Bei uns fehlt das noch ganz krass. Unsere Innenstädte sind verstopft und werden durch die Emissionen stark belastet. Das ist natürlich auch ein ganz wichtiges Thema. - Danke schön.
Vielen Dank, Herr Ernst. - Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt der Abgeordneten Frau Jahr das Wort. Bitte sehr, Frau Jahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in der glücklichen Lage, einen kompletten Redebeitrag zu haben, und erlaube mir, diesen zu Protokoll zu geben.
Wir stimmen dem Antrag zu und schlagen eine Überweisung zur federführenden Beratung an den Umweltausschuss und zur Mitberatung an den Verkehrs- und an den Sozialausschuss vor.
Herr Daehre, erlauben Sie mir noch eine Frage. Sie sagen, Lärm macht krank - das ist so. Deshalb bitte ich Sie, nicht so viel Lärm um den Lärmschutz zu machen, sondern zu handeln. In den Haushaltsplan 2003 sind dafür lediglich Mittel in Höhe von 700 000 € eingestellt.
(Minister Herr Dr. Daehre: Bundesgelder! Dann sagen Sie das Herrn Schröder! Das ist so, tut mir Leid! Dann sagen Sie dem Bundeskanzler, er soll 7 Millionen einstellen!)
Das Thema Lärmschutz ist wichtig und die SPD-Landtagsfraktion begrüßt es, darüber im Landtag zu debattieren. Der vorgelegte Antrag der Regierungsfraktionen hat uns allerdings angesichts der bescheidenen Aktivitäten der Landesregierung doch etwas überrascht. Verwundert hat uns hingegen nicht, dass die Aufforderungen ausschließlich an die Bundesregierung gerichtet sind und die Landesregierung offensichtlich im Dornröschenschlaf verharren soll.
Was den konkreten Inhalt des Antrages betrifft, gibt es für uns einen entscheidenden Kritikpunkt. Der Antrag lässt die Einflussmöglichkeiten der Landesregierung auf eine moderne Lärmschutzpolitik im Lande völlig außen vor. Lärmschutz - das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen - ist in erster Linie eine kommunale Aufgabe und eine Aufgabe der Länder. Die im Antrag angesprochenen Bereiche sind sicherlich sehr wichtig und verursachen mitunter auch erhebliche Belastungen, aber sie sind eben nur ein Bruchteil dessen, was an Lärm auftritt.
Um den Lärmschutz effektiv voranzubringen, ist es erst einmal notwendig, die entsprechenden rechtlichen Grundlagen und Zuständigkeiten zu beachten. Was die Zuständigkeiten betrifft, so haben wir festzuhalten, dass gemäß § 47a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes die Gemeinden schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche festzustellen und Lärmminderungspläne zu erstellen haben.
Darüber hinaus ist es Aufgabe des Verkehrsministeriums des Landes Sachsen-Anhalt, Messungen des Verkehrslärms durchzuführen. Vielleicht sollte uns Herr Daehre mal erklären, in welchem Umfang seit der Regierungsübernahme solche Messungen durchgeführt wur
den. Die subjektive Betroffenheit der Bürger mag ja durchaus groß sein, aber ohne entsprechenden Nachweis dürfte der Bund kaum zu verpflichten sein, aktive oder passive Lärmschutzmaßnahmen zu betreiben und zu finanzieren. Die finanziellen Mittel, so viel kann ich ihnen schon jetzt sagen, wurden von der neuen Landesregierung erheblich zusammengestrichen.
Nun zu den von den Gemeinden zu erstellenden Lärmminderungsplänen. Im Rahmen der Richtlinie zur Förderung von Maßnahmen des Immissionsschutzes gibt es in Sachsen-Anhalt wie auch in allen anderen Bundesländern die Möglichkeit, Vorhaben auf dem Gebiet des Lärmschutzes zu fördern. Für Schallschutzmaßnahmen liegt der Fördersatz bei 50 % und für die Erstellung von Schallimmissionsplänen sogar bei bis zu 90 %.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die finanzielle Ausstattung im Landeshaushalt und der Mittelabfluss. Während im Jahr 2001 noch 2,7 Millionen DM für Vorhaben zum Klima- und Lärmschutz veranschlagt wurden, sind es im Jahr 2003 nur noch 0,7 Millionen €. Betrachtet man den Mittelabfluss des entsprechenden Haushaltstitels für das Jahr 2002, so muss man feststellen, dass lediglich 35 % der veranschlagten Mittel abgeflossen sind.
Nun umfasst dieser Haushaltstitel nicht nur Lärmschutz, aber die zur Auszahlung gelangte Summe bleibt bereits weit hinter den für Lärmschutz veranschlagten Mitteln zurück. Ich denke, hier sollte die Landesregierung mal erklären, wo die Ursachen liegen.
