Protocol of the Session on September 15, 2011

jungen Straftäter legt aber schon in jungen Jahren den Grundstein für eine steile kriminelle Karriere.

(Unruhe)

Dieses Fundament zum Einsturz zu bringen und den betroffenen Jugendlichen zugleich den Weg zurück in die Zivilgesellschaft zu zeigen, ist eine lohnende Aufgabe, der sich die Jugend-Taskforce in den Kreisen und kreisfreien Städten künftig annehmen wird. Die neu gegründete Arbeitsgruppe der Staatssekretäre des Innen-, Justiz-, Sozial- und Bildungsministeriums wird gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden für unser Land ein Handlungskonzept Jugendkriminalprävention mit einem entsprechenden Maßnahmenbündel erarbeiten. Die FDP-Fraktion wünscht uns eine gute Beratung dazu im Ausschuss. Schleswig-Holstein ist auf einem guten Weg.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Thorsten Fürter das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bericht zeigt, dass der bisherige Ansatz in der Präventionsarbeit und im Strafverfahren in Bezug auf Jugendkriminalität in vielen Bereichen bereits richtig ist und gut funktioniert. Über die Jahre hat ein Umdenken in Justiz und Polizei stattgefunden, dass jugendliche Gewaltund Straftaten eine Reaktion erfordern, die den Besonderheiten der Jugendkriminalität gegenüber angemessen ist. Das Hauptaugenmerk muss auf Prävention liegen. Darüber sind wir uns wahrscheinlich gar nicht uneinig, und im Strafverfahren muss auf die individuellen Herangehensweisen Rücksicht genommen werden, mit dem Ziel einer umfassenden Sozialisierung oder, wenn die Straftat geschehen, einer umfassenden Resozialisierung.

Was mich allerdings stört, ist, dass die Landesregierung das Problem immer noch von der falschen Seite betrachtet. Da wird immer von der Bekämpfung der Jugendkriminalität gesprochen, es wird hauptsächlich auf Polizei und Justiz gesetzt, statt Institutionen wie Schule und Sozialarbeit noch stärker einzubeziehen. Es tut mir leid, ich habe schon das erste Mal, als wir das im Landtag besprochen haben, darauf hingewiesen: Nach wie vor wird mit einer militärischen Einheit für ein Konzept geworben.

Herr Minister Schlie, es würde die Debatte um die Jugendkriminalität erleichtern, wenn Sie den militärischen Kampbegriff von der Jugend-Taskforce aus der Debatte zurückzögen - daher kommt es nun einmal - und dafür einen anderen Begriff verwendeten. Dann hätten wir viele Probleme nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Kalinka, gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung zu dem, was Sie eben gesagt haben. Zur Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden! Sie wissen ganz genau, das ist ein Rechtsbegriff, und der Rechtsbegriff wird von Richterinnen und Richtern in Schleswig-Holstein angewandt, die darüber zu entscheiden haben, ob Entwicklungsdefizite vorliegen oder ob keine Entwicklungsdefizite vorliegen. Sie haben das eben ja ganz verhalten gemacht. Ich möchte Sie nur davor bewahren: Fangen Sie nicht an, Briefe an die Richterinnen und Richter zu schreiben, wie sie das Gesetz auszulegen haben! Das entscheiden die Richterinnen und Richter selbst. Das ist kein politisches Thema. Ändern Sie das Gesetz, aber sagen Sie den Richtern nicht, wer Jugendlicher ist und wer nicht Jugendlicher ist! Das geht so nicht.

Ich möchte das Konzept für Mehrfach- und Intensivtäter heranziehen. Natürlich ist das ein wichtiges Thema, auch für die Grünen. Es bringt nichts, die Augen davor zu verschließen: Es gibt Mehrfach- und Intensivtäter. Sie bedürfen einer besonderen Herangehensweise durch den Strafvollzug und die Gerichte und die anderen Institutionen. Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass es - wie Sie wissen - nur eine sehr kleine Gruppe ist. Wir sollten nicht die ganze Debatte um die Jugendkriminalität ausschließlich im Hinblick auf jugendliche Intensivtäter führen, weil das eben nur ein ganz kleiner Teilaspekt von Jugendkriminalität ist.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Aber ein wichtiger!)

