Protocol of the Session on March 22, 2012

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

In einem modernen Stall mit guten klimatischen und hygienischen Bedingungen fühlen sich die Tiere wohler als in einem kleinen, dunklen und zugigen Gebäude. Die Bundesregierung plant, die baurechtliche Priviligierung großer gewerblicher Tierhaltungsanlagen im Außenbereich künftig aufzuheben. Dem kann ich zustimmen, denn ich habe großes Verständnis für die Kommunen, die auf ihre Planungshoheit hinweisen. Die Tierhaltung landwirtschaftlicher Betriebe muss aus meiner Sicht aber priviligiert bleiben.

Meine Damen und Herren, der Tiergesundheit kommt eine zentrale Rolle in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu. Sie ist einer der entscheidenden Faktoren für das Wohlbefinden und für die Leistungsfähigkeit der Tiere. Damit ist sie von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung für die Landwirte. Ein in den letzten Monaten besonders kontro

(Vizepräsidentin Herlich Marie Todsen-Reese)

vers diskutiertes Thema ist der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung. Im Landtag und im Ausschuss haben wir uns bereits mit diesem Thema auseinandergesetzt. Hier steht vor allem die Geflügelhaltung im Fokus der Öffentlichkeit. Antibiotika sind wichtige Arzneimittel für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen und Tieren. Um die Entwicklung und Ausbreitung resistenter Bakterienstämme zu verringern oder zu verhindern, ist es aber zwingend notwendig, den Einsatz auf das unerlässliche Maß zu minimieren, das wir zur Behandlung ernsthafter Infektionskrankheiten benötigen. Auf Initiative Schleswig-Holsteins hin haben die Länder das Bundeslandwirtschaftsministerium gebeten, ein verbindliches nationales Konzept zur Minimierung der an Nutztiere verabreichten Antibiotikamengen zu erarbeiten. Wir werden uns aktiv in die Erarbeitung einbringen.

(Beifall bei der CDU)

Darüber hinaus unterstützt die Landesregierung die vorgeschlagenen Änderungen des Arzneimittelrechts, um die Transparenz zu erhöhen und um einen höchstmöglichen Verbraucherschutz zu ermöglichen.

Die tierschutzrechtlichen Regelungen in Deutschland gehören zu den fortschrittlichsten weltweit. In den letzten Jahren hat sich der Schutz der Tiere auch bezüglich der Besatzdichten in vielen Bereichen verbessert. Wir wollen den Tierschutz weiter verbessern. Ich nenne hier beispielhaft die sogenannten vorbeugenden Eingriffe wie das Kürzen der Schnäbel bei Hühnerküken oder das Kupieren der Schwänze bei Ferkeln. Diese sind kritisch zu hinterfragen. Das hat auch die Praxis erkannt. Man arbeitet dort schon an Alternativen. Wir können die Praktiker aber nicht alleinlassen, sondern wir müssen wirtschaftlich vertretbare Haltungsalternativen aufzeigen. Das Bundesministerium wird hier einen Forschungsschwerpunkt legen, was ich sehr begrüße. Wir fördern als Land auch ein Projekt der Universität Kiel im Zusammenhang mit einem möglichen Verzicht auf das Kupieren der Schwänze bei Ferkeln.

Meine Damen und Herren, dies waren nur einige Beispiele aus dem umfassenden Bericht. Er zeigt, dass die landwirtschaftliche Nutztierhaltung in Schleswig-Holstein auf hohem Niveau betrieben wird und dass unsere Landwirte sehr verantwortungsvoll mit ihren Tierbeständen umgehen. Tiergesundheit, Tierwohl und Umweltschutz müssen ständig angepasst, weiterentwickelt und - wo notwendig - verbessert werden. Von dieser ganzheitlichen Strategie profitieren die Tiere ebenso wie die

Betriebe und die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich wiederhole noch einmal: Eine Systemdebatte brauchen wir nicht.

(Beifall bei der CDU)

Unser System funktioniert dank einer zukunftsgerichteten Agrarpolitik. An dieser wollen wir festhalten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Landesregierung hat die verabredete Redezeit eineinhalb Minuten überzogen. Diese Zeit steht nun allen Fraktionen zur Verfügung.

