Das Versammlungsrecht gehört zu den besonders schützenswerten Grundrechten. Darum sollten wir sorgfältig - ohne Zeitdruck und ideologische Scheuklappen - vorgehen. Der vorliegende Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN könnte Ausgangspunkt für ein schleswig-holsteinisches Versammlungsrecht sein. Es bedarf aber einer gründlicheren Diskussion, weil das Gesetz in der vorliegenden Fassung in erster Linie auf die Kontrolle der Polizei ausgerichtet ist. Da mögen individuelle Demonstrationserfahrungen eingeflossen sein. Das sollte man aber nicht verallgemeinern.
Tatsächlich verändert die Polizei ihre Taktik und beweist oftmals Flexibilität und Einfallsreichtum. Ein kleines Beispiel aus Flensburg: die erste Montagsdemonstration gegen Atomkraft nach der Katastrophe von Fukushima auf dem Flensburger Südermarkt. Die Demonstranten wollten ihre Entschlossenheit zeigen und ihrer Betroffenheit Raum geben. Darum machten sich die Demonstranten spontan auf den Weg durch die Stadt. Die Polizisten vor Ort bewiesen ihre Flexibilität. Anstatt sich auf die fehlende Erlaubnis zu berufen, sicherten sie den Verkehr und ermöglichten auf diese Weise den gewaltfreien Protest. Sicherlich gibt es auch andere Beispiele. Darum ist es sinnvoll, Polizei und Demonstrationsleitung gesetzlich zur Abstimmung zu verpflichten.
Dem wird der vorliegende Gesetzentwurf zur Versammlungsfreiheit nicht gerecht. Es werden unbestimmte Rechtsbegriffe eingeführt, und das Versammlungsrecht wird vor allem dazu genutzt, der Polizei feste Abläufe vorzuschreiben. Nach unserer Ansicht sollte ein Gesetzentwurf zum Versammlungsrecht auch den Fokus auf dieses Recht richten.
Das ist bislang nicht erkennbar. Es geht nämlich nicht mehr um den Schutz der Versammlungsfreiheit, sondern - wie schon erwähnt - um die Kontrolle der Polizei, der sehr detailliert vorgeschrieben werden soll, wie sie vorzugehen hat. Das widerspricht allen Erfahrungen, wonach sich Demonstrationen völlig unvorhersehbar entwickeln können.
Diskussionsbedarf besteht unter anderem auch bei folgenden Punkten: Erstens. Unabhängige Versammlungsbeobachter werden zugelassen und durch das Justizministerium akkreditiert. Interessant ist, dass diese Beobachter auch Fortbildungen zu besuchen haben. Die Frage ist, wer soll diese Fortbildungen geben, und welchem Zweck dienen diese?
Zweitens. Die Versammlungsbeobachter dürfen im Gegensatz zur Polizei ungehindert Daten aufnehmen und ihre Bild- beziehungsweise Tonaufnahmen unkontrolliert speichern, verschicken und veröffentlichen. Hier stellt sich die Frage nach dem Recht am eigenen Bild und nach einem wirkungsvollen Datenschutz.
Drittens. Es werden Konfliktmanager eingeführt, die Gewaltpotenzial erkennen und deeskalierend wirken sollen. Aus dem Innen- und Rechtsausschuss und den Erfahrungen vor Ort wissen wir, dass die Polizei bereits Konfliktmanager einsetzt und sowohl präventiv als auch deeskalierend tätig ist. Unklar ist, warum hier eine gesetzliche Festschreibung notwendig ist.
Wir werden diese Fragen im Rahmen der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss klären können. Der Beratungsbedarf besteht, aber insgesamt begrüßen wir, dass es diese Initiative gibt. Ich hoffe, dass wir gemeinsam auch etwas daraus machen können.
Zu einem Dreiminutenbeitrag hat sich Herr Abgeordneter Thorsten Fürter von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeldet. Ich erteile ihm hiermit das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich über diese Debatte und auch über die vielen Kritikpunkte, die zu diesem Gesetzentwurf eingebracht wurden. Herr Kollege Kalinka, jetzt gucke ich Sie an, Herr Kollege Koch ist ja lei
der nicht mehr da. Herr Kalinka? - Eins, zwei, viertel vor drei - okay, Herr Kalinka ist nicht für Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Da hier die Grundthese, dass Schleswig-Holstein in absehbarer Zeit einmal ein Versammlungsrecht braucht, nicht in Abrede gestellt wurde, würde ich mich freuen, wenn wir Parlamentarier uns verständigen könnten - ich glaube, wir werden es in dieser Legislaturperiode vermutlich nicht mehr schaffen, als Landtag ein Gesetz zu verabschieden -, zumindest eine schriftliche Anhörung zu machen. Mein Ziel ist, dass wir im Landtag ein Versammlungsgesetz verabschieden, das nicht von einer Ein- oder Zweistimmenmehrheit verabschiedet wird, sondern von einem größeren Teil.
