte, dass wir zwar den Intentionen dieses Gesetzes nicht folgen können, einer Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales sowie an den Ausschuss für Recht und Verfassung jedoch zustimmen würden, verbanden wir das mit der Hoffnung, dass durch die dort stattfindende Anhörung der Fachleute und Verbände eine Änderung dieses Gesetzesvorhabens noch möglich sei. - Weit gefehlt. Kaum eines der vorgebrachten Sachargumente wurde von der Landesregierung aufgegriffen. Welch eine Ignoranz.

(Zustimmung bei der PDS)

Wir können uns vermehrt des Eindrucks nicht erwehren, dass Anhörungen nur noch ein demokratisches Deckmäntelchen sein sollen, weil von vornherein feststeht, dass Änderungen an den von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwürfen nicht vorgesehen sind, seien die Argumente noch so stichhaltig und gut - so auch bei dem vorliegenden Gesetzentwurf.

Die Kritik, die während der Anhörung geäußert wurde, war eigentlich niederschmetternd. Fragen an die Landesregierung wie zum Beispiel nach der Begleitung der Klienten nach einem erfolgreichen außergerichtlichen Einigungsversuch oder nach der Begleitung sozial und intellektuell schwacher Klienten bei der Einhaltung des Schuldenbereinigungsverfahrens konnten weder in der Anhörung beantwortet werden noch ergeben sich Antworten darauf aus der Ausführungsverordnung zur Insolvenzordnung.

Als riesiges und vor allem ungelöstes Problem stellte sich in der Anhörung der Wegfall der psychosozialen Begleitung sowie der pädagogischen Maßnahmen dar. Professor Kohte von der Martin-Luther Universität erklärte dazu - ich zitiere -:

„Das Kollektiv der Verbraucher gliedert sich in verschiedene Gruppen. Da gibt es natürlich schwierige Gruppen. Wir haben Beratungshilfe für Suchtkranke. Wir haben inzwischen spezielle Beratung für Jugendlichenverschuldung. Wir haben Beratung für Langzeitarbeitslose. Das sind alles Personengruppen, die man nicht in 17 bis 19 Stunden wirklich ernsthaft beraten kann. Man kann sagen, die sollen nicht mehr beraten werden. Das würde dann einige andere Probleme hervorrufen.“

Wir haben es bei den Klienten, die sich an die Insolvenzberatungsstellen wenden, mit Menschen in extrem schwierigen Lebenssituationen zu tun, die sich oftmals am Rande der Verzweiflung befinden. Dies klammert das Gesetz jedoch völlig aus. Es geht nur noch darum, den außergerichtlichen Einigungsversuch in kürzester Zeit zu erreichen oder das Scheitern der außergerichtlichen Einigung zügig zu bescheinigen. Es zählt ausschließlich der für das Land am günstigsten zu erreichende finanzielle Erfolg. Der einzelne Schuldner bleibt dabei auf der Strecke.

Aber nicht nur der, auch Insolvenzberatungsstellen werden durch die Finanzierung, nunmehr durch Fallpauschalen, in erhebliche Schwierigkeiten kommen. Herr Spenn von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege erklärte dazu - ich zitiere -:

„Trotz der in § 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs vorgesehenen Aufgabenkürzung werden die Tätigkeiten bis zum Abschluss der außergerichtlichen Einigung bzw. der Entscheidung,

das Scheitern zu bescheinigen, je nach Einzelfall unterschiedlich arbeits- und zeitaufwendig sein. Wir befürchten, dass dieses hier etwas ausgeblendet wird. Es wird Zeiten ohne außergerichtliche Einigung und ohne ausgestellte Bescheinigung geben. Diese sind unseres Erachtens ebenso wenig berücksichtigt wie die mit dem Einzelfall verbundenen Verhandlungen und Verwaltungsarbeiten sowie aller sonstiger fallbezogener Aufwand, das Erstellen von Beratungsberichten, Statistiken, die Mittelbeantragung usw.“

Die Forderung nach einem flächendeckenden, gut zu erreichenden Netz von Insolvenzberatungsstellen wird damit ausgehebelt. Wir teilen diese Befürchtung voll und ganz.

Darüber hinaus teilten auch wir die rechtlichen Bedenken, die hinsichtlich der rückwirkenden Pauschalfinanzierung in der Anhörung geäußert wurden, vor allem in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Zumindest das scheint nunmehr durch die Einführung der Pauschale ab 1. Juli 2004 geklärt zu sein. Dies ist zumindest ein kleiner Lichtblick.

Wir gehen ebenfalls davon aus, dass die Einsparungen, die man sich im Sozialhaushalt erhofft, zu Mehrausgaben im Justizhaushalt führen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf konterkariert das ursprüngliche Anliegen, das mit der Insolvenzordnung angedacht war.