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Bernd Voß das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern waren hier vor dem Landeshaus Bäuerinnen und Bauern, die gemeinsam mit Umweltverbänden, mit Imkern, mit Tierschützern und mit Vertretern einer Weltorganisation demonstriert haben. Gestern war Frühlingsanfang. An diesem Tag haben Landwirte eigentlich etwas anderes zu tun, als mit dem Trecker in die Stadt zu fahren. Trotzdem waren die Milchbauern und die Ökobauern hier, weil sie wissen, dass die Zukunft ihrer Betriebe, die Zukunft des Lebens in den Dörfern und ihre zukünftige Existenz davon abhängen, dass wir eine andere Agrarpolitik bekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Redner sagte sehr deutlich: Wir lassen uns nicht länger auseinanderdividieren! Genau dem stimme ich zu. Frau Ministerin, ich denke, Ihre Eingangsworte waren wieder ein Stück weit auseinanderdividieren. „Teile und herrsche“ ist zu lange das Motto der Spitze des Bauernverbandes gewesen, der eine Politik für die Agrarindustrie unterstützt, durch die bäuerliche Betriebe auf der Strecke bleiben. So kommt letztlich dabei eine Politik heraus, die Betriebe dazu treibt, immer waghalsige Wachstumsschritte zu unternehmen und sich mehr von den großen Fleischkonzernen abhängig zu machen. Die Politik lässt die Kommunen hier alleine und gibt ihnen keine wirksamen Instrumente. Wir wissen doch, wie die Stimmung in den Dörfern und wie schwierig die Situation der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in dieser Frage ist.

(Ministerin Dr. Juliane Rumpf)

Frau Ministerin Rumpf, Sie haben heute einen Bericht vorgelegt, der mit Zahlen deutlich belegt, was ich gesagt habe. Ich sage ausdrücklich: Vielen Dank an das Haus für diesen Bericht. Seit 1999 ist die Zahl der Rinderhalter in Schleswig-Holstein um 33 % zurückgegangen, die der Schweinehalter sogar um 54 %. Dafür wachsen die Bestände. Betriebe mit mehr als 2.000 Mastschweinen halten bereits mehr als ein Drittel aller Schweine hier im Land. Beim Mastgeflügel sind es sogar 69 %, die in Betrieben mit Beständen ab 50.000 aufwärts stehen.

Sie sagen, dass Sie den Begriff Massentierhaltung ablehnen und lieber von Intensivhaltung sprechen, die von der EU schließlich auch definiert sei: mehr als 40.000 Plätze beim Geflügel, mehr als 2.000 Mastschweine, mehr als 750 Sauenplätze. Ich will mich überhaupt nicht um Begriffe streiten, deshalb reden wir heute auch gern über Intensivtierhaltung. Die Probleme sind aber die gleichen, egal wie das Kind heißt, und zwar agrarstrukturelle Probleme, soziale Probleme, Umwelt- und Tierschutzprobleme.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Flemming Meyer [SSW])

Noch sind es nur wenige Betriebe, die heute in diesen Größenordnungen produzieren. Der Bericht schätzt die Zahl für Schleswig-Holstein auf 200 von 14.000. Wenn das aber - wie Sie, Frau Rumpf, uns einreden wollen - die Zukunft der Veredelungswirtschaft hier im Land ist, können wir uns ausrechnen, wohin das führt: Wir werden in 10 oder 20 Jahren nur noch 10 % der Betriebe haben, der Rest ist auf der Strecke geblieben, dann, wenn zum Beispiel die „Hähnchen-Blase“ irgendwann platzt. Im Schweinebereich zeichnen sich - wenn auch noch nicht ganz so dramatisch - ähnliche Entwicklungen ab.

Herr Rickers, Sie haben in Ihrer letzten Rede hier im Haus sinngemäß gesagt, die Betriebe müssten eben wachsen und Masse produzieren, weil die Preise niedrig seien. Ich sage Ihnen: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wer diese Strukturen einfach schulterzuckend zulässt und sie dadurch begünstigt, dass Märkte mit Massenwaren überschwemmt werden, der trägt zum Preisverfall bei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Eine flächengebundene und artgerechte Tierhaltung ist das einzige Mittel, das uns und die Betriebe aus dieser Misere herausführen kann.

