Protocol of the Session on May 7, 2004

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Nun treten wir ein in die schon angekündigte Debatte. Frau Röder, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich in meinen Ausführungen kurz fassen, nur auf wenige Punkte eingehen, auf zwei Punkte genau genommen, und auch schon einmal sagen, dass die FDP-Fraktion die Überweisung des Antrags in den Wirtschaftsausschuss beantragen wird.

Der erste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist eine Frage, die Herr Metke gestern gestellt hat: wie sich denn die Ablehnung eines Mindestlohnes mit der Bundesratsinitiative des Landes Sachsen-Anhalt zu Mindestlöhnen in der Berufsausbildung verträgt. Sie sind bestimmt gespannt. - Das verträgt sich sehr gut; denn bei der Ausbildungsvergütung ist es der Zweck dieser Bundesratsinitiative, die Rechtsprechung zu § 10 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes auf neue Grundlagen zu stellen.

Zurzeit steht in diesem Gesetz, in diesem Paragrafen, dass die Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung vorgeschrieben ist. Darin steht aber nicht, was Angemessenheit ist. Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff; den hat die Rechtsprechung natürlich hinreichend ausgefüllt. Sie sagt zurzeit, dass eine Vergütung von 20 % unter dem Tariflohn noch angemessen ist. Alles, was darunter liegt, gilt als sittenwidrig, und die Verträge sind damit nichtig. Das heißt, es ist faktisch ausgeschlossen, dass Verträge, die mehr als 20 % unter dem Tariflohn liegen, für Auszubildende abgeschlossen werden können. Diese Verträge sind null und nichtig.

Um nun aber den Betrieben das in einigen Punkten zu ermöglichen und auch den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, für etwas weniger Geld, aber überhaupt eine betriebliche Ausbildung antreten zu können, dazu kann die Bundesratsinitiative einen sinnvollen Schritt darstellen. Das sollten wir versuchen. Das war der eine Punkt, den ich darstellen wollte.

Der zweite Punkt ist ein anderer Punkt: Mindestlohn. Die Diskussion hat uns in den letzten Wochen wieder überfallen, und ich glaube, das kommt nicht ganz von ungefähr. Das hat durchaus mit der Diskussion, die wir immer wieder hier hatten - zu Hartz IV, zur Einführung von Arbeitslosengeld II - zu tun.

Nach der Einführung des Arbeitslosengeldes II muss den arbeitsfähigen Arbeitslosengeld-II-Empfängern eine Beschäftigung oder eine sonstige Beschäftigungsmöglichkeit angeboten werden. Unter anderem müssen denen auch Jobs am ersten Arbeitsmarkt angeboten werden. Wenn sie diese Maßnahmen ablehnen, dann müssen sie mit schweren Kürzungen des schon niedrigen Arbeitslosengeldes II rechnen.

Hier scheint nun der Mindestlohn der Ausweg zu sein, um die vorhersehbaren großen Härten, die noch nicht allen Leuten bewusst sind, die wirklich noch nicht allen möglicherweise Betroffenen klar sind, zu mildern. Hier scheint der Mindestlohn ein Ausweg zu sein. Wenn man den nämlich möglichst hoch ansetzt, dann werden wahnsinnig viele Angebote sofort unzumutbar. Wenn der Betroffene ein solches Angebot ablehnt, muss er auf keinen Fall mit Kürzungsmaßnahmen rechnen.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dirlich zu beantworten?

Ja.

Bitte, Frau Dirlich.

Frau Kollegin, Sie haben gerade die Veränderung des § 10 des Berufsbildungsgesetzes vorgeschlagen, in dem, wie Sie selber erklären, die Sittenwidrigkeit festgestellt wird, wenn ein bestimmter Lohn unterschritten wird. Habe ich Sie dabei richtig verstanden, dass es im Grunde darum geht, dass man solche sittenwidrigen Löhne jetzt mal einfach legalisiert?

Nein, das haben Sie nicht verstanden. Die Sittenwidrigkeit wird vom Gericht mit der Auslegung des Gesetzes festgestellt. Wenn man das Gesetz ändert, ändert sich natürlich auch die Auslegung entsprechend dem neuen Gesetz.

(Herr Gallert, PDS: Aber nicht die Löhne!)

