Herr Präsident, entschuldigen Sie. Wir werden diesem Änderungsantrag zustimmen. Das war meinem Redebeitrag auch so zu entnehmen.
Ich schlage vor, dass wir diese Abstimmung wiederholen. Einverstanden? - Wer dem Antrag von CDU und FDP, Drucksache 17/2112, zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und SSW. Gegenstimmen! - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? - Das sind die Fraktionen von SPD und der LINKEN.
Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung, einschließlich der soeben angenommenen Änderung, abstimmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Gegenstimmen! - Das sind die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und des SSW.
Damit stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf in der Fassung der Drucksache 17/2089, einschließlich des angenommenen Änderungsantrags Drucksache 17/2112, angenommen worden ist. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.
Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung fasst die zum Thema verfügbaren Daten zusammen und stellt dar, wie sich Armut und Vermögensverteilung in Schleswig-Holstein entwickeln. Ferner wird dargestellt, welches die wesentlichen Armutsursachen sind und mit welchem Gesamtkonzept die Landesregierung zur Vermeidung und zur Verringerung von Armut beiträgt. Die differenzierte Darstellung in dem Ihnen vorliegenden Bericht zeigt, dass Arm und Reich zwei höchst relative und mit Sicherheit auch subjektive Begriffe sind. So kann der Begriff Reichtum letztlich weder wissenschaftlich noch empirisch klar abgegrenzt werden. Dennoch finden Sie im Bericht umfangreiches Datenmaterial zu Privatvermögen, zu Vermögen aus Erwerbstätigkeit sowie die Darstellung des Steueraufkommens.
In der sich anschließenden Debatte will ich den Schwerpunkt allerdings auf das Thema Armut legen, denn anders als bei Themen wie zum Beispiel der Steuergerechtigkeit, die aus Landessicht vor allem zu Bekenntnisdebatten taugen, ist dies ein Bereich, bei dem landespolitisches Handeln auch tatsächlich Wirkung erzielen kann. Auch wann genau jemand als arm gelten muss, ist schwerlich eindeutig zu messen. Trotz dieser Probleme wird niemand behaupten, theoretische Abgrenzungsfragen seien ein Argument, das vom Handeln abhalten kann beziehungsweise darf.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Wenn man sich auf die im Bericht zugrunde gelegte EU-Terminologie verständigt, dann gilt erstens: Arm zu sein bedeutet in unterschiedlichen Lebenslagen sehr Verschiedenes und erfordert deshalb auch differenzierte Antworten. Zweitens. Armut hat selbstverständlich eine materielle Dimension, aber es wäre zu einfach, Arbeit lediglich als ein rein monetäres Problem zu
begreifen. Es kommt ganz entscheidend auf Begleitumstände an, beispielsweise auf soziale Isolation oder auf Bildungsferne. Armut geht vor allem mit fehlender Teilhabe einher. Der Kern einer wirksamen Politik zur Verminderung von Armut ist daher, eine ökonomische und soziale individuelle Teilhabe sowie Verwirklichungschancen für alle Mitglieder unserer Gesellschaft zu verwirklichen.
Entsprechend den von der EU definierten Kriterien gelten als armutsgefährdet Menschen, deren sogenanntes Äquivalenzeinkommen weniger als 60 % des mittleren Äquivalenzeinkommens der gesamten Bevölkerung beträgt. In Schleswig-Holstein lag die Armutsrisikoquote daran gemessen im Jahr 2009 bei 15,9 %. Das ist ein Durchschnittswert. Nicht alle Bürgerinnen und Bürger sind in einem gleichen Ausmaß von Armut betroffen. Einige Bevölkerungsgruppen sind im materiellen Sinne ganz besonders von Armut betroffen, und eine erfolgreiche Armutsprävention setzt voraus, dass es uns gelingt, genau diese Menschen zu erreichen.
Altersmäßig bilden Jugendliche und junge Erwachsene eine dieser Schwerpunktgruppen. 2009 betrug das Armutsrisiko für unter 18-Jährige fast 20 %. Für die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen betrug das Armutsrisiko sogar 26,2 %. Insgesamt am größten ist das Armutsrisiko für Erwerbslose, das im Jahr 2009 bei etwa 52 % lag. Wenn wir von Erwerbslosen sprechen, dann meine ich damit Menschen, die keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit haben. Arbeitslosigkeit stellt deshalb nach wie vor die wesentliche Ursache für ein erhöhtes Armutsrisiko dar. Erwerbstätigkeit verringert die Armutsgefährdung in einem hohen Maß. Erwerbstätige sind mit 9,1 % - das ist die zuletzt verfügbare Zahl aus dem Jahr 2009 - deutlich geringer armutsgefährdet. Die Schaffung und die Sicherung von Arbeitsplätzen müssen daher im Mittelpunkt jeder Strategie der Armutsvermeidung stehen.
