Protocol of the Session on February 23, 2012

Was können wir dem Bericht der Landesregierung entnehmen? Man habe ein Förderkonzept erarbeitet, das die Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten und stationären Hilfsangebote für Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht oder betroffen sind, und deren Kinder zum Gegenstand habe. Ich zitiere wörtlich:

„Die neu verfassten Richtlinien treten nach einem umfassenden Beratungs- und Beteiligungsprozess zum 1. Januar 2012 in Kraft.“

Dieser hier sogenannte umfassende Beratungsund Beteiligungsprozess muss den Betroffenen wie Hohn erscheinen.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Die Verkündung, dass zwei Häuser geschlossen werden, weil man über eine halbe Million € einsparen wolle, kann doch wohl nicht ernsthaft als fachlicher Diskurs oder ergebnisoffener Dialog betrachtet werden.

Herr Minister, zu dem, was Sie uns heute hier über den schriftlich vorliegenden Bericht hinaus noch an Zahlen zur Verfügung gestellt haben, frage ich mich: a) Warum sind diese Zahlen nicht Bestandteil des Berichts? b) Wenn diese Zahlen so stimmen das kann man natürlich heute hier nicht nachvollziehen -, haben Sie das richtige Frauenhaus geschlossen, wenn Sie denn eines schließen mussten? Oder was wollten Sie uns mit dieser Miethöhendebatte eigentlich sagen? Ich habe das nicht verstanden. Aber vielleicht liegt das ja auch an mir.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Wenn man ernsthaft mit den Betroffenen, mit den Frauenhäusern und mit den Frauenberatungsstellen, darüber diskutieren wollte, ob man sich andere Konzepte vorstellen könnte, kann man das sicherlich in Angriff nehmen, aber nicht erst irgendeine Verkündungspolitik machen und dann sagen, wir reden mal darüber, ob wir es vielleicht auch anders hinkriegen.

Das Autonome Frauenhaus Lübeck hat ausweislich des Berichts der Landesregierung seit Oktober 44 Frauen mit 52 Kindern abgewiesen, da die Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht war. Und die Lösung der Landesregierung? - Man müsse die Frauenhausplätze eben landesweit im Fokus haben und eine gleichmäßige Auslastung gewährleisten.

Was heißt das für die Betroffenen? - Flucht weit weg aus Lübeck, auch wenn dort die Kinder verwurzelt sind, wenn es für die Frauen noch ein fami

liäres oder soziales Netzwerk gibt, das ihnen in der schwierigen Situation zur Seite stehen könnte. Wer Kinder hat, weiß, welche Auswirkungen KitaWechsel, Schulwechsel und Verlust des Freundeskreises für sie schon durch einen einfachen Umzug haben. Um wie viel mehr leiden Kinder aus einer derart belasteten Familiensituation, aus der Frauen nur noch die Flucht ins Frauenhaus als Möglichkeit sehen!

Wir haben das Thema hier schon mehrfach diskutiert, aber nach wie vor wird von der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen nicht anerkannt, dass landesweite Angebote zwar notwendig sind, die Angebote in besonders belasteten Ballungsräumen mit entsprechender Sozialstruktur aber wesentlich häufiger nachgefragt und aufgesucht werden.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Einigen von Gewalt betroffenen Frauen ist die Nähe zum alten Wohnort wichtig, während andere wegen der besonderen Gefährdung ihren Wohnort verlassen und unter Umständen sogar ein Frauenhaus in einem anderen Bundesland aufsuchen müssen. Das gilt nicht nur für Schleswig-Holsteinerinnen, sondern das gilt auch für Frauen aus anderen Bundesländern, die ihre Zuflucht in Schleswig-Holstein suchen müssen. Das führt dazu, dass Hamburgerinnen Frauenhäuser im Hamburger Randgebiet aufsuchen, ebenso wie Schleswig-Holsteinerinnen die größere Anonymität Hamburgs als notwendig für ihren Schutz erachten.

Fachlich besteht eigentlich kein Dissens, dass in etlichen Fällen häuslicher Gewalt die Unterbringung in einem anderen Bundesland erforderlich ist. Sind die Frauenhausplätze in Schleswig-Holstein und Hamburg zuwendungsfinanziert, ist eine Kostenerstattung für ortsfremde Frauen nach § 36 a SGB II bisher nicht möglich. Das Problem ist altbekannt. Man sollte an einer Lösung im beiderseitigen Interesse arbeiten. Aber wie lautet die Antwort der Landesregierung? Ich zitiere aus dem Bericht:

„Verhandlungen von Schleswig-Holstein mit Hamburg über Ausgleichszahlungen für die Aufnahme von Frauen und ihren Kindern aus Hamburg in schleswig-holsteinischen Frauenhäusern hat es im Sinne der Fragestellung nicht gegeben.“

Hamburg habe am 26. November 2010 zum Ausdruck gebracht, dass es keine Leistungen erbringen werde.

