Protocol of the Session on July 3, 2003

Vielen Dank. - Herr Kehl, nun bitte Ihre Frage.

Herr Gebhardt, Sie wissen, die Soziokultur lebt vor Ort zum großen Teil vom Ehrenamt. Inwiefern meinen Sie, dass eine solche zentrale Einrichtung des Landes durch einen Verein oder Ähnliches nicht auch ehrenamtlich geführt werden könnte, sodass das ohnehin finanziell nicht gut gestellte Land vielleicht nur eine ideelle und keine finanzielle Trägerschaft übernehmen könnte?

Herr Kehl, Sie wissen, in der Kulturlandschaft gibt es mehrere Bereiche. Die Soziokultur ist einer von ihnen. Für jeden Bereich gibt es eine Dachorganisation, die landesübergreifend die verschiedenen kommunalen Ebenen vernetzt, mit ihnen kooperiert, wirkt und die Verbindung zwischen Landesregierung und den jeweiligen kommunalen Einrichtungen ist.

Das ist bei der Soziokultur seit der Abwicklung der damaligen LAGS, die institutionell gefördert wurde und nicht ehrenamtlich geführt worden ist, nicht mehr der Fall. Die Soziokultur ist damit der einzige Bereich, der über eine solche Anlaufstelle im Land und über eine solche Kooperations- und Anlaufmöglichkeit nicht verfügt. Warum soll man den soziokulturellen Bereich anders bewerten als den Bereich der Musikschulen, ohne jetzt einen Kulturbereich gegen die anderen ausspielen zu wollen? Dort gibt es aber auch eine Landesvereinigung, die institutionell vom Land gefördert wird und sich dann um die Musikschulen vor Ort kümmert.

Ich denke nicht, dass bei der Fülle von soziokulturellen Zentren und Einrichtungen, die es im Land SachsenAnhalt gibt, die Arbeit ehrenamtlich wegzutragen ist. Bisher war es auch nicht möglich, sie ehrenamtlich wegzutragen. Sie ist in anderen Kulturbereichen auch nicht ehrenamtlich wegzutragen. Ich glaube nicht, dass die Soziokultur hierbei eine Ausnahme darstellt.

Wenn Sie die Antwort der Landesregierung genau lesen, dann werden Sie feststellen, dass die Landesregierung nicht der Auffassung ist, dass sich die Soziokultur im Großen und Ganzen im ehrenamtlichen Bereich abspielt; denn sie hat keine Zahlen darüber. Das hatte ich bereits erwähnt.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Gebhardt. - Nun für die Landesregierung bitte Herr Minister Olbertz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor knapp anderthalb Jahren wurde im Landtag eine Große Anfrage der CDU-Fraktion zur Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt behandelt, die die Soziokultur einschloss. Insofern muss die Große Anfrage der PDS-Fraktion zu diesem Bereich mit immerhin 76 Fragen und etlichen Teilfragen, die bis auf das Jahr 1991 zurückreichen, Verwunderung auslösen.

Eine Vielzahl der Fragen hätte zu ihrer vollständigen Beantwortung sehr aufwendige Erhebungen und regelrechte Inspektionen vorausgesetzt. Ich sage ganz offen: Ich war erschüttert, als ich dieses Konvolut von Detailfragen auf dem Tisch hatte.

Fragen nach dem Geschlechterverhältnis, dem Ausländeranteil unter den Besuchern soziokultureller Zentren usw. mögen noch angehen, so wenig sie beantwortbar sind - übrigens auch nicht für die Einrichtungen der so genannten Hochkultur. Aber zum Beispiel die Fragen, welche Raumnutzungsflächen die soziokulturellen Zentren in Sachsen-Anhalt haben, im welchem Verhältnis diese Raumnutzungsflächen zu den durchschnittlichen Besucherzahlen stehen und wie sich das Flächenangebot zu den verfügbaren Raumnutzungsflächen anderer Bundesländer verhält, machen einen schon ratlos.

Es wäre für die Träger soziokultureller Projekte und die Kommunen eine Zumutung gewesen, in kürzester Frist so umfängliche Daten dieser Art zu erheben. Es ist übrigens auch nicht die Aufgabe der Landesregierung, solche Erhebungen durchzuführen. Aus guten Gründen gibt es in diesem Bereich kein Berichtswesen.

In der Großen Anfrage schwingt das Missverständnis einer im Grunde durch und durch verstaatlichten Soziokultur mit. Die soziokulturellen Aktivitäten im Land erwachsen überwiegend aus selbstgesteuerter kultureller Basisarbeit, die lebendiger Bestandteil unserer Kultur ist.