So schön das Reden über die vermeintlich Reichen für jedes politische Abgrenzungsbedürfnis auch sein mag; eine reine Umverteilungsrhetorik schafft bedauerlicherweise gerade keine Arbeitsplätze. Wir brauchen Arbeitsplätze und Rahmenbedingungen, die die Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglichen. Beispielhaft sei auf die Gruppe der Alleinerziehenden verwiesen, für die eine gute Kindertagesbetreuung ein ganz zentrales Argument ist. Es sind Alleinerziehende mit ihren Kindern, die neben Erwerbslosen besonders von Armut betroffen sind. Hier lag die Armutsrisikoquote im Jahr 2009 bei 42 %.
Der vorliegende Bericht bestätigt allerdings auch den bekannten Zusammenhang zwischen einer guten Bildungspolitik und einer erfolgreichen Armutsbekämpfung. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung waren im Jahr 2009 zu fast 32 % armutsgefährdet. Das ist fast das Doppelte des Durchschnitts, wobei sich die Situation für niedrig Qualifizierte seit 2005 kontinuierlich verschlechtert hat. Die Landesregierung setzt daher auf eine ineinandergreifende Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Dabei sind angemessene Löhne ein Aspekt, über den wir hier regelmäßig diskutieren und auch streiten. Die Zahlen belegen aber auch, dass arm trotz Arbeit nicht das Problem der Mehrheit der von Armut Betroffenen ist. Vielmehr ist das Problem, arm durch fehlende Beschäftigungsfähigkeit zu sein. Darum ist die Verbesserung der Bildungsteilhabe junger Menschen ein weiterer zentraler Baustein beim Thema Armutsbekämpfung.
Ich will nur stichwortartig auf das Programm Schule & Arbeitswelt verweisen. Die demografische Wende auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, dass in unserem Land perspektivisch niemand mehr ohne Arbeit sein muss. Deshalb werden und müssen sich alle Anstrengungen darauf konzentrieren, dass diese Chancen tatsächlich von allen Menschen wahrgenommen werden können.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat ihre Redezeit um eine Minute überschritten. Bevor ich die nächsten Rednerinnen und Redner aufrufe, begrüße ich unsere Gäste auf der Zuschauertribüne. Das sind Schülerinnen und Schüler der ComeniusSchule Quickborn sowie aus dem Regionalen Bildungszentrum „HLA - Die Flensburger Wirtschaftsschule“. - Seien Sie uns alle herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Rasmus Andresen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Etwas überrascht dann aber doch: Herr Minister Garg, ich bin froh darüber, dass wir diesen Bericht jetzt endlich diskutieren
dürfen, nachdem er - das sagt auch etwas über den Stellenwert dieses Themas aus - mehrmals von der Tagesordnung - für Freitagnachmittag gesetzt - genommen und verschoben worden war.
Ich danke Ihrem Haus für diesen sehr umfangreichen Bericht. Dieser Bericht macht eines deutlich: Die Schere zwischen Arm und Reich darf in Schleswig-Holstein nicht weiter auseinanderklaffen.
Es ist deswegen richtig, hier jetzt endlich im Parlament grundsätzlich über Vermögensverteilung zu debattieren.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Armutsrisiko in Schleswig-Holstein ist erschreckend hoch, so hoch, wie in kaum einem anderen Bundesland, und das zu einer Zeit, wo auch die Vereinten Nationen - vor einigen Tagen haben sie es wieder getan - harsche Kritik am deutschen Sozialsystem äußern. Wir müssen diese Alarmsignale ernst nehmen.
In dem Bericht sind drei Gruppen erwähnt, die im besonderen Maße als armutsgefährdet gelten. Zum einen wird in diesem Bericht die große Gruppe der Arbeitslosen genannt. Auch Sie, Herr Minister, sind darauf gerade schon eingegangen. Es ist nicht verwunderlich, dass Arbeitslosigkeit ein Grund für Armut ist. Wer daraus aber den alten schwarz-gelben Wahlkampfslogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“ ableitet, irrt gewaltig; denn durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors werden Armut und Arbeit vermehrt gekoppelt. Der klassische Begriff der Erwerbsarbeit ist überholt. Gerade im sozialen und künstlerischen Bereich wird viel Arbeit geleistet, die durch Erwerbsarbeit nicht gedeckt ist. Solche Arbeit schützt nicht vor Armut.