Das heißt aber noch lange nicht, dass so etwas dann sittenwidrig wäre. Ich halte es nicht für sittenwidrig. Ich sage Ihnen mal ein Beispiel. Druckerei - wer Drucker lernt, bekommt im ersten Lehrjahr ein Lehrlingsentgelt in Höhe von ca. 700 €. Eine Druckerei, die nur sehr wenig Geld hat, könnte vielleicht zwei Azubis mehr einstellen, wenn sie nur 400 € zahlt. Auch wenn der Lehrling damit einverstanden wäre - das ist mehr, als mancher Azubi in anderen Zweigen erhält -, würde dieser Vertrag als sittenwidrig gelten und wäre damit nichtig.

Um an dieser Stelle ein Problem zu lösen, um diese Verträge möglich zu machen, hat Sachsen-Anhalt die Bundesratsinitiative gestartet.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

So viel zu der Problematik. Ich freue mich auf eine interessante Diskussion im Wirtschaftsausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Röder. - Für die SPD-Fraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Metke das Wort. Bitte sehr, Herr Metke.

(Herr Kosmehl, FDP: Zu Protokoll!)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung würde ich gern meine Rede zu Protokoll geben.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das ist das erste Mal, dass ich Applaus von Ihnen erhalte.

(Heiterkeit bei der CDU)

Das sehe ich aber sozusagen eher als ein Kompliment.

(Herr Borgwardt, CDU: So einfach ist das!)

Ich will nur sagen, dass auch wir die Ausschussüberweisung beantragen wollen. Ich denke, das ist ein so umfangreiches Thema, das man ohnehin nicht in einer Fünfminutendebatte abhandeln kann.

Ich war jetzt leicht geneigt, noch einmal auf die Äußerungen von Frau Röder einzugehen. Aber das können wir auch im Ausschuss machen. Ich denke, Frau Dirlich hat es schon sehr richtig verstanden. Das ist aber ein Punkt, den wir noch einmal vertiefen müssten; denn wenn schon 20 % Absenkung bei der Ausbildungsvergütung sittenwidrig sind, und nun um 80 % abgesenkt werden soll, dann ist es schon interessant, dass Sie sagen, das wäre kein Problem und der Tatbestand der Sittenwidrigkeit wäre nicht mehr gegeben. Aber auch das sollten wir im Ausschuss behandeln. - Schönen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, bei der PDS und bei der FDP)

(Zu Protokoll:)

Einen gesetzlich geregelten Mindestlohn gibt es derzeit in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Es existieren Mindestlohnvereinbarungen zum Beispiel in der Bauindustrie, im Elektrohandwerk, im Dachdeckerhandwerk und bei Malern und Lackierern. Diese Mindestlöhne sind aber tarifvertraglich vereinbart und anschließend für allgemein verbindlich erklärt worden.

Damit ist auch schon ein besonderer Punkt in der Mindestlohndebatte benannt: Die Tarifautonomie. Politisch und rechtlich galt und gilt: Die Gestaltung von Löhnen und Gehältern ist nicht Sache des Staates, sondern Angelegenheit der jeweiligen Tarifvertragsparteien. Das ist der Kern des Prinzips der Tarifautonomie.

Obwohl es auch in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen zur Einführung von Mindestlöhnen gab, hat der Gesetzgeber bisher auf gesetzlich geregelte Mindestlöhne verzichtet. Die Zumutbarkeitsanordnung im Zusammenhang mit der Umsetzung von Hartz IV hat aktuell eine erneute Diskussion ausgelöst.

Angestoßen wurde diese Debatte von ver.di-Chef Frank Bsirske, der die Einführung eines Mindestlohnes als Antwort auf die Verschärfung der Regelungen für Arbeitslose ins Gespräch gebracht hatte. Aber auch in der SPD wird über gesetzliche Mindestlöhne nachgedacht.

So ist für den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Bundestages Rainer Wend ein gesetzlicher Mindestlohn überlegenswert. Gegenüber der „Financial Times Deutschland“ erklärte er:

„Arbeit muss sich lohnen. Wenn man Leute dazu zwingt, jede Arbeit aufzunehmen, dann muss man ihnen auch einen Lohn zahlen, der über der Sozialhilfe liegt.“

Auch Grünen-Chef Bütikofer hat in den letzten Tagen die Einführung einer Mindestlohnregelung gefordert.