Die Landesregierung hat nicht die Absicht, Herr Gebhardt, die soziokulturelle Szene im Land sozusagen unter Beobachtung zu stellen, auch wenn sie dann solche Fragen beantworten könnte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir hätten dann eine Möglichkeit, Fragen dieses Zuschnitts, wie ich sie zitiert habe, zu beantworten. Die Vorstellung einer fast totalen Staatspräsenz in diesem Sektor wäre das Ende einer lebendigen, nicht angepassten und spontanen Basiskultur. Im Übrigen würden sich die Träger bedanken, wenn der Staat anfinge, regelmäßig Auskünfte über die Qualität der Angebote und die Qualifikation der Beteiligten einzuholen. Hierzu müsste die PDS-Fraktion erklären, woher dieser Denkansatz überhaupt kommt.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Den hat sie doch gar nicht! Sie argumentieren mit einem Pappkameraden!)

- Ich habe jetzt Fragen direkt aus der Großen Anfrage zitiert.

(Zuruf von Herrn Gebhardt, PDS)

- Ja, aber ich meine, das ist die logische Konsequenz, Herr Gebhardt. - Lassen Sie mich weitermachen.

Wenn wir das erhoben hätten, wären uns die soziokulturellen Vereine aufs Dach gestiegen. Sie hätten uns gefragt, ob wir noch zu retten sind. Da bin ich mir ganz sicher.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die hätten nämlich mit einem Maßband losgehen müssen und die Raumflächenmaße berechnen und im Verhältnis zu der Besucherzahl modellieren müssen. Dann hätten sie die Bundesvergleichswerte - -

(Zuruf von Frau Dr. Hein, PDS - Frau Dr. Sitte, PDS: Mein Gott, das steht in jedem Mietvertrag!)

- Doch, denn wir können es nicht. Wir hätten es von den Vereinen und Initiatoren direkt erheben müssen. Dazu sind wir außer Stande.

Im Übringen hätte es mir Leid getan, die Vereine in ihrer finanziellen Not auch noch von ihrer originären Arbeit abzubringen, indem ich ihnen so etwas abverlange.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Soziokulturelle Projekte bereichern das Kulturangebot in unserem Land. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten braucht die Kultur eine starke Lobby und lebendige, das heißt auch staatsferne Basisarbeit. Dabei ist nicht nur bedeutsam, wie viele Arbeitsplätze durch die Kulturförderung geschaffen werden, sondern entsprechende Aufwendungen stellen eine zukunftsträchtige Investition dar - ich glaube in diesem Punkt sind wir uns auch wieder einig -, allein dadurch, dass sie die Identität und so

ziale Sensibilität der Beteiligten stärken und ihr kreatives Potenzial wecken.

Es stört mich in der Tat, dass die Ausgaben für Bildung und Kultur immer als „konsumtiv“ bezeichnet werden, so ähnlich wie Verbrauchsmittel, während man überhaupt nicht sieht, dass ihr investiver Charakter für die Zukunft viel wichtiger ist.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU, und von Herrn Daldrup, CDU)

Ohne das durch Kultur gebildete subjektive Vermögen der Menschen sind in der Tat Zukunftsperspektiven für Sachsen-Anhalt fraglich. Deshalb braucht auch die Breitenkultur eine angemessene Unterstützung.

Die Auffassung der PDS-Fraktion zur Förderung der Soziokultur kann ich aber nicht teilen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, was angemessen ist und was nicht. Lassen Sie mich diese kurz begründen.

In Punkt 1 wird die Einrichtung einer Koordinierungs- und Beratungsstelle für Soziokultur durch das Land gefordert. Abgesehen von der dramatischen Haushaltslage ist eine solche Koordinierung nicht Aufgabe des Landes. Im Übringen nimmt die Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, die LKJ, entsprechende Koordinierungs- und Beratungsaufgaben wahr. Viel sinnvoller wäre es also, wenn die ohnehin sehr begrenzten finanziellen Mittel direkt qualitativ anspruchsvollen soziokulturellen Projekten zugute kämen.

Noch ein anderer Aspekt: Wir leben ja in einer modernen Informationsgesellschaft. Über das Internet bieten beispielsweise der Deutsche Kulturrat, die Bundesvereinigung soziokultureller Zentren und zahlreiche Vereine eine breite Palette von Beratungsdienstleistungen an. Es gibt außerdem die Publikation „Informationsdienste Soziokultur“. Diese kennen Sie. Das erforderliche Knowhow, zum Beispiel zu Steuerfragen oder Empfehlungen zum Veranstaltungsmanagement, kann heute auf sehr unterschiedliche und ergiebige Weise erhoben werden.