Wir haben in unserem Antrag eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, wie wir dahin kommen können. Ich will sie nicht im Einzelnen vertiefen. Es waren das Bauplanungsrecht, das Emissionsschutzrecht, Mindeststandards beim Tierwohl, Kennzeichnung von Produkten. Wir wollen die Möglichkeit zum privilegierten Bauen im Außenbereich für landwirtschaftliche Betriebe überhaupt nicht abschaffen. Landwirtschaftliche Betriebe brauchen sie dringend für weitere Entwicklungsmöglichkeiten. Sie ist aber gefährdet, wenn wir nicht endlich diese Privilegierung anfassen und sinnvoll fortentwickeln.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Als die jetzige Regelung im Bundesbaugesetz entstanden ist, gab es Tierhaltungsanlagen in dieser Größenordnung überhaupt noch nicht. Wir möchten die Kriterien für die Privilegierung ändern, damit endlich die Regelung wieder ihre ursprüngliche Funktion bekommt, nämlich die Entwicklung und den Außenbereich zu schützen. Diese Schutzfunktion und diese Entwicklungsfunktion müssen erfüllt werden können.

Auch die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf und hat vorgesehen, im neuen Entwurf des Bundesbaugesetzes die Privilegierung für gewerbliche Tierhaltungsanlagen ab einer bestimmten Größenordnung abzuschaffen. Die Landesregierung unterstützt gerade einmal die Position. Das reicht aber nicht und bringt überhaupt nichts für SchleswigHolstein. Wir haben hier überhaupt sehr wenige gewerbliche Tierhaltungsanlagen. Wir müssen stattdessen Grenzen dort einziehen, wo als landwirtschaftliche Privilegierung definiert wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Lothar Hay [SPD] und Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])

Wir haben in unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, erst einmal keine Grenze eingezogen. Soll man jetzt eine Grenze bei 30.000 oder bei 29.900 ziehen? Eine Grenzziehung ist irgendwo immer willkürlich, aber es wird nicht ohne sie gehen. Wir sehen die Grenzen dort, wo das Bündnis, das Netzwerk „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“, sie sieht, wo aber inzwischen auch Bundesumweltminister Röttgen jetzt Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen - und sein Haus sie sieht, bei den unteren Grenzen des Bundesemissionsschutzgesetzes, das in den Werten erheblich niedriger ist als die, die Sie vorsehen. Ich denke, das ist der Weg, den wir verfolgen sollten.

(Bernd Voß)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um wichtige Zukunftsfragen hier im Land, und es geht überhaupt nicht darum, darüber zu debattieren, dass wir illegale Praktiken hatten. Das, was draußen abläuft, stellt den Rahmen dar, an den sich Landwirte halten, um in diesem Wettbewerb, der vorgegeben ist, bestehen zu können. Es geht aber darum, dass wir sagen, wie wir die ländlichen Räume entwickeln wollen, wie wir uns eine Vernetzung der landwirtschaftlichen Erzeugung mit anderen Wirtschaftsbereichen und in die übrige Wirtschaft hinein im ländlichen Raum vorstellen, wie wir unsere Lebensmittel erzeugen wollen, welches Verhältnis wir zu den tierischen Mitgeschöpfen über die derzeitigen Regelungen hinaus haben und wie sich Landwirtschaft letztlich bei uns und auch global fortentwickelt, um eine faire Situation für Erzeuger und Verbraucher zu bekommen.

Wir sollten uns überlegen, welche Entwicklung wir für Schleswig-Holstein, für dieses Land wollen und dann entsprechend handeln. Da sehe ich das große Manko in dem Bericht, der uns heute durch das Ministerium vorgelegt wurde. Es wird mit keiner Silbe darauf eingegangen, wie sich die Landesregierung eine zukünftige Entwicklung vorstellt und was überhaupt getan werden muss, um die zu erreichen. Ich sage nur: Wer nicht weiß, wo er hin will, kommt auch nie an ein Ziel. Wir sollten uns wirklich davon entfernen, davon zu reden, dass wir keine Systemdebatte wollen. Wir brauchen sie.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und der LINKEN)

