Protocol of the Session on April 26, 2012

Die medizinische Versorgung für Menschen ohne Papiere haben wir gerade in der letzten Plenartagung erörtert. Wer dieses Thema im Sinne der betroffenen Menschen angehen will, muss einen großen gesellschaftlichen Konsens erzielen. Keiner wird Menschen - egal mit welchem Aufenthaltsstatus - im Notfall ärztliche Hilfe versagen. Schwieriger wird es jedoch, die Allgemeinheit davon überzeugen zu wollen, Menschen, die sich nicht legal in Deutschland aufhalten, kostenfrei und umfänglich gesundheitlich zu versorgen. Das ist nämlich mehr, als der Staat den Menschen an Anspruch gewährt, die legal in Deutschland leben. Frau Damerow hat darauf hingewiesen. Schließlich kann es rechtlich nicht sein, dass in 16 verschiedenen Bundesländern

16 verschiedene Regelungen für die gesundheitliche Versorgung von papierlosen Menschen gelten. Der einzig richtige Weg kann deshalb nur eine bundeseinheitliche Vorgehensweise sein. Diese zu diskutieren, ist Sinn unseres Antrags dazu.

Unser Flüchtlingsbeauftragter kann und soll unabhängig agieren. Er kann Berichte selbst erstellen. Wir müssen sie hier nicht beschließen. Es bedarf auch keiner Aufforderung an die Landesregierung, ihn bei der Berichterstattung zu unterstützen, denn das ist für uns selbstverständlich. Vielleicht haben Sie die Sorge, dass mögliche neue Regierungen dies nicht mehr tun. Unserer Unterstützung kann er sich aber sicher sein.

Meine Damen und Herren, ich komme noch zu dem wunderbaren Antrag der SPD, der besagt, die Landesregierung möge über eigene Integrationsinitiativen berichten, aber in keinem Fall über ihre Arbeit, die nur im Entferntesten mit Programmen des Bundes oder von Vorgängerregierungen zu hat. Mit Verlaub, das ist absurd. Fast täglich wird von Vernetzung gesprochen, es wird ein gemeinsames Vorgehen gefordert, und es werden länderübergreifende Initiativen gewünscht. Es wird verlangt, dass nicht alles nur aus dem Grund, weil es von einer Vorgängerregierung stammt, infrage gestellt wird. Wenn wir das tun, dann dürfen wir nicht darüber reden. Unser Minister hat es trotzdem getan, und er hat weitere Beispiele unserer und seiner guten Arbeit angeführt. Ich danke ihm persönlich für den Bericht und für seine Arbeit.

(Beifall bei FDP und CDU)

CDU und FDP brauchten keinen Antrag, um uns dieser guten Arbeit gewahr zu werden. Selbstverständlich haben wir auch eigene Initiativen zur Integration ergriffen, zum Beispiel indem wir uns in den Nationalen Aktionsplan Integration eingebracht haben und dessen Ziele mit dem schleswigholsteinischen Aktionsplan bedarfsgerecht für unser Bundesland umgesetzt haben.

Dass wir das Ministerium auch Ministerium für Integration genannt haben, ist ein weiterer Beweis dafür, wo wir unsere Schwerpunkte gelegt haben. Personell ist zum Beispiel die Ernennung unseres Integrationsbeauftragten Peter Lehnert zu nennen. Eine solche Stelle gab es in dieser Form vorher noch nie. Auch ich danke Herrn Lehnert an dieser Stelle sehr herzlich für seine engagierte Arbeit. Worin diese im Einzelnen bestanden hat, hat der Herr Minister vorhin bereits sehr gut dargelegt.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

(Gerrit Koch)

Ansonsten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, erinnern Sie sich noch an die Bleiberechtsinitiative, die Integrationsleistung anerkennt, oder zum Beispiel an die Aufhebung der Residenzpflicht. Ich denke, das alles sind Belege dafür, dass wir auch auf diesem Gebiet aktiv sind und darauf unsere Schwerpunkte legen.