Der Ziffernkatalog, den Sie aufgestellt haben, klingt zunächst ein bisschen als Fortschritt. Wir haben darüber schon im Innen- und Rechtsausschuss gesprochen. Ich habe da ein bisschen Bedenken. Für einzelne Taten werden Ziffern vergeben, Raubtaten, sexuelle Gewalt, gefährliche Körperverletzung, Körperverletzung, dann kriegt man da eine Nummer, zwei Punkte, drei Punkte. Ich weiß aus der juristischen Praxis, dass diese Taten häufig ganz unterschiedlich sind. Es gibt Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung - jede Körperverletzung ist natürlich schlimm und zu vermeiden -,

(Gerrit Koch)

es gibt ganz unterschiedliche Wertungen in diesen Geschichten.

Ich habe ein bisschen die Befürchtung, dass der Mensch irgendwann hinter einer Zahl verschwindet, wenn Sie einen solchen Katalog aufstellen, dass Sie sich gar nicht mehr den einzelnen Fall angucken und fragen, wer eigentlich Intensivtäter ist und einer besonderen Behandlung bedarf, sondern derjenige auf die 100 oder auf die 50 reduziert wird.

(Zuruf)

- Das ist kein Unsinn, tut mir leid.

Der Mensch verschwindet hinter einer solchen Nummer. Ich möchte Ihr Augenmerk darauf richten - wir haben hier über Datenschutz gesprochen -: Es sind sehr viele Ministerien beteiligt, das Innenministerium, das Ministerium für Justiz und Gleichstellung und auch andere Institutionen werden einbezogen, die auch mit diesen jugendlichen Intensivtätern umgehen müssen. Mir graut davor - ich würde mir wünschen, dass Sie etwas dazu sagen -, wenn ich daran denke, wer eigentlich alles auf die Datei Zugriff hat. Ich glaube, wir sind uns im Klaren darüber, dass es ausgesprochen schädlich wäre, wenn irgendwann irgendwelche Listen im Internet landeten, aus denen man ersehen kann, dass diese oder jene Person irgendwann im Jahr 2008 eine 23 oder 24 war.

(Zuruf von Minister Klaus Schlie)

- Das ist überhaupt nicht absurd. Es gibt, glaube ich, kaum eine Zahl, die schädlicher für das Fortkommen junger Menschen wäre, wenn sie in irgendeiner Form öffentlich würde. Das heißt, dass ich hoffe, dass Sie Ihren Datenschutz an der Stelle ausgesprochen gut im Griff haben.

(Zuruf von Minister Klaus Schlie)

- Ja, ich hoffe das.

Ich möchte auch noch eine Frage gern beantwortet haben und hoffe, dass Sie etwas dazu sagen, Herr Schlie. Es geht um jugendliche Straftäter. Warum hat das Innenministerium in diesem Bereich die Federführung? Ich kenne es aus Hamburg so, dass diese Sachen unter Federführung der Justizministerien beraten werden. Ich finde, dass die Frage, wie mit Straftaten umgegangen wird, auch und vorrangig in die Hände der Justiz gehört

(Glocke des Präsidenten)

und deswegen da auch das Justizministerium die Federführung haben sollte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski.

Vielen Dank, Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem sinngemäßen Zitat aus dem Bericht beginnen: Jugendkriminalität ist immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und Versäumnisse.

Ich hoffe jetzt - zumindest bei einem Teil des Hauses - ein bisschen schlechtes Gewissen im Blick zu erkennen, weil man gesellschaftliche Fehlentwicklungen und Versäumnisse - die Expertenkommission der Jugend-Taskforce darf es natürlich nicht aufschreiben - auch folgendermaßen übersetzen kann: Das ist das Giftpapier der Haushaltsstrukturkommission, das sind die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen und Versäumnisse. Das ist hausgemacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann den Bericht also in wenigen Worten zusammenfassen. Man kann aber auch feststellen, dass das Gremium die Erweiterung des repressiven Instrumentariums ablehnt und stattdessen den Ausbau von ambulanten Familienhilfen und Schulsozialarbeit sowie die Förderung der Integration zur Vorbeugung von Jugendkriminalität fordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich weiß, Kollege Kalinka, dass das bei Ihnen nicht ankommt. Ich habe vorhin gedacht, dass da wirklich der Stephen King dieses Landtags sitzt. Ich habe mich gegruselt, als Sie es beschrieben haben. Ich habe zuerst gedacht, Sie hätten einen anderen Bericht gelesen als ich, aber Sie haben natürlich die wenigen Tatsachen, auf die ich noch zu sprechen komme, entsprechend ausgebaut, nach dem Motto: Niemand will mit der Angst vor Jugendkriminalität Wählerstimmen gewinnen. - Das glaube ich Ihnen auch.