Ich wollte noch einmal auf Herrn Koch eingehen, auf die Frage des Vertrauens und des Misstrauens. Die Rolle, die Sie den Grünen zuschreiben, ist natürlich etwas Wahlkampfgeplänkel und so weiter.
Wir wollen der Polizei durch unseren Gesetzentwurf eine sehr positive Rolle zur Sicherung der Versammlungsfreiheit zubilligen. Sie sehen an diversen Punkten, dass wir der Polizei sogar eine positive Rollenbeschreibung geben, wie sie die Versammlungsfreiheit stärken kann. Das ist richtig.
Zu der Frage: Muss man der Polizei immer trauen? Natürlich ist es so, dass unsere staatlichen Institutionen - das ist das Parlament, das ist die Justiz, das ist die Bundeswehr, das ist die Polizei - in der Bevölkerung und auch bei uns Grünen einen großen Vertrauensvorschuss haben. Aber ich finde ganz ehrlich, es ist keine liberale Position, sich hier immer hinzustellen und zu sagen: Bestimmte Institutionen müssen über Kritik erhaben sein.
Die Justiz, die Polizei oder irgendeine Organisation müssen sich kritische Fragen gefallen lassen. Dazu zählt die Polizei, auch wenn wir grundsätzlich bei ihr sind und sie unsere Unterstützung hat. Deswegen auch der Gesetzentwurf, der die Rolle der Polizei zur Sicherung der Versammlungsfreiheit positiv lenken möchte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die Föderalismusreform I ist zum 1. September 2006 die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht auf die Länder übergegangen. In der Zeit, bis die Länder davon Gebrauch machen, gilt das bisherige Versammlungsgesetz des Bundes. Festzuhalten ist, dass auch fünf Jahre nach Inkrafttreten der Reform die Länder generell noch sehr zurückhaltend sind, wenn es darum geht, eigene Versammlungsgesetze zu etablieren. Das mag daran liegen, dass durch zahlreiche grundlegende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutzbereich der Versammlungsfreiheit des Artikels 8 Abs. 1 Grundgesetz der Rahmen für inhaltliche Änderungen des Versammlungsgesetzes sehr eng begrenzt ist.
Auch der Freistaat Bayern, in dem als erstes Bundesland ein eigenes Versammlungsgesetz verabschiedet wurde - es ist ja hier bereits mehrmals zitiert worden -, hat dies erfahren müssen. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2009, einzelne Vorschriften bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts außer Kraft zu setzen, sind zum 1. Juli 2010 Änderungen des bayerischen Gesetzes in Kraft getreten, die die Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen haben.
Neben Bayern hat bisher nur Niedersachsen ein vollständig eigenes Landesversammlungsgesetz verabschiedet. Es ist am 1. Februar 2011 in Kraft getreten. Andere Länder wie Brandenburg oder Sachsen haben spezielle Regelungen in einzelnen Paragrafen des geltenden Bundesgesetzes für ihre landesspezifische Situation neu gefasst, ansonsten aber das Bundesgesetz unverändert übernommen.
Selbstverständlich beschäftigt sich auch das Innenministerium mit der Frage der Notwendigkeit einer Fortentwicklung des Versammlungsrechts und beobachtet daher die gesetzgeberischen Aktivitäten der anderen Länder sehr genau. Das bestehende Versammlungsgesetz mit all seinen zum Teil historisch bedingten Unzulänglichkeiten ist bis in alle Verästelungen hinein rechtlich durchdekliniert und bietet sowohl Veranstalterinnen und Veranstaltern von Versammlungen als auch Polizei und Versammlungsbehörden weitestgehend Sicherheit darüber, in welchem Rahmen Versammlungen ablau
Der vorliegende Gesetzentwurf für ein Versammlungsfreiheitsgesetz der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist daher aus unserer Sicht nicht zielführend. Die Vorschläge des Gesetzentwurfs zum Kooperationsgebot, zum polizeilichen Konfliktmanagement und zu Versammlungsbeobachtern sind bereits durch verfassungsrechtliche Rechtsprechungen zu beachtendes Recht beziehungsweise werden auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage von der schleswig-holsteinischen Landespolizei bei jeder Versammlung im Lande praktiziert.
- Dann brauchen wir das nicht ins Gesetz zu schreiben. Es ist unsinnig, etwas in ein Gesetz zu schreiben, das sowieso praktiziert wird. Aber das mag Ihrer Beurteilung überlassen bleiben. Ich jedenfalls halte das, was ich gesagt habe, für richtig.