Ansonsten fand ich es sehr interessant, dass jetzt auch von der SPD eine Große Koalition ausgeschlossen wird. Wir setzen auf eine Fortführung der Politik mit der CDU, weil wir sagen, auch mit der CDU können wir eine sehr gelungene Integrationspolitik betreiben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Koch, auch ich war bei der Diakonie in Lübeck. Ich finde es schön, dass Sie sich so gut an den Nachmittag erinnern. Ich erinnere mich auch daran. Ich erinnere mich aber auch an den anderen Asylbewerber, der gefragt hat: „Warum lasst ihr uns denn hier in Deutschland, wenn ihr uns alle Knüppel zwischen die Beine schmeißt, die ihr findet, um uns die Integration zu erschweren?“ Das ist mir wesentlich fester im Gedächtnis geblieben als das auch von mir aufgenommene Lob.

Ich stimme dem Herrn Minister in einem zu. Es ist eine fast unmögliche Aufgabe, über drei so unterschiedliche Themen in so kurzer Zeit zu sprechen. Ich möchte trotzdem noch einmal betonen, worum es eigentlich geht.

Es geht um die medizinische Versorgung von Menschen, die ohne Aufenthaltsstatus in SchleswigHolstein leben. Es geht um eine menschenwürdige Unterbringung für Asylsuchende und geduldet hier Lebende. Und es geht um einen Bericht der Landesregierung über die Integrationsinitiativen. Diesen drei Anträgen werden wir zustimmen. Es geht dann noch um einen CDU/FDP-Antrag, den ich für reichlich lächerlich halte und den Sie auch nur eingebracht haben, damit Sie dem anderen Antrag nicht zustimmen müssen. Ihren Antrag werden wir aufgrund der Motivation, aus der heraus Sie ihn gestellt haben, nicht zustimmen.

Ich danke dem Herrn Minister auch für den Bericht der Landesregierung, und diesen Dank meine ich

ernst. Herr Minister, Sie haben immerhin einige der Initiativen dieser Opposition umgesetzt. Sie haben von Anfang an in diesem Haus von der linken Seite - von mir aus gesehen - immer wesentlich mehr Beifall gekriegt als von der rechten Seite, und das zu Recht. Sie haben die Initiativen umgesetzt, die die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion im Landtag vorher stets abgelehnt hatten. Dafür gebührt Ihnen unser Dank.

(Beifall bei der LINKEN und SPD)

Es geht aber bei aller Unterschiedlichkeit dieser Anträge, die richtig und wichtig sind, im Grunde genommen um eines. Es geht nämlich um unseren Umgang mit Menschen, die zu uns kommen wollen. Wir haben ja Grundlagen dafür, warum wir uns damit eigentlich beschäftigen. Da ist mir Folgendes eingefallen: Wir reden über das Grundgesetz und da speziell über Artikel 1. Wenn wir uns aber die Wirklichkeit angucken, müssten wir Artikel 1 umformulieren und unterteilen; da müsste es dann heißen: Artikel 1 a: Die Würde des Deutschen ist unantastbar. Artikel 1 b: Die Würde des Menschen mit gesichertem Aufenthaltsstatus ist zu achten, wenn er uns wirtschaftlich nützlich sein könnte. Und Artikel 1 c: Die Würde aller anderen ist uns völlig egal.

Nichts hat diese Landesregierung wirklich getan, nichts für Zugewanderte, nichts für Flüchtlinge und nichts für Statuslose. Diese Landesregierung scheint in einer Welt zu leben, in der die Belange dieser Menschen überhaupt keine Rolle spielen.

Im Laufe der zwei Jahre, die ich in diesem Haus gesessen habe, habe ich festgestellt, dass die beiden Seiten in diesem Haus, die rechte und die linke, sich so weit unterscheiden, wie ich es niemals hätte glauben können. Meine Feststellung ist, dass zwischen uns ein kultureller Graben verläuft, der weit tiefer ist als der zwischen mir und vielen Menschen, die aus einem anderen Land und aus einer anderen Kultur zu uns kommen. CDU und FDP haben Migrationsberatungsstellen die Mittel gekürzt, sie haben dem Flüchtlingsrat Mittel verwehrt, sie haben Refugio, einer vorbildlichen Organisation, die sich um traumatisierte Flüchtlinge gekümmert hat, zugrunde gespart. Sie haben unglaublich viele Anträge - Kollegin Damerow hat es zu Recht erwähnt - im Bereich der Migrations- und Integrationspolitik diskutiert und weggestimmt, ohne bessere oder auch nur eigene Vorschläge zu machen. Sie haben nachhaltig bewiesen, dass es ihnen auf diese Menschen nicht ankommt. Schließlich dürfen diese Menschen nicht wählen, schließlich sind diese

(Gerrit Koch)

Menschen keine Deutschen; da kann man auch Politik gegen diese Menschen machen.

