Auch der Tag der Begegnung - ebenfalls schon mehrfach angesprochen -, der am 30. August 2003 im Sozialministerium durchgeführt wurde, fand großen Zuspruch und wurde von den Beteiligten sehr positiv aufgenommen, wenngleich der Behindertenbeauftragte im Ausschuss festgestellt hat, dass viel zu wenige Nichtbehinderte an dieser Veranstaltung teilgenommen haben. Das kann man natürlich nicht organisieren, aber das macht deutlich, dass dieses Thema in den Köpfen der Nichtbehinderten noch nicht ausreichend verankert ist. Dass auch in diesem Jahr ein derartiger Tag geplant ist - ich hoffe, dass das nicht der letzte wird -, halten wir für gut und richtig.
Vom Ministerium für Wirtschaft und Arbeit wurden Projekte zur beruflichen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen ausgeschrieben. An ihnen beteiligten sich 15 Bildungsträger. Die Maßnahmen für ca. 550 Betroffene haben im Jahr 2003 begonnen und laufen bis in dieses Jahr, einige auch bis in das nächste Jahr.
Als Beispiel möchte ich auf das Projekt „Jobstart“ des Technologie- und Bildungszentrums Magdeburg verweisen, in dem jungen Menschen mit Behinderungen zielgerichtet Berufserfahrungen vermittelt werden und Unterstützung bei der Integration in den ersten Arbeitsmarkt zuteil wird. Vorrangig wird die Direktvermittlung angestrebt.
Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat die Landesregierung Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um das Europäische Jahr
der Menschen mit Behinderungen 2003 publik zu machen. Die Medienberichterstattung war allerdings eher zurückhaltend, was umso bedauerlicher ist, als gerade hierdurch eine breite Öffentlichkeit sensibilisiert werden kann und muss.
Zurzeit wird viel über die Rundfunk- und Fernsehgebühren und die Aufgaben, die die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben, diskutiert. Ich kann dies hier nicht weiter vertiefen, denke aber, dass ein Nachholbedarf in der Berichterstattung zu diesem Thema nicht zu übersehen ist. Darüber hinaus könnte ich mir vorstellen, dass ein verstärktes Angebot für Hör- und Sehbehinderte durchaus eine Bereicherung des Angebotes des MDR-Fernsehens wäre.
Meine Damen und Herren! Die EU hat mit der Initiierung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit auf eine besondere Bevölkerungsgruppe gelenkt. Diese Aufmerksamkeit gilt es nun aufrechtzuerhalten.
Wenn wir auch im Ausschuss den Beschluss des Landtages für erledigt erklärt haben, bleibt es doch weiterhin unsere Pflicht und Verantwortung, den Menschen mit Behinderungen besondere Unterstützung zu gewähren.
Herr Kollege Rauls, Sie haben ja eben auch aus eigener Erkenntnis zu diesem Thema gesprochen. Wie empfinden Sie eigentlich den Versuch des Abgeordneten Bischoff, hier die Interessen von Kindern und Behinderten gegeneinander auszuspielen?
Die Frage, ob diese Absicht hinter dieser Bemerkung stand, kann ich nicht beantworten. Allerdings bin ich prinzipiell dagegen, dass man verschiedene Bevölkerungsgruppen miteinander vergleicht, weil sie in den meisten Fällen - auch wenn es um Kinder und um Behinderte geht - ohne Weiteres nicht vergleichbar sind. Ich denke, dass das eher in die Kategorie der Polemik gehört.
Vielen Dank, Herr Rauls. - Damit ist die Aktuelle Debatte abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt 1 erledigt. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Stand und Perspektiven von ausgewählten Bereichen der Gesundheits- und Sozialpolitik in SachsenAnhalt
Sie kennen die Bestimmungen der Geschäftsordnung. Es ist zunächst dem Fragesteller das Wort zu erteilen. Dann erhält die Landesregierung das Wort. Es ist eine 45-Minuten-Debatte vereinbart worden. Ich erteile zunächst für die SPD-Fraktion Frau Dr. Kuppe das Wort. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Herren und Damen Abgeordnete! Gesundheits- und sozialpolitische Gestaltungen mit ihren Verästelungen in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein gehören zum Fundament der bundesrepublikanischen Ordnung. Sie geben dem Sozialstaat Deutschland das Gepräge. Erlebt wird der Sozialstaat von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort - in der Gemeinde, in der Nachbarschaft und in der Familie.
