Protocol of the Session on May 6, 2004

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Minister. - Wir treten jetzt in eine Fünfminutendebatte ein. Als Erster wird der Abgeordnete Herr Scholze für die FDP-Fraktion sprechen.

Zunächst begrüßen wir auf der Tribüne Damen und Herren von der Suchtberatungsgesellschaft Kontext Sangerhausen. Seien Sie recht herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Antrag der SPDFraktion gibt uns einen Anlass dafür, im parlamentarischen Raum über die Situation im Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt öffentlich zu diskutieren. Wir sollten diese Diskussion vor allem differenziert und mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein führen; denn allzu oft wird in den Medien eben nicht unter den genannten Prämissen berichtet.

Um das Ergebnis meiner Überlegungen zu diesem Antrag vorwegzunehmen: Wir, die FDP-Fraktion, werden dem Antrag zustimmen, nicht zuletzt deshalb, weil nach den Berichten in den Medien vor einem Jahr über die Errichtung eines weiteren Maßregelvollzugs und nach der sich anschließenden Berichterstattung durch das Sozialministerium im Sozialausschuss erkennbar ist, dass konzeptionelle Vorstellungen vorliegen und dass diese sich bereits in der Phase der Umsetzung befinden.

Meine Damen und Herren! Ich verrate nichts Neues, wenn ich sage, dass in Sachsen-Anhalt unter den gegebenen Bedingungen, vor allem der sich drastisch nach oben bewegenden Belegungsentwicklung, an der Errichtung eines dritten Standortes für den Maßregelvollzug kein Weg vorbeiführt.

Weiterhin darf ich an dieser Stelle an die Beratungen zum Haushalt 2004 erinnern; denn damals wurden auf Antrag der Koalitionsfraktionen investive Mittel für den Maßregelvollzug eingeplant. Bereits damals war uns bewusst, dass bei einer 30-prozentigen Überbelegung die vorhandenen Einrichtungen und die darin beschäftigten Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenze stoßen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um die Problematik zu erfassen, sollten wir uns einige Eckwerte im Zusammenhang mit dem Maßregelvollzug verdeutlichen. Einerseits hat sich die Zahl der Einweisungen in den Vollzug nach § 63 und § 64 des Strafgesetzbuches in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Entlassungen um bis zu 50 % zurückgegangen.

Um es noch plastischer darzustellen: Vor genau 30 Jahren wurden in den alten Bundesländern insgesamt 310 Straftäter nach § 63 StGB verurteilt; Sachsen-Anhalt allein braucht künftig Kapazitäten in ähnlicher Größenordnung.

Meine Damen und Herren! Ich bin kein Jurist und habe an dieser Stelle auch nicht die Zeit, mir die Gründe für diese Entwicklung vollends zu erschließen. Fakt ist jedoch, dass es in anderen Bundesländern aufgrund von Versäumnissen im Maßregelvollzug zu spektakulären und grausamen Vorfällen kam; dem daraus erwachsenen gesteigerten Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung wurde Rechnung getragen. Genau dies führte zu den messbaren Konsequenzen, sprich der Überbelegung in den vorhandenen Einrichtungen.

Ein anderes, ebenso nicht plakativ darstellbares Problem ist die personelle Situation im Maßregelvollzug. Einen Aspekt will ich herausgreifen: Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten wurde eine Prognosebegutachtung im Rahmen des Entlassungsverfahrens eingeführt. Diese Aufgabe muss die Psychiatrie erfüllen. Das ist eine immense Verantwortung, die per Gesetz auf die zur Entscheidung Befugten delegiert wurde.

Eine mögliche Fehlentscheidung hat dann nicht nur Konsequenzen für die Sicherheit der Bevölkerung, sondern auch für den beurteilenden Psychiater. Deshalb ist es für mich durchaus nachvollziehbar, wenn ein junger Arzt abwägt und entscheidet, nicht in diesem Bereich tätig zu werden. Daher ist es aus meiner Sicht auch wichtig und notwendig, im Fachausschuss über Möglichkeiten der Nachwuchsgewinnung zu diskutieren.