DIE LINKE ist der Meinung, dass Menschen ohne Papiere in Notlagen das Recht und die Möglichkeit haben müssen, grundlegende medizinische Versorgung zu bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte einfach noch einmal darüber nachzudenken, worüber wir reden. Wir reden über eine Familie, die aus Mali oder aus anderen Staaten hierher gekommen ist. Da liegt ein Kind mit Fieber krank im Bett, und die Eltern müssen Angst haben, wenn sie mit diesem Kind zum Arzt gehen, dass ihr ungesicherter Aufenthaltsstatus, ihr sogenannter illegaler - ich sage lieber „illegalisierter“ Aufenthaltsstatus -, bekannt wird und sie deshalb ausgewiesen werden. Die Alternative ist: Ausweisung zurück in die Heimat, Hunger, Folter, Vergewaltigung oder das Kind krank werden zu lassen und darauf zu hoffen, dass es von selbst überlebt. Wenn es eine Blinddarmentzündung oder ein Blinddarmdurchbruch ist, dann wird dieses Kind nicht überleben; dann werden die Eltern in letzter Sekunde, wenn sie einsehen, dass es jetzt gar nicht mehr geht, trotzdem zum Arzt gehen. Das Kind ist dann mit Glück noch gerettet, aber dann ist die ganze Familie nicht mehr hier. Es kann nicht sein, dass wir solche Zustände sehenden Auges hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN und SPD)

Offensichtlich gibt es in diesem Haus aber Menschen, die damit leben können. Wir sind dazu nicht bereit.

Wir sind auch der Meinung, dass die Unterbringung von Flüchtlingen vielerorts menschenunwürdig ist und dringend geändert werden muss. Ich kann nicht damit leben, dass Menschen in Containern leben müssen, dass Menschen, wie es jetzt in dem Antrag steht, auf 10 m2 leben müssen, einer Fläche, die wir deutschen Schäferhunden meist nicht zumuten. Das ist für mich unerträglich. Diese Zustände sind so unglaublich, dass es eigentlich beschämend ist, dass wir hierüber überhaupt diskutieren müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Regierungsfraktionen sind nicht dazu bereit, dem Flüchtlingsbeauftragten die entsprechende Unterstützung zuzusagen, dass wir die Unterkünfte im Land besuchen und anhand eines Kriterienkatalogs feststellen können, wo Mängel bestehen und wo nicht. Nicht einmal dazu sind Sie bereit; denn das würde offenbar machen, in welch menschenun

würdigen Zuständen Menschen in unserem Land leben müssen.

Reinhard Mey hat vor vielen Jahren ein Lied gesungen: „Von Wand zu Wand sind es vier Schritte, von Tür zum Fenster sechseinhalb.“ Wenn man seinen Schritt abmisst, sind das deutlich mehr als die bisher gültigen 8 m2. Und dieses Lied hat er nicht zu Unrecht „Tyrannis“ genannt.

Der Aktionsplan Integration ist nicht mehr als eine Absichtserklärung. Natürlich wollen wir Maßnahmen zur Unterstützung der sprachlichen Entwicklung für Kinder, die es ja bereits seit 2005 gibt, also schon vor dieser Regierung, nicht missen. Aber darüber hinaus ist nichts passiert, überhaupt nichts. Sie können bisher keine Zahlen vorweisen, die einen verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt belegen könnten, speziell im öffentlichen Dienst. Die Landesregierung hat in den vergangenen zwei Jahren nicht Integrations-, sondern Desintegrationspolitik gemacht. Deswegen wird es Zeit, dass sich das ändert, dass sich die Politik ändert und dass sich die Landesregierung ändert. Darauf freuen wir uns.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erteile ich jetzt der Vorsitzenden der SSW-Fraktion, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Flüchtlinge leben in Schleswig-Holstein unter Bedingungen, die man als Besucherin kaum ertragen kann: eng, abgeschieden und mit abgewohntem Mobiliar. Wir sollten nicht einmal versucht sein zu denken, dass das normal ist; denn das ist es nämlich nicht.

