Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Anfrage in Vertretung für Karin Prien, die bei der Konferenz der Kultusministerinnen und Kultusminister weilt.
Die Große Anfrage zur Aufarbeitung der europäischen und deutschen Kolonialgeschichte in Schleswig-Holstein hat eine erschreckende Aktualität bekommen. Nicht zuletzt die Ereignisse in den USA und die weltweiten Proteste zeigen uns, dass wir das Kapitel der Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen haben. Wir brauchen eine Kultur der Erinnerung, auch mit Blick auf unsere eigene - wenn auch kurze - koloniale Vergangenheit.
Wir können auf die Erfahrungen der letzten 75 Jahre zurückgreifen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich Deutschland seiner Verantwortung sukzessive gestellt und offen die Verbrechen der Nationalsozialisten aufgearbeitet. Die historische Aufarbeitung und die selbstkritische Vergangenheitsbewältigung waren die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in Europa und für unsere respektierte Stellung in der Welt. Sie ist Teil unserer nationalen Identität.
Die letzten 75 Jahre haben uns aber auch gelehrt, dass wir diese Identität und die ihr zugrundeliegen
den Werte immer wieder neu verteidigen müssen an jedem Ort, zu jeder Zeit, in jeder Generation aufs Neue.
Einer offenen Aufarbeitung bedarf es auch mit Blick auf unsere koloniale Vergangenheit. Dabei kommt auch der Opferperspektive eine wichtige Bedeutung zu. Unsere Schulen spielen bei dieser Aufarbeitung eine zentrale Rolle.
Die seit 2016 geltenden Fachanforderungen Geschichte sehen in der Sekundarstufe I eine Befassung mit Kolonialismus und Imperialismus in Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg und der Zeit nach 1945 vor. Auch in der Sekundarstufe II beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit den Auswirkungen des Kolonialismus. Dabei geht es ausdrücklich um die Thematisierung interkultureller Beziehungen und um die Möglichkeiten und Herausforderungen des Zusammenlebens verschiedener Kulturen. Insbesondere die Deutschland- und Europazentrierung gilt es dabei stets kritisch zu hinterfragen. Die Fachanforderung für das an der Gemeinschaftsschule in der Sekundarstufe I unterrichtete Fach Weltkunde macht konkrete Vorschläge zur unterrichtlichen Umsetzung.
Auch unsere Hochschulen beschäftigen sich in Forschung und Lehre mit der kolonialen Vergangenheit Schleswig-Holsteins. An der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel ist dieses Thema sogar der Kern der Forschung und Lehre an der Professur für Außereuropäische Geschichte. Hier werden auch die globalen wirtschaftlichen Verflechtungen erforscht, die aus dieser Zeit stammen.
Die Europa-Universität Flensburg hat sich in einem Symposium mit den Auswirkungen der Kolonialisierung beschäftigt. Sie unterhält dazu fortlaufende Projekte und nimmt an verschiedenen Forschungen teil.
Die Universität zu Lübeck betreibt in Kooperation mit der Stadt Lübeck das Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung. Dort angesiedelt ist das Projekt zur Lübecker Provenienzforschung. Außerdem wird dort gerade ein Forschungsprojekt zur postkolonialen Auseinandersetzung mit einem afrikanischen Sammlungsbestand der Völkerkundesammlung vorbereitet.
Meine Damen und Herren, bei der Erfassung und Überprüfung der Museumsbestände aus Kolonialzeiten ist Schleswig-Holstein im Bundesvergleich gut aufgestellt. Im Projekt „Zwischen Kolonialismus und Weltoffenheit“ sind 19 Museen aus
Schleswig-Holstein und eines aus Sønderjylland zusammengeschlossen. Bis Ende 2020 werden alle Objekte aus kolonialen Kontexten der 20 Museen erfasst und digitalisiert. Auf dieser Erschließungsbasis werden die beteiligten Museen dann zu einzelnen Verdachtsobjekten ab 2021 Provenienzforschung betreiben können. Auch das wird nicht zum Nulltarif zu haben sein.
