Protocol of the Session on October 24, 2003

Gleichzeitig werden Vorschläge gemacht, wie man den beschriebenen Mängeln begegnen könnte. So soll das Fach Wirtschaft oder Technik als eigenständiges Unterrichtsfach an allgemein bildenden Schulen verankert werden. Wie und mit welchen konkreten Inhalten dies geschehen soll und welche Fächer dafür wegfallen sollen, wird offen gelassen oder ist selbst unter den Befürwortern strittig.

Im Kern geht es doch darum, gesellschaftlich als notwendig empfundene Inhalte in das bestehende Unterrichtsgeschehen einzubeziehen und die Lehrpläne mit

Bezug zum Alltag der Jugendlichen zu verknüpfen. Die PDS ist der Meinung, dass nicht nur mehr Berufs- und damit Lebensbezug in den Klassenraum Einzug halten soll, sondern dass auch die Klassen selbst betrieblichen Alltag vor Ort im Rahmen von Kooperation kennenlernen und erproben sollen.

Lassen Sie mich einen Aspekt aufgreifen, der in der aktuellen öffentlichen Diskussion nicht hinreichend berücksichtigt wird. Die PDS sieht an dieser Stelle aber einen erheblichen Handlungsbedarf.

Es geht um das Problem der Ausbildungsabbrecher. Die Tatsache, dass mehr als jeder fünfte Jugendliche aus seinem Ausbildungsvertrag aussteigt - ein großer Teil davon bereits in der Probezeit -, deutet unter anderem auf erhebliche Informationsdefizite bezüglich des gewählten Berufs hin. Obwohl die meisten Aussteiger eher Umsteiger sind, die ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb, in einem anderen Beruf, an einer beruflichen Schule oder auch mit einem Studium begonnen haben, kann man die hohe Zahl der Ausbildungsabbrecher als einen wichtigen Indikator für die Notwendigkeit einer besseren Berufsvorbereitung durch die allgemein bildenden Schulen sowie durch die Ausbildungsberatung der Arbeitsverwaltung betrachten.

Gern wird in der Diskussion einseitig den Jugendlichen der schwarze Peter zugeschoben, indem ihnen pauschal mangelnde Berufsreife unterstellt wird. Es geht mir aber um die Frage: Was heißt es eigentlich, berufsfähig zu sein? - Es bedeutet sicherlich mehr, als zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichst gut informiert eine richtige Entscheidung für den Lebensberuf treffen zu können. Eine solches Bild vom Beruf entspricht schon heute kaum mehr den Realitäten und wird morgen erst recht überholt sein.

Wir müssen uns auf dem Weg von der Industrie- in eine Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft auf weitere tiefgreifende Veränderungen in der Berufs-, Tätigkeits- und Qualifikationsstruktur einstellen. Ein Beispiel ist die Durchdringung der Arbeitswelt wie vieler anderer Bereiche durch die neuen Medien.

Die immer neuen technologischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen im globalen Maßstab legen nahe, sich möglichst früh auf ein lebensbegleitendes Lernen einzustellen. Das bedeutet nicht zuletzt, das Lernen zu erlernen und als Schlüsselqualifikation in den Mittelpunkt des Bildungsprozesses zu rücken. Dabei gilt es, von alten Vorstellungen sowohl über die Erwerbsarbeit als auch über den Beruf Abschied zu nehmen.

Weder werden alle Jugendlichen, die heute im allgemein bildenden Schulsystem auf ihr Arbeits- und Berufsleben vorbereitet werden, in einem so genannten Normalarbeitsverhältnis mit voller Stundenzahl auf Dauer in einem einzigen Betrieb tätig sein, noch sichert ein einmal erlernter Beruf berufliche Handlungskompetenzen bis zum Eintritt in das Rentenalter.

Der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt gestaltet sich für jeden Schüler, für jede Schülerin unterschiedlich. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen erweisen sich die Ausgangsbedingungen für Schülerinnen und Schüler je nach der besuchten Schulform als höchst unterschiedlich. Die Frage, ob ein Schüler, eine Schülerin mit dem Hauptschulabschluss oder ohne Hauptschulabschluss, mit der mittleren Reife oder mit dem Abitur die Schule verlässt, hat Einfluss auf die Chancen beim Übergang von der Schule in das Arbeitsleben.