Eine Sache, die in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von CDU und FDP, mit keiner Silbe erwähnt ist, ist die notwendige Umsetzung der EU-Umgebungslärmrichtlinie in nationales Recht bis zum 18. Juli 2004. Entsprechend Artikel 8 dieser Richtlinie sind nämlich Lärmschutz-Aktionspläne für Ballungsräume, Hauptverkehrsstraßen, Großflughäfen und Haupteisenbahnstrecken zu erstellen. Fest steht auch, dass im Zuge der Umsetzung insbesondere eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der Verkehrslärmschutzverordnung notwendig ist.
Enttäuscht hat uns an diesem Antrag auch, dass auf die häufigste Ursache von Hörproblemen bei Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht eingegangen wird. Schon seit Jahren wird von Ärzten und Krankenkassen ein Konzept zur Verhaltensprävention gefordert, welches eine stärkere Vernetzung von Institutionen und Verbänden vorsieht. Dass ein solches Netzwerk unter aktiver Beteiligung der Landesregierung initiiert werden sollte, liegt auf der Hand.
Was werden wir also mit diesem Antrag in Hinblick auf die Verbesserung des Lärmschutzes erreichen? Wahrscheinlich nicht viel. Zum einen sind Forderungen formuliert, die sowieso auf der Tagesordnung stehen, und zum anderen sind die Möglichkeiten, die das Land hat, ausgespart.
Wo sehen wir als SPD-Fraktion Anhaltspunkte, um den Lärmschutz in Sachsen-Anhalt zu verbessern? Die Landesregierung sollte die Kommunen bei der Erstellung der Lärmminderungspläne aktiv unterstützen. Dies betrifft nicht nur die finanzielle Ausstattung der Förderprogramme, sondern insbesondere auch die Sensibilisierung und Anleitung bei der Umsetzung. Auch sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union in SachsenAnhalt umsetzen, und nicht zuletzt sollten wir etwas zur
Als Konsequenz dessen möchte ich festhalten, dass uns das Thema zu wichtig ist, als dass wir es mit dem heutigen Antrag abhaken. Wir plädieren dafür, den Antrag federführend in den Umweltausschuss und mitberatend in den Verkehrs- und den Sozialausschuss zu überweisen.
Vielen herzlichen Dank, Frau Jahr. - Für die CDU-Fraktion erteile ich noch einmal Herrn Schröder das Wort. Herr Schröder, möchten Sie noch einmal das Wort ergreifen? - Herr Schröder verzichtet.
Meine Damen und Herren! Damit kommen wir zum Abstimmungsverfahren. Es wurde eine Überweisung in verschiedene Ausschüsse beantragt. Wir stimmen zunächst über die Ausschussüberweisung an sich ab. Wer einer Ausschussüberweisung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der PDS und bei der SPD. Gegenstimmen? - Bei der CDU und bei der FDP. Damit ist eine Ausschussüberweisung mehrheitlich abgelehnt worden.
Nun stimmen wir über den Antrag in der Drs. 4/870 direkt ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP. Gegenstimmen? - Einige wenige Gegenstimmen bei der PDS. Enthaltungen? - Bei der PDS- und bei der SPD-Fraktion. Damit ist über diesen Antrag direkt abgestimmt worden. Wir können den Tagesordnungspunkt 20 somit für erledigt erklären.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. Juni 2003 überreichte der Präsident des EU-Konvents in Thessaloniki dem Europäischen Rat den Entwurf einer europäischen Verfassung. Die Ministerpräsidenten haben den Verfassungsentwurf als einen entscheidenden Schritt in der europäischen Integrationsgeschichte begrüßt.
Die europäische Verfassung soll voraussichtlich nach dem Beitritt der zehn mittel- und osteuropäischen Staaten im nächsten Sommer ratifiziert werden. Damit werden die bisherigen Verträge abgelöst und die Weichen für eine Weiterentwicklung der Europäischen Union gestellt.
Auch wenn die europäische Verfassung im eigentlichen Sinne ein Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten ist und damit also kein Superstaat geschaffen wird, so geht es doch auch hierbei um Inhalte, Grenzen, Organisation,
Ausübung und Verteilung politischer Macht. Deshalb halten wir es für unbedingt erforderlich, dass die Bürgerinnen und Bürger in einem Referendum über diese Reform entscheiden.
Einige Länder wie Dänemark, Frankreich, Irland, Portugal und Spanien haben bereits Referenden angekündigt. Auch der Konvent selbst wird möglicherweise ein europaweites Referendum vorschlagen. 105 Mitglieder des Konvents haben eine entsprechende Resolution bereits unterzeichnet.
