Protocol of the Session on May 7, 2004

(Herr Gallert, PDS: Ein Herr Böhmer als Kron- zeuge!)

- Das macht ja nichts. Wenn ich es nicht gesehen habe, kann ich es nicht beurteilen.

Ich erinnere mich, dass bei mir Journalisten waren, die mir drei- bis viermal Sätze vorgesagt haben, die ich in die Kamera sagen sollte, wozu ich mich geweigert habe.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Das kennen wir! - Herr Dr. Püchel, SPD: Das kennen wir alle!)

Ich habe dann nur gesagt, dass es tatsächlich eine schwierige Haushaltssituation in Sachsen-Anhalt ist und dass wir mit Schulden, die wir in den Haushalt eingestellt haben, zu einer Verschiebung der Haushaltsproportionen gekommen sind; denn nach der gegenwärtigen Beurteilung im Fortschrittsbericht sieht das so aus: Investitionssumme eines Landes minus Neuverschuldung ist gleich zweckentsprechende Verwendung der SoBez.

Wenn, wie das bei uns der Fall ist - dafür war die Lehrergeschichte ein Beispiel -, Ausgaben aus früheren Zeiten etatisiert wurden, dann ergibt das ein falsches Ergebnis. Ich möchte nicht, dass in der Öffentlichkeit dargestellt wird, die Regierung oder das Parlament in Sachsen-Anhalt seien unfähig, mit den Fördermitteln des Westens umzugehen und wir würden nur 46,7 % der SoBez-Mittel - das war nämlich die Zahl - investiv anwenden und den Rest zum Stopfen von Haushaltslöchern nehmen. Dies ist ein verzerrtes Ergebnis. Das hängt aber mit der Haushaltssystematik bei uns zusammen und mit der Unschärfe der Definition und der vorgegebenen Begriffe.

Deshalb haben die Ministerpräsidenten die Finanzminister aller neuen Bundesländer beauftragt, für den nächsten Fortschrittsbericht die Begriffe neu zu definieren und die Beurteilung der Mittelverwendung exakter und präziser vorzugeben, damit solche in der Öffentlichkeit verzerrenden Darstellungen vermieden werden können.

Das war der Hintergrund, vor dem sich das abgespielt hat. Aber wenn Sie, und sei es nur fünf Minuten lang, vor der Kamera etwas sagen und davon nur eine Minute gesendet wird, dann wissen Sie nicht, was herausgeschnitten wurde und was gekommen ist.

Die Tatsache aber, dass wir in der öffentlichen Meinung eine sehr kritische Grundhaltung registrieren müssen zum Aufbau Ost, zur Finanzpolitik in den neuen Bundesländern und zur Verwertung der Mittel aus Solidarpakt und anderen Finanzhilfen, die müssen wir zur Kenntnis nehmen. Vor diesem Hintergrund müssen wir den nächsten Haushaltsplan vorbereiten.

Weil wir mit dem Haushaltsplan 2005/2006 die bestehenden Probleme dieses Jahres nicht korrigieren können, haben wir uns entschieden, und zwar relativ zeitig, einen Nachtragshaushalt zu machen. Und wenn Sie fragen, warum jetzt, antworte ich: weil in einer Woche die Ergebnisse der Steuerschätzung kommen werden.

(Herr Bullerjahn, SPD: Deswegen haben wir das abgelehnt!)

- Nein, nein. Wir haben das jetzt eingebracht, weil wir sagen, im Laufe der parlamentarischen Beratung über den Nachtragshaushalt erfahren wir diese Zahlen und

können notfalls korrigieren, wenn es notwendig sein sollte.

Ich hoffe, dass es nicht notwendig sein wird. Es gibt noch keine exakten Zahlen, es gibt lediglich - ich sage es einmal so - Pressemitteilungen, deren Verbindlichkeit ich nicht beurteilen kann.

Aber im Allgemeinen ist mit Mindereinnahmen zwischen 9 Milliarden € und 10 Milliarden € zu rechnen. Etwa 40 % davon sind auf die Länder zu verteilen. Wenn es dann so käme, wie ich hoffe, vermute oder schätze, dann läge das im Rahmen dessen, was wir mit dem Nachtragshaushalt vorbereitet haben. Denn wir haben das an Steuermindereinnahmen, was als Ergebnis des Vermittlungsausschusses vor Weihnachten für unser Land vorherberechenbar ist, eingestellt.

Wenn wir mit dem Nachtragshaushalt tatsächlich alles an Defiziten eingestellt haben und die Mehrausgaben, vor allen Dingen im Bereich des Maßregelvollzugs und in einigen anderen Bereichen, die unabweisbar sind, berücksichtigt haben, ergibt sich eine zusätzliche Sparleistung.