Die Lübecker Völkerkundesammlung hat als Einzige bereits außerhalb des gerade genannten Projekts die komplette Digitalisierung und Inventarisierung abgeschlossen. In Lübeck startete Ende 2019 die Provenienzforschung als eines der ersten bundesweiten Förderprojekte der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien.
Diese Projekte zeigen das Engagement der Kommunen als Trägerinnen der allermeisten Museen zusammen mit dem Land und dem Bund beim Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.
Ich bin sehr dankbar dafür. Denn die verantwortungsvolle Aufarbeitung unserer Geschichte ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam angehen müssen - an jedem Ort, zu jeder Zeit, in jeder Generation aufs Neue. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort. Nach der Einigung im Ältestenrat hat der Abgeordnete Lars Harms für die Abgeordneten des SSW eine Redezeit von 10 Minuten, alle anderen Fraktionen haben eine Redezeit von 5 Minuten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Wir haben unsere Anfrage gestellt, lange bevor es zu den derzeit stattfindenden Protesten gegen Rassismus erst in Amerika, dann in Deutschland und natürlich auch bei uns in Schleswig-Holstein kam. Natürlich lässt sich beides nicht voneinander trennen. Es ist sogar so stark, wie es nur geht, miteinander verwoben.
Ich habe zuletzt in so vielen Interviews die Frage gelesen: „Gibt es Rassismus in Deutschland?“ Das hat mich doch etwas gewundert, denn die Antwort kann eigentlich nur sein: „Ja, auch wir sind nicht frei davon.“ Es gibt bei uns rassistische Diskriminierungen mit historisch tradierten Denkmustern.
Rassismus muss aufgearbeitet werden, und dazu gehört für mich an erster Stelle, dass wir uns mit historischen Zusammenhängen und unserer eigenen Geschichte mit ihren kolonialistischen Bestrebungen auseinandersetzen, denn es geht hier ja nicht nur um eine koloniale Vergangenheit, sondern um Kontinuität im Denken - sei es, wenn es um Rassismus geht, sei es, wenn es um weltweite Ausbeutung geht.
Wenn ich die ganze Breite an deutscher Kolonialgeschichte auf einen Satz herunterkürzen müsste, würde ich sagen: Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verlor das Deutsche Kaiserreich seine Kolonien, nachdem es massiv von ihnen profitiert hat, und die Kolonien und ihre Menschen wurden wie Besitz an die anderen europäischen Länder weiterverteilt.
Schleswig-Holstein war seit 1871 als preußische Provinz Teil des Deutschen Kaiserreichs und damit personell, politisch und ideell in das Kolonialgeschehen eingebunden. Insbesondere unsere heutige Landeshauptstadt mit dem damaligen Reichskriegshafen oder auch Flensburg als Handelsstadt haben da eine herausragende Geschichte.
Aber auch die deutsch-dänische Geschichte lässt sich hieran ablesen, denn bis 1864 war SchleswigHolstein Teil der dänischen Monarchie und hat von den dänischen Kolonien profitiert. Der Kolonialismus ist ein integrierter Teil unserer Regionalgeschichte und dort nicht mehr wegzukriegen.
Bei Profiteuren aus Schleswig-Holstein fällt mir natürlich als Nordfriese immer als Erstes Sönke Nissen ein; ein gutes Beispiel dafür, wie es durch Forschung zu Neubewertungen historischer Personen kommt. Eisenbahnbau in den deutschen Kolonien, zufälliger Diamantenfund, der Koog mit seinen grünen Dächern, in dem die Gebäude nach Bahnstationen in Namibia benannt sind: Das sind wohl die Bilder, die einem als Erstes in den Kopf kommen. Aber wir wissen jetzt eben auch, dass Nissens Reichtum auch auf der Ausbeutung schwarzer Zwangsarbeiter beruht, die an Unterernährung, Entkräftung und Krankheiten gestorben sind.