(Siegrid Tenor-Alschausky)

Wie soll man diese Aussage nun bewerten? Als Desinteresse, das Problem zu lösen, sich für die Frauenhäuser am Hamburger Rand einzusetzen, oder als Ignoranz seitens der schleswig-holsteinischen Regierung, die nach dem erfolgten Regierungswechsel in Hamburg nicht schnellstmöglich erneut das Gespräch sucht?

Die Menschen erwarten von den Politikerinnen und Politikern, dass sie reale Probleme lösen und nicht, wie hier und in vielen anderen Bereichen, nicht einmal gesprächsbereit sind. Das Thema Einladung der Bürgerschaftspräsidentin haben wir hier schon mehrfach angesprochen. Stattdessen wartet man auf das Ergebnis einer Prüfbitte der 21. GMK, wie eine bundesweite Kostenerstattungsregelung auch für zuwendungsfinanzierte Frauenhäuser ermöglicht werden könne. Das hilft nicht bei den akuten Problemen in Lübeck und Wedel. Von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder haben in der derzeitigen Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen keine durchsetzungsfähige Lobby. Aber zum Glück kommt bald der Mai.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Ingrid Brand-Hückstädt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr zufrieden mit dem Bericht des Justizministeriums. Vielen Dank. Ich habe mir gerade überlegt, ob ich vielleicht die Rede vom Minister erbitte und sie noch einmal halte, damit Sie sie verstehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Länge des Berichts sagt nichts über die Qualität aus. Das wissen wir von vielen anderen Dingen.

Ja, die Haushaltslage ist schwierig, und ja, trotzdem muss alles getan werden, damit Frauen, wie andere übrigens auch, vor Gewalt geschützt werden. Denn häusliche Gewalt, sowohl psychische als auch physische und insbesondere auch sexuelle Gewalt, beeinträchtigen das Leben der betroffenen Frauen und ihrer Kinder massiv. Trotz der schwierigen Haushaltslage ist das Finanzierungsmodell SchleswigHolsteins bundesweit beispielhaft, da es sicherstellt, dass Frauen schnell und unbürokratisch geholfen werden kann. Es ist wichtig und richtig, dass Frauen und Mädchen, denen Gewalt angetan wurde, schnell und unbürokratisch geholfen wird.

Frauenhausplätze müssen landesweit verwaltet werden, und es sollte eine gleichmäßige Auslastung angestrebt werden. Die geplante Landesdatenbank des Ministeriums zum schnellen Abfragen offener Plätze ist ein wichtiger Schritt und zeigt, dass die Landesregierung trotz Geldmangels handelt, wo es nötig und möglich ist. Dass im Übrigen die Frauen allein im Internet nach irgendwelchen freien Plätzen suchen sollten, Frau Jansen, ist, glaube ich, irgendwie einer völlig falschen Wahrnehmung von solchen Datenbanken, die in den Frauenhäusern verwaltet werden sollen, geschuldet.

Auch die Bundesregierung wird noch in diesem Jahr Geld für einen bundesweiten Frauennotruf zur Verfügung stellen, der schnelle Hilfe im Notfall bieten kann. Wir sind da also auf einem guten Weg. Niemand wird alleingelassen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Der öffentlich angeprangerte Fall der Mutter in Lübeck vor einigen Wochen brachte das Frauenhaus Lübeck nur deshalb in Kapazitätsschwierigkeiten, weil sie mit sechs Kindern kam, die nicht getrennt werden sollten. Das ist eine bedauerliche Ausnahmesituation, die nicht häufig vorkommt, die aber, wenn doch, immer zu organisatorischen Schwierigkeiten führen wird, egal, wie viele Plätze ein Frauenhaus vorhalten wird. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang, dass Lübeck über das höchste Platzkontingent im Land verfügt. Ich brauche das jetzt nicht noch einmal auszuführen.

Ich möchte festhalten, dass Schleswig-Holstein immer noch über mehr Frauenhausplätze pro Einwohner als der Bundesdurchschnitt verfügt.

Die SPD ignoriert die Finanzlage und macht Wahlkampfversprechungen, die ihr noch unangenehm auf die Füße fallen werden. Die Grünen ignorieren zwar nicht die Finanzsituation von Land und Kommunen, so Frau Dr. Bohn vor ein paar Tagen am Runden Tisch. Aber gleichzeitig, so Frau Dr. Bohn, müsse es in einem Land eine bedarfsgerechte Anzahl von Frauenhausplätzen geben. Klare grüne Zielansage wie immer: Fordern wir mal mehr Geld, woher wissen wir auch nicht, aber es wird schon irgendwie. Und was ist eigentlich bedarfsgerecht? Wofür wissen wir also auch nicht.

