Protocol of the Session on January 23, 2004

Wenn ich Herrn Kasten richtig verstanden habe und Herrn Sachse auch, soll das alles so beschlossen werden. Aber Sie wollen einen Satz anfügen, der heißen könnte: „Darüber soll die Landesregierung im Ausschuss für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr berichten.“ Das ist, wenn ich das recht verstanden habe, der Antrag. Also eine Ergänzung.

Darüber lasse ich jetzt auch als Erstes abstimmen. Wer dieser Ergänzung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Damit ist das abgelehnt.

Wir stimmen über den Antrag, so wie er wörtlich vor Ihnen liegt, ab. Wer stimmt zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das ist niemand. Stimmenthaltungen? - Die Oppositionsfraktionen. Damit ist dieser Antrag so ohne Gegenstimmen bei vielen Enthaltungen angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 19 beendet.

Ich rufe als letzten den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Erhalt des Waggonbaustandortes Halle-Ammendorf

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1312

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/1343

Ich bitte zunächst Herrn Felke, für die SPD-Fraktion diesen Antrag einzubringen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass der Aufsichtsrat der DWA - Deutsche Waggonbau AG - über die Schließung des Werkes Ammendorf befinden sollte. Bekanntermaßen kam es nicht dazu, weil Beschäftigte, Betriebsrat und Gewerkschaft, ein breites Aktionsbündnis in der Stadt sowie das Engagement von Landes- und Bundesregierung dies verhindert haben.

Dieser Entscheidung voraus ging ein hartes Ringen mit den Verantwortlichen von Bombardier. Stück für Stück musste ihnen abgetrotzt, sie mussten an den Verhandlungstisch nahezu gezwungen werden. Bombardier war gehalten, permanent zur Situation in Ammendorf Stellung zu nehmen. Eine vorschnelle Entscheidung gegen den Standort konnte so verhindert werden. Eine ganze Reihe von Mitgliedern dieses Hauses wird sich noch an diese bewegenden Tage und Wochen erinnern können.

Den Durchbruch brachte damals sicherlich das direkte Engagement des Bundeskanzlers, dem es gelang, den Konzernverantwortlichen deutlich zu machen, dass der Standort mit seinen Qualitäten auch weiterhin ein wirtschaftlich arbeitender Teil des Bombardier-Konzerns

bleiben muss. Zudem konnte er vermitteln, dass das Werk als größter Industriebetrieb in der Saalestadt eine wichtige Rolle für die gesamte Region spielt.

Aber auch die Zusagen und die eingegangenen Verpflichtungen der Landesregierung zur Übernahme und Entwicklung des Altstandortes Werk I haben dazu geführt, dass wir heute überhaupt noch über den Waggonbau in Halle reden können.

(Zustimmung bei der SPD)

Der Landtag hatte sich in dieser Zeit mehrfach im Plenum und in den Ausschüssen mit der Problematik befasst. Gemeinsame Beschlüsse von CDU, SPD und PDS forderten von der Landesregierung, Vorschläge zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Produktion am Standort Ammendorf zu erarbeiten. An die Bundesregierung wurde appelliert, sich aktiv für diesen leistungsfähigen Betrieb einzusetzen. Der Stadtrat von Halle und auch der Bundestag unterstützten die Waggonbauer mit entsprechenden Beschlüssen.

Aber auch der parteipolitische Schlagabtausch prägte die damalige Diskussion. Einige Kostproben: Die MIT forderte vom Ministerpräsidenten konkrete Schritte zur Rettung des Waggonbaustandortes Ammendorf. „Eine Politik der Betroffenheit reicht nicht aus, um das Werk vor einer drohenden Schließung zu bewahren“, erklärte MIT-Landeschef Detlef Gürth.

Auch die FDP hatte etwas beizusteuern. Die Generalsekretärin Cornelia Pieper machte für die drohende Schließung des Waggonbauwerkes eine falsche Wirtschaftspolitik von Ministerpräsident Höppner verantwortlich. Wenn Ammendorf tatsächlich geschlossen werden sollte, trage der Regierungschef dafür die persönliche Verantwortung - so wörtlich Frau Pieper.

Meine Damen und Herren! Derartig einseitige Schuldzuweisungen haben damals niemandem geholfen und helfen heute nicht weiter, am allerwenigsten den Beschäftigten in Ammendorf.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie gingen zudem völlig an der eigentlichen Sache vorbei und waren schlichtweg falsch.

Für uns ist klar: Der Durchbruch, der vor zwei Jahren erreicht wurde, als die Schließungspläne vom Tisch kamen, war nur ein Zwischenstand. Jedem musste einleuchten, dass die Arbeit auf allen Ebenen mit aller Kraft fortgesetzt werden muss, um eine klare Perspektive für den Waggonbau in Halle zu bekommen.

Dabei schließen wir ausdrücklich den Bund mit ein. Wenn, wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, die Deutsche Bahn AG Aufträge für den Bau neuer Züge verschieben will, ist das sowohl aus der Sicht der Fahrgäste als auch aus der Sicht der Schienenfahrzeugbauer eine falsche Entscheidung.

Wir appellieren an die Bundesregierung, hier entsprechend gegenzusteuern und im Rahmen der Verhandlungen mit der DB AG die Möglichkeit von weiteren Auftragsvergaben an den Bombardier-Standort Ammendorf zu erörtern.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir verfolgen aber auch sehr genau, wie sich das Land für den Standort Ammendorf engagiert und wie die gewonnene Zeit genutzt wird. Die Ergebnisse freilich sind mager. Wenig hört man von dem

Wirtschaftsbeirat und dessen Leiter, dem Wahlkampfberater und Bahnexperten Johannes Ludewig.