Die Mitglieder des Konvents selbst haben in dem Verfassungsentwurf den Grundsatz der partizipativen Demokratie in Teil I Artikel 46 verankert. In Absatz 4 heißt es - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -: Eine erhebliche Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern, nicht weniger als eine Million, aus einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten kann die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht der Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsaktes der Union bedarf, um diese Verfassung umzusetzen. Ein europäisches Gesetz wird die Verfahren und Bedingungen für eine solche Bürgerinitiative regeln.
Das, was den europäischen Bürgerinnen und Bürgern künftig möglich sein wird, sollte auch auf nationaler Ebene selbstverständlich möglich sein. In 17 der 25 künftigen Mitglieds- und Beitrittsstaaten der EU sehen die Verfassungen Volksentscheide vor. In sechs weiteren Ländern wurden bereits Plebiszite ohne Verfassungsgrundlage durchgeführt. Nur in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden fehlt es sowohl an den verfassungsrechtlichen Grundlagen und als auch an der politischen Praxis. Das Grundgesetz selbst sieht eine Volksbefragung nur für den Fall der Länderneugliederung vor.
Mehrere Vorstöße zur Verankerung von Elementen der partizipativen Demokratie scheiterten in der Vergangenheit, etwa der Antrag der PDS zur Aufnahme einer dreistufigen Volksgesetzgebung aus dem Jahr 1999 - sicherlich weil er von der PDS kam. Aber auch der Antrag von Rot-Grün zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz scheiterte im vergangenen Sommer an der Zweidrittelmehrheit im Bundestag.
Die Angst vor einer direkten Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger scheint auf Bundesebene nach wie vor groß zu sein. Nach mehr als 50 Jahren freiheitlicher Verfassungswirklichkeit und nach fast 13 Jahren deutscher Einheit sollte ernsthaft über die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger, über ihre demokratische Reife nachgedacht werden.
Sicher, die repräsentativ-parlamentarische Demokratie hat sich bewährt; aber sie reicht scheinbar nicht mehr aus, um Bürgerinnen und Bürger von sich zu überzeugen. Wahlverweigerung, selbst auf lokaler Ebene - ich denke nur an die jüngsten Zahlen bei Landratswahlen -, Rückzug aus Parteien und Verbänden sowie Misstrauen gegenüber Politikerinnen und Politikern haben ihre Ursache auch darin, dass die Bürgerinnen und Bürger der Meinung sind, es ändere sich sowieso nichts.
Es ist scheinheilig, einerseits die Politikverdrossenheit zu beklagen und andererseits Möglichkeiten zur direkten Demokratie abzulehnen. Insofern unterstützen wir, werte Kolleginnen und Kollegen, den Antrag der FDP vom 4. Juni 2003 im Deutschen Bundestag, Artikel 23 des Grundgesetzes durch einen Passus zu ergänzen, der
einen Volksentscheid zu einem Vertrag, mit dem eine europäische Verfassung eingeführt wird, ermöglichen soll.
Die PDS steht nach wie vor für eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene. Sie erachtet die europäische Verfassung aber für so wichtig, dass sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger bereit ist, auch kleine Schritte zu gehen; denn die Europäische Union bestimmt schon heute in weiten Teilen das Leben in der Bundesrepublik. Europäische Richtlinien und Verordnungen regeln bis zu 70 % direkt oder indirekt das Alltagsleben in den Kommunen.
Seit eineinhalb Jahren zahlen wir mit dem Euro, aber ich glaube, die wenigsten fühlen sich als Europäer, trotz des neuen Geldes. Im Gegenteil: Die Europäische Union wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern als elitäres technokratisches Gebilde wahrgenommen, dem sie sich ohnmächtig ausgeliefert sehen. Eine europäische Öffentlichkeit gibt es nicht. Viele EU-Bürger sind deshalb auch bereit, bei nationalen Wahlen Kandidaten zu wählen, die sich für eine Schwächung der EU stark machen.
Ein Volksentscheid kann wesentlich zur demokratischen Verankerung und zu mehr Transparenz der EU beitragen; denn er zwingt uns, mit den Bürgerinnen und Bürgern das Gespräch über Europa zu führen. Es gilt, die Entwicklung transparent aufzuzeigen, zu verdeutlichen, wie und warum Entscheidungen getroffen werden und welche Wirkungen sie haben könnten. Nur so können Ängste abgebaut werden, die es gerade hinsichtlich der bevorstehenden Erweiterungen der Europäischen Union gibt.
Die Bundesrepublik steht unseres Erachtens in der Pflicht dazu; denn sie gehört zu den Mitbegründern der Europäischen Gemeinschaft. Politikerinnen und Politiker aller Parteien engagieren sich auf der europäischen Ebene und waren maßgeblich an der Erarbeitung des Verfassungsentwurfs beteiligt - sicherlich mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen über die Gestaltung der Europäischen Gemeinschaft, aber immer für diese Gemeinschaft.