Wir Grüne fordern deshalb: klare Kante für einen Mindestlohn, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, die Begrenzung von Leiharbeit und eine ernsthafte Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen.
Die zweite Bevölkerungsgruppe, die in unserem Land von Armut bedroht ist, sind die Alleinerziehenden. Es ist ein Skandal, dass Alleinerziehende wirtschaftlich abgestraft werden. Die Abschaffung des beitragsfreien Kita-Jahres ist ein herausragendes Negativbeispiel. Das konnte nicht schnell genug gehen. Bei der Einführung der geplanten lan
desweiten Kita-Sozialstaffel passiert hingegen nichts. Wir fordern Sie deshalb auf: Legen Sie endlich ein Konzept zur Kita-Sozialstaffel vor!
Ja, nichts ist so schlecht, als dass es nicht auch für irgendetwas gut ist. Es gibt natürlich auch gute Ansätze. Es gibt zum Beispiel das Projekt “Kein Kind ohne Sport“, das ein hervorragendes Projekt ist. Ich war vor einiger Zeit bei der Auftaktveranstaltung in Flensburg anwesend. Hier muss man allerdings auch erwähnen, dass die Arbeit vor allem von engagierten Ehrenamtlichen vor Ort, von Erwachsenen, wie aber auch von Jugendlichen, gemacht wird. Ihnen gebührt unser Dank, denn ohne diese wäre dieses Projekt nicht möglich.
Die Gruppe der unter 25-Jährigen ist die dritte große Gruppe, die von Armut bedroht ist. Die Erklärung hierfür ist einfach: Ohne Bildungschancen keine Bildung, ohne Bildung keine Ausbildung und ohne Ausbildung keine Zukunft. Wir Grüne verlangen daher: Schluss mit den Warteschleifen, Schluss mit den endlosen, Mut nehmenden Praktika, die zu nichts führen, und Schluss mit den drangsalierenden Sanktionen.
Es geht hier nicht allein um tagespolitische Maßnahmen, sondern um einen anderen Ansatz in der Bildungspolitik. Insofern gebe ich Ihnen recht auch Sie sind etwas darauf eingegangen -: Wenn wir es schaffen, mehr jungen Menschen die Freude an Schule oder Ausbildung wieder zu vermitteln, dann haben wir schon viel gewonnen.
Ich möchte kurz noch auf einen ganz anderen Aspekt eingehen, der immer wenig Berücksichtigung findet, und das ist die Situation der Obdachlosen. In dem Bericht wird beschrieben, dass in einigen Städten, auch in meiner Heimatstadt Flensburg, die Anzahl der Obdachlosen wieder zunimmt. In der Antwort auf meine Kleine Anfrage, Drucksache 17/814, wird deutlich, dass sich landespolitisch eigentlich niemand für die Obdachlosen verantwortlich fühlt. Es ist nun so, dass kein Mensch nachts freiwillig bei eisiger Kälte durch die Straßen streicht. Ich finde, es ist höchste Zeit, dass sich die Landespolitik auch mit der Gruppe der Obdachlosen verstärkt beschäftigt. Wir dürfen bei diesem Thema die Kommunen und Einrichtungen wie die Diakonie, die schon gute Arbeit leisten, nicht alleinlassen.
Aber wenn wir - auch wenn Sie das lapidar als Bekenntnisdebatte abgetan haben - über Gerechtigkeit reden, müssen wir auch über Umverteilung reden, wir müssen darüber reden, wie wir mehr von Reich zu Arm umverteilen.
Wir haben über den Bundesrat Verantwortung für eine sozial gerechte Steuerpolitik, die, abgesehen davon, dass sie mehr Gerechtigkeit schafft, auch Mehreinnahmen für unser Bundesland generiert. Wir müssen jetzt endlich anfangen, eine progressive Steuerpolitik durch die Länder und im Bund zu wagen.
Es geht hier konkret darum, die Erbschaftsteuer, die Vermögensbesteuerung und einen deutlich höheren Spitzensteuersatz in Angriff zu nehmen und hier durch Bundesratsinitiativen ein deutliches Zeichen zu setzen. Das wäre ein kleiner Schritt in Richtung Umverteilung und für mehr Gerechtigkeit.