Die Auswirkungen von bundes- und auch landesgesetzlichen Rahmenbedingungen auf die Situation vor Ort werden wir im Zusammenhang mit einer weiteren Großen Anfrage unserer Fraktion demnächst diskutieren. Heute stehen der Stand und die Perspektiven von präventiv wirkenden Projekten, von Maßnahmen der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die Entwicklung von Versorgungsstrukturen und strategische Ansätze bei Querschnittsthemen, wie die Anwendung des GenderMainstreaming-Konzeptes, die Abwanderung, die demografische Entwicklung und die Verwaltungsreform zur Diskussion.
Ich danke zunächst im Namen meiner Fraktion allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums und der beteiligten Verbände, die für die Zusammenstellung der Detailinformationen, die Sie vor allem im Anhang zur Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD finden, verantwortlich waren. Dieser Anhang macht immerhin die Hälfte der Antwort der Landesregierung aus und er ist in seinen Aussagen konkret. Das trifft auf eine Reihe der ausformulierten Antworten der Landesregierung leider nicht zu.
Bevor ich auf einige Einzelheiten eingehen werde, möchte ich eine allgemeine Wertung vorausschicken. Ohne uns hervorheben zu wollen, muss gesagt werden, die Antworten der Landesregierung erscheinen immer dann als glaubhaft und überzeugend, wenn sie über die Fortführung und Weiterentwicklung länger bestehender Programme und Projekte berichtet, vor allem solcher,
die die SPD-Landesregierung in den acht Jahren ihrer Regierungszeit auf den Weg gebracht hat. In diesen Fällen überzeugt auch die inhaltliche Darstellung in den Antworten. Ich nenne nur das Stichwort „Suchtprävention“.
Außerordentliche Schwächen zeigt die Landesregierung hingegen in ihren Antworten, wenn es um die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung, um mittelfristige Perspektiven und langfristige Überlegungen zur Entwicklung der Landespolitik im Gesundheits- und Sozialbereich geht. Da zieht sie gleichsam einen Nebelschleier über das Land.
Ich komme nun zu einigen Einzelheiten. Erstens nenne ich das Thema „Gesundheitsziele“. Zirka acht Jahre nach dem Erarbeiten der sechs Gesundheitsziele in Sachsen-Anhalt und zahlreichen Umsetzungsschritten ist deren Überarbeitung sinnvoll. Dass ihre Fortführung nicht infrage gestellt wird, begrüßen wir. Allerdings bleiben aufgrund der Antwort der Landesregierung zu diesem Komplex Fragen zur weiteren Gestaltung der Gesundheitsziele offen.
Wenn neben der Fortschreibung der drei Ziele Reduzierung von Suchtmittelmissbrauch und seinen Folgen, Verbesserung des Impfschutzes der Bevölkerung und Verbesserung der Zahngesundheit dann in der Antwort zu Frage 1.13 in dem Kapitel mit dem Titel „Gesundheitspolitik“ die Ernährung und die Bewegung als neu formulierte Ziele genannt werden, kommen Zweifel hinsichtlich einer stimmigen Systematik auf.
Für zielführender halte ich die in der Antwort zu Frage 2.31 gegebene Begründung zur Neuausrichtung der anderen bisherigen Gesundheitsziele. Wenn nämlich als Ziel ein Zuwachs an persönlicher Kompetenz für eigenverantwortliches gesundheitsbewusstes Handeln gesetzt wird, dann sind Ernährung und Bewegung zwar wichtige Einflussgrößen, bei denen eine Verhaltensänderung hin zum Besseren erreicht werden kann, aber nicht das Ziel. Werden nun aber das Ziel selbst und die Wege zum Ziel so unbedarft miteinander vermischt, wird das Erreichen des Ziels nach meiner Einschätzung gefährdet.
Meine Damen und Herren! Die Umsetzung der Gesundheitsziele im Rahmen von lebensweltbezogenen Ansätzen soll auch soziale Ungleichheit bei den Gesundheitschancen reduzieren. Das ist eine Aussage in der Antwort der Landesregierung, die ich uneingeschränkt teile. Leider sieht aber die konkrete Politik der Landesregierung und der Koalitionsfraktionen der CDU und der FDP anders aus.
Über die Konsequenzen, die sich aus dem Armuts- und Reichtumsbericht des Landes ergeben, werden wir ja in Kürze erneut im Ausschuss für Gesundheit und Soziales sprechen. Daher nehme ich darauf jetzt nicht Bezug. Wohl aber möchte ich Bezug nehmen auf die erst im vergangenen Monat abgeschlossenen Haushaltsberatungen für das Haushaltsjahr 2004.