Wenn wir nachhaltig etwas gegen Rassismus tun möchten, sollten wir ihn als historisch gewachsene Ideologie verstehen. Das heißt auch, dass wir über Machtverhältnisse und historische Verantwortung sprechen. Wir müssen an unsere gesellschaftlichen Strukturen und an unsere Institutionen ran, und da
Wir haben daher nach den Lehrplänen des Landes gefragt. Fragestellungen zum Kolonialismus sind in Geschichte in der Sekundarstufe I und II und in der Einführungsphase in der Oberstufe vorgesehen. Des Weiteren wird angegeben, das Halbjahresthema Menschenrechte in der Sekundarstufe II biete die Möglichkeit, Aspekte des Kolonialismus zu behandeln. Hier lässt sich vielleicht wirklich noch einmal genau hinschauen, ob das reicht. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, Projekte zu basteln oder Regionalgeschichte erlebbar vor Ort und nicht als etwas, was weit weg ist, wie bei Sönke Nissen durchaus nachvollziehbar, in den Schulunterricht einzubauen.
Gefreut hat mich hingegen, dass in der Gemeinschaftsschule im Fach Weltkunde in den Jahrgangsstufen 5 und 6 sowie 7 und 8 die Themen Migration und ihre Ursachen und die Ausbeutung der Kolonien durch den europäischen Imperialismus im Unterricht stattfinden. Das ist ganz wichtig, weil viele Strukturen noch aus dieser Zeit stammen. Diese Strukturen wirken bis heute fort. Insofern ist es wichtig, so früh wie möglich mit diesen Gedankengängen in der Schule anzufangen.
Auch bei der Provenienzforschung lässt sich feststellen, dass sich unsere Museen ihrer Verantwortung bewusst sind, und das sogar grenzüberschreitend. Es ist ein gutes Zeichen, dass das Nissenhaus in Husum gemeinsam mit dem Aabenraa-Museum daran arbeitet, koloniale Quellen in unseren Museen zu erforschen. Schaut man sich das Projekt „Zwischen Kolonialismus und Weltoffenheit“ an, sieht man, dass sich insgesamt 19 Museen einem Projekt widmen, das bundesweit einmalig ist und so steht es ganz richtig im Bericht - Vorzeigecharakter hat.
Es ist den Museen selbst ein Anliegen, herauszufinden, ob die Exponate unrechtmäßig erworben wurden, ob es sich um Raubgut handelt und sie zurückgegeben werden müssen. Daher war es besonders erfreulich zu lesen, dass beispielsweise die Völkerkundesammlung der Lübecker Museen in gutem Austausch mit vielen Herkunftsländern der Objekte steht. Die Museen selbst wünschen sich mehr Forschung. Dafür brauchen sie aber auch weitere Mittel. Insbesondere den Museen in kommunaler Trägerschaft, so steht es auf Seite 18 der Antwort auf die Große Anfrage, wird es ohne weitere finanzielle Hilfe durch Dritte nicht gelingen, notwendige Provenienzforschung zu betreiben.
Gerade diese Arbeit direkt vor Ort in den kleinen Museen empfinden wir beim SSW als besonders wichtig, denn gesammelte, getauschte, erworbene oder eben auch geraubte Stücke haben das kulturelle Bild ihrer Herkunftsländer bei uns stark geprägt.
Lückenhaft bleibt die Antwort auf unsere Anfrage bei dem Thema Benennungen von Straßen oder Einrichtungen nach Personen mit kolonialer Vergangenheit. Das ist wirklich schade, aber nun wissen wir, dass es hier noch einiges zu tun gibt. Ehrenamtliche Initiativen wie die postkolonialen Stadtspaziergänge in Kiel und Flensburg sind da teilweise schon gut davor. Hier lassen sich sicher Kontakte herstellen. Der ganze Komplex um Benennungen und Denkmäler ist ohnehin einer, dem man sich in Ruhe widmen muss.