Zum anderen existieren bei den Schülerinnen und Schülern ungleiche Ausgangsbedingungen, die von der besuchten Schulart nicht abhängig sind, die aber auf den Übergang in das Arbeitsleben entscheidenden Einfluss haben können. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang geschlechtsspezifische Unterschiede, die besonderen Bedingungen von körperlich beeinträchtigten Schülerinnen und Schülern sowie die spezielle Situation von Migrantinnen und Mitgranten.

Diese kurze Auflistung, meine Damen und Herren, zeigt nur einige Facetten. Will man für Schülerinnen und Schüler den Übergang in das Arbeitsleben verbessern, muss dieser Differenz Rechnung getragen werden.

Abschließend möchte ich die Unterstützung der beruflichen Handlungskompetenzen ansprechen. Die PDS strebt eine möglichst frühe Einbindung der Jugendlichen in die Arbeitswelt an. Deshalb wünschen wir uns ab Klasse 7 eine kontinuierliche Berufsvorbereitung. Dadurch können die Jugendlichen früher auf die folgenden Schritte im Beruf bzw. im Prozess des lebenslangen Lernens vorbereitet werden.

Die verstärkte Einbindung außerschulischer Lernorte in den Lernalltag bringt nicht nur die Arbeitswelt realistisch näher, auf diese Weise können auch Unsicherheiten und Ängste gegenüber diesem Bereich abgebaut und wichtige Erkenntnisse für die eigene Lebens- und Berufsplanung gewonnen werden.

Statt die bisher üblichen Betriebspraktika über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen auf die Verwaltung oder auf das Kistenauspacken in einem Supermarkt zu orientieren, legen wir Wert auf Konzepte, die auf eine nachhaltige Wirkung angelegt sind. Die Sekundarschulen sollen deshalb einen verstärkten polytechnischen Charakter erhalten. Der Berufsbezug und der Bezug zum wirtschaftlichen und sozialen Leben sind im gesamten Bildungsprozess zu stärken.

Die PDS schlägt vor, an den berufsbildenden Schulen in öffentlicher und in freier Trägerschaft polytechnische Zentren einzurichten, die insbesondere Sekundarschulen, aber auch allen anderen Schulformen als Lernort für den Lernbereich Wirtschaft, Technik, Haushaltswirtschaft sowie für fakultative Angebote zur Verfügung stehen. Dabei sind Methoden des produktiven Lernens verstärkt anzuwenden. Die PDS fordert polytechnische Zentren als außerschulische Lernorte. Durch Projektarbeit wird eine Öffnung von Schule und Unterricht angestrebt.

(Zustimmung von Herrn Dr. Eckert, PDS)

- Es kann ruhig mehr geklatscht werden.

(Heiterkeit bei der PDS - Zustimmung von Herrn Dr. Eckert, PDS)

Der polytechnische Unterricht soll den Schülerinnen und Schülern einen realistischen Einblick in die Grundlagen der Technik, der Produktion und der Ökonomie vermitteln und die Fächer Physik, Mechanik, Elektrotechnik, Chemie, Farbstoffe, Mathematik, Berechnung eines Werkstoffs usw. streifen.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Die Kombination von Lernen und Arbeiten ermöglicht die Herausbildung von Handlungsfähigkeiten, die auf der Grundlage umfassender Qualifikationen einen möglichst reibungslosen Übergang in das Erwerbsleben gestatten.

Die PDS sieht in der praxisorientierten Arbeit eine wichtige Form der Berufsvorbereitung. Wir wollen damit ausdrücklich nicht Änderungen im Hinblick auf das BVJ, das Berufsvorbereitende Jahr, erzielen. Das BVJ überbrückt Wartezeiten bis zu einer bestimmten Ausbildung oder bis zu einem bestimmten Studium. Wir meinen auch nicht andere berufsvorbereitende Maßnahmen. Wir sehen zum Beispiel Au-Pair-Dienste, das freiwillige soziale Jahr oder entsprechende Dienste und das Jobben in Deutschland oder im Ausland durchaus als Vorbereitung auf den Beruf an.

Es geht uns mit unserem Antrag um einen Perspektivwechsel von Schule und um eine Debatte darüber, wie wir im Land Sachsen-Anhalt die Bildung und damit die Chancen von Kindern und Jugendlichen im Leben verbessern können.