Alle Anträge der SPD, die auf die Stärkung von Bildungsprojekten, auf die Förderung von Eigenverantwortung und die Förderung der Hilfe zur Selbsthilfe abzielten und vorgesehene Einschnitte der Landesregierung korrigieren sollten, wurden von den Kollegen aus den Fraktionen der CDU und der FDP abgelehnt. Beispielhaft nenne ich die Schulsozialarbeit, weitere Bildungsprojekte in Kindertagesstätten, die Förderung von Frauenprojekten, die Unterstützung der Seniorenarbeit, die Aufstockung der Nachwuchsförderung im Hochschul
bereich, die Förderung der Erwachsenenbildung, die Unterstützung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die Zuschüsse für die soziale Wohnraumförderung und die Umweltbildung.
Meine Damen und Herren von der Koalition, soziale Benachteiligung durch Herkunft kann maßgeblich durch Bildung überwunden werden. Hierbei haben Sie es versäumt, einen Schwerpunkt zu setzen.
(Zustimmung bei der SPD - Herr Schomburg, CDU: Und Sie, eine vernünftige Gegenfinanzie- rung aufzustellen!)
Ein zweiter Punkt ist die Prävention und die Gesundheitsförderung im Sport und durch Sport. In diesem Bereich gibt es bei guten Ressourcen offensichtlich noch Reserven. Ich halte es für ungenügend, dass nur ca. 8 % der Sportvereine in Sachsen-Anhalt zielgerichteten Gesundheitssport anbieten.
Auch halte ich es für dringend geboten, dass die Überlegungen zur Weiternutzung von Sportanlagen und Sporthallen von Schulen, die im Rahmen der Schulentwicklungsplanung in den nächsten Jahren geschlossen werden, intensiviert werden. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Kultus- und Sozialministerium, von Kommunen, Sportbünden und Sportvereinen. Nur wenn hierfür tragfähige, leistungsfähige und finanzierbare Konzepte entwickelt werden, kann dem wachsenden Bedarf an Trainingszeiten für den Gesundheits- und Rehabilitationssport Rechnung getragen und der rigorose Wegfall zahlreicher Sportstätten verhindert werden.
Drittens. Weitere Vorsorgeaktivitäten. Die Antworten der Landesregierung zu diesem Fragenkomplex machen deutlich, dass sie sich von eigenen Aktivitäten, auch in finanzieller Hinsicht, immer stärker zurückzieht.
Erfreulicherweise ist eine solche Verhaltensweise bei anderen Akteuren nicht zu beobachten. Es wirkt wohltuend und ermutigend, dass beispielsweise die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und die Landesvereinigungen für Gesundheit aus Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ein Kooperationsprojekt mit dem Titel „Gesund leben lernen“ ins Leben gerufen haben. Mit dem Ziel einer nachhaltigen Gesundheitsförderung ist innerhalb dieses Projektes im Raum Gräfenhainichen eine Bildungsstaffel mit Partnern aus den Bereichen Kindertagesstätte, Schule, Betrieb und Kommune organisiert worden.
Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie solche und andere gute Beispiele gelungener Gesundheitsförderung im Land publik macht, damit Best Practice nicht nur in Einzelfällen stattfindet, sondern sich auch in der Breite entwickeln kann.
Viertens. Bedarfsprognosen für die medizinische Versorgung. Mit Verständnis haben wir die Feststellung der Landesregierung registriert, dass der künftige Bedarf an Ärztinnen und Ärzten nur schwer einzuschätzen sei und gesicherte Prognosen nicht möglich seien, dass die Sicherstellung der medizinischen ambulanten vertragsärztlichen Versorgung der Kassenärztlichen Vereinigung obliege usw. usf.
Erstaunt und verwundert, Herr Kley, dürfen wir uns dennoch zeigen, waren doch die Situation und die Zuständigkeiten vor dem Jahr 2002 genau dieselben. Aber damals haben Frau Liebrecht - sie ist jetzt leider nicht da - und auch Sie, Herr Kley, zusammen mit Ihren Parteien vor der Wahl gerade in diesem Bereich einzig und allein die damalige SPD-Landesregierung für verantwortlich erklärt. Ich freue mich außerordentlich, dass Sie jetzt auf den Boden der Tatsachen zurückgefunden haben.