Noch im Mai des letzten Jahres klang das alles ganz anders. Damals konnte sich Herr Ludewig vorstellen, dass Ministerpräsident Böhmer die Gelegenheit nutzt, mit den Bombardier-Managern, die dem Wirtschaftsbeirat angehören, über die Zukunft des Waggonbaubetriebes in Halle-Ammendorf zu sprechen - offensichtlich folgenlos.

Groß angekündigt wurde die Kanadareise des Ministerpräsidenten, in deren Verlauf er sich für den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze in Ammendorf einsetzen wollte. Danach war der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu entnehmen, dass der Ministerpräsident keine Möglichkeit sieht, den Konzern davon abzubringen, bei dem Waggonbau in Ammendorf Arbeitsplätze abzubauen.

Weiter hieß es, er habe sich aber dafür eingesetzt, den Stellenabbau zeitlich zu strecken. Bombardier könne das ermöglichen, indem der Konzern Regionalzüge für das Land in Halle bauen lasse. Böhmer forderte den Konzern auf, sich an Ausschreibungen des Landes für den Bau moderner Regionalzüge zu beteiligen. - Dies hat das Unternehmen gemacht. Der Ausgang ist bekannt.

(Frau Weiß, CDU: Aber erst aufgrund der Auffor- derung! - Herr Schröder, CDU: Erst nach Auffor- derung! - Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

- Sie haben sich beworben, oder?

(Herr Schröder, CDU: Nicht im Ausschreibungs- verfahren! Erst nach Aufforderung!)

- Sie haben sich beworben. - Es besteht die Gefahr, dass die Kompetenzen im Bereich des Fahrzeugbaus völlig verloren gehen. Wenn im Jahr 2005 die letzten Neigetechnikzüge ausgeliefert sind, könnte ein schleichender Tod einsetzen, befürchtet der Ammendorfer Betriebsrat. Ammendorf würde zu einem Standort zweiter Klasse werden.

Für einen ausschließlich als Zulieferer und Instandhalter tätigen Anbieter gibt es zudem in der derzeitigen Mitbewerbersituation nur eine denkbar schlechte Perspektive. Weitere Entlassungen wären zu befürchten.

Meine Damen und Herren! Als einen Erfolg betrachten die Ammendorfer Waggonbauer zweifellos die von dem Arbeitsdirektor Herrn Schönholz unterzeichnete Betriebsvereinbarung zur Standortsicherung vom November des letzten Jahres. Darin wird neben der Neuausrichtung zum Servicestandort und dem Aufbau des Bereiches Interieur ausdrücklich die Erhaltung der Endmontagekompetenz für Local-Content-Anforderungen als Zielstellung formuliert.

Wenn ich mir Ihren Änderungsantrag anschaue, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, frage ich mich allerdings, ob wir über dasselbe Papier reden. Nicht der Bund ist hier der Adressat, sondern es werden ausdrücklich das Nordharznetz, die Bördelandbahn und die S-Bahn Halle-Leipzig genannt.

Die Option des Aufbaus einer weiteren Fertigungslinie für das Produkt „Talent“ wird formuliert. Mit dem Wirtschaftsministerium fanden Gespräche über die Förderung der entsprechenden Vorrichtungen statt. Allen Beschäftigten in Ammendorf war dabei klar, dass es überhaupt nicht darum geht, wie lange das Werk mit einem Landesauftrag ausgelastet ist. Vielmehr geht es darum, mit einem entsprechenden Local Content ein eindeutiges Signal an die Konzernspitze zu senden und damit

deutlich zu machen, dass das Land zu dem Standortvertrag steht.

(Zustimmung bei der SPD)

Zudem hätte es die Verhandlungsposition der Landesregierung gegenüber dem Unternehmen Bombardier erheblich gestärkt.

Parallel zur letzten Landtagssitzung wurden wir vom Verkehrsminister bezüglich des Nordharznetzes über die Gründe für die Vergabe an die Unternehmen Connex und Alstom informiert. Der Standortsicherungsvertrag war dem Minister ganz offensichtlich nicht bekannt,

(Frau Weiß, CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

da er ihn, wie es dort geschehen ist, als eine betriebsinterne Vereinbarung bewertete. - Frau Weiß, Sie waren dabei. Sie müssten es eigentlich besser wissen.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass hierbei in fataler Weise das Wirtschafts- und das Verkehrsministerium völlig unabgestimmt agieren. Die Leidtragenden wären die Beschäftigten in Ammendorf und bei vielen Zulieferbetrieben in der Region.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Schröder, CDU: Quatsch!)

- Sie sollten den Betroffenen in Ammendorf sagen, dass Sie das alles als Quatsch bezeichnen.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Frau Weiß, CDU)

Meine Damen und Herren der Koalition, wir unterstützen Sie ausdrücklich bei Ihrem Appell an die Bundesregierung. Aber bei den Entscheidungen, die im Land zu fällen sind, erwarten wir die gleiche Konsequenz. Die Vergabe des Nordharznetzes darf kein Präjudiz sein. Wenn Ihnen an einer offenen Aussprache gelegen ist, kann ich nicht verstehen, was Sie gegen eine Anhörung einzuwenden haben. Lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, dass die Auftragssituation für den Waggonbau Ammendorf verbessert wird, auf Landes- wie auf Bundesebene.

Meine Damen und Herren! Betrachtet man die Firmengeschichte von Bombardier, so wird man feststellen, dass gerade die Schienenfahrzeugsparte einen großen Aufschwung durch Aufträge im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Montreal erfahren hat. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Ammendorfer Waggonbauer in die Lage versetzt werden, einen gleichen Beitrag für Leipzig leisten zu können. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)