Grundlage der Kooperation zwischen Polizei, Versammlungsbehörde und der Versammlungsleitung kann doch nur die Gefahrenprognose der Polizei sein. Aus dieser ergeben sich Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Versammlung, ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer und natürlich der unbeteiligten Öffentlichkeit.
Gewaltbereite Einzelne oder Gruppen lassen sich aber erfahrungsgemäß durch solche Maßnahmen nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Geplante Gewalt lässt sich eben auch nicht durch ein fein aufgestelltes Verfahren zur Kooperation oder zum Konfliktmanagement unterbinden - leider. Im Übrigen setzt die Landespolizei bereits erfolgreich qualifizierte Konfliktmanager ein. Ein von Polizei und Versammlungsbehörde unabhängiges Konfliktmanagement würde die Handlungsfähigkeit und Verbindlichkeit der versammlungslenkenden Anordnungen von Polizei und Versammlungsbehörde eher infrage stellen als die Zusammenarbeit zwischen Versammlungsleitung und Polizei fördern.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält zudem nur Absichtserklärungen und Handlungsmaximen, die jeder Konfliktmanagerin und jedem Konfliktmanager bekannt sind. Eine gesetzliche Fixierung führt daher inhaltlich überhaupt nicht weiter.
Eine unabhängige Versammlungsbeobachtung ersetzt im Konfliktfall keinen Rechtsweg. Die Frage der Unabhängigkeit und Neutralität bliebe im Übrigen im Einzelfall jeweils zu klären und ist nach
Die Anzeigepflicht von Beobachtern sowie deren Ausstattung macht das Ganze zu einem aufwendigen Verfahren. Darüber hinaus - das ist doch selbstverständlich - hat jede Person das Recht, an der Versammlung beobachtend teilzunehmen.
Ein ausdrücklicher Hinweis für die Versammlungsbehörde, bei der Anordnung von versammlungsrechtlichen Maßnahmen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anzuwenden, ist überflüssig. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz ist Basis jedes Verwaltungshandelns und muss Versammlungsbehörden und Polizei nicht noch einmal durch ein neues Gesetz verdeutlicht werden.
Dem Gesetzentwurf fehlt vielmehr die klare Aussage, dass behördliche und polizeiliche Maßnahmen und Anordnungen zumindest für Versammlungen unter freiem Himmel dann zulässig sind, wenn die öffentliche Sicherheit bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Meine Damen und Herren, im Innenministerium wie - wie wir auch gehört haben - auch von den Regierungsfraktionen insgesamt wird über die Möglichkeit und den Nutzen eines eigenen Versammlungsgesetzes intensiv diskutiert. Lassen Sie uns ein solches Gesetz sorgfältig vorbereiten. Dabei sollten wir die Erfahrungen der anderen Bundesländer einbeziehen, vor allen Dingen replizieren, welche Erfahrungen wir im eigenen Land und darüber hinaus mit Versammlungen gemacht haben. Dann kommen wir sicherlich zu einem vernünftigen gemeinsamen Gesetzentwurf.
Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich nunmehr dem Herrn Kollegen Koch von der Fraktion der FDP das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Fürter veranlassen mich doch noch einmal, hierher zu kommen. Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass deutliche Worte nicht unbedingt Wahlkampfgeplänkel sein müssen. Wir arbeiten nämlich bis und über die Wahl hinaus in der Sache. Genau deshalb habe ich kundgetan, dass ich es sehr begrüßen würde, wenn wir hier auf Landesebene auch in diesem Bereich eine baldige Neuregelung vornehmen
könnten. Aus anderen Fraktionen habe ich das genauso vernehmen können. Offenbar sind wir nur über die Ziele und die Wege dorthin nicht einig. Darüber werden wir aber noch reden.
Polizeiliches Handeln wie jedes Verwaltungshandeln - Sie wissen das - unterliegt im Einzelfall notfalls der gerichtlichen Überprüfung. Ich bin sehr dafür, dass es dazu kommt, wenn es dafür Anlass gibt. Wir wissen aber auch, es gibt generell keine Strafanzeigen gegen Polizeibeamte, die im Demonstrationseinsatz tätig waren. Entsprechend entfällt in der Regel die Einzelfallprüfung.
Wer sich die eindrucksvolle Schilderung der Abläufe der Castor-Demonstration im Ausschuss vor Augen führt, wird verstehen, dass ich zu einem generellen Misstrauen in unsere Polizei nie bereit sein werde. Das gehört meiner Ansicht nach zu den Grundfesten unseres Rechtsstaats.