(Zustimmung bei der PDS)

Die zunächst im Mittelpunkt stehende ganzheitliche Hilfe für Menschen in Notlagen muss allein fiskalischen Gesichtspunkten weichen - eine für uns nicht hinnehmbare Situation, die aber in den allgemeinen politischen Trend des Sozialabbaus passt.

Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf aus den genannten Gründen nicht unsere Zustimmung geben und ihn ablehnen.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Nun spricht für die PDSFraktion Herr Scholze.

(Herr Scholze, FDP: Für die PDS?)

- Für die FDP-Fraktion. Habe ich mich versprochen? - Das tut mir Leid; es steckte keine politische Absicht dahinter.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Zwei Hallenser!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf einige Dinge, die in der Debatte direkt angesprochen wurden, möchte ich jetzt eingehen.

Ich denke, wenn eine Beratungsstelle das Scheitern der Einigung bescheinigt, dann ist das auch eine Entscheidung im Sinne des Betroffenen, weil nämlich mit der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens die Wohlverhaltensphase von sechs Jahren erst zu laufen beginnt. Diese ist wichtig, um nach dieser Zeit die Schuldenfreiheit zu erreichen. Es liegt nicht unbedingt im Interesse eines verschuldeten Menschen, Verhandlungen übermäßig auszudehnen, die letztlich scheitern, weil mit jedem Tag

und mit jedem Monat Zeit vergeht, die in der Wohlverhaltensphase letztlich fehlt.

Die in der Erarbeitung befindliche Verordnung ist ein richtiger Schritt dahin, weil die Beträge, die hinterlegt sind, auch leistungsbezogen sind. Zum einen beziehen sie sich auf die Zahl der entsprechenden Gläubiger und zum anderen darauf, ob es zu einem Vergleich kommt oder ob die Bescheinigung ausgestellt wird.

Da die Beträge beim Zustandekommen eines Vergleichs höher sind, als wenn die Bescheinigung ausgestellt wird, ist ein gewisser Anreiz gesetzt, solche Beratungen erfolgreich zu führen, auch wenn viele Gläubiger vorhanden sind.

Wir haben in den Anhörungen und auch in den Gesprächen, die jeder Abgeordnete in diesem Zusammenhang geführt hat, zur Kenntnis genommen, dass es insbesondere bei vielen Gläubigern höchst kompliziert ist, eine Einigung zu erreichen. Das gilt insbesondere dann, wenn mehrere Banken betroffen sind, weil diese sich oft querstellen.

Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Ihnen vorliegenden Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung beschreitet das Land Sachsen-Anhalt einen neuen Weg bei der Finanzierung von Leistungen der anerkennten Stellen zur Insolvenzberatung. Wurden bisher Personal- und Sachkosten nach einer Art Selbstkostendeckungsprinzip erstattet, so erfolgt nunmehr eine leistungsbezogene Vergütung in Form von Fallpauschalen.

Dass eine solche Veränderung bei der Finanzierung Widerstände bei den betroffenen Trägern der Beratungsstellen hervorruft, ist nicht ungewöhnlich. Deswegen fand auf Antrag der Koalitionsfraktionen hin eine Anhörung statt. Im Ergebnis dieser Anhörung sicherte die Landesregierung den Koalitionsfraktionen zu, auch die für Einmalberatungen und Beratungsabbrüche erforderlichen Aufwendungen der Beratungsstellen in der geplanten Verordnung mit zu berücksichtigen.

Ein anderer, besonders heftig umstrittener Beratungsgegenstand war die rückwirkende Einführung der Fallpauschalen zum 1. Januar 2004. Da sich dieses Problem vom Beginn der Diskussion am heutigen Tag etwas anders darstellt, bin ich sehr froh darüber, dass es den Koalitionsfraktionen im Finanzausschuss gelungen ist, Mittel umzuschichten und damit eine Finanzierung der Beratungsstellen nach der geltenden Verordnung bis zum 30. Juni 2004 sicherzustellen. Die Umstellung auf die Fallpauschalen erfolgt auf der Grundlage der neuen Verordnung zum 1. Juli 2004.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Das kann man doch nicht rückwirkend machen!)

Unter dem Strich kann man sagen: Das war eine schwierige und schmerzhafte Geburt. Aber wir haben ein Ergebnis, das für alle - so denke ich - zufriedenstellend ist.

Meine Damen und Herren! Allen, die sich mit dieser Thematik auseinander gesetzt haben, muss klar sein, dass die eigentlichen Probleme, die eine Insolvenzberatung erst notwendig machen, mithilfe dieses Ausführungsgesetzes nicht zu lösen sind.