(Beifall beim SSW)

Der sächsische Ausländerbeauftragte Prof. Martin Gillo hat vorgeschlagen, Standards für die Unterkünfte festzulegen und diese bei allen umzusetzen. Das Ganze ähnelt also ein wenig einem Einrichtungs-TÜV. Nur so kann man offenbar die Wahrung des Rechts auf menschenwürdige Behandlung sicherstellen. Wie beim Auto gilt: Werden bestimmte Standards nicht eingehalten, muss nachgebessert oder geschlossen werden. Damit ist sichergestellt, dass es keine Anpassung der Standards nach unten gibt.

(Heinz-Werner Jezewski)

In Sachsen hat das funktioniert. In der Folge wurden Einrichtungen geschlossen. Überall dort, wo es keine hygienischen Sanitärbereiche, moderne Küchen oder angemessene Wohnquartiere gab, wurde der Schlüssel umgedreht. Richtig so.

Auch in Schleswig-Holstein sind wir auf dem besten Weg hin zu verbindlichen Standards. Berichte vom Ausländerbeauftragten und vom Flüchtlingsrat mit entsprechenden Empfehlungen liegen bereits seit letztem Jahr vor. Auf dem Titel der Broschüre sieht man ein Foto von einer Unterkunft in einem Container, den man wirklich nicht als Zuhause bezeichnen kann. Dass hier mehrere Menschen über Monate oder Jahre leben müssen, kann man sich kaum vorstellen. Abseits der Innenstädte gewähren einige Unterkünfte ihren Bewohnerinnen und Bewohnern nur einen groben Schutz gegen die Widrigkeiten von Wind und Wetter. Das ist Unterbringung auf unterstem Zeltplatzniveau. Für eine soziale Integration sind diese Unterkünfte völlig ungeeignet.

Der Flüchtlingsrat schilderte in seiner Stellungnahme für den Innen- und Rechtsausschuss erschreckende Beispiele für die Überforderung einzelner Kommunen und empfiehlt die fachaufsichtliche Begleitung der Kommunen durch das Innenministerium, um den gröbsten Missständen Herr zu werden. Es drängt sich geradezu die Frage auf, wie es so weit kommen konnte, dass Menschen abgeschoben und vergessen werden können. Nicht einmal die zuständige Sozialarbeiterin scheint zu wissen, wie viele Personen nun tatsächlich in einem Container wohnen. Das sind Anzeichen für ein Systemversagen.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die dezentrale Unterbringung ohne feste Standards und ohne fachaufsichtliche Begleitung bewährt sich also nicht, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Sie führt dazu, dass sich Kostenaspekte in den Vordergrund drängen und dass menschliche Fragen beiseitegeschoben werden. Dabei sollte die Umstellung auf dezentrale Unterbringung die Asylbewerber gerade aus der Isolierung heraus- und in die Gesellschaft hereinführen. Darum unterstützt der SSW nachdrücklich die systematische Bestandsaufnahme aller Unterkünfte.

Das ist allerdings nur der erste Schritt. Wie in Sachsen müssen auch bei uns aus den Daten die richtigen Schlüsse gezogen werden und Taten folgen. Das heißt, dass bei Mängeln die Unterkünfte innerhalb einer festgelegten Frist baulich verbessert wer

den müssen. Ist das nicht möglich oder zu aufwendig, müssen sie geschlossen werden.

Darum noch einmal zu dem vorliegenden Änderungsantrag von CDU und FDP, denn der geht in die genau entgegengesetzte Richtung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir diesem Antrag folgen, dann bekommen wir eine Flüchtlingspolitik oder eine Unterbringungspolitik wirklich nach Kassenlage, das wollen wir nicht.