Protocol of the Session on May 8, 2020

Wir bitten den Bund, sich für die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards vor Ort einzusetzen. Wir bitten die Landesregierung, sich mit Nachdruck für eine grundlegende Reform der europäischen Asylund Migrationspolitik einzusetzen und die angekündigten Reformpläne der EU-Kommission aktiv zu unterstützen.

27 Mitgliedstaaten der europäischen Union müssen sich endlich ihrer gemeinsamen Verantwortung dazu bewusst sein. Die restlichen Mitgliedstaaten, die sich im Moment noch dieser Verantwortung innerhalb der europäischen Union entziehen, müssen mit ins Boot geholt werden - wenn nötig, mit Sanktionen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 47 jugendliche Flüchtlinge wurden am 18. April 2020 in einer Jugendhilfeeinrichtung in Niedersachsen aufgenommen, Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und Eritrea. Sie waren zuvor in Lagern auf Lesbos, Samos und Chios untergebracht.

Für eine EU-weite Koordinierung ist die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden, der UNHCR, United Nations High Commissioner for Refugees, und der europäischen Asylagentur, EASO, European Asylum Support Office, zuständig. Alle Kinder und Jugendlichen wurden vor der Abreise selbstverständlich auf eine mögliche Infektion mit dem COVID-19-Virus getestet.

Um Griechenland zu unterstützen und die Situation der Kinder in den Lagern für die Kinder zu verbessern, hat der Koalitionsausschuss des Bundes am 8. März 2020 beschlossen, einen humanitären Beitrag zu leisten. 350 Minderjährige sollen nach Deutschland übernommen werden. Das ist Teil eines europäischen Vorgehens, an dem sich leider wie schon gesagt - nur 10 Mitgliedsstaaten beteiligen.

Wegen der Entwicklung der Coronapandemie kommt es im Moment in einigen Ländern zu Verzögerungen bei der Umsetzung. Am Mittwoch dieser Woche kamen bereits zwölf unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Luxemburg an. Drei Minderjährige aus dem Kontingent Niedersachsen kommen nach Schleswig-Holstein, weil sie hier Verwandte haben. Sie kommen nicht in die Landesunterkünfte, sondern die Unterbringung wird durch die Jugendämter organisiert. Diese Initiative ist wieder eine Unterstützung der humanen Flüchtlingspolitik Schleswig-Holsteins.

Wir reagieren nicht erst jetzt. Ende letzten Jahres kamen die ersten von 500 schutzbedürftigen Flüchtlingen über unser Landesaufnahmeprogramm nach Schleswig-Holstein - zusätzlich zum europäischen Aufnahmeprogramm. Im April letzten Jahres hat Schleswig-Holstein 22 aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufgenommen und unterstützt die Kommunen, die sich bereit erklärt hatten, sie aufzunehmen. Im Zusammenspiel von Land und Kommunen funktioniert es bei der Übernahme von humanitären und sozialen Verpflichtungen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das auch bereits schon erwähnte Projekt „Sicherer Hafen“.

(Hartmut Hamerich)

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich habe gerade den letzten Satz in Arbeit. - Schleswig-Holstein hat in den vergangenen Jahren parteiübergreifend eine vorbildliche und beispielhafte Integrationspolitik gemacht. Darauf können wir stolz sein. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Aminata Touré.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vorweg möchte ich sagen, dass ich sehr froh darüber bin und war, dass wir als Koalition uns immer wieder darüber ausgetauscht haben, wie wir aktiv werden können, wie wir gemeinsam Humanität zeigen können, dass das auch oft gemeinsam gelungen ist und beschlossen werden konnte. Ich bin auch froh, dass die Landesregierung wiederholt deutlich gemacht hat, dass wir bereit sind, Menschen aufzunehmen. Ich weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist, auch nicht, das immer wieder zu wiederholen. Wenn man zu den wenigen Bundesländern gehört, die das überhaupt machen, ist es schon etwas Besonderes. Deshalb möchte ich hier am Anfang sagen: Vielen Dank dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wir haben es als Bundesland für notwendig gehalten, in Richtung Bund deutlich zu machen, dass wir bereit sind, Menschen von den griechischen Inseln aufzunehmen, weil die Zustände vor Ort unmenschlich sind. Es ist kaum auszuhalten, sich die Berichte anzusehen, weil man sich dafür eigentlich nur schämen kann. Das ist nicht nur zum Schämen, sondern auch der Europäischen Union nicht würdig.

Die Evakuierung von 47 Kindern nach Deutschland hat sich im Nachhinein als faktische Familienzusammenführung herausgestellt. Ich glaube, es ist in den letzten Wochen ein wenig untergegangen, dass die humanitäre Aktion, die von der Bundesregierung gestartet worden ist, so oder so in Europa eigentlich hätte stattfinden müssen. Das ist problema

tisch, weil man auf der einen Seite deutlich macht, dass man Dinge, die man eigentlich hätte tun müssen, versäumt hat zu tun, auf der anderen Seite ist es natürlich gut und richtig, dass diese 47 Kinder dort herausgeholt wurden. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Insgesamt zeichnet sich da aber ein merkwürdiges Bild ab.