(Zustimmung bei der PDS)

- Danke schön. - Die PDS setzt auf berufliche Handlungsfähigkeit. Hierzu gehören Einzelkompetenzen wie Sach-, Sozial-, Methoden- und Gestaltungskompetenzen. Die PDS ist der Auffassung, dass die Aneignung dieser Kompetenzen aber nicht erst in der Berufsausbildung, sondern bereits im Rahmen der Bildung an den allgemein bildenden Schulen stattfinden muss.

(Zuruf von der PDS: Jawohl!)

Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Ferchland. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in eine Fünfminutendebatte eintreten, hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Olbertz um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berufsorientierung und Berufsvorbereitung sind in den Schulformen der Sekundarstufe I, insbesondere in der Sekundarschule, ein wichtiger Schwerpunkt des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schulen. Im Schulgesetz des Landes ist die Aufgabe der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung an verschiedenen Stellen verankert, unter anderem in § 1 Abs. 2, in § 5 Abs. 1 bis 5 und in § 10.

Die gesetzlichen Vorgaben werden durch Stundentafeln, Rahmenrichtlinien und zum Teil auch durch Erlasse umgesetzt. Beispielhaft sei der Runderlass des Kultusministeriums zur Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung genannt, der die enge Zusammenarbeit der Schulen mit den Arbeitsämtern und insbesondere den Berufsinformationszentren sicherstellen soll.

Darüber hinaus bestehen bezüglich der Berufsorientierung und der Berufsberatung regional differenzierte Kontakte zu weiteren Einrichtungen, zu Institutionen und Verbänden. So bemühen sich verschiedene Einrichtungen im Interesse der Berufsvorbereitung intensiv um außerschulische Kontakte zwischen Schulen, Schülerinnen und Schülern und der Wirtschaft. Dazu zählen zum Beispiel die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern, das regionale Netzwerk der Region Halle-Merseburg „Initiative für Beschäftigung“, das Bildungswerk der Wirtschaft Sachsen-Anhalt e. V. und das Bildungswerk der Unternehmerverbände Sachsen-Anhalt.

In der Sekundarschule und in der Gesamtschule hat die Berufsorientierung vor allem ab dem 8. Schuljahrgang ihren eindeutigen Schwerpunkt in den Fächern Wirtschaft, Technik und Hauswirtschaft, die im Pflichtbereich angesiedelt sind. In diesen Fächern werden bei Betriebserkundungen, Expertenbefragungen, Rollenspielen und auch bei Betriebspraktika Beispiele aufgezeigt bzw. Aspekte vermittelt, die im Zusammenhang mit der Berufsorientierung zu sehen sind.

Aber auch in allen anderen Unterrichtsfächern bieten die Rahmenrichtlinien für die Sekundarschule mit ihren verbindlichen Inhalten und Lernzielen sowie den vorgegebenen Themen und Aufgabenstellungen die Möglichkeit, den Bezug zur Berufswelt herzustellen.

Auf der Grundlage der Erlasse des Kultusministeriums werden Betriebs- und Arbeitsplatzerkundungen, Berufsorientierung, Berufsberatung, Berufsfindung und Betriebspraktika geregelt.

Betriebspraktika sind ein wesentlicher Bestandteil der Berufsorientierung, insbesondere in der Sekundarstufe I. Beispielhaft kann man in diesem Zusammenhang auf neue Projekte, etwa in Aschersleben, hinweisen, wo an einem außerschulischen Lernort Schülerinnen und Schüler der Sekundarschulen Pflicht- und Wahlpflichtunterricht hauptsächlich als Projektunterricht erteilt bekommen, der eine bessere Berufsorientierung und Berufsvorbereitung ermöglichen soll. Diese Konzeption wird gegenwärtig im Kultusministerium geprüft.

In der Sekundarschule wird seit dem Schuljahr 2002/03 ein Schulversuch durchgeführt, der für schulabschlussgefährdete Schülerinnen und Schüler im 8. und 9. Schuljahrgang durch einen neuen methodischen Zugang zur Bildung den Übergang von der Schule in das Berufsleben ergänzen soll. Das ist das, was die Antragstellerin erwähnte, nämlich das produktive Lernen.

Dazu eignen sich Schülerinnen und Schüler in einer von der Regelschule abweichenden Organisationsform - eben durch produktives Lernen - in Praxisbetrieben fachliches Wissen aus verschiedenen Berufsfeldern an und können damit ihre konkreten Berufsvorstellungen entwickeln und überprüfen.