Inkonsequent finde ich es leider, dass die Taskforce nicht die Rücknahme der unsozialen Kürzungen im Jugendbereich fordert, denn diese Kürzungen haben mit Prävention von Jugendkriminalität überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil: Wer in diesem Bereich kürzt, so wie Sie es getan haben, fördert die Entwicklung von Jugendkriminalität.

(Thorsten Fürter)

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Was momentan passiert, ist Folgendes: Die Landesregierung nimmt Projekten und Einrichtungen das Geld weg, die Jugendliche gegen die Gefahr, kriminell zu werden, stärken wollen und stärken. Die 1,3 Millionen € Kürzungen in der Jugendarbeit werden zu zigmal so hohen Folgekosten durch die Jugendkriminalität führen, das werden wir in den nächsten Jahren sehen.

Gut finde ich allerdings, dass der Bericht für diese Art von Politik ein Bild findet, nämlich das, dass Jugendkriminalität ein Spiegel ist, den sich die Erwachsenengesellschaft vor das Gesicht halten lassen muss.

Lassen Sie mich aber ein paar Themen aus dem Bericht herausgreifen, die wir uns auf der Zunge zergehen lassen können.

Erstens. In der Gesamtbewertung gibt es laut Bericht keine, aber auch gar keine empirischen Belege für einen Anstieg von Jugendkriminalität. Dieses Argument fällt weg, auch für den Wahlkampf. Im Gegenteil: Jugendkriminalität ist rückläufig, auch bei Eigentums- und Gewalttaten. Ich hoffe also, dass wir in Zukunft hier im Parlament nicht wieder mit zufällig zusammengestoppelten Polizeimeldungen über bedauerliche Einzelfälle belästigt werden, in denen ein falsches Bild von der Jugend gezeichnet wird.

Zweitens. Die Gruppe der Mehrfach- und Intensivtäter verlangt einen besonderen Umgang. Natürlich ist Schleswig-Holstein nicht der Garten Eden, und durch die Kürzungspolitik der letzten Jahre haben Sie dafür gesorgt, dass es noch schlimmer werden wird. Die Taskforce aber benennt bestehende Probleme und macht auch bedenkenswerte Vorschläge für deren Lösung, an denen wir gemeinsam arbeiten müssen.

Drittens. Jugendkriminalität ist ein Problem mangelnder personeller Ressourcen. Das gilt bei der intensiven Betreuung von jugendlichen Straftätern, bei der Vernetzung des Hilfspersonals und vor allem beim beschleunigten Jugendverfahren, das ungeheuer sinnvoll ist, aber aufgrund der geringen personellen Ressourcen nur selten gut durchgeführt werden kann. Denn das alles braucht Menschen, die für ihre Arbeit bezahlt werden müssen. Der Bericht findet dafür deutliche Worte. Mit Genehmigung des Präsidenten zitiere ich erneut:

„Zur Verbesserung und Intensivierung… sind die personellen und fachlichen Ressour

cen im Jugendamt, im Jugendgericht und in Jugendstaatsanwaltschaften in ausreichender Form zur Verfügung zu stellen.“

Das heißt, das tun Sie nicht, Sie vernachlässigen da Ihre Pflicht. DIE LINKE hat im vergangenen Herbst 100 Schulpsychologen und 200 Schulsozialarbeiter mehr für das Land gefordert. Wir freuen uns, dass die Jugend-Taskforce diese Forderung teilt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie werden sehen, welche Schritte nun als nächstes zu gehen sind, um die Feststellungen und Forderungen der Taskforce umzusetzen. Ich denke, wir werden uns mit Mängeln, die sich nach der Kommunalisierung der Jugendgerichtshilfe ergeben haben, beschäftigen müssen. Wir werden aber auch sehen müssen, wie wir die noch nicht zerschlagenen Strukturen im präventiven Bereich aktivieren und stärken können, denn - das gibt es keine Ausrede -: Die beste Verbrechensbekämpfung ist und bleibt Prävention.

(Beifall bei der LINKEN und beim SSW)

Das Wort für die SSW-Fraktion erteile ich der Fraktionsvorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen des SSW bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Innenministerium für diesen Bericht. Er ist informativ und konstruktiv und bietet eine gute Grundlage für die weitere Arbeit mit diesem Thema.