Wenn man sich Berichte dazu anhört, wie die Auswahl der Minderjährigen und Kinder vor Ort stattgefunden hat, stellt man fest, griechische NGO berichten, dass es chaotisch zuging. Weil man schnell Bilder produzieren wollte, dass Minderjährige nach Deutschland kommen, hat man einfach schnell und chaotisch Kinder ausgesucht. Man hat sich keine Gedanken darüber gemacht, wen man genau da eigentlich herholt.

Dabei haben wir immer wieder besprochen, dass gerade vulnerable Gruppen als Erstes hergeholt werden sollten. Das ist völlig richtig, und das muss auch der Anspruch sein. Der Koalitionsbeschluss der Großen Koalition hat aber formuliert, dass man vor allem minderjährige Mädchen, 14 Jahr maximal, herholen möchte. Das wurde mit der Zahl von 1.600 Personen unterlegt.

Die NGO vor Ort in Griechenland sagen aber ganz klar, dass es völlig unrealistisch ist, diese Zahl zu realisieren, weil nur 7 % der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge überhaupt Mädchen sind. Das heißt, man hat ein falsches Bild erzeugt. In den Tagen und Wochen darauf hat man sich massiv darüber geärgert, dass so wenige Mädchen hergekommen sind, sondern vor allem Jungen. - Ja, das passiert nun einmal, wenn man ein falsches Bild zeichnet und das mit der Situation vor Ort, der Realität, nicht abgleicht. Deshalb gab es im Nachgang völlig populistische und problematische Diskussionen, warum man sich denn nicht um Mädchen gekümmert habe.

Dieses Hintergrundwissen ist durchaus wichtig für die Situation, die wir da geschaffen haben.

Von was für einer Situation sprechen wir? - In dem Lager Moria auf Lesbos sieht es wie folgt aus. Das ist ein Lager, das für 3.000 Menschen geplant war, in dem inzwischen 20.000 Menschen leben. Man spricht dann immer wieder von Zahlen wie 5.000 Personen, 1.600 Personen, 50 Menschen, was auch immer. Die Debatte bewegt sich zunehmend dahin, die Zahl immer weiter zu reduzieren, obwohl die Zahl der Menschen, die dort leben, 20.000 umfasst.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich finde es an der Stelle sehr wichtig zu betonen, dass es wichtig ist, das gesamte Lager zu evakuieren.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es kann nicht darum gehen, nur für Einzelne eine sichere Situation zu schaffen, sondern es muss darum gehen, für alle eine sichere Situation zu schaffen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Das ist auch keine Position, die nur wir als Grüne vertreten. Der CDU-Bundesentwicklungsminister, der vor Ort war und sich Moria angeguckt hat, wurde mit den Worten zitiert:

„Wir müssen allen Menschen im Lager helfen. Ich empfinde es als Schande, welche Zustände mitten in Europa akzeptiert werden.“

Er hat recht: Das ist eine Schande.

Schaut man sich an, wie die Menschen vor Ort dort leben und was sie darüber berichten, hält man es nicht aus, sich das länger als ein paar Minuten anzuschauen. Die Bilder von Gesichtern von jungen Mädchen, von jungen Personen, die davon erzählen, dass sie nicht die Möglichkeit haben, Wasser zu benutzen - mitten in einer Gesundheitskrise, die uns weltweit betrifft -, dass sie keine sanitären Anlagen haben, dass sie vor Ort vergewaltigt werden, dass sie keine Schutzräume haben, dass sie in Orten leben, die man den „Dschungel“ nennt - mitten in Europa -, sind beschämend.

Deshalb möchte ich zum Schluss noch einmal betonen: Es ist nicht genuin Aufgabe der Bundesländer, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Ich finde es aber richtig, dass wir uns als Bundesland genau diese Frage gestellt und gesagt haben: Wir sind Teil der Europäischen Union, wir können nicht wegsehen, sondern wir müssen auch selbst handeln. Wenn wir den Eindruck haben, dass auf der Ebene der Bundesregierung nicht genügend getan wird, dann ist es richtig, dass wir als Bundesländer Druck erzeugen.

Deshalb möchte ich noch einmal - zum dritten oder vierten Mal in dieser Rede - betonen, dass ich weiß, dass es für Konservative und Liberale mit uns zusammen als Grüne nicht selbstverständlich ist, solche Forderungen zu formulieren. Deshalb bin ich umso dankbarer dafür, dass Sie die Situation ähnlich wie wir einschätzen und wir gemeinsam immer wieder Position beziehen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrem Antrag spricht die SPDFraktion ein existenzielles und sehr wichtiges Thema an. Aber - das ist hier auch schon mehrfach gesagt worden -, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie übersehen, dass Schleswig-Holstein eigentlich schon viel weiter ist.