Im Gymnasium ist die Berufsorientierung verteilt auf verschiedene Fächer, wie zum Beispiel Sozialkunde, Ethik oder Wirtschaft. In dieser Schulform bieten Betriebspraktika den Schülerinnen und Schülern vielfältige Möglichkeiten zur Berufsvorbereitung und Berufsorientierung.

In den Sonderschulen für Lernbehinderte wird seit dem Schuljahr 2003/04 ab dem 7. Schuljahrgang ein Schulversuch zur frühzeitigen Berufsorientierung in Kooperation mit Einrichtungen der Berufsausbildung durchgeführt. Gerade bei dieser Klientel halte ich das für ganz besonders wichtig.

Der Versuch beinhaltet im Wesentlichen eine frühzeitige Kooperation mit Trägern der überbetrieblichen Ausbildung für benachteiligte bzw. für behinderte bzw. für solche Kinder, die - aus welchen Gründen auch immer - in einem beeinträchtigten Lernumfeld leben. Das ist wichtig, um gerade bei diesen Kindern die Wahl von Berufsfeldern im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahres langfristiger und gezielter vorzubereiten und genauere individuelle Vorstellungen über ein künftiges berufliches Tätigkeitsfeld auszuprägen.

Dadurch soll die berufliche Ausbildung benachteiligter bzw. behinderter junger Leute nach der Beendigung der

allgemein bildenden Schule verbessert werden und der berufliche Einstieg ohne Ausbildungsabbruch ermöglicht werden.

Die Landesregierung hat beim Kultusministerium übrigens eine Arbeitsgruppe „Schule und Wirtschaft“ eingerichtet, die eine Synopse der Rahmenrichtlinien erstellt hat, Materialien der Wirtschaft zur ökonomischen Bildung für die Schulen prüft, zahlreiche Verbindungen zwischen Schule und Wirtschaft vorbereitet und teilweise fachlich begleitet. Zurzeit arbeiten wir zum Beispiel an einer Handreichung zu einem Curriculum für ökonomische Bildung.

Aus der Fülle der Angebote der Wirtschaft für außerschulische Möglichkeiten der Berufsvorbereitung, die zugleich einen Aspekt der Öffnung von Schule darstellen, seien beispielhaft genannt die Berufsfindungsmessen, die Sie kennen, die Wettbewerbe „Fit für die Ausbildung“, das in Zusammenarbeit mit acht Arbeitsämtern durchgeführte Projekt „Sprint“, das vorrangig für Schülerinnen und Schüler in den Vorabgangs- bzw. in den Abgangsklassen des allgemein bildenden Schulwesens Angebote einer vertiefenden Berufsorientierung vorhält.

Ferner findet jährlich im Herbst im Auftrag des Wirtschaftsministeriums das Projekt „ego-Sommerakademie“ statt. Darüber hinaus gibt es das Angebot der Handwerkskammern an die Schulen, die überbetrieblichen Ausbildungsstätten auch an den Nachmittagen zu nutzen. Es ist sehr wichtig, dass solche Möglichkeiten bereits eingeräumt worden sind und dass davon zunehmend Gebrauch gemacht wird.

Meine Damen und Herren! Die Bestrebungen zur Koordinierung dieser Aktivitäten, eine Landesarbeitsgemeinschaft „Schule und Wirtschaft“ zu gründen, kann man vonseiten der Landesregierung nur unterstützen.

Die Berufsorientierung und die Berufsvorbereitung von Schülerinnen und Schülern vor allem in den allgemein bildenden Fächern Wirtschaft, Technik, Hauswirtschaft und Sozialkunde sowie von Schülerinnen und Schülern in den sonderpädagogischen Fachrichtungen ist unter anderem Bestandteil der Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung.

Es werden beispielsweise im Rahmen der Befähigung zur Beratungskompetenz Themenschwerpunkte zur Berufsorientierung und zur Berufsvorbereitung von Schülerinnen und Schülern angeboten und jährlich Fortbildungsveranstaltungen für interessierte Lehrkräfte zum Thema Berufsperspektiven für Mädchen usw. in Zusammenarbeit mit dem Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/ Thüringen durchgeführt.

Ferner möchte ich das seit 1998 jährlich durchgeführte Lehrerbetriebspraktikum nennen, das ich für einen sehr wichtigen Zugangspfad zum Transfer von Erfahrungen und Eindrücken zwischen Schule und Wirtschaft halte.