Meine Damen und Herren! Vor diesem schwierigen Hintergrund müssen wir nun die Errichtung eines weiteren Standortes für den Maßregelvollzug planen. Dass die regionale Bevölkerung dem nicht immer mit Begeisterung begegnet, egal welche politische Partei sich um die Umsetzung bemüht, ist verständlich.

Eines sollten wir uns jedoch bewusst machen: Wir haben mit der Salus eine Einrichtung, in der forensische und allgemeine Psychiatrie im Verbund mit engagiertem und qualifiziertem Personal eine gute Arbeit leisten. Das ist im Sinne der Sicherheit für unsere Bevölkerung und im Sinne der zu behandelnden Patienten. Davon haben sich sowohl der FDP-Arbeitskreis als auch ich als Mitglied des Petitionsausschusses im Rahmen von Besuchen der betreffenden Einrichtungen überzeugen können. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Abgeordneter Scholze. - Für die PDS-Fraktion wird die Abgeordnete Frau Knöfler sprechen. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie bereits erwähnt wurde und wie in der vorliegenden Drucksache nachzulesen ist, hat der Petitionsausschuss im März dieses Jahres aktiv die Möglichkeit wahrgenommen, sich in der forensischen Klinik Uchtspringe über die Arbeit des Maßregelvollzugs zu informieren. Während eines Rundgangs machten sich die Ausschussmitglieder ein umfassendes Bild von den Strukturen und Gegebenheiten.

Die durchaus umfänglichen und vielseitig vorhandenen Bemühungen aller Beschäftigten sollen an dieser Stelle nicht strittig gestellt werden. Doch in Petitionen, insbesondere von bevollmächtigten Angehörigen, wird immer wieder auf die Zustände - oder sollte ich sagen: auf die Missstände - aufmerksam gemacht; denn im Maßregelvollzug, sehr geehrte Damen und Herren, wird es immer enger. Und Enge lässt eine fachlich angemessene Therapie nicht zu.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Folgende Fakten zur Einleitung: Erstens. Bei den Insassen handelt es sich zu ca. 50 % um Sexualstraftäter, wobei sich der Anteil von Pädophilen und Vergewaltigern bzw. Nötigern von Frauen die Waage hält. Ein Anteil von

25 % der Insassen wurden wegen Mordes, Totschlags oder schwerer Körperverletzung verurteilt, 14 % wegen Raubes und Körperverletzung, 10 % wegen Brandstiftung.

Zweitens. Oft kommen die oben genannten Täter aus schlechten sozialen Verhältnissen. Ich zitiere den Chefarzt Dr. Witzel aus Uchtspringe:

„Die Therapie im Maßregelvollzug ist Psychiatrie an den Ärmsten der Gesellschaft, die nicht selten in ihrer Kindheit selbst Opfer gewesen sind.“

Diese Tatsache und der ständig wachsende Druck infolge der Überbelegung machen deutlich, welche Zeitbombe hier täglich, ja stündlich tickt.

Das Land Sachsen-Anhalt entschied sich vor Jahren bewusst für einen zentralen Maßregelvollzug am Standort Uchtspringe, ausgelegt für 210 Planbetten für die psychisch kranken Straftäter gemäß § 63 des Strafgesetzbuches. Derzeit, sehr geehrte Damen und Herren, sind dort 284 Personen untergebracht. Das heißt, es sind 75 Patienten zusätzlich, wohl aber eher notdürftig untergebracht. Selbst die Besucherräume wurden inzwischen praktischerweise umfunktioniert, mit Doppelbetten ausgestattet und mit sechs bis acht Patienten belegt.

Das ist eine enorme Belastung für alle Seiten, von der wir alle schon lange wissen, insbesondere aber für die zu therapierenden Straftäter; denn die räumliche Enge bietet den Nährboden für ein erhebliches Konfliktpotenzial.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen nicht von einer vorübergehenden Erscheinung, sondern von einem Dauerzustand mit der Tendenz des weiteren Anstiegs der Patientenzahl. Eine Ursache dafür ist unter anderem eine längere Verweildauer der Insassen, die kontinuierlich zunimmt. Bundesweit beträgt sie mittlerweile sieben bis neun Jahre; in Sachsen-Anhalt hingegen vier Jahre und fünf Monate. Das ist der Tatsache geschuldet, dass der Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt eine noch recht junge Geschichte hat.