Wir müssen unsere Bereitschaft, Menschen in besonderen Notlagen zu helfen, nicht verkünden, sondern wir handeln bereits. Wir leisten bereits konkrete Hilfe. In diesem Zusammenhang darf ich hier noch einmal auf das humanitäre Landesaufnahmeprogramm erinnern und darauf hinweisen, dass es in der Umsetzung ist.

Ich darf auch daran erinnern - das ist schon erwähnt worden -, dass unser Innenminister der Bundesregierung gegenüber verbindlich erklärt hat, dass unser Land unter Berücksichtigung der Verteilungsschlüssel für Europa und Deutschland Flüchtlinge, die sich insbesondere auf Lesbos in besonders prekären Lagen befinden, aufnehmen wird.

Entscheidend ist aber, dass der Innenminister gegenüber dem Bundesinnenminister sogar bekräftigt hat, eine entsprechende Anzahl an Flüchtlingen selbst dann aufnehmen zu wollen, wenn eine europäische Lösung nicht zustande kommen sollte, Deutschland nicht verpflichtet ist und sich auch nicht selbst verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen. Das muss hier erwähnt werden.

Wir beweisen also durch aktives Handeln, wie wichtig uns humanitäre Flüchtlingspolitik ist, und wir unternehmen das, was einem Bundesland möglich ist. Das Thema, das Sie von der SPD auf die Tagesordnung gesetzt haben, macht noch ein anderes Thema deutlich: Wir müssen uns endlich um eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik bemühen und uns darauf einigen, wie wir dieses Thema künftig handhaben wollen. Wir brauchen einen vereinheitlichten und überall in Europa gleichermaßen geltenden Rechtsrahmen. Anders werden wir die Flüchtlingsproblematik in Europa nicht lösen können.

(Aminata Touré)

(Beifall FDP, CDU, SSW und vereinzelt SPD)

Schon der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass es nicht richtig sein kann, dass wir uns zwar einerseits zu gemeinsamen Außengrenzen bekennen, dann aber in der Flüchtlingspolitik im Innenverhältnis auf Abgrenzung und Abschottung setzen. Dieses Problem werden wir nur überwinden können, wenn wir am Ende eine einheitliche europäische Migrationsbehörde haben werden, die in allen Mitgliedsländern gleichsam tätig sein muss und die dann für die Anwendung und Durchsetzung eines einheitlichen europäischen Flüchtlingsrechts zuständig sein muss. Das ist kein Wunschdenken, das ist machbar, und das werde ich Ihnen auch gleich darlegen. Ein Antrag, eine Entscheidung, das muss das Prinzip sein. Das Ziel muss sein, im EURechtsraum für Migranten und Flüchtlinge aus aller Welt eine einheitliche Lösung zu finden.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Was bedeutet das konkret? Wenn in Griechenland ein Asylantrag gestellt wird, ist dieser durch eine europäische Behörde natürlich vor Ort in Griechenland nach europäischem Recht zu prüfen und zu bescheiden. Auch die gerichtliche Überprüfung hat dann nach einheitlichen Rechtsvorschriften und Standards zu erfolgen, und es muss die Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs werden, im Flüchtlingsrecht für eine europaweit einheitliche Rechtsanwendung und Rechtsprechung zu sorgen.

Wenn die AfD meint und durch Zuruf deutlich macht, dass das illusorisch sei, so kann ich darauf verweisen, dass dieses Prinzip in Europa erprobt ist, nämlich im Bereich des Arbeitsrechts. Dort sorgt der Europäische Gerichtshof dafür, dass wir in den wichtigsten Fragen des Arbeitsrechts europaweit einheitliche Bedingungen durchsetzen und anwenden. Das ist auch im Migrationsrecht möglich, Herr Nobis, auch wenn Sie das nicht hören wollen.

Migranten hätten, wenn wir diesen Weg beschreiten würden, zwar innerhalb Europas nur noch Anspruch auf ein aufenthaltsrechtliches Verfahren, der Vorteil und die unabdingbare Voraussetzung eines solchen Lösungsansatzes ist es aber gerade, dass jede Migrantin und jeder Migrant sicher sein kann, dass eine Entscheidung nicht von nationalen Besonderheiten und Eigenheiten abhängig wird.

Deshalb lassen Sie uns von Schleswig-Holstein aus für ein vereinheitlichtes, gemeinsames europäisches Flüchtlingsrecht eintreten. Das ist es, was wir brauchen, um die Flüchtlingsproblematik in Europa endgültig lösen zu können. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, SSW, vereinzelt CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Claus Schaffer.