Meiner Meinung nach muss nicht jede Straße umbenannt werden. Ich finde, dass es manchmal sogar besser ist, mit Hinweistafeln zu arbeiten. Aber wenn ich zum Beispiel an das Denkmal in Aumühle denke, das Paul von Lettow-Vorbeck ehrt, der unter Lothar von Trotha am Völkermord an den Herero und Nama teilgenommen hat und Truppen in Deutsch-Ostafrika befehligte, dann gruselt es mich wirklich, meine Damen und Herren. Hier müssen mehr Informationen her.
Schließlich ging es uns noch um partnerschaftliche Beziehungen, die das Land Schleswig-Holstein mit ehemaligen deutschen Kolonien unterhält oder zumindest unterhalten sollte. Da lässt sich eben feststellen: Es gibt eigentlich keine richtige Beziehung zu diesen Ländern. Dabei hat unser Ministerpräsident in seiner damaligen Funktion als Präsident des Bundesrates 2019 die Republik Namibia besucht. Vielleicht ist das ein guter Anknüpfungspunkt, an dem sich ansetzen lässt. Gerade bei Namibia, früher Deutsch-Südwestafrika, wo deutsche Kolonialtruppen den Genozid an den Herero und Nama begangen, sollte es uns doch ein besonderes Bedürfnis sein, Beziehungen zu vertiefen.
Das können Städte- und Ortspartnerschaften, Partnerschaften zwischen Vereinen und Organisationen, Wirtschaftsbeziehungen, Kulturzusammenarbeitsformen oder auch nur sportlicher Austausch sein. Ich finde, das Land muss sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für gute Beziehungen zu den damaligen Kolonien einsetzen. Es wäre schön, wenn man sich eine herauspicken würde, zu der man richtig
Wir haben auch danach gefragt, ob die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Europas als Teil von schleswig-holsteinischer Erinnerungskultur im Rahmen des Aktionsplans gegen Rassismus eine Rolle spielen sollte. Die Antwort ist leider eher ausweichend ausgefallen: Der Aktionsplan befinde sich noch in der Ausarbeitung, und falls das Thema als relevantes Thema identifiziert und von einer Akteurin in den laufenden Prozess eingebracht werde, könne die interministerielle Arbeitsgruppe darüber beraten.
Meine Damen und Herren, es ist doch völlig klar: Selbstverständlich ziehen sich koloniale Erzählungen bis heute in wirkende Rassismen. Und selbstverständlich wird die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte eine Rolle im Aktionsplan gegen Rassismus spielen müssen. Denn: Da kommt der ganze Mist her, und das hätten wir eigentlich gern im Text der Antwort auf die Große Anfrage so gelesen.
Ich möchte abschließend einmal besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bildungsministeriums unseren Dank aussprechen. Uns ist klar, dass es nicht immer einfach war, an die von uns erfragten Informationen zu kommen, aber hier ist wirklich eine gute Grundlage zusammengekommen, mit der sich richtig gut weiterarbeiten lässt. Denn, meine Damen und Herren, das ist uns allen bewusst: All die zusammengetragenen Informationen sind nicht abschließend abgefragt und lassen sich schon gar nicht abschließend in diesen zehn Minuten besprechen. Sie können aber dazu beitragen, ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit dafür zu schaffen, dass wir intensiver und öffentlicher über diesen Teil unserer Geschichte sprechen, denn die Leute vor Ort kennen diese Geschichte nicht.
Um diese Bewusstseinsdebatte ging es uns von Anfang an. Daher beantragen wir die Überweisung unserer Großen Anfrage in den Bildungsausschuss zur weiteren Befassung. - Vielen Dank.