Die längere Verweildauer und die veränderte Praxis der Gerichte bei der Zuweisung in den Maßregelvollzug haben diese Überbelegung verursacht, obwohl anzumerken ist, sehr geehrte Damen und Herren, dass lediglich 3 % aller rechtskräftig verurteilten Straftäter in den Maßregelvollzug eingewiesen werden. Um dieser Situation abzuhelfen, sind zusätzliche Behandlungskapazitäten erforderlich, die mit gut qualifiziertem Personal ausgestattet werden müssen. Ebenso unabdingbar ist das Nachschalten einer forensischen Rehabilitationseinrichtung.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich sehe, mir bleiben nur noch wenige Sekunden Redezeit. Ich werde mich daher faktisch auf das beschränken, was Ihnen die PDSFraktion ans Herz legen möchte.

An dieser Stelle soll die Arbeit derjenigen gewürdigt werden, die im Maßregelvollzug täglich ihren Dienst am Menschen tun, die mit differenzierten Strategien unter Beibehaltung der Rechte der Einzelnen agieren und gleichzeitig dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung tragen.

Die PDS-Fraktion schlägt zusätzlich vor, bei der Anhörung erstens die Frage der Standortauswahl für eine neue Maßregelvollzugseinrichtung zu thematisieren, die

so schnell wie möglich, spätestens jedoch bis November 2004, erfolgen sollte.

Zweitens. Die Maximalzahl der Planbetten dieser Einheit sollte 100 nicht übersteigen.

Drittens. Auf einer Analyse- und Konzeptionsebene sollte allumfassende Sach- und Fachkompetenz einbezogen werden. Die PDS-Fraktion schlägt vor, unter anderen die Chefärztin Frau Dr. Mittelstedt aus Bernburg und den Chefarzt Herrn Dr. Witzel aus Uchtspringe einzubeziehen.

Die PDS-Fraktion stimmt dem Antrag zu. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Knöfler. - Für die CDU-Fraktion wird der Abgeordnete Herr Schwenke sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Weg zum Pult war wahrscheinlich länger, als es meine Rede sein wird. Ich denke, da wir fast alle einer Meinung sind und ich als Letzter zu dem Thema spreche, kann ich mich sehr kurz fassen.

Ich denke, das Wesentliche zu dem Thema ist gesagt worden. Auch wir kennen die Ergebnisse der Beratungen im Psychiatrieausschuss und im Petitionsausschuss. Wir tragen natürlich auch die Bedenken hinsichtlich der Konsequenzen, die aus der Überbelegung resultieren können, mit. Wir sehen wie alle anderen auch die Probleme, die Sicherheitsrisiken und die Fragestellung nach therapeutischen Erfolgen. Das ist uns auch klar.

Minister Herr Kley hat ausgeführt, dass die Landesregierung daran arbeitet, so schnell wie möglich Lösungen zu finden. Wir können eigentlich nur viel Erfolg wünschen bei der Suche nach einem dritten Standort. Ich hoffe wie alle anderen im Landtag auf konstruktive Diskussionen im Ausschuss für Gesundheit und Soziales. Ich denke, wir sollten das intensiv begleiten, damit wir so schnell wie möglich zu einem Ergebnis kommen. - Danke.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Abgeordneter Schwenke. - Frau Dr. Kuppe, möchten Sie noch einmal erwidern? - Ja.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Es zeichnet sich ein so breiter Konsens ab, dass wir die weiteren Diskussionen im Ausschuss führen können und ein weiterer Redebeitrag von mir nicht notwendig ist.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Danke sehr. - Dann treten wir in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/1540 ein. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 10.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung

Zielvereinbarungen zwischen Landesregierung und Hochschulen

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1553

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/1584