Protocol of the Session on December 9, 2020

(Beate Raudies [SPD]: Mein Gott!)

Ich habe gerade erfahren, dass meine Redezeit kürzer ist als ich dachte. Deshalb werde ich mich auf diesen dritten Punkt beschränken.

Es ist angeklungen, dass die Begründung für die Lockdown-Maßnahmen stets die war, dass man gesagt hat: Ansonsten wird das Gesundheitssystem überfordert werden. Das Gesundheitssystem ist aber durch Covid-19 nicht überfordert worden. Sie alle kennen die Zahlen über die belegten Intensivbetten und die freien Kapazitäten, die wir noch haben. Davon konnte gar keine Rede sein. Wenn jetzt wieder mit der gleichen Begründung argumentiert wird: Wir brauchen eine Massenimpfung, weil das Gesundheitssystem sonst überfordert wird, dann ruft das selbstverständlich in weiten Teilen der Bevölkerung Skepsis hervor.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Zu der Frage der Wirkung des Impfstoffes möchte ich den Vorsitzenden der Deutschen Arzneimittelkommission, Wolf-Dieter Ludwig, zitieren: Bei allem, was wir derzeit wissen, finde ich einen solchen Satz unüberlegt - und er bezog sich auf Frau Karliczek, die sagte, man müsse sich keine Sorgen machen -, die Langzeitnebenwirkung kann heute na

turgemäß niemand beurteilen. Alles, was uns vorliegt, sind Pressemitteilungen der Hersteller. Das erlebe ich zum ersten Mal in den vielen, vielen Jahren, in denen ich klinische Studien zu Arzneimitteln bewerte. - Haben Sie gehört, was dieser Mann sagt? Er sagt, alles was vorliegt, sind Pressemitteilungen der Impfstoffhersteller. Das ist einfach nicht zu akzeptieren. Da kann ich die Skepsis der Bevölkerung verstehen.

Meine Damen und Herren, es sollte uns aufrütteln, wenn die von mir gestellten Fragen in den Berichten zur Impfstrategie vollkommen unberührt bleiben. Vielleicht befürchtet man ja, dass die Impfbereitschaft der Bevölkerung zurückgehen könnte. Machen wir uns nicht vor: Ein Großteil derer - es klang bereits an, es sind etwa 60 % der Bevölkerung -, die sich impfen lassen wollen, tun das nicht nur aus Sorge vor Corona, sondern aus Sorge davor, ausgegrenzt zu werden, aus Sorge davor, ihre persönlichen Freiheiten zu verlieren oder aus Sorge davor, als unsolidarisch gebrandmarkt zu werden.

Herr Abgeordneter, haben Sie die Redezeit im Blick!

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Wenn wir heute so tun, als existierte diese Fragestellung nicht, dann nimmt man eine Zweiklassengesellschaft in der Medizin in Kauf, man forciert sie sogar: Privilegien für Geimpfte, Einschränkungen für nicht Geimpfte.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist vorüber.

Das ist eine unvorstellbare Vorstellung. - Danke sehr.

(Beate Raudies [SPD]: Märchenstunde! - Zu- ruf CDU: Märchen enden aber meist gut!)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat die Abgeordnete Birte Pauls.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort auf den Blödsinn, den

die AfD hier eben wieder produziert hat, überlasse ich herzlich gern anschließend dem Kollegen Kai Dolgner.

Ich habe noch einmal einen ganz anderen Aspekt. Der Impfstoff hat nämlich nicht nur eine gesundheitliche Bedeutung, sondern eben auch soziale Komponenten. Der Impfstoff ist der Schlüssel, der die Türen wieder öffnen kann.

(Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Corona hat unfassbar viele Menschen einsam gemacht. Viel zu viele ältere Menschen isolieren sich vor Angst zu Hause. Sie haben kaum Kontakte, machen nur kurz Besorgungen. Aber die Treffen mit Freunden im Singkreis, in der Handarbeitsgruppe, beim Sport, in der Kirchengemeinde, in der Kultur und in den Parteien - alles das ist seit März ausgefallen.

Der Impfstoff öffnet auch die Türen der Einrichtungen der Pflege und der Eingliederungshilfe wieder. Was wir den Bewohnerinnen und Bewohnern im Frühjahr zugemutet haben, darf sich nicht wiederholen.

(Beifall SPD, SSW, vereinzelt CDU, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Insassen zu isolieren, den Zugehörigen den Besuch zu verweigern, hat sehr viel Leid auf beiden Seiten ausgelöst. Für die demenziell Erkrankten und ihre Angehörigen war es eine besondere Herausforderung. Das Vergessen von Gesichtern wurde beschleunigt.

Der Impfstoff öffnet auch die Haustüren derer, die Zuhause pflegen und gepflegt werden. Manche haben die Besuche von ambulanten Diensten in dieser Zeit aus Angst vor Infektionen schlichtweg abgelehnt. Welche zusätzliche Belastung das mit sich bringt, ist kaum ermessbar.