In den westlichen Industrienationen sind gesetzliche Mindestlöhne nicht unbekannt. Es gibt sie in Frankreich, den USA, Belgien, Griechenland, Großbritannien, Spanien, den Niederlanden und Portugal; allerdings mit sehr unterschiedlicher Ausgestaltung. So beträgt der Mindestlohn in den Niederlanden 1 250 € pro Monat, während in Portugal monatlich lediglich 357 € gezahlt werden müssen.

Neben den Auswirkungen der neuen Zumutbarkeitskriterien, bei denen ein freier Fall der Löhne nach unten befürchtet werden muss, ist der Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen durch Lohndumping ein weiterer Bereich, der in die jetzt beginnende Diskussion einbezogen werden muss, aber auch die Bereiche, in denen es aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich ist, existenzsichernde Löhne durchzusetzen. Etwa im Gaststätten- oder Reinigungsgewerbe oder in Teilen des Handwerks hätte ein gesetzlicher Mindestlohn den Vorteil, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die kein Tarifvertrag gilt, einen Einkommensschutz erhielten.

Letztlich geht es darum, denjenigen etwas entgegenzusetzen, die offenbar der Meinung sind, wir könnten auf der Basis von immer niedrigeren Löhnen mit den Volkswirtschaften Osteuropas oder Südostasiens konkurrieren. Hierzu hat die Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten Gesine Schwan bei ihrem Besuch am Dienstag in unserer Fraktion noch einmal sehr überzeugend und beeindruckend deutlich gemacht, dass mit Niedriglöhnen keine zukunftsfähige wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Unsere Chance, gerade auch in Ostdeutschland, liegt eindeutig im Bereich der Produkt- und Verfahrensinnovation, das heißt in der Nutzung unseres technischen und wissenschaftlichen Know-hows.

Ich denke, wir stehen am Anfang einer Diskussion, die nach unserer Auffassung in den Ausschüssen fortgeführt werden sollte. Wir beantragen deshalb die Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit.

Vielen Dank, Herr Metke. - Damit hat als nächster Redner der Abgeordnete Herr Poser für die CDU-Fraktion das Wort. Bitte sehr, Herr Poser.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erlaube mir, meine Rede nicht zu Protokoll zu geben, da ich kurz etwas sagen möchte. Ich verspreche Ihnen aber, es geht schnell.

Die Intentionen, die auch die unsrigen zu diesem Thema sind, sind von unserem Wirtschaftsminister Herrn Rehberger so ausführlich dargelegt worden, dass ich mir erlaube, zu diesem Thema nur noch Folgendes festzustellen: Die Aufgabe der Politik muss es sein, für die Wirtschaft und den Mittelstand Rahmenbedingen zu schaffen, die es ermöglichen, angemessene Löhne zu zahlen.

Unser Ziel ist es nicht, die Tarifpolitik auf die staatliche bzw. die politische Ebene zu verlagern. Doch aufgrund der vielfältigen Aspekte dieses brisanten Themas und der Uneinigkeit selbst im Gewerkschaftslager sind wir der Meinung, so dies gewollt ist, diesen Antrag in den Ausschüssen für Gesundheit und Soziales sowie für Wirtschaft und Arbeit behandeln zu sollen. - Danke.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Poser. - Für die PDS-Fraktion erhält noch einmal die Abgeordnete Frau Rogée das Wort. Bitte sehr, Frau Rogée.

Ich werde Ihre Zeit auch nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Herr Rehberger, Sie wissen, ich kenne die verschiedenen Formen von Tarifverhandlungen, AVE usw. Ich finde, die Debatte im Ausschuss ist schon interessant. Das sollten wir auch tun.

Nur eines möchte ich grundsätzlich sagen: Ich habe die Tarifautonomie überhaupt nicht infrage gestellt. Ich habe auch nicht vorgeschlagen, dass die Tarifautonomie jetzt von der Politik geregelt werden sollte. Es ging nur um die Mindestlohndebatte. Diese Debatte sollten wir im Wirtschaftsausschuss führen. Deswegen nehme ich den Vorschlag an, über den Antrag nicht direkt abzustimmen, sondern ihn in den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zu überweisen. - Danke schön.