Fehlt es diesen Äußerungen schon an Sinnhaftigkeit, mache ich mir über Ihre bemerkenswerte Verknüpfung zwischen Opfern von häuslicher Gewalt und Sicherungsverwahrten ernsthafte Sorgen. Sie werfen dem Justizministerium vor, für den Bau der Unterbringung von Sicherungsverwahrten Geld auszugeben, für die Förderung von Frauen

(Siegrid Tenor-Alschausky)

häusern und Beratungsstellen dagegen nicht. Das Harmloseste an diesem Vorwurf ist, dass Sie wider besseres Wissen so tun, als käme das Geld aus demselben Topf und könnte mal eben umgeschichtet werden. Sie tun auch noch so, als hätte der Justizminister oder die Landesregierung überhaupt eine Wahl zwischen dem einen oder dem anderen. Dem ist nicht so.

(Beifall bei FDP und CDU)

Vielmehr müssen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Unterbringung von Sicherungsverwahrten bis zum 31. Mai 2013 umgesetzt werden. Geschieht dies nicht, müssen gefährliche Straftäter freigesetzt werden. Ich gehe nicht davon aus, dass dies irgendjemand will.

Ihre Äußerung ist nicht nur populistisch und perfide, sie zeugt auch von tiefer Verachtung vor Gefallenen in der Gesellschaft. Sie zeigt, dass Sie die Frauen und Opfer nicht wirklich ernst nehmen, sondern mit „Wischiwaschi-Versprechungen“ verhöhnen.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie zeugt wieder einmal von tiefster Unwissenheit bei den Grünen über die rechtsstaatlichen Grundsätze. Auch verurteilte Straftäter haben ihr Grundrecht auf menschenwürdige Behandlung in unserem Rechtsstaat nicht verwirkt, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Sollte es allerdings nicht nur Unwissenheit, sondern Ignoranz sein, und dieser Verdacht drängt sich ab und zu auf, weil Sie auch gern die Politisierung der Justiz hätten, dann kann einem angst und bange werden.

Frau Bohn, ich gehe davon aus, dass Sie gleich erklären werden, was Sie in Lübeck gesagt haben und ob es die Position Ihrer Fraktion ist, die Mittel für den notwendigen Ausbau der JVA Lauerhof nicht aufzuwenden, ein Verfassungsgerichtsurteil zu missachten und stattdessen dieses Geld zum Erhalt des Frauenhauses in Lübeck aufzuwenden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU - Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zunächst einmal sage ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium herzlichen Dank für Ihren Bericht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schutz vor Gewalt ist ein Menschenrecht ohne Wenn und Aber. Wer akut Hilfe braucht, der muss sie auch bekommen. Wer von Gewalt bedroht ist, der darf nicht weggeschickt werden. Hier sind wir uns alle einig - in der Theorie. Die Praxis sieht leider anders aus. Ein Beispiel ist das Frauenhaus in Lübeck. Jetzt passiert genau das, wovor wir im letzten Jahr schon gewarnt haben. Das Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt ist geschlossen worden, und sofort ist das Autonome Frauenhaus überfüllt. Das war absehbar. Das war genau der Punkt, auf den wir immer hingewiesen haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Es gibt gewachsene Strukturen, und Sie machen sie kaputt. Sie haben alle unsere Warnungen in den Wind geschlagen. Schutz vor Gewalt ist ein Menschenrecht. Was aber macht die Landesregierung? Sie zerschlägt die gewachsenen Strukturen. Frauen und Kinder, die Opfer von Gewalt werden, müssen unter den Folgen leiden. Opfer von Gewalt können zu siebt auf Matratzen in einem Zimmer liegen, und Sie sagen, die Welt sei in Ordnung, alles sei bestens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist sie nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Die Frauen- und Menschenrechtspolitik dieser Regierung ist ein Armutszeugnis. Ich kann es an dieser Stelle nur immer wieder sagen: Wir haben vorhergesagt, dass es so kommen wird. Sie wollten es nicht hören. Ich verstehe es nicht. Das Lübecker Frauenhaus tut unter den gegebenen Bedingungen das Beste, um mit dieser unzumutbaren Situation klarzukommen. Herr Minister, ich habe Sie so verstanden, dass Sie die Situation jetzt als unnötig bezeichnen. Wenn Sie sagen, dass man dies im Frauenhaus für politische Forderungen instrumentalisiere, dann ist das ein harter Vorwurf, das muss ich sagen.

(Beifall bei der LINKEN)