Nicht zuletzt öffnet der Impfstoff auch die Türen der beruflich Pflegenden. Sie haben in diesen Monaten unfassbar viel geleistet. Sie haben neben der ohnehin hohen Arbeitsbelastung in den Einrichtungen zusätzlich den Besuch kompensieren müssen, Besuche organisieren müssen. Jetzt müssen sie auch noch Schnelltests machen. Das alles geht von der eigentlichen Arbeitszeit weg. Es betrifft in gleichem Maße die Arbeit in den Krankenhäusern.

Die psychische Belastung, die die Pflegenden ertragen mussten, wenn die Angehörigen die Pflegenden in schweren Stunden nicht begleiten dürfen, ist ebenfalls nicht zu ermessen. Dies muss aber liegenbleiben, weil man es einfach nicht mehr schafft.

(Dr. Frank Brodehl)

Über all dem schwebt immer die ständige Angst, sich selber zu infizieren oder eine symptomfreie Infektion in die Einrichtung zu bringen - und das über Monate, zu jeder einzelnen Schicht.

Es gibt viele im Gesundheitsbereich Tätige, die sich in den letzten Monaten in eine Art Tunnelquarantäne versetzt haben: der Weg zur Arbeit, nach Hause und umgekehrt.

Alle - das gilt auch für alle anderen im Gesundheitsbereich Tätigen -, Ärzte, Rettungsdienste, MTAs, Therapeuten und so weiter, die seit März unter diesem enormen Druck stehen, verdienen weitaus mehr als warme Worte und Bonuszahlungen, die noch nicht einmal überall angekommen sind. Für sie alle ist diese Impfung der Schlüssel für mehr Entlastung.

Das Ganze hat auch sehr viel mit Solidarität zu tun. Für Egoismus, der hier von dieser Seite geprägt wird, ist kein Platz mehr. - Danke schön.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Kai Dolgner.

(Dr. Kai Dolgner [SPD] unterhält sich mit Vizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber)

- Der Herr Abgeordnete Dr. Dolgner übernimmt jetzt die Restredezeit der SPD-Fraktion von 7 Minuten 15 Sekunden.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Die 15 Sekunden sind hier auf der Uhr vergessen!)

- Die stehen da nicht, aber das rechnen wir aus. Danke.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist genau das Typische: Man nimmt aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, teilweise Monate alt,

(Dr. Frank Brodehl [fraktionslos]: Vor drei Tagen!)

und tut so, als sei es der derzeitige Zustand.

Keine Zulassungsbehörde, schon gar nicht die amerikanische Zulassungsbehörde - das stellt man fest, sieht man sich das dortige Verbraucherschutzgesetz an -, macht eine Zulassung aufgrund von Pressemit

teilungen. Das ist Quatsch, und das wissen Sie auch.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Also bleibt als einzige Erklärung opportunistische Propaganda.

Das gilt übrigens auch für diejenigen, die sagen: Ich mache mir aber so viel Sorgen, dass Leute Angst haben. - Damit schürt man selber die Angst.

Das ist so, als ginge man mit einer Fackel zum Benzinlager und fragt: Oh, warum hält mich jetzt keiner auf?

(Heiterkeit)

Genau das ist es. Es wird kein Licht hineingebracht, sondern Sie schüren Angst und verdunkeln.

Herr Kollege Vogt - er kann mir jetzt leider nicht zuhören -, ja, es ist ein großes Problem, dass Mathematik nicht dasselbe Standing wie Deutsch hat. Keiner würde damit kokettieren, nicht Lesen und Schreiben zu können. Aber Mathe nicht zu verstehen, damit kokettiert diese Gesellschaft, und zwar seit Jahrhunderten. Das fällt uns auf die Füße, und zwar nicht nur bei Corona, sondern auch bei all den Trickbetrügereien und so weiter. Nähme man einmal einen Taschenrechner in die Hand und bediente ihn, würden fast alle Anlagebetrüger arbeitslos.

(Heiterkeit)

Es geht hier aber nicht um Anlagebetrug, sondern es geht im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod.

Ich versuche einmal an einem Beispiel, die Sinnhaftigkeit von Impfungen deutlich zu machen. Stellen Sie sich 200.000 Menschen vor, die Sie in zwei Gruppen einteilen, 100.000 auf der einen Seite und 100.000 auf der anderen Seite. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die geimpft werden. Was passiert nach heutigem Erkenntnisstand? - Es gibt etwa 5.000, bei denen die Impfung nicht die gewünschte Wirkung hat. Bei einer Maximalausbreitung von Corona von 70 % werden von den 100.000 3.500 Corona bekommen, und bei der sehr niedrig - sehr niedrig! - angesetzten Sterberate von 0,3 % werden von diesen 100.000 Menschen leider 7.000 Menschen sterben müssen.

(Zurufe)