Im Übringen hindere ich keinen einzigen soziokulturellen Verein, eine Initiative zu ergreifen, Netzwerke zu stiften, Kooperationsplattformen zu finden und sich zu organisieren. Nur der Staat ist der falsche Ansprechpartner, der diesen Impuls zu geben, das zu organisieren und zu bezahlen hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In Punkt 2 liegt meiner Auffassung nach ein Irrtum in Bezug auf die Zielrichtung der Landesförderung begründet. Sie kennen den Unterschied zwischen institutioneller Förderung und Projektförderung. Die Förderung durch das Land ist gerade nicht allgemein auf die Arbeitsfähigkeit der einzelnen soziokulturellen Einrichtungen gerichtet, sondern immer auf konkrete Projekte bzw. auch auf überregional bedeutsame Einzelveranstaltungen.

Der Antrag der PDS-Fraktion fordert ja nicht etwa Investitionshilfen oder zusätzliche Projektmittel, sondern praktisch flächendeckende Betriebskostenzuschüsse. Die Verantwortung für die finanzielle Absicherung von soziokulturellen Zentren kann aber nicht generell und pauschal auf das Land übertragen werden.

Im Punkt 3 ist von „weiteren geeigneten Maßnahmen“ die Rede, die unklar lassen, was genau gemeint ist. Möglicherweise sollten wir überhaupt den Nebel um das

Schlagwort „Soziokultur“ etwas lichten und präzise sagen, was eigentlich jeweils gemeint ist.

Das Programmangebot soziokultureller Vereine und Initiativen beinhaltet musikalische Veranstaltungen, meist populäre Musik, Jazz, Rock, Liedermacher usw., Ausstellungen, Auftritte von freien Theatergruppen, Filmveranstaltungen, Projekte von Laienschauspielern, Kommunikationsangebote, Lesungen und vieles mehr - dies alles firmiert unter dem Begriff „Soziokultur“.

Ich finde es interessant, dass anderenorts der Begriff „Soziokultur“ bereits durch Synonyme ersetzt wurde. In Berlin, Herr Gebhardt, ist beispielsweise überwiegend von der „Freien Szene“ oder der „Off-Kultur“ oder der „Stadtteilkultur“ die Rede. Der hierzulande noch gebräuchliche Ausdruck „Soziokultur“ wurde, wie Sie vielleicht wissen, aus den alten Bundesländern importiert.

Wenn wir überhaupt noch nach den Konfrontationsschablonen der frühen 70er-Jahre die Begriffe „Hochkultur“ und „Soziokultur“ voneinander unterscheiden wollen - zumal pauschale Gleichsetzungen ja nicht weniger ideologisch sind, weil sie die Besonderheiten der verschiedenen kulturellen Bedürfnissphären verkennen -, dann bitte aber ohne die Assoziation einer hierarchischen Abgrenzung - denn das wäre das Letzte, das wir anstreben -, sondern unter Hervorhebung begründeter Unterschiede, die zu der legitimen und gewollten Vielfalt eines breiten kulturellen Angebots überhaupt erst führen.

Längst haben sich doch die vermeintlich hermetischen Tempel der Hochkultur für ein breites Publikum geöffnet. Selbst die Theater offerieren inzwischen zahlreiche soziokulturelle Angebote und kooperieren mit soziokulturellen Vereinen. Ganze Veranstaltungsreihen, zum Beispiel in den Freien Kammerspielen hier in Magdeburg, im Neuen Theater in Halle oder am Stendaler Theater sind durch soziokulturelle Inhalte geprägt.

Vor allem übersieht die ständige Konfrontation der beiden Bereiche Soziokultur und Hochkultur ein eigentlich viel schwerer wiegendes Problem, nämlich dass es hier wie dort eine bedrohliche Konkurrenz durch die kommerzielle Massenkultur gibt. Die Kultureinrichtungen müssen ihr Publikum vor Ort für authentische Begegnungen gewinnen und sich gegen Massenmedien behaupten, die auf Einschaltquoten zielen.

Das ist die eigentliche Konfliktszene, mit der wir uns auseinander setzen müssen, und nicht diese - ich sage einmal: fast acharische - Konfrontation von Breiten- und Hochkultur, bei der man immer denkt, die einen seien dazu da, die anderen zu unterdrücken oder auszugrenzen. Das sind Schablonen, die gar nicht mehr in die Zeit passen.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU)

Die Angebote der Kultureinrichtungen insgesamt müssen so attraktiv sein, dass das Publikum eben nicht zu Hause am Fernseher kleben bleibt, sondern ins Theater oder in das Stadtteilzentrum oder so gar nacheinander in das eine und dann in das andere geht.

Die Betrachtung der soziokulturellen Entwicklung im Land zeigt natürlich auch, dass der Faktor der Ökonomie eine zunehmende Rolle spielt. Wie das Theater müssen auch die soziokulturellen Zentren und Projekte ihre kulturpolitischen oder künstlerischen Ansprüche mit dem Gebot der Wirtschaftlichkeit in Übereinstimmung bringen. Damit gelangen auch in der Kultur solche Stichwor

te wie Aufwand und Effekt, Wettbewerb, Angebot und Nachfrage zu neuer Geltung.