Ich behaupte nicht - um das ganz deutlich zu sagen -, dass das Vertiteln der globalen Minderausgabe eine Sparleistung ist; denn das ist ein Sparbetrag, der bereits beschlossen wurde, es war lediglich noch nicht festgelegt worden, wo genau gespart werden soll. Wenn das jetzt vertitelt wird, lasse ich mir das von niemandem als Sparleistung verkaufen. Aber wir haben zusätzliche Sparleistungen erbracht, die sich daraus ergeben, dass höhere Ausgaben in einigen Bereichen, die durch Rechtsverpflichtungen festgelegt sind, ausgeglichen werden mussten.

Deshalb ist es trotz allem richtig, dass wir auch bei der exorbitanten Neuverschuldung, von der ich gehofft hätte, dass wir sie hätten abwenden können und dass sie dem Land nicht hätte zugemutet werden müssen, einen gewissen Konsolidierungskurs gehalten haben. Sonst wäre es nämlich noch schlimmer gekommen.

Ich sage das deswegen so betont, weil wir mit dem Haushaltsplan 2005/2006 nahezu dazu verurteilt sind, diese Entwicklung fortzuführen. Dann wird der politische Zoff erst richtig losgehen; denn es ist nicht möglich, die Neuverschuldung zu senken. Sie haben uns davon abgeraten, auf höhere Steuereinnahmen zu warten, da wir damit jämmerlich auf die Nase fallen würden. Also können wir das Problem nur durch Ausgabensenkungen in bestimmten Bereichen lösen.

Dann lese ich in der Zeitung, was uns die verehrten Kollegen, die alle hier sitzen, sagen. Herr Gallert sagt: Die Landesregierung spart das Land tot. - So werden Sie wörtlich in der Zeitung zitiert. Zu allen Vorschlägen, die wir machen, sagen Sie: Aber nicht dort. Sparen ist wichtig, sparen ist notwendig, ihr müsst sparen, aber nicht dort - nicht bei der Kinderbetreuung, nicht bei der Schule, nicht bei den Hochschulen. Nirgends.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jeder Bereich, für den wir Vorschläge machen, ist der falsche. Aber sparen müssen wir. Darüber müssen wir uns irgendwann einig werden. Das wird eine spannende Debatte.

Wenn Sie bereit sind, sich in diese Debatte genauso fair und sachlich einzubringen, wie ich die Debatte und die

Diskussion der letzten Stunde empfunden habe, dann halte ich das Problem für lösbar. Aber nur dann werden wir es lösen können.

Die Grundvoraussetzung ist, dass wir die wirtschaftliche Entwicklung im Lande einigermaßen hinbekommen, bei uns in Sachsen-Anhalt und bei uns in Deutschland, denn allein gegen den Strom schwimmend werden wir das nicht schaffen. Das heißt, wir werden zu einigen Reformen fähig sein müssen.

Sie werden spätestens heute in den Zeitungen lesen können, welche entsetzlichen Gedanken wir diskutiert haben, um das Bruttoinlandsprodukt in diesem Land zu erhöhen. Ich bekenne mich zu jedem Vorschlag, auch wenn er in diesem Landtag nicht mehrheitsfähig werden sollte.

Wir haben nur zwei Chancen, nämlich indem wir die Neuverschuldung senken und indem wir das Bruttoinlandsprodukt, das heißt die Wirtschaftskraft dieses Landes, erhöhen. Wenn wir dazu unfähig sind, müssen wir das zugeben. Aber wenn wir dies gemeinsam schaffen, werden wir die Entwicklung des Landes weiter befördern können. Darum wollte ich Sie zumindest bei dieser Gelegenheit herzlichst bitten. Die nächsten Diskussionen kommen im Herbst mit dem Haushalt. Das wird ein wesentlich schwierigeres Problem. - Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Dr. Püchel, SPD, meldet sich zu Wort)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Herr Dr. Püchel, wollten Sie eine Frage stellen? - Gut, das ist sowieso klar. Wenn jemand das Wort wünscht, dann erteile ich es ihm. Bitte, Herr Dr. Püchel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir erleben hier im Landtag langsam ein Ritual: Der Finanzminister bringt den Haushalt ein und bekommt zu Recht Prügel von Herrn Gallert und von Herrn Bullerjahn. Dann bleibt er sitzen und Sie kommen vor und versuchen, das alles wieder einzufangen.