Für die weitere antragstellende Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Frau Ministerin, für den ausführlichen Bericht, auch wenn ich inhaltlich natürlich nicht mit ihm einverstanden bin. Ich halte den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für charmant. Es geht um eine Einschränkung der Privilegierung von gewerblichen Tierhaltungsanlagen im Außenbereich. Die Intention ist völlig nachvollziehbar. Wir unterstützen die auch. Aber die Probleme der gewerblichen Tierhaltung

lassen sich nicht mit dem Baugesetzbuch lösen. Deswegen bin ich überzeugt davon, Frau Ministerin, dass wir sehr wohl die Systemdebatte führen müssen.

Die gewerbliche Tierhaltung, über die wir hier reden, ist die logische Folge marktradikalen Denkens und des Willens zur Profitmaximierung. Die Lebensbedingungen der Tiere werden mit Blick auf die Produktionskosten auf das absolute Minimum heruntergedrückt - und das nicht nur auf Kosten der Tiere, sondern auch der Umwelt und der menschlichen Gesundheit.

Als Indikatoren für eine gute oder schlechte Haltung werden nur Bestandsgröße oder Bestandsdichte herangezogen. Das greift eindeutig zu kurz. Ob landwirtschaftliche Nutztiere ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden, ist nur bedingt eine Frage der Größe der Stallanlage oder der Anzahl der Tiere, obwohl das natürlich auch wichtige Punkte sind. Aber viel wichtiger ist für mich das Zusammenwirken der einzelnen Haltungsfaktoren. Jedes Tier hat spezifische Verhaltensweisen und Bedürfnisse. Wir merken es spätestens dann, wenn wir einen Hund oder eine Katze haben. Es steht außer Frage, dass die natürlichen Verhaltensweisen und das Sozialverhalten der Tiere in der Nutztierhaltung eingeschränkt werden. Dies zu minimieren - davon bin ich überzeugt -, muss unser Ziel sein.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Nutztierhaltung, die der Fleischgewinnung dient, ist das Ziel der Haltung die Schlachtung zu einem für den Menschen optimalen Zeitpunkt. Wir sollten im Hinterkopf behalten: Hunde sind nur zufällig keine Schlachttiere, sondern Haustiere. Daraus sollte nicht gefolgert werden, Nutztiere wie Sachen behandeln zu können, die völlig betriebswirtschaftlichen Anforderungen untergeordnet werden können. Nein, es geht als Allererstes darum, den verantwortungsbewussten Umgang mit Lebewesen zu erlernen, die ethischen Probleme des Fleischkonsums zu erkennen und dann dementsprechend zu handeln.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Die massiven Probleme im Bereich der Tiergesundheit, der menschlichen Gesundheit, der Umwelt und der Akzeptanz von Tierhaltungsanlagen in der Bevölkerung zeigen uns doch ganz deutlich, dass ein grundsätzliches Umsteuern notwendig ist. Um dieses Umsteuern in der Praxis zu beschleunigen, hat die Landesregierung eine Reihe von Möglich

(Bernd Voß)

keiten. Die reichen von ordnungspolitischen Instrumenten bis hin zu finanziellen Anreizen.

Es kommt aber darauf an, Anforderungen für eine möglichst tiergerechte Haltung auch auf Bundesund europäischer Ebene voranzubringen, um Schleswig-Holstein im Wettbewerb nicht zurückzuwerfen. Ein Agrarinvestitionsprogramm kann die Umsetzung einer möglichst artgerechten Tierhaltung in Schleswig-Holstein erheblich beschleunigen. Dann müssen Art, Umfang und Höhe der Zuwendung eben so gestaltet werden, dass ein Anreiz dazu besteht, Tierhaltungsanlagen möglichst tiergerecht zu bauen und Altanlagen entsprechend nachzubessern.

Für ein Umdenken und Umsteuern in der landwirtschaftlichen Praxis müssen aber auch Lehrinhalte bei der Aus- und Weiterbildung von Landwirten und ähnlichen Berufen angepasst sowie die Kontrollbehörden, speziell die Veterinärämter, entsprechend ausgestattet werden.

(Beifall bei der LINKEN)