Wenn Sie sagen, Sie hätten sich das vorher nicht überlegt und Sie seien erst bei Beginn der Diskussion auf die Idee gekommen, das Wort zu ergreifen, sage ich spaßeshalber: Ich will nicht schon wieder einen Untersuchungsausschuss einrichten, um zu fragen, wann Sie wirklich die Idee hatten, hier zu sprechen.

(Heiterkeit bei der SPD - Zurufe von der CDU)

- Spätzünder!

Wäre es nicht besser, wenn Sie den Haushalt gleich selbst einbringen und dazu sprechen würden, statt Herrn Paqué vorzuschicken, der dann zu Recht Kritik bekommt, weil er Dinge gesagt hat, die so nicht stimmen?

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Kos- mehl, FDP)

Zur Steuerschätzung. Sie haben dies aufgegriffen, als Herr Bullerjahn das dazwischen gerufen hatte. Die Steuerschätzung macht nicht der Bund, das macht eine Gruppe aus Bund und Ländern. Federführend dabei war,

glaube ich, Baden-Württemberg. Das darf man nicht vergessen. Auch die Länder sind beteiligt, nicht allein der Bund. Die Zahlen kommen nicht allein vom Bund.

(Ministerpräsident Herr Prof. Dr. Böhmer: Aber der Bund liefert die Prognosen, auf denen die Be- rechnungen basieren!)

- Sie arbeiten zusammen und werten das gegenseitig aus.

Zu den Steuereinnahmen. Die Kritik dazu war falsch. Herr Bullerjahn hat klar gesagt, wie die Entwicklung in den letzten Jahren gewesen ist. Er hat auf die Schwierigkeiten mit den sinkenden Steuereinnahmen hingewiesen. Dazu stehen wir. Das ist Fakt und darum reden wir auch nicht herum.

Zum Sparen. Es ist völlig richtig, wir müssen sparen. Ich weiß nicht, ob Ihr Vorwurf an uns gerichtet war oder an die PDS. Selbstverständlich müssen wir sparen. Aber trotzdem kann man auch beim Sparen Schwerpunkte setzen. Wir haben beim KiBeG die Kürzung mitgetragen, sagen aber ganz klar: Für uns sind die Hochschulen ein Schwerpunkt, bei ihnen darf nicht weiter gekürzt werden. Auch im Mangel kann man Schwerpunkte setzen. Das tun wir auch.

Was mir langsam nicht mehr gefällt - das sage ich ganz klar -, ist der Umstand, dass immer wir oder Rot-Grün in Berlin die Schuld haben sollen. Herr Lukowitz ging heute bis zum Jahr 1995 zurück. Jetzt gehe ich weiter zurück. Ich weiß noch nicht einmal, ob das ausreicht. Dieses Land wurde nicht im Jahr 1994 gegründet. Die erste Regierung gab es nicht im Jahr 1994, sondern im Jahr 1990. Die Weichen für die Haushaltspolitik dieses Landes sind in den Jahren 1990 bis 1994 gestellt worden. Damals wurden die Weichen gestellt.

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

Damals gab es einen Finanzminister Dr. Böhmer, später Professor Böhmer. Sie sagen jetzt, damals hätten Sie das anders gemacht. Was haben Sie gemacht? - Sie haben in den ersten Jahren die Weichen gestellt. Vergleichen Sie doch einmal, wie Sachsen die Haushaltspolitik begonnen hat und wie Sachsen-Anhalt die Haushaltspolitik begonnen hat. Vergleichen wir uns also nicht mit Ihnen oder Sie sich mit uns, sondern vergleichen wir Sachsen-Anhalt einmal mit Sachsen.

Ein Beispiel: Sie haben uns all die Jahre vorgeworfen, wir hätten den Personalabbau nicht richtig betrieben usw. Das haben wir durch. Frau Feußner, Sie kommen aus dem öffentlichen Dienst, Sie nicken. Es gab eine Sonderkündigungsregelung im öffentlichen Dienst, die Ende 1993 auslief. Diese Regelung hat Sachsen genutzt, Sachsen-Anhalt hat sie nicht genutzt.

(Herr Gürth, CDU: Die haben wir auch genutzt! - Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Die haben wir nicht mehr nutzen können, weil es sie nicht mehr gab.

Ihr wirkliches Haushaltsproblem begann im Jahr 2002. Mit dem Nachtragshaushalt 2002 haben Sie die Weichen gestellt.

(Unruhe bei der CDU)

Davon kommen Sie nicht mehr herunter. Der große Schluck aus der Flasche wirkt sich noch heute aus. Das

ist der Flaschenhals, durch den